Verlust

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Elnora Mevitt
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Verlust

Beitrag von Elnora Mevitt »

Zögerlich öffnete Elnora den massiven Holzschrank und holte die nötigsten Sachen hervor. Ein paar Kleidungsstücke, Waffen und ihre Rüstung, alles ordentlich gepackt und sorgsam in einem Ledersack verstaut. Was an diesem Abend geschehen war, hatte sie überrascht – und doch wusste sie tief in ihrem Inneren, dass die Vorzeichen längst am Horizont zu sehen gewesen waren. Der Moment, in dem Soryia ihren Fehltritt mit Alaric gebeichtet hatte, war wie ein Pfeil, der direkt in ihr Herz geschossen war. Doch selbst das verzieh sie im Glauben, es würde alles gut werden.
Sie hatte sich geirrt.


Eine einsame Träne rann über ihre Wange, als sie sich in dem einst so vertrauten Heim umsah, das sie mit Soryia geteilt hatte. Nun lag es in Stille und Schatten, das Ende eines gemeinsamen Weges, den sie und Soryia einst beschritten hatten. Noch vor wenigen Stunden hatte sie ihren Pfad klar vor sich gesehen: eine Hochzeit, ein Heim, das sie, Soryia, Noa und die kleine Meli gemeinsam bewohnt hätten. Doch jetzt war alles in einem undurchdringlichen Nebel verschwunden, und die stolze Frau, die sie einst gewesen war, fühlte sich nur noch wie eine leere Hülle, zerrissen von dem Chaos in ihren Gedanken.

Vorsichtig strich sie über die Decke des Bettes, das sie noch vor kurzem miteinander geteilt hatten. Der Duft von Soryia hing noch immer in den Stoffen, und vor ihrem inneren Auge sah sie das Lächeln ihrer Geliebten, das sie jeden Morgen beim Erwachen begrüßt hatte. Doch all das war nun unwiderruflich vorbei.

Elnora hinterließ Soryia noch einen kurzen Brief, auf dem schlicht stand:
„Verfahre mit dem Rest, wie es dir gefällt. — Elnora“

Sie legte den Federkiel zur Seite, schulterte den schweren Ledersack und trat hinaus in die kühle Nacht. Der Himmel über ihr war klar, die Sterne funkelten hell und ungetrübt, als wollten sie ihr Trost spenden. Doch Elnora spürte keinen Trost. Am Fuße der hölzernen Treppe wartete bereits ihr Ross, ungeduldig mit den Hufen scharrend, als hätte es ihre Rückkehr herbeigesehnt.

Schweren Schrittes schleppte sie den Ledersack zum Pferd und hob ihn auf dessen kräftigen Rücken. Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie dem treuen Tier sanft den Hals tätschelte. Alles fühlte sich so leer an, so bedeutungslos, als hätte jemand ihr Herz herausgerissen und einfach fortgeworfen.

Mit einem Seufzen schwang sie sich in den Sattel und ließ ihren Blick noch einmal über das verlassene Heim gleiten. Fürs Erste würde sie wohl in der Taverne Unterschlupf suchen, aber was dann? Könnte sie zu Noa und Meli nun ins neue Heim ziehen? Oder würde Soryia dort nun ihr neues Zuhause finden?

Der Gedanke, dass sie mit Soryia gemeinsam unter einem Dach leben könnte, war absurd. Elnora wusste, dass es töricht war, zu glauben, sie könnten einfach Freunde bleiben, wie Soryia es vorgeschlagen hatte. Wie sollte man eine Liebe, so tief und leidenschaftlich wie die ihre, einfach gegen eine Freundschaft eintauschen?

Das Mitleid, das Soryia ihr entgegenbrachte mit diesem Vorschlag, dieser Versuch, den Schmerz zu lindern, war schlussendlich nur das reiben einer offenen Wunde.
Elnora wollte nicht, dass der Schmerz gelindert wird. Sie wollte ihn spüren, wollte, dass er in ihr brennt. Nur so, glaubte sie, würde sie irgendwann einen Weg finden, wirklich abzuschließen.


So ritt sie nun in Richtung Nebelhafen, und die Zukunft erschien ihr ungewisser als je zuvor. Die Dunkelheit der Nacht verschlang die vertrauten Wege, und der Pfad vor ihr lag im Unbekannten. Alles, was Elnora einst sicher geglaubt hatte, war zerronnen, wie Nebel, der im Morgengrauen verweht. Ungewissheit und Zweifel begleiteten jeden Schritt ihres treuen Rosses.
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Elnora Mevitt
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Zeit - des Heilung bester Freund

Beitrag von Elnora Mevitt »

Es waren nun bald zwei Monde vergangen, seit sich alles für Elnora verändert hatte. Man sagt, die Zeit heile alle Wunden, doch manche heilen schneller, andere langsamer, und einige hinterlassen hässliche Narben, die einen immer wieder an den Schmerz erinnern.

Die Monde waren rasch verstrichen, während sie sich in ihre Aufgaben vertiefte. Der Posten der Bürgersprecherin war fordernd, vor allem wegen des täglichen Kampfes gegen die Passivität des Bürgermeisters. Eigentlich hatte sie beschlossen, sich nicht länger für das Amt zur Verfügung zu stellen, doch ihre Freunde hatten sie umgestimmt. Schließlich erkannte auch sie, dass die Arbeit ihr half, nicht zu sehr in Grübeleien zu versinken.

Auch das Zusammenleben mit Noa und Meli war ein Segen. Es erfüllte sie mit Freude, die kleine Meli aufwachsen zu sehen und mit Noa Gespräche zu führen. Trotz seiner Eigenheiten war sie dankbar für diese Freundschaft. Und auch die anderen, wie Aanatus, halfen ihr, die Wunden der Vergangenheit zu heilen.

Die Nacht war hereingebrochen, und der Mond leuchtete in voller Kraft über der Insel. Elnora hatte sich bereits in ihr Zimmer zurückgezogen, in der Hoffnung, Schlaf zu finden. Doch dieser blieb ihr verwehrt, als ob der Mond selbst sie wachhalten wollte.

Die Wahl zur Bürgersprecherin lag hinter ihr, und auch im Bund der Handwerker war nach den Bedrohungen von außen Ruhe eingekehrt. Dennoch spürte Elnora eine Leere, die nicht erst in dieser Nacht Einzug gehalten hatte. Ihre Gedanken kreisten, und so sehr sie auch versuchte, sie auf Aufgaben zu lenken, die noch zu erledigen waren, überkam sie heute eine Art Hilflosigkeit, die ihren Geist beherrschte.

Die Frage, wohin sie gehen sollte, wohin ihr Weg sie führen würde, beschäftigte sie tief. Als sie damals nach Ansilon und Silberburg kam, war sie auf einem Weg der Läuterung. Ihr früheres Leben war geprägt vom Söldnertum, von Kopfgeldern und Attentaten, die sie gemeinsam mit der Wolfsbande ausgeführt hatte. Diese alte Gemeinschaft, in der sie aufwuchs, hatte ihr nur das Kämpfen und Überleben gelehrt.

Dieses Leben wollte sie hinter sich lassen… ja, sie war geradezu geflohen. Soryia hatte ihr damals geholfen, einen neuen Anker zu finden, etwas, das ihr Halt gab. Heute, Jahre später, war sie Teil einer Gemeinschaft, die sie schätzte, und hatte als Bürgersprecherin Verantwortung übernommen. Doch trotzdem fühlte sie eine innere Leere, eine tiefe Orientierungslosigkeit. War dieser Weg wirklich der, der sie erfüllen konnte?

Und die Liebe? Die Wunde, die durch die Trennung in ihr Herz gerissen worden war, tat nicht mehr so weh wie früher, doch sie war wie eine Narbe, die sich immer wieder bemerkbar machte. Elnora verstand bis heute nicht, wie es dazu gekommen war, noch was Soryias Sinneswandel ausgelöst hatte. Es hinterließ einen bitteren Nachgeschmack, dass Soryia behauptet hatte, sich selbst neu finden zu müssen, ein Leben ohne Beziehung führen zu wollen – nur um sich dann in die Arme eines anderen zu flüchten und nach Surom zu gehen.

Elnora fühlte sich verraten, nicht nur von Soryia, sondern auch von ihrem eigenen Urteilsvermögen. Ihr Vertrauen, das sie so entschlossen anderen entgegengebracht hatte, war erschüttert. Es war wie eine Krankheit, ein nagender Zweifel an sich selbst, dass sie die Zeichen nicht früher erkannt und die Dinge nicht besser verstanden hatte.

Nachdenklich erhob sie sich vom Bett und trat ans Fenster. Die Siedlung lag friedlich da, und nur vereinzelt waren Silhouetten von Menschen zu erahnen, die noch auf den Straßen unterwegs waren.

Eines wusste sie nun sicher: Es war ein naiver Gedanke gewesen, den Verlobungsring zu behalten, in der Hoffnung, dass sich die Dinge wieder zum Guten wenden würden. In so kurzer Zeit hatten sie und Soryia sich entfremdet. Sicher, Elnora wusste, dass auch sie ihren Anteil an dieser schmerzvollen Erfahrung hatte. Doch sie sah auch Soryia in der Verantwortung, denn obwohl diese immer wieder betont hatte, wie wichtig Elnora ihr noch sei, hatte sie die Wahrheit über ihr Leben in Surom nur in kleinen Stücken preisgegeben.

Die Zeit des Bedauerns war jedoch vorbei, und dieser Verlobungsring war das letzte, was sie noch an eine Vergangenheit erinnerte, die einst ein Anker für sie gewesen war. Sie atmete tief ein, und es fühlte sich fast so an, als würde sie gleich einen Dolch aus ihrem Leib ziehen, als sie nach ihrem Bogen und einem Pfeil griff. Den Ring steckte sie in ihre Tasche, um ihm auf seiner letzten Reise sicheres Geleit zu geben.

Leise schlich sie aus dem Haus, um Noa und Meli nicht zu wecken, bevor sie sich in Richtung des Strandes begab. Dieser Ort war einmal ein Platz gewesen, an dem sie und Soryia viel Zeit verbracht hatten – ein Ort der Liebe, des Austauschs und letztendlich auch des Scheiterns ihrer Beziehung. Sie wagte es kaum, sich vorzustellen, wie sie dort gesessen hatten, und richtete ihren Blick stattdessen fest hinaus auf das Meer, das in der Nacht wie ein lebendiger, schwarzer Teppich wirkte, glänzend im Mondschein.

Sorgfältig legte sie den Bogen und den Pfeil ab, bevor sie den Ring hervorholte und ihn an die Pfeilspitze band. Dann nahm sie ihren Bogen zur Hand, die Augen fest aufs Meer gerichtet. Sie atmete scharf ein, als sie den Pfeil spannte, und ließ ihn schließlich weit hinaus über die Wellen fliegen. Ein langes, tiefes Ausatmen folgte – es fühlte sich gut an, den Dolch schnell zu ziehen und dieser Vergangenheit dem Meer zu übergeben.

Eine Weile starrte sie dem Pfeil noch nach, bis er im Dunkel des Ozeans verschwand. In diesem Moment fühlte sie sich – freier.
Nun war es an der Zeit, sich vielleicht selbst wiederzufinden und einen klaren Blick auf ihren Weg zu gewinnen – dorthin, wo sie möglicherweise in Zukunft gehen könnte.
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