Die lange Gefangenschaft

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Talyr
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Die lange Gefangenschaft

Beitrag von Talyr »

Artanis’ Ritt von Britain nach Vesper verlief zunächst wie üblich. Er kannte die Strecke in- und auswendig. In seinen vielen Jahren als Paladin hatte er diese Strecke tausende Male zurückgelegt. Es war wichtig, als Paladin Präsenz auf den Hauptverkehrswegen zu zeigen. Zu viele Überfälle gab es immer noch, und unzählige Feinde ebenfalls - die Schwingen der Verdammnis, die Dunkelelfen, die Wächter des Namenlosen. Daran hatte auch seine unermüdliche Arbeit als Großmeister nichts ändern können.

Als er die Person direkt auf dem Weg vor sich sah, verlangsamte er sein Pferd und hielt schließlich an. Vor ihm stand eine ganz in schwarz gekleidete, völlig regungslose Gestalt. Das Gesicht lag unter der Kapuze im Schatten und war nicht zu sehen. Instinktiv spürte er, dass eine große Gefahr von dieser Person ausging. Er war beunruhigt, und das mehr als er es gewohnt war. Dennoch versuchte er, Ruhe zu bewahren und behilt die merkwürdige Person im Blick. Diese stand regungslos an Ort und Stelle und schien ihn ebenfalls zu beobachten. Doch so erfahren und konzentriert Artanis auch war - als die Gestalt ihn urplötzlich überrumpelte, war er völlig hilflos. Sie riss ihre Hand in den Himmel, ballte diese zur Faust und ließ sie mit hoher Geschwindigkeit Richtung Boden fahren. Er wusste nicht, ob dies ein Zauber war, aber ihm war, als würde ihm ein Oger mit einer riesigen Keule mit voller Wucht ins Gesicht schlagen.

Er erwachte an einem unbekannten Ort. Es war sehr dunkel, und ein merkwürdiger Nebel lag in der Luft. Eiskalt war es hier, so dass er seine Glieder kaum spürte. Dennoch versuchte er sich aufzurichten, was ihm nur mühsam gelang. Er taumelte einige Schritte und stieß gegen eine Wand. Doch da war nichts. Er konnte kein Hindernis sehen, und dennoch war da etwas, das seinen Weg blockierte. Er tastete sich an der unsichtbaren Wand entlang, um einen Weg zu finden - vergeblich. Nach einigen Minuten ließ er sich auf den Boden sinken. Er musste nachdenken. Während er auf dem Boden kauerte wurde ihm plötzlich gewahr, dass er seine Rüstung nicht mehr trug, stattdessen hatte er nur einige alte Fetzen am Leib. Sein Schild, seine Schwert, all sein Hab und Gut waren ebenfalls verschwunden. So verbrachte er eine ganze Weile, während er mehr und mehr fror und zu zittern begann. Irgendwann hatte er jedes Gefühl für Zeit verloren.

Das grausame Lachen nahm er zunächst nur unterbewusst war. Doch es wurde immer lauter und lauter. Irgendjemand schien ihn auszulachen. Es war zuerst sehr leise und erschien weit weg, doch dann war es urplötzlich ganz nah. Dann wieder Stille. Dunkelheit. Nichts. Er zuckte zusammen, als ihm jemand etwas in sein Ohr flüsterte.

"Dein Gott ist nicht hier, Paladin!"

Er richtete sich auf und drehte sich um. Da war sie. Die schwarze Gestalt war zurück und näherte sich ihm.

"Wo bin ich hier? Was wollt ihr von mir?" presste er zwischen den Lippen hervor.

"Oh, du sprichst, das ist schön!"

Mit diesen Worten trat die Gestalt näher und setzte die Kapuze ab. Das Gesicht, das vorher nicht zu sehen gewesen war, trat nun zum Vorschein und zeigte eine abscheuliche Fratze, deren Anblick nur schwer zu ertragen war. Ein Dämon musste es sein, da war er sich nun sicher. Dieser schien die unsichtbaren Mauern einfach durchqueren zu können. "Weiche von mir!" rief er aus, als der Dämon ihm immer näher kam. Doch dieser lachte nur, packte ihn mit einer Hand am Hals und warf ihn zu Boden. Artanis brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu sammeln, dann richtete er sich erneut auf. Der Dämon stand einige Meter entfernt und drehte ihm den Rücken zu. So nutzte er die Gelegenheit, um leise die Worte eines Gebets zu sprechen:

"Absterreo omnibum malum"

Der Dämon lachte lauthals auf. "Dein Gott ist nicht hier, Paladin. Hast du nicht zugehört? Er hat dich verlassen!"

Erneut sprach er ein Gebet:

"Deus, benedictionem tuum peteo".

Auch dieses Mal quittierte der Dämon dies nur mit einem lauten Lachen. "Dein Gott wird dir nicht helfen, Artanis."

Er zuckte zusammen, als der Dämon ihn mit seinem Namen ansprach.

"Du bist jetzt unser Gefangener. Du wirst diese Zelle nicht als Paladin verlassen. Nein, du kommst erst frei, wenn du von einem Glauben abschwörst."

Artanis antwortete ihm mit fester Stimme. "Ich bin ein Großmeister der Paladine, und ich werde niemals meinen Glauben aufgeben."

"Dann wirst du hier für immer bleiben, Artanis". Mit diesen Worten verschwand der Dämon.

Artanis ließ sich erneut auf dem Boden seiner unsichtbaren Zelle nieder. Er versuchte in Dialog mit dem Herrn zu treten. Doch so sehr er es versuchte, es gelang ihm nicht. Es war, als ob der Dämon Recht hatte. Sein Gott schien ihn nicht zu hören, so sehr er es versuchte. Irgendwann schlief er ein. Als er aufwachte, zitterte er am ganzen Leib. Er musste ausgetrocknet sein, denn er verspürte einen unendlichen Durst.

"Nimm unser Geschenk an, Artanis" flüsterte es direkt in sein Ohr. "Gleich neben dir". Er sah sich um, und tatsächlich lag da etwas. Er griff danach und hatte ein Stück Brot in seiner Hand. Daneben schien ein Becher mit Wasser zu stehen. Für einen Augenblick zögerte er. War das Essen vielleicht vergiftet? Er wollte es nicht zu sich nehmen, doch der Hunger und Durst war am Ende zu stark. Gierig griff er zu.

"Siehst du, Artanis? Du bist so schwach, dass du unser Geschenk annimmst. Wo ist jetzt dein Gott jetzt? Hilft er dir etwa nicht? Warum befreit er dich nicht?"

Er wollte antworten, doch er fand keine Worte. Er fühlte sich tatsächlich von seinem Herrn im Stich gelassen. Doch seinen Glauben würde er niemals verleugnen. Mit dieser Überzeugung legte er sich schlafen. Als er wieder erwachte, fand er erneut etwas zu trinken und ein wenig Brot vor. Der Dämon war nicht zu sehen. Am nächsten Tag auch nicht. Er war froh, dass der Dämon sich nur selten zeigte. Es war klar, was dieser vorhatte, denn das verheimlichte er nicht. Artanis war sich mittlerweile sicher, dass der Dämon im Dienst des Namenlosen stand. Wer sonst sollte soetwas tun? Er wollte ihn mürbe machen, von seinem Glauben abbringen. Und dafür hatte er Zeit. Sehr viel Zeit.

So vergingen Wochen, vielleicht Monate der Gefangenschaft. Genau wusste er es nicht, denn er hatte kein Zeitgefühl mehr. Hier wurde es niemals hell - es war unmöglich, die Tage genau zu zählen. Er hatte auch kein Gespür dafür wie lange er schlief, bevor er wieder erwachte. Während die Zeit im Wachzustand tröge und endlos schien, waren seine Träume lebendig. Er träumte davon, wie Drachen sich gegenseitig bekämpften. Riesige Drachenarmeen zogen über das Land und legten es bei ihren Schlachten in Schutt und Asche. Britain war zerstört, Vesper und Trinsic ebenfalls. Die Bewohner brachten sich auf Schiffen in Sicherheit und verließen ihr Land, das lichterloh brannte. Und er sah andere Länder und Städte, die er noch nie zuvor gesehen hatte. In seinem Traum ging alles so schnell, es war schwer all dem zu folgen. Viele Sommer und Winter kamen und gingen. Städte wurden angegriffen und Leute starben. Häuser wurden gebaut und Kranke gepflegt. Manchmal sah er auch seine Freunde die ihrem Alltag nachgingen und langsam älter wurden. Kinder, die nun erwachsen waren. Diese Träume wirkten so echt, dass er sie fast für wahr hielt. Dies erzeugte ein großes Unbehagen in ihm.

Schlimmer war jedoch, dass er Dämon die Zweifel in ihm tatsächlich stärkte. Mit jeder Sekunde fragte er sich mehr, ob sein Herr ihn wirklich verlassen hatte. Mit jedem vergangenen Augenblick nährte sich eine tiefe Wut in ihm. Auf den Herrn, der ihm in seiner Not nicht antworte. Auf sich selbst, weil er tatsächlich anfing, an seinem Glauben zu zweifeln. Und auf den Dämon, der diese Zweifel zu spüren schien.

"Siehst du, dein Glaube ist schwach geworden."

Er presste die Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Er durfte seinen Glauben nicht verlieren. Weder an seinen Herrn, noch an sich. Doch es fiel ihm immer schwerer. Fieberhaft suchte er einen Ausweg. Es konnte nicht sein, dass er nichts tun konnte. Was hatte er übersehen?

"Bald bist du bereit, dem Namenlosen zu dienen, Artanis!"

War das sein Schicksal? Dem Namenlosen zu dienen? Das durfte nicht passieren.

"Niemals!" schrie er so laut er konnte und richtete sich auf.

Es war dieser Augenblick, der alles veränderte. Erinnerungen, die tief in seinem Unterbewusstsein verborgen waren, kamen wieder empor und zogen vor seinem inneren Auge vorbei. Daran wie er gegen die Wächter und Priester des Namenlosen gekämpft hatte. Wie er tatenlos zusehen musste, wie Unschuldige durch die Anhänger Namenlosen ihr Leben ließen. Wie er manchmal nur knapp zu spät kam, um zu helfen. Aber auch schöne Erinnerungen. Wie sie gemeinsam unterwegs waren und ihre Feinde in dien Flucht schlugen. Wie er jungen Anwärtern Unterricht gab, sie ausbildete. Am meisten berührte ihn jedoch die Erinnerung daran, wie er selbst einst in den Orden der Paladine aufgenommen wurde. Wie er versprochen hatte, dem Herrn auf immer zu dienen und die Welt gegen seine Feinde zu verteidigen. Auch seine Prüfung und Weihe zum Großmeister wurde ihm wieder gewahr. Er war ein Paladin, und das würde er immer bleiben. Er spürte die Kraft in sich langsam zurückkehren. Und er wusste plötzlich, dass er sich wehren konnte.

Er trat nach vorne und schlug mit seiner rechten Faust gegen die unsichtbare Wand. Doch seine Hand schlug ins Leere. Die Wand war verschwunden. Wie war das möglich? War alles nur eine Täuschung gewesen? Wie konnte er sich nur so lange hinters Licht führen lassen? Er ging weiter in das Dunkel hinein, auch wenn er fast nichts sehen konnte. Dabei spürte er auch das Gewicht seiner Rüstung wieder, die er die ganze Zeit getragen hatte.

"Du meinst du hast mich durchschaut, Artanis? Hältst du dich für so schlau? Du wirst hier niemals entkommen. Wohin willst du auch gehen? Deine Welt ist zerstört, du hast es selbst gesehen!"

Er ging weiter und ignorierte die Stimme.

"Deine Freunde sind tot. Dein Orden ist vernichtet! Du kannst nicht zurück!"

Die Stimme dröhnte in seinem Kopf, er konnte nicht zuordnen woher sie kam. Er drehte sich im Kreis, konnte jedoch nichts erkennen.

"Diene uns, sonst stirbst du noch heute!"

"Niemals!" rief er mit lauter und voller Stimme.

Da hörte er hinter sich schnelle Schritte und drehte sich um. Der Dämon rannte auf ihn zu, die hässliche Fratze noch verzerrter als vorher, und an Stelle seiner Arme fanden sich nun Klauen. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, sprang der Dämon auf ihn zu und schlug mit den messerscharfe Klauen nach ihm.Artanis hob instinktiv sein Schild vor sich, mit dem er gerade noch rechtzeitig den Schlag abblockte. Der Dämon wurde wütend und sprang erneut auf ihn zu. Dieses Mal wich Artanis zur Seite aus und wirbelte herum. Dabei erwischte er den seinen Gegner an der Brust und fügte ihm eine tiefe Wunde zu. Nun war es an ihm, keine Zeit verstreichen zu lassen. Seine Kraft war zurückgekehrt, und durch seine jahrelange Kampferfahrung handelte er fast automatisch. Er hob sein Schwert in die Höhe und machte mehrere blitzschnelle Schritte auf den Dämon zu. Dann schlug er zu. Sein Schwert fuhr mit voller Wucht auf den Dämon nieder. Doch gerade als er ihn fast getroffen hatte, war dieser plötzlich verschwunden. An seiner Stelle war nur ein schwarzer Abgrund. Durch seinen Schwung verlor er den Halt und fiel in einen scheinbar endlosen Strudel, den er tiefer und tiefer hinabstürzte.

Schließlich erwachte er mit höllischen Kopfschmerzen, die seinen Verstand weiter benebelten. Er stand auf und versuchte sich zu orientierten. Es war immer noch Dunkel, denn es schien Nacht zu sein. Er taumelte einige Schritte, bis er einen Weg erreichte. Im schwachen Mondlicht begann er sich umzusehen. Es schien eine breitere Straße zu sein, doch diese hatte er noch nie gesehen. Wo war er? Langsam ging er weiter, bis er ein Schild erreichte. Es war nach Norden gerichtet und trug die Aufschrift "Ansilon". War das eine Stadt? Diesen Namen hatte er noch nie zuvor gehört. War dies hier noch immer eine Täuschung? Vielleicht ein Gift? Ein böser Zauber? Er blieb stehen und sprach ein Gebet, das seinen Körper reinigen sollte:

"Lustra corpum"

Er wusste nicht was er erwarten sollte, nachdem seine Gebete so lange nicht erhört wurden. Doch tatsächlich spürte er, wie die Kraft des Herrn auf seinen Körper wirkte. Erleichterung machte sich in ihm breit, und er fühlte sich sofort besser. Er hatte seinen Glauben nicht verloren. Dennoch hatte er das Gefühl, als ob sein Vertrauen in den Herrn durch die lange Zeit in Gefangenschaft tatsächlich etwas gelitten hatte. Erneut blickte er auf das Schild, das den Weg nach Ansilon deutete. Wenn es hier eine Kirche gab, würde er diese aufsuchen. Aber noch dringender brauchte er etwas zu Essen und Schlaf. Sobald er gestärkt war, würde er sich auch auf den Weg nach Britain machen. Irgendjemand in der Stadt sollte ja wissen, in welche Himmelsrichtung er zu reisen hatte. Darauf, und auf den Herrn vertraute er, als er den ersten Schritt machte.
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