I - Ankunft im Nebel
Das primitive Schiff knarrte und ächzte, als es mit dem rauen Wasser der Küste in Berührung kam.
Ein Mann von kühler Eleganz und disziplinierter Haltung, dessen Erscheinung gleichermaßen Autorität wie tödliche Präzision ausstrahlte, stand am Bug.
Sein Übergewand, ein tiefes Rotviolett, war bis zum Schritt zugeknöpft, die makellosen Stoffbahnen schmiegten sich an seine schlanke, aber trainierte Statur. Ein weiterer Teil des Gewands war kunstvoll um seine Hüfte geschlungen, reichte bis zu den nachtblauen Stiefeln – gerade lang genug, um Würde zu bewahren, doch nicht so, dass es ihn in der Bewegung eingeschränkt hätte. Der salzige Wind spielte der Kleidung und dem Haar.
Sein langes, dunkles Haar fiel seidig über seine Schultern, sorgfältig gepflegt und in sich geordnet, als wäre nichts daran dem Zufall überlassen worden. Goldener Schmuck blitzte an ihm auf – ein edler Ring mit einem kunstvollen Emblem an seiner Hand, Ohrringe, deren feine Verzierungen von Reichtum, aber auch von einem gewissen Stolz zeugten. Ein goldverziertes Schwertgehäuse ruhte an seiner Seite, kunstvoll gefertigt, doch mehr als bloßes Prunkstück.
Lavores stand am Bug, das Gesicht in schattigem Nachdenken eingehüllt, während er die gegen das Schiff prallenden Wellen musterte. Der Wind, salzig und frisch, strich über das betagte Holz des Schiffes, das gerade genug Form besaß, um ihn sicher in die Nähe des Hafens zu bringen. >>Wie passend.<<, murmelte er mit einem äußerst müden Lächeln. Die spottenden Worte von der Geräuschkulisse des Meeres übertönt, >>Ein ebenso rohes Schiff wie die Welt, die mich erwartet.<<
Nebelhafen lag vor ihm, eine Stadt von groben Ziegeln und hastig errichteten Holzbauten, die sich kaum vom Schiff unterschieden, auf welchem er hier her fand. Über dem Hafen schwebte der Geruch von Fisch und frischem Holz, eine Mischung aus Unvollständigkeit und Hoffnung. Vielleicht war es das, was ihn an diesem Ort fesselte: die unausgesprochenen Möglichkeiten. Oder war es bloß der ewige Drang, das Alte zu finden – das Wissen, die Macht, die selbst in einer Vergangenheit der Menschen verborgen lag?
Er trat vom Schiff, sein Schritt ruhig und bedächtig, als er das knarrende Holz des Hafens betrat. Die Wachen der Greifen blickten ihm misstrauisch entgegen. Diese primitiven Krieger, die in ihrer abgenutzten Rüstung und den groben Waffen von einer Zeit zeugten, die längst vorbei sein sollte. Ein kleiner Gedanke des Mitleids, der sich schnell verflüchtigte, schlich sich in seinen Geist. Ihre Welt war alt – zu alt.
>>Enttäuschet mich nicht. Auf das ihr mehr zu bieten habt als der kümmerliche Anblick hier.<<, sprach er leise, während sein Blick über die umstehenden Männer, Frauen und die Marktplätze glitt. >>Andernfalls wird dies eine wenig lohnende Reise sein.<<
Doch in seinem Inneren wusste er, dass es etwas zu finden gab. Er suchte nach dem Alten – nach dem Wissen, nach den vergessenen Wegen, nach den verlorenen Techniken, die seine Welt einst beherrschten. Sollte sich dieser Ort als unbrauchbar herausstellen, würde er andere Mittel finden, um seine Ziele zu erreichen. Alles, was er brauchte, war ein kleiner Funke, ein Anhaltspunkt.
>>Es muss mehr geben.<<, flüsterte er, >>...und wenn nicht, werde ich es selbst wieder zurückbringen.<<. Seine leisen für sich selbst bestimmten Worte waren lediglich eine nüchterne, emotionsbefreite Richtung, an die er sich selbst heimlich erinnerte.
Der Wind trug seine Worte davon, doch in ihnen lag eine stille Entschlossenheit, die niemand erahnen konnte. Lavores war gekommen, und er würde nicht wieder gehen, ohne das zu finden, was er suchte – oder zumindest die Macht, alles, was er wollte, zu beherrschen. In dieser Stadt oder einer anderen.
Lavores trat weiter in die Gassen von Nebelhafen, sein Blick scharf, sein Gang unaufhaltsam. Das Geschehen wurde laut und chaotisch, mit Händlern, die ihre Waren anpriesen, und den gewöhnlichen Menschen, die in all dem Lärm ihren Tag verbrachten. Ihre Gesichter spiegelten eine Unschuld wider, die Lavores zugleich belächelte sowie faszinierte. Es war wie ein Spiegelbild der Welt, die er einst beherrschte – nur ohne die gewaltige Präzision, die unangefochtene Kontrolle, die perfektionierte Ordnung, die immer noch Teil seiner Gedankenwelt war. Doch wenige an ihm hinterlassene Sinneseindrücke ließen alle Zweifel von ihm ab. >>Hier gibt es weder Ordnung noch Präzision. Nur der unaufhaltsame Strom des Lebens, der von einem Moment zum nächsten wechselt, ohne je zu hinterfragen, was dahintersteckt.<<
Er strich mit einer Hand über die altmodische Holzmauern eines der Häuser und betrachtete die hölzernen Türen und Fensterläden, die wohl nicht viel mehr waren als eine Kopie der früheren, groben Handwerkskunst. Was für eine Verschwendung an Möglichkeiten. >>Arbeit und Plagen, bis der Tod sie holt.<<, dachte er bei sich. >>Und der Fortschritt? Nicht mehr als eine Erinnerung.<< Da war keinerlei Bedauern in seinen leisen Worten – nein. Viel mehr war es eine trockene Feststellung – arrogant? Vielleicht und vielleicht war da doch mehr.
Doch in den Augen der einfachen Menschen lag etwas anderes. Hoffnung. Und das war es, was Lavores suchte. Etwas, das er zu manipulieren wusste, sollte er es finden. Wenn diese Welt nur wusste, wie weit ihr Wissen reichen könnte, wie tief ihre Geheimnisse wirklich lagen – aber nein, sie waren noch immer in einer Zeit gefangen, in der Pflüge den Acker bearbeiteten und Federkiele auf Pergament schrieben, deren Dinge die er als die wahre Macht des Wissens kannte.
Er trat in einen kleinen Laden, der mit handgefertigten Töpferwaren und zerbrechlichen Glaswaren überflutet war. Der Geruch von nassem Ton und altem Holz füllte die Luft. Der Ladenbesitzer, ein alter Mann mit runzligem Gesicht und grauen Augen, blickte auf, als er den Fremden bemerkte. >>Kann ich Ihnen helfen, mein Herr?<<, fragte er in einem schweren Akzent. Das hier schien eine Siedlung von Pionieren zu sein. Die Zungenschläge der Menschen unterschieden sich – manchmal mehr, manchmal weniger.
Lavores musterte ihn mit einem knappen Blick. >>Ich suche nach etwas von Bedeutung. Vielleicht etwas, das älter ist als Eure Waren hier. Etwas, das aus einer viel älteren Zeit stammt. Wissen, das die Zivilisation über den Hügel der Dunkelheit getragen hat. Könnt Ihr so was Teil Eures Sortiments nennen?<<
Der alte Mann schien verwirrt, doch dann nickte er. >>Ah, Ihr seid einer von denen...<<, murmelte er. >>Nun, ich bin mir sicher, dass ihr in der Lehrstätte von Surom fündig werden solltet. Dort haben sie viele Bücher und Bänder.<<
>>Sprecht von nichts, was nicht von Bedeutung ist.<<, unterbrach Lavores ihn abrupt – musste sich selbst Zügeln nicht in altgewonnene Gewohnheit zurückzufallen. >>Ich will nicht über Bücher sprechen. Ich will wissen, was hier wirklich vor sich geht. Was verbergen diese Menschen, die glauben, sie könnten so weiterexistieren?<<
>>Verbergen?<< Der alte Mann lachte, doch es war ein leiser, gezwungener Klang. >>Wer weiß, was sie verbergen. Vielleicht sind es die alten Götter die viel mehr verbergen und in den Schatten lauern, oder etwas anderes. Ich für meinen Teil verdiene genug um meiner alten Tage etwas Pöckelfleisch eintauschen zu können.<<
Lavores schnaubte. >>Götter..<< Er zügelte sich – wusste nicht wie es um das bestehende Regelwerk hier stand und sparte sich weitere Worte. >>Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin.<< Er trat näher und sah dem alten Mann direkt in die Augen. >>Ich bin hier, weil ich mehr will als die Lehren dieser überlebten Welt. Ich bin hier um sie zu verändern.<<
Der alte Mann krauste die Stirn in Furchen zusammen und starrte Lavores argwöhnisch an. >>Ihr habt ein wenig zu tief in den Krug gesehen mein Freund. Wart Ihr eben bei der Schenke zu Besuch? Schlaft Euch aus, morgen sieht die Welt dann wieder besser aus.<<
>>Ilanus, kümmere dich um ihn.<< Kam die Order prompt in eine düstere Ernsthaftigkeit eingewoben. Der alte Mann wirkte ein wenig stutziger. >>Ilanus? Kümmern?<<
Erneut war es das Altgewohnte, das zu Lavores zurückgekehrt war. Dort war niemand mit diesem Namen. Stillschweigend, wandte er sich um und verließ den Laden des Mannes ohne Worte des Abschieds.
Noch einige Zeit durchwanderte er Nebelhafen. Unweigerlich musste er die Person denken, die sich hinter dem kurz zuvor ausgesprochenen Namen verbarg. Ein treuer und hochrangiger Diener. Doch Ihm wurde bewusst, dass er wohl niemanden aus seinem vergangenen Leben hier antreffen würde. An den Klippen angekommen, kreisten die Gedanken weiter.
>>Dieser Ort ist unorganisiert und schwach.<< dachte er. >>Aber das ist der Moment, den ich brauche. Der Moment, in dem ich sie alle beugen kann.<<
Sein Blick fiel auf den Horizont, wo die dunklen Wolken der Nacht langsam heraufzogen. In den Nebeln der Zukunft lag das, was er suchte – das Wissen, die Macht, der Schlüssel, um diese primitive Welt für seine Ziele zu nutzen.
>>Und wenn sie die Wahrheit erfahren<<, murmelte er, >>werden sie begreifen, dass selbst der Wahnsinn manchmal die einzig wahre Richtung ist, die ein Herrscher einschlagen kann.<<
Der nächtliche Wind strich durch seine Haare.
>>Ein Reich vergeht. Sein Wille verbleibt.<<