
Wie sagt man so schön? Wer nicht hören will, muss fühlen.
Das trifft in seinem Fall voll ins Schwarze.
Er war eigentlich für ein Gespräch im Unterreich. Aber der Austausch zwischen ihm und der Hohepriesterin der Dunkelelfen verlief nicht auf die Weise, wie er es sich vorgestellt hat. Sie fühlte sich von ihm beleidigt. Ob das an seinem Verhalten, seinen Worten oder nur an der Art, wie er atmet, lag, ist schwer zu sagen. Als Kompensation soll er ein handwerkliches Werk erschaffen, das ihren Geschmack trifft.
Dafür wird er tiefer in die Innereien von Darla d'Cressen – die Stadt der Dunkelelfen im Unterreich – geführt. Die Dunkelelfen bringen all ihre Gastfreundschaft auf und quartieren ihn in einer Zelle im Folterkeller ein. Die durchgelegene Pritsche ächzt unter sein Gewicht und einige Insekten fliehen, als er dort Platz nimmt. Bis auf ein Kohlebecken, das mit einer traurigen Menge Kohle glüht, ist es stockfinster in dem Gewölbe.
Wie soll er an so einem Ort arbeiten?
Die Antwort erhält er prompt in Form eines Beutels. Er öffnet die Schnürung und schnuppert an dem Inhalt. Pilze, die gleichen, die er bei seinem letzten Besuch erhalten hat. Sie lassen ihn für eine gewisse Zeit in der Dunkelheit sehen. Aber nach dem mageren Beutelinhalt zu schätzen, reicht es höchstens für ein paar Stunden.
Stellt sich nur die Frage, wofür er so lange Zeit hat. Der Schmied der Dunkelelfen Yu'phodrak bringt eine Kiste in den Folterkeller und stellt sie auf einem der Tische ab, der eigentlich für die Utensilien der Qualen gedacht ist. Mit einer Geduld, die nur Dunkelelfen besitzen, schlichtet er Werkzeuge auf die Arbeitsfläche: Meisel in verschiedenen Größen, Feilen, Pinsel und einen Hammer mit Lederkopf.
Jetzt hat Alec eine Ahnung, was ihn erwartet. Deswegen überrascht es ihn nicht, als zwei weitere Dunkelelfen einen Steinblock heranbringen, der ebenfalls auf dem Tisch Platz findet. Das Material ist tiefschwarz und besitzt an den Bruchkanten eine glänzende Optik. Es erinnert Alec an Marmor und er weiß, dass sich Marmor etwas so schlecht verarbeiten lässt wie nasser Basalt.
Nur weil er kürzlich das Abbild des Imperators von Surom in Stein geschlagen hat, heißt es nicht, dass er ein begnadeter Steinmetz ist. Er hat in seinem Leben einige Werke aus Stein geschaffen, Bauwerke, Statuen und Mosaike, aber nie unter menschenunwürdigen Umständen.
Als ihm schließlich erlaubt wird, die Zelle zu verlassen, um seine Arbeitsstätte in Augenschein zu nehmen, ahnt er nicht, dass es noch anspruchsvoller wird.
"Du hast drei Tage Zeit. Nutze sie sinnvoll, Rivvil", empfiehlt ihm der Schmied der Dunkelelfen mit einem kleinen, gehässigen Lächeln. Yu'phodrak ist bewusst, vielleicht sogar noch mehr als ihm, dass die Aufgabe nicht zu schaffen ist. Nicht unter diesen Bedingungen und nicht in dem Zeitrahmen. Außerdem wurde kein Wunsch geäußert, wie das Ergebnis aussehen soll. Die Dunkelelfen sind launisch. Selbst wenn er eine perfekte Statue anfertigt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Mizrae keinen Gefallen daran findet. Womöglich macht er seine Situation noch schlimmer, als Wiedergutmachung zu leisten. Aber wenn er nichts Brauchbares abliefert, schürt er ihren Zorn und er möchte nicht herausfinden, was dann geschieht.
Deswegen macht er sich an die Arbeit. Oder versucht es zumindest ...
Er streckt Yu'phodrak die gefesselten Handgelenke entgegen. Der Dunkelelf wirft ihm einen unterkühlten Blick zu und schüttelt den Kopf. Anschließend deutet er einladend zum Obsidianblock. Er soll daran arbeiten, während seine Hände gefesselt sind? Zwar sind seine Handgelenke nicht aneinander fixiert, aber die Gliederkette, die zwischen den beiden Metallmanschetten baumelt, ist höchstens zwanzig Fingerbreit lang. Es wird ihm gelingen, Hammer und Meisel zu halten, aber er wird kaum Kraft aufwenden können. Seine Schultern brennen alleine bei dem Gedanken daran, wie anstrengend es sein wird, mit einem derart begrenzten Bewegungsspielraum zu arbeiten.
Damit ist es offiziell: Dunkelelfen sind wahre Sadisten.
Alec drückt seine Begeisterung mit einem Brummen aus und tritt an den Block heran. Mit den Fingerspitzen erkundet er den Stein und legt sich im Kopf einen Plan zurecht. Er wird zuerst einiges an Material abtragen müssen, um die Silhouette zu schaffen. Das Wesen, das er darstellen will, nimmt in seinen Gedanken Gestalt an.
Es wäre anmaßend, Mizrae in Stein zu schlagen. Er schätzt sie nicht als so selbstverliebt ein und obwohl er sich mit seinem Vorhaben noch viel weiter aus dem Fenster lehnt, entscheidet er sich dafür, das Risiko einzugehen.
"Was tust du ...?", murmelt sein persönlicher Bewacher, der beobachtet, wie Alec nach Hammer und Meisel greift und kurz entschlossen zur Tat schreitet. Der Stein fühlt sich unter der Schneide hart an, lässt sich jedoch leichter formen als Basalt oder Marmor. Wenigstens eine gute Nachricht.
Dem Namenlosen sei Dank.
"Ich arbeite. Was sonst?"
Yo'phodrak's Blick wandert zu dem Kohlebecken und er schätzt den mageren Lichteinfall a[b. Der Dunkelelf kombiniert schnell. Für Alec's Augen ist es so dunkel, dass er lediglich schemenhafte Umrisse sehen kann.
"In der Dunkelheit?"
"Aye. Ich bin kein Idiot. Die Pilze halten nur ein paar Stunden. Ich teil' sie mir ein. Was dagegen? Mir wäre geholfen, wenn du mich schaffen lässt und nich' ablenkst."
Er bildet sich ein, einen Hauch von Faszination in dem Schnauben zu hören, das Yu'phodrak ausstößt. Es könnte sich aber genauso um Abfälligkeit handeln. Alec ist sich selbst nicht sicher, ob es eine kluge Entscheidung ist. Er muss sich auf seine Intuition verlassen. Denn jede Minute, die er gewinnt, wenn er die grobe Vorarbeit so gut wie blind erledigt, dient ihm später für die Feinarbeit.
Der anwesende Dunkelelf respektiert seinen Wunsch und hüllt sich in Schweigen.
Damit ist für den nächsten Stundenlauf nur das Geräusch des Meisels auf dem Stein zu hören, untermalt von zurückhaltenden Hammerschlägen und Kettenrasseln.