Lómelindë

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Varyariel
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Lómelindë

Beitrag von Varyariel »

Wie ein Umhang legte sich die nächtliche Ruhe über Lóriendor. Hüllte die Baumkronen in ihren Schatten und ließ die Melodie der sonnenliebenden Singvögel langsam verstummen. Und während sich die Bewohner der Wälder, die den Tag nutzten, in ihre Nester, Baue und Höhlen zurückzogen um sich einem erholsamen, sanften Schlaf und vielleicht auch dem einen oder anderen Traum hinzugeben, erwachten die Tiere der Nacht. Mit ihnen folgte eine andere Melodie, sanfter und leiser, aber für den aufmerksamen Zuhörer nicht minder schön.

Varyariel lauschte diesem Lied der Nacht, während sie sich auf den kommenden Wandel vorbereitete. Ihr Ziel war wie so oft in den vergangenen Tagen und Wochen jenes Fleckchen im östlichen Feenwald, welches seit mehr als einem Mond nur noch in Schweigen gehüllt war.

Hoch oben in den Wipfeln Lóriendors huschten Eichhörnchen über die Rinde, Varyariel streckte eine Hand aus, die Finger leicht gekrümmt, wie sie es oft getan hatte, um die kleinen Wesen zu sich zu rufen. Doch sie kamen nicht. Früher hätten sie sich über ihre Schultern geschwungen, spielerisch durch ihr Haar gewuselt, doch nun – ein leises Knacken, ein Zucken in den Zweigen, und sie verschwanden.

Und sie verstand es. Ihr selbst ging es nicht unähnlich.

Die einstige Leichtigkeit, weite Sprünge in luftigen Höhen von Baumwipfel zu Baumwipfel, mit flinken Pfötchen die Rinden hinauf und wieder hinab klettern und von den Kronen der Wälder aus den Blick neugierig auf das Geschehen unter sich gerichtet – begleitet und kommentiert von so manchem schnatternden Laut. Das Verlangen danach, sich dem hinzugeben, ihren eigenen Geist in den Hintergrund treten zu lassen, spürte sie immer weniger.

Mit einem schwermütigen Seufzen griff sie sich das unliebsame Schuhwerk und die dichtgewebte Stoffmaske, stete Begleiter bei ihren nächtlichen Streifzügen durch das vergiftete Waldstück.
Die Luft hier fühlte sich anders an. Schwere lag in ihr, als wäre der Atem der Bäume selbst gedämpft, aber vielleicht war das auch nur eine Begleiterscheinung des schützenden Stoffes um Mund und Nase.

Varyariel kniete nieder, die Fingerspitzen berührten den Boden. Das Moos war kühl, doch darunter lag die Wunde der Erde. Die Wurzeln der Bäume – einst pulsierend, atmend – lagen nun reglos da, ein fahles Zeugnis vergangenen Lebens. Der Duft von Erde und die beißende Note des Giftes vermengten sich.

Sie schloss die Augen.

Und da war es. Das Echo des Vergangenen. Die Stimmen der Bäume, die hier einst mit ihr sprachen, schwiegen. Die Lieder der Vögel, die sie einst begleiteten, waren fort. Ein leises Drängen formte sich tief in ihrem Inneren, wie ein unterschwelliges Ziehen an ihrem Geist.

Etwas ist verloren gegangen.
Nicht durch die Zeit, nicht durch den Kreislauf des Lebens. Sondern durch Gewalt. Durch Gier. Durch eine Hand, die nahm, ohne zu geben.


Ein Rascheln im verwitterten Laub, ein Schatten zwischen den Stämmen. Doch als sie aufsah, war da nichts mehr. Nur eine Lücke in den Blättern, als hätte sich etwas anderes in die Dunkelheit zurückgezogen. Waren es die überlebenden Dryaden, die sie beobachteten? Vielleicht zogen sie sich noch immer hier hin zurück, den Verlust ihrer Schwestern betrauernd, nicht bereit, sich gänzlich von dem zu lösen, was einst ihre Heimat war.

Doch dann raschelte es erneut und dieses Mal zeigte sich das Wesen. Fernab des vergifteten Bodens, am Rande der Lichtung.

Ein Silberfuchs.
Bild

Das Fell von nebelhaftem Schwarz, welches im Licht des Mondes einen silbrigen Glanz offenbarte. Ohren, lauernd aufgerichtet. Augen, die aufmerksam, beobachtend durch das Unterholz blickten. Der Blick des Tieres traf ihren eigenen und für einen Moment, der von außen betrachtet kaum mehr als einen Wimpernschlag andauern konnte, sah sie die Welt aus den Augen der Fähe. Zwischen Sträuchern und tiefem Blattwerk, den Schatten der Bäume folgend, das dunkle Fell im fahlen Mondlicht mit der Umgebung verschmelzend. Die Pfoten fest auf dem Waldboden, auf eine Weise geerdet, die ihr bisher fremd war, keine luftigen Höhen mehr, von denen aus sie den Blick nach unten richten konnte. Vorsicht, statt unbekümmerter Neugierde. Ein stiller Beobachter. Mit diesem Blick schlich sich eine Erkenntnis in ihr Inneres. Und mit ihr die Erinnerung an ihre eigenen Worte.

Noch vor Kurzem, wenige Tage bevor die Fäulnis sich im Feenwald ausgebreitet hatte, führte sie ein Gespräch mit Elira. Die schwarzhaarige Druidin kam in Begleitung und mit Fragen auf die kleine Lichtung vor Lóriendors Brücke. Varyariel war bemüht ihr so verständlich wie möglich die Bindung zu erklären, die für sie selbst schlicht Teil ihrer Natur, ihres Wesens war, für einen menschlichen Verstand aber vielleicht etwas gänzlich unbegreifliches.

"Wie jedes Wesen, welches seinen ersten Atemzug tätigt, sind auch wir gänzlich frei von allen Einflüssen. Mit den Jahren, den Erfahrungen, der Umgebung festigt sich unser Wesen und die erste Bindung wird uns gewahr.
Und dort muss es nicht immer enden, jedes Leben wächst, erlebt Gutes, sowie Schlechtes, was weiteren Einfluss nimmt. Es ist nie ausgeschlossen, dass irgendwann ein so starker Wandel im Wesen geschieht, dass eben diese Bindung sich auseinanderlebt und eine andere sich bildet."


In diesem Moment hätte sie nicht geglaubt, dass es sie selbst schon so bald ereilen würde. Ihre Bindung wirkte so stark, die Monde zuvor zur Zeit des Jahreswechsels hatte sie gänzlich dem Eichhörnchen gewidmet und sich ganz seinen Instinkten überlassend in die Wälder zurückgezogen. Aber nun begann sie zu verstehen, dass es vielleicht viel mehr ein Abschied war. Etwas, was sich bereits über die letzten Monde, vielleicht sogar Jahre still und leise, ohne Ankündigung, in ihr Inneres geschlichen hatte.
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