Lugs träumte...
Er sah einen Schreiner vor sich, hager, in seine Arbeit vertief. Magor war sein Name. Er wusste nicht woher er das wusste, nur das er es tat. Er hatte Frau und Kinder, seine Arbeit, seine Gewohnheiten. Das abendliche Bier in der "tänzelnden Bärin" war der Höhepunkt seines Tages. Er war Normalität, er war Langeweile. Bis eines Abends etwas in einer dunklen Gasse auf ihn gewartet hatte. Etwas hungriges.
Dann war dort eine Frau. Müdigkeit und Trauer hatten tiefe Furchen in ihr erhabenes Erscheinungsbild gegraben.Tiefe Augenringe verunzierten ihre ebenmäßigen Züge. Theophalia Baan, wie sie in einem Kreis aus Feuer auf das Ende wartete. Sie schrieb die letzten Worte in das Buch vor sich und schlug es zu. Der Schatten war hier.
Er sah einen Händler auf halsbrecherischer Flucht durch einen finsteren Wald, zu stur seine Waren aufzugeben. Einen hochmütigen Barden wie er mit leuchtenden Augen einen Namen aussprach, der ihm und seinem Publikum das Verderben bringen sollte. Eine Söldnerin, verirrt und auf der Suche nach ihren Kameraden. Sie würde stattdessen etwas anderes finden.
Immer schneller wechselten sich die Bilder vor seinen Augen ab. Geschichten, Leben, Echos, Erinnerungen - und sie alle endeten in den Fängen von Is'tevar Karrz.
Lugs erwachte...
in völliger Dunkelheit. Die Schwärze war geradezu greifbar, tintig, absolut. Sie schien sich wie ein schwere Decke auf ihn zu legen. Er lächelte bloß und drehte sich zur Seite. Sam murmelte leise im Schlaf und er schmiegte sich an sie. Er hatte jetzt keinen Grund mehr die Dunkelheit zu fürchten.
Obwohl er viele von ihnen selbst eingeladen hatte, hatte Lugs die Anzahl der anwesenden Vampire doch überrascht. Selbst tiefblaues Blut hatte sich unter die Versammelten gemischt. Itarus und Amanda - deren plötzliches auftauchen als Unsterbliche ihn ohnehin schon überrumpelt hatte - waren besonders unerwartet gekommen. Die Stimmung war gespannt gewesen wie die Saiten seiner Laute. Zu viele schwelende Konflikte, zu viel Misstrauen an beinah jeder Seite des Tisches. Von einem übervollen Buffet an Anschuldigungen, versteckten Spitzen, Beleidigungen und Zweifeln war reichlich um den Tisch gegangen - und er selbst hatte ebenfalls kräftig zugegriffen. Er hatte unter all diesen Augen keine Schwäche zeigen wollen, nicht zurückweichen, keine Fehler eingestehen. Zum Glück konnte ein gemeinsamer Feind Wunder wirken.
Trotzdem Vyktorya und ihre Diener einen Großteil der Schatten aus der Stadt weg gelockt hatten, hatte sich ihnen noch immer eine wahre Flut entgegen gestellt. Es waren Szenen irgendwo zwischen Albtraum und dem Höhepunkt eines Heldenepos, als die Unsterblichen über Is'tevars Diener hergefallen waren.
Er erinnerte sich an das infernalische Knistern von Davions Feuerwalzen, die Schneisen in die Schatten schlugen, aber harmlos wie warmer Wind über jeden sonst hinweg glitten. An Svenjas Klinge, die mit jeder Kreatur kurzen Prozess machte die den Fehler beging in ihre Nähe zu geraten. Robins Bolzen, die ihm den Rücken deckten und alles an den Boden nagelten was er übersah. Er hatte Itarus vor Augen, der nicht einmal inne hielt als sich unter den Schatten Ebenbilder der Kämpfer zu erheben begannen und sie mit einem Lachen zerhackte. Da war Amanda gewesen, die mit Feuer und Licht bewies das sie mehr als nur einen Funken Magie besaß, Ar'dran der mit jedem Pfeil die nächste Gestalt zurück ins Nichts schickte und Rorek der als Troll durch eine brodelnde Masse aus Feinden watete. Und Sam - sie hatte den Kampf schließlich beendet. Ihre verzauberten Amulette zwangen die scheinbar endlose Masse an beißender und kratzender Dunkelheit in die Knie. Zumindest lang genug das sie ihren nächsten Zug machen konnten.
Es war eine verfluchte Plackerei gewesen die Kanonen der Nirgendmeer herunter nach Heredium zu schaffen... und er hatte immer noch seine Zweifel gehabt ob Malvor nach seiner doch sehr kurzen Lehrzeit zum Kanonier taugte. Als seine Stimme schließlich über das Wasser schallte war eins zumindest zweifelsfrei klar gewesen: Slatracks haarige Füße, er konnte brüllen wie einer! Angepeitscht hatten die Guhle ihre Arbeit getan und pfeifend waren Kugeln über das dunkele Wasser gezischt. Was folgte war glorreich. Eine dreifache Explosion, die Holzsplitter, zerfetzte Kreaturen und Feuer hoch zur Höhlendecke schleuderte. Für einen Moment hatte Lugs alle Anspannung vergessen und einfach nur in dem Anblick geschwelgt... dann waren die Luken des Schattenschiffs aufgesprungen und die Angreifer hatten selbst in die schwarzen Abgründe von Kanonenrohren gestarrt.
Rorek war es zu verdanken das sie nie hatten herausfinden müssen, wie real sich Kanonenkugeln anfühlten die aus Dunkelheit bestanden. Er hatte die Gestalt eines Drachen angenommen und den versammelten Vampiren, die nicht von einem Fingerschnippen und Worten der Macht an Deck getragen wurden, dabei geholfen das Schiff zu entern. Es musste sich wirklich ein paar Verse über diesen, speziellen Moment ausdenken. Ein Drache der sich auf das Deck eines Geisterschiffes stürzte, klangt wie der Beginn eines Liedes das niemand glauben würde und trotzdem immer wieder hören wollte.
An Deck hatten sie mit dem Rest der Doppelgänger aufgeräumt, schnell und brutal. Er selbst hatte dem Lugs am Steuer des Schiffes einen Bolzen in die hasserfüllte Fratze gejagt. Es hatte ihn mit einer grimmigen Genugtuung erfüllt seinen Nachahmer fallen zu sehen wie einen Sack Steine. Jetzt war Schluss mit den Zweifeln, Schluss mit dem Misstrauen zwischen ihm und der Crew. Schluss mit jedem einzelnen von ihnen! Diese Wut hatte immer noch in ihm gebrodelt als es schließlich ernst wurde.
Ein Kreis aus Unsterblichen auf dem Deck des brennenden Schattenschiffes. Magie die die Luft knistern lies und ein Name. Ein Name den sie lange nicht auszusprechen gewagt hatten - ein Name den er jetzt als wütende Herausforderung hinaus schrie.
Sie hatten gesagt er sollte das Ding reizen. Nichts lieber als das! Anspannung hatte in seinem Magen einen kalten Klumpen gebildet, aber er hatte dagegen angebrüllt. "
Komm raus du SCHLEIMIGE QUALLE!" Es war Zeit diesen Schmierfleck für alles bezahlen zu lassen. Für den Angriff auf seine Liebsten, auf das Schiff, die Crew. Für seine Gefangenschaft und für den Teil von sich den er dort in der Dunkelheit zurück gelassen hatte. Es war Zeit seine Angst ins Licht zu ziehen - und ihr in die Zähne zu treten. "
IS'TEVAR KARZZ. Zeig dich und lass dich an den MAST NAGELN!"
Is'tevar hatte sich gezeigt - und es hatte ihn jeden Funken Willen gekostet den er aufbringen konnte seine Entschlossenheit nicht bröckeln zu lassen. Das Brüllen schien von überall zu kommen, es war als würde die Dunkelheit selbst ihre Entrüstung heraus schreien. Ein Fleck schwärzester Schatten war in den Kreis geplatzt, war gewachsen, angeschwollen. Bis er zwischen ihnen stand, so wie er wirklich aussah. Drei Köpfe, sechs hasserfüllt brennende Augen, unzählige Zähne - die Gestalt gewordene Furcht vor dem ungesehen 'Etwas' in der Nacht. "
Wie kannssszzzt du es WAGEN du Wurmmm..!" Es war die gleiche Präsenz. Die gleiche Präsenz die in seiner Gefangenschaft an ihm gefressen hatte. Nur diesmal war es anders. Diesmal war er nicht gefangen.
Er hatte nur noch am Rand mitbekommen wie Rorek auf ein Knie gefallen war, wie der Schutzkreis und die Falle aus Licht die sie gestellt hatten einfach zusammen brach. Lugs entzündete eine Fackel und rammte den Lichtpunkt direkt in ein aufklaffendes Maul. Dann brach das Chaos aus.
Die Vampire hatten sich gemeinsam auf ihren Feind gestürzt. Licht und Zauber verbrannten ihn, Säbel, Axt und Bolzen fuhren durch seinen Körper und Is'tevar Karzz antwortet mit Klauen, Zähnen und furchtbarer Kraft. Sie brachen ihn direkt dort auf dem Deck. Der Körper des Schatten hatte begonnen zu zerfasern, zu vergehen und Lugs schwamm im Hochgefühl der Rache - und war für einen Moment unachtsam.
Die Klauen der Kreatur hatten ihn gepackt und hochgehoben wie eine Puppe. Er versuchte noch die Finger auseinander zu biegen, rammte die Fackel in den Körper des Schattens, aber es war vergebens. Er spürte den Luftzug, sah das Wasser näher kommen und hatte nur genug Zeit zu fluchen, ehe sie auch schon die Oberfläche durchbrochen hatten. Das Zischen seines verlöschenden Lichts hatte etwas endgültiges gehabt, als Is'tevar ihn mit sich ins tintig, schwarze Wasser zerrte. Lugs hatte gespürt wie sein Arm unter dem gnadenlosen Druck der Klaue gebrochen war und er erinnerte sich noch sehr klar an einen einzigen, düsteren Entschluss. Das Ding würde ihn nicht wieder einsperren. Er würde sich so lange wehren bis einer von ihnen drauf ging. Dann hatte er ihm die nutzlose Fackel ins Gesicht gedroschen.
Ein lautes Platschen hatte das Blatt gewendet, dann noch eins und noch eins. Sie waren ihm hinterher gesprungen. Noch immer empfand er wilden Stolz auf diesen geradezu hirnrissigen Mut, ihm und Is'tevar ohne zu Zögern in den lichtlosen See zu folgen. Wahrscheinlich hätte er nicht so überrascht seien sollen - die Crew hatte immer gesagt das sie einander auch in den Schlund der Hölle folgen würden, aye? Eine Klinge hatte dem Schatten seine Klaue abgehackt, irgendwer hatte Is'tevar von der Seite geradezu angefallen. Lugs war wieder frei gewesen - und setzte nach. Dieses Ding würde ihnen nicht entkommen.
Der Kampf war wild, gnadenlos und fand geradezu blind statt. Irgendwie wurden sie getrennt und Lugs und der inzwischen übel zugerichtete Seelenfresser waren ineinander verkeilt aus einem von Herediums Flüssen gerollt. Bald schon hatte er rennende Schritte auf dem Fels gehört. "
Du bist so ERLEDIGT du Mistvieh!". Is'tevar war nun ernstlich dabei gewesen zu zerfallen. Teile seines Körpers verschwanden einfach, bluteten ins Nichts, aber Lugs wollte ihn nicht so einfach gehen lassen. Damals in der Finsternis hatte er einen Teil von ihm gefressen. Er hatte vor sich diesen Teil wieder zu hohlen, mit Zinsen. Während also die restlichen Unsterblichen zu ihnen aufschlossen, hatte er seine Fänge in diesen lebendig gewordenen Schatten geschlagen und seine Dunkelheit gierig in sich hinein getrunken.
Is'tevar Karrz hatte dort schließlich sein Ende gefunden. An einem felsigen Flussufer in Heredium. Zerrissen und verteilt bis nichts mehr von ihm übrig war außer einer üblen Erinnerung.
Immer wieder ließ Lugs die Szene vor seinem Inneren Auge ablaufen - und grinste in die Dunkelheit des Schlafzimmers. Dann schloss er die Augen und lauschte auf die Stimmen. In dessen letzten Momenten hatte er mehr von Is'tevar Karzz genommen als er für möglich gehalten hätte. Hunderte, vielleicht tausende Schatten flüsterten in den Ecken und Winkeln seines Geistes. Er hatte eine Weile gebraucht um zu erkennen was sie waren. Echos seiner Opfer, ihre Geschichten, ihre
Gesichter. Noch war es ein unsägliches Durcheinander und immer wieder drängte sich ungebeten Bilder aus fremden Leben in seinen Geist, aber mit jedem Tag verstand er sie etwas mehr. Is'tevar hatte Gesichter gestohlen, hatte sie wie Masken getragen. Wer sagte das er das nicht auch konnte?
Das Blut des Seelenfressers war jetzt in seinen Adern, kalt und schwer und schwarz. Er glaubte nicht das diese Dunkelheit jemals wieder völlig aus ihm verschwinden würde - und wenn er ehrlich war wusste er nicht ob er das überhaupt wollte. Er hatte sich im Zwielicht schon immer wohl gefühlt, aber das hier war anders. Die Nacht hatte jetzt einen ganz anderen Geschmack. Sie hieß ihn willkommen wie einen Freund. Es war merkwürdig - und unendlich faszinierend. Wenn aus all diesem Ärger etwas Gutes entstehen konnte, wollte er danach greifen. Vielleicht war das eins von Slatracks Geschenken, die sich erst offenbarten nachdem der Staub des Chaos sich gelegt hatte. Wie vor all diesen Jahren, als sein Gott ihn getötet hatte um ihn unsterblich zu machen.
Sie hatten gemeinsam den Schrecken aus der Dunkelheit gezerrt und ihn umgebracht. Jetzt war dort Platz - für den nächsten Hunger im Schatten.