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Das Experiment

Verfasst: 23 Mai 2025, 14:35
von Alec Schwarzdorn
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Kontrolle.
Nichts in seinem Leben besitzt eine so große Bedeutung wie seine Selbstkontrolle.
Kein Mensch ist ihm je so wichtig, keine Pflicht und keine Verantwortung, dass der Gehalt seiner Selbstdisziplin in den Hintergrund rückt.
Sein Alltag wird davon bestimmt, jeder Atemzug und jede Gefühlsregung. Sein Verhalten zielt darauf ab, in keinem Moment die Macht über sich selbst zu verlieren. Dabei weiß er, wie befreiend es sein kann, sich in die Hände eines anderen Menschen oder etwas Höherem zu begeben. Aber die Option existiert in seinem Kopf nicht. Ausgeschlossen.
Wer versucht, ihm die Kontrolle zu entziehen, weckt seinen Zorn. Es provoziert die kämpferische Seite in ihm und sobald die Wut überhandnimmt, ähnelt er mehr einem angriffslustigen Tier als einem Menschen. Sein Verstand schaltet aus und er wird zu einer Marionette seiner rachsüchtigen Seite.
Was im ersten Moment wie eine Schwäche klingt, ist bei genauerer Betrachtung eine versteckte Stärke. Zorn beinhaltet eine immense Kraft und richtig eingesetzt, kann er den Blick schärfen, Ketten sprengen und Schmerz besiegen.

Ohne seine auflodernde Wut und seine Besessenheit für Kontrolle wäre es ihm nicht gelungen, den Pfad aus Schmerz und Wahnsinn zu beschreiten, der hinter ihm liegt.
Er hat seine Dämonen nicht nur herausgefordert und besiegt, sondern in sich selbst integriert. Eingeschlossen.
Jeder Blick in den Spiegel erinnert ihn daran, was es ihn gekostet hat.

Doch eine Geschichte hat immer einen Anfang und ein Ende. Mit dem Schluss zu beginnen, würde die ganze Spannung zerstören. Deswegen beginnen wir am Anfang.
Wie ist es eigentlich dazu gekommen? Wann ist er falsch abgebogen und so tief in die Scheiße geraten?
Wie so oft im Leben reicht eine falsche Entscheidung aus. Ein falscher Blick, ein falsches Wort oder eine Leichtsinnigkeit. In seinem Fall war es die Beleidigung der höchsten Priesterin der Lloth.
Da hätte er sich genauso gut einen Strick aus Spinnenseide drehen und um den Hals legen können. Im Nachhinein gesehen wäre ein schneller, schmerzloser Tod erstrebenswert gewesen.

Dort soll die Geschichte - die Lehre - beginnen: Bei einer Beleidigung, die nicht einmal eine Beleidigung war.

Re: Das Experiment

Verfasst: 23 Mai 2025, 14:53
von Alec Schwarzdorn
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Alec kniet in Ketten vor Mizrae und ihrer Linthar Ereth’Lyn - einer Bardin der Dunkelelfen. Einer der Schmiede hat Ketten gefertigt, die widerstandsfähig genug sind, um einen Stier zu bändigen.
Soll er das etwa als Kompliment verstehen?
Die Unterwelt - die Dunkelelfen nennen es Darla d'Cressen - ist nicht für Menschen gemacht. Besonders nicht für einen wie ihn, der sich an jeder zweiten Höhlendecke den Kopf stößt. Er ist mit seinen knappen zwei Metern schlicht zu groß für das Höhlensystem. Die gebückte Haltung verschafft ihm Rückenschmerzen. Aber die amüsierten, teils sogar verzückten Mienen der Dunkelelfen machen das Opfer erträglicher. Gewissermaßen ist er hier unter seinesgleichen: Sadisten, die sich am Leid anderer erfreuen. Nur ihr Anspruch ist anders, ambitionierter. Kein Wunder bei einem Volk, das so lange lebt.

Er kniet aus gutem Grund hier. Zumindest war er der festen Überzeugung, bevor er in die Stadt geführt wurde. Spätestens als er vierzig Treppenstufen (er hat mitgezählt!) in Fußfesseln mit magerem Bewegungsspielraum bewältigen musste, wusste er, dass es eine idiotische Idee war, dem zuzustimmen. Dabei war der Gedanke, sich bereitwillig in Ketten legen zu lassen, so weitsichtig. Fast schon ritterlich!

In seinem Kopf gab es Sinn. Er wollte ein Vertrauensverhältnis aufbauen, indem er sich den Regeln und Bräuchen des Volkes unterwirft, bei dem er zu Gast ist. Vermutlich hat sein Verstand in dem Moment eine Pause eingelegt oder lieber die optischen Vorzüge der Bardin bewundert, die ihn zum “Gespräch” eingeladen hat. Deswegen hat er vergessen, dass Dunkelelfen doppelzüngige Lüstlinge sind.
Für ihn bedeutet ein Gespräch ein nettes Zusammensitzen - trotz Ketten - mit Kommunikation. Es bedeutet nicht, dass er von einer wildfremden Dunkelelfe gefesselt wird, die das sichtlich genießt und durch das halbe Unterreich gezerrt wird. Die freundlichen Untermalungen wie “Beweg dich, du Hund” und “Steh auf und geh weiter, sonst trag ich dich in Stückchen weiter” halfen seiner Motivation nicht. Ganz zu schweigen von den Treppen. Die verfluchten Treppen! Wer hat sich das ausgedacht? Ach ja, die sadistischen Dunkelelfen.

Als er den gefühlten Weg zum Schafott hinter sich gebracht hat und sie an einem imposanten Ort mit Blick in ein endloses Loch angekommen waren - sehr romantisch! - nahm das Machtspielchen erst richtig Fahrt auf. Es gab keinen freien Austausch. Die Situation war nicht mehr als eine Demonstration, dass Menschen in den Staub gehören, nur sprechen, wenn sie dazu aufgefordert werden und keinen Nutzen für die Dunkelelfen haben.
Manchmal, wenn ein Dunkelelf besonders gnädig ist, hält er sich einen Menschen als Rothe, eine Art Sklave. Mit jedem Kettenrasseln fragt Alec sich, ob seine nahe Zukunft so aussehen wird. Endet er als Rothe der Ilharess der Lloth, nur weil er mal wieder gesprochen hat ohne nachzudenken?

Während er kniet und die beiden Dunkelelfinnen den Moment genießen - er kann es ihnen nicht verübeln, denn wie oft kniet ein hünenhafter Kerl vor ihnen, der sie mit bloßen Händen erwürgen könnte? - befeuert ihn sein Verstand mit kontraproduktiven Gedanken. Man hat ihm die Kontrolle genommen und obwohl er sich anfangs aus freiem Willen dazu bereit erklärt hat, schrumpft seine Selbstkontrolle mit jedem Atemzug an stickiger Luft. Seine breiten Schultern bestehen nur noch aus Anspannung, seine Zähne schmerzen von dem dauerhaften Zusammenbeißen und sein lodernder Zorn ist zu seinem stetigen Begleiter geworden. Es kostet ihn all seine Selbstbeherrschung, der Bardin nicht ins Gesicht zu springen, als sie verkündet, dass sein Besuch verlängert wird.
Nicht um ein paar Stunden, sondern um Tage.
Drei Tage! Er soll eine Statue fertigen.
Warum? Aus was? Wie soll sie aussehen? Mit welchem Werkzeug? In der Dunkelheit?
Zu gerne hätte er sie mit den Fragen befeuert, aber das kleine amüsierte Zucken ihres Mundwinkels belehrt ihn eines besseren. Für die Ilharess ist es eine Strafe, nichts weiter. Für ihn ist es eine Prüfung seiner Selbstkontrolle.
Wann hat er die Hohepriesterin überhaupt beleidigt? Die Antwort ist so simpel wie erschütternd: überhaupt nicht. Sie hat einfach einen Grund erfunden, um ihn zu bestrafen. Das Konzept ist ihm nicht neu, aber es gefällt ihm nicht, Opfer des Einfallsreichtums zu werden, den er sonst selbst an den Tag legt.

Ihm steht ein erholsamer Aufenthalt im Unterreich bevor, umgeben von Dunkelheit, Krabbel-tierchen, Spinnweben und Dunkelelfen, die es als Zeitvertreib ansehen, Menschen zu demütigen. Seine Unterkunft für die nächsten Tage ist eine Zelle in einer Folterkammer. Der Dunkelelf Yu’phodrak, dem er die Ketten zu verdanken hat, erfreut sich sichtlich an Alecs Situation. Während der Schmied ihm bisher mit offensichtlichem Hass begegnet ist, wird er fast umgänglich.

Die Lösung war so einfach: es reicht scheinbar aus, wenn er sicher verwahrt in einer Zelle sitzt. Angekettet wie ein wildes Tier. Was wie ein herabwürdigender Vergleich klingt, beinhaltet einiges an Wahrheit. Denn seine Haut juckt und er nimmt wahr, wie sich sein Zorn langsam, aber sicher selbstständig macht. Ohne die Fesseln und das Gitter zwischen ihnen würde er den Ilythiiri anfallen.
Es ist ein ewiger Teufelskreis, in dem er gefangen ist. Der einzige Ausweg, der ihm einfällt, ist, die Kontrolle zurückzuerlangen oder Ablenkung.
Zu seinem Glück bekommt er seine Zerstreuung in Form eines Obsidianblocks.
Die Statue. Er erinnert sich. Bloß hat er weiterhin keine Ahnung, wen die Statue darstellen soll, wenn er mit der Arbeit fertig ist.
Yu’phodrak hüllt sich in Schweigen - wenig überraschend - und als Alec ihm die gefesselten Hände hinhält, schüttelt der Dunkelelf arrogant den Kopf. Ernsthaft? Die Gliederkette hat zwar gnädige zwanzig Fingerbreit Spielraum, aber wie soll er damit Hammer und Meisel führen? Aber so leicht gibt er nicht auf. Sein Kampfeswille ist geweckt.
In dem Moment, als er nach dem bereitgelegten Werkzeug greift, wird es stockdunkel um ihn. Richtig dunkel. Wie in einem Brunnenschacht. Ist seine Situation nicht schon übel genug?!

"Ich seh’ nichts”, stellt er fest. Der Dunkelelf lächelt wissend und starrt in Alecs geweitete Pupillen.
“Wir sind keine Unmenschen”, raunt Yu’phodrak. Nein, ihr seid gar keine Menschen!
“Malla Ilharess gewährt euch die Sicht in der Dunkelheit.” Der Dunkelelf macht keinen Hehl aus seiner mangelnden Begeisterung. Ginge es nach ihm, würde Alec im Dunklen tappen. Er würde ihn ohne einen zweiten Gedanken zum Scheitern verurteilen. Aber er beugt sich dem Befehl der Hohepriesterin und reicht Alec einen Lederbeutel. Er kennt den Geruch der getrockneten Pilze längst, die ihn in der Dunkelheit sehen lassen. Jedoch hält die Wirkung nur eine begrenzte Zeit. Abwägend wiegt er den Beutel und schätzt den Inhalt ab. Der Dunkelelf lässt ihn nicht aus den Augen.
“Es sind etwa zwanzig Portionen. Ihr solltet wohl ans Werk gehen.”
Zwanzig Portionen. Das hält vielleicht zwanzig Stunden. Er soll eine Statue aus dem hüfthohen Stein schlagen, der aus einem Material besteht, das er noch nie in seinem Leben bearbeitet hat. In Ketten.
Unmöglich.
Und dennoch beginnt er zu arbeiten …

Re: Das Experiment

Verfasst: 24 Mai 2025, 14:41
von Alec Schwarzdorn
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Er ist so ein Idiot.
Die Statue grenzt - in seinen Augen - an Perfektion. Doch als die Ilharess den Blick über seine Interpretation von Lloth schweifen lässt, sorgen die kleinen, kaum bemerkbaren Signale in ihrem Gesicht dafür, dass Alec jeden Hammerschlag bereut. Die Dunkelelfe reckt herablassend das Kinn und besieht sich den Künstler mit der gleichen Nuance an Abwertung wie zuvor das Kunstwerk.
Künstlerische Freiheit? Nicht mit Mizrae!
Als er bereits einige Stunden in der Arbeit vertieft war, passierte ihm ein Fehler. Eine Unachtsamkeit, die dafür sorgte, dass ihm der Meisel abrutschte und über die spiegelglatte Oberfläche des Obsidians scharrte. Das Ergebnis war eine feine Linie. Wenn ihm das Missgeschick auf einem Teil der Lederrüstung, die er Lloth an den Leib gemeißelt hat, passiert wäre, dann hätte er es ausbessern können. Aber die feine Narbe war direkt auf ihrer Wange.
Er schmeckte Magensäure auf der Zunge, sobald er den Fehler realisierte, aber sein Verstand schaltete blitzschnell. Was, wenn es ein Zeichen war? Eine Möglichkeit, mehr Tiefe in die Statue zu bringen? Da kam ihm der Gedanke an Mizraes Gesicht und die Risse, die ihre dunkle Haut durchzogen. Er hat keine Ahnung, was dahinter steckt, aber es ist ihr Markenzeichen. Eine Gabe von Lloth?
Die Idee nahm schnell Gestalt an und sorgte dafür, dass er weitere Makel in den Stein schlug. Spuren, Risse und Linien, die er später - wenn man es ihm erlaubte - mit dem feinen Kristallstaub von Amethysten versehen würde, damit sie glänzen wie die Stellen in Mizraes Gesicht und auf ihrem Körper.
“Wen soll es darstellen?”
“Lloth”, gibt er direkt zurück.
Er dachte sich, dass es ihr imponieren würde. Oder sie zumindest überrascht. Fehlanzeige.
Denn das, was in ihren faerzressverseuchten Augen auflodert, sorgt dafür, dass sein Herz einen Schlag aussetzt.
Hat er sie damit beleidigt? Noch mehr als zuvor? Die Statue sollte zur Besänftigung dienen und seine Situation nicht noch verschlimmern.
“Es ist eine Anmaßung, Lloth in solch eine Szene zu setzen", fällt Mizrae ihr Urteil. Ihr Blick wandert über die Risse. “Jene Strukturen erinnern ... an mich."
“Ilharess, ich wollte euch nich beleidig-”
“Nimm die Statue”, fordert sie. “Wir finden einen passenden Platz für sie.” Ihre Stimme ist ruhig. Zu ruhig. Er kennt den Tonfall nur zu gut. Das bedeutet Ärger. Jeder Muskel in seinem Körper spannt sich an. Alec ballt die Hände zu Fäusten, als Samruil neben ihn tritt. Ihm sind seine Blicke und die der Yathrin – einer weiteren Priesterin der Lloth – sehr bewusst, als er die Statue umarmt und anhebt.

Mizrae führt die kleine Gruppe durch die verwinkelten Gänge des Unterreichs. Dort gibt es kein Licht. Keine Menschlichkeit. Mit jedem Schritt, den er zurücklegt, beschleicht ihn das Gefühl, dass am Ende des Weges nichts Gutes auf ihn wartet.
Umso überraschter ist er, als sie zu einer Höhle gelangen, die im ersten Moment malerisch aussieht. Ein runder Raum, in Stein geschlagen mit einer Insel in der Mitte, die von ruhigem Wasser umgeben ist. Das Ufer wird von Pilzen gesäumt. Obwohl einige der Höhlenstrukturen und Tropfsteine grotesk anmuten, denkt er sich im ersten Moment nichts dabei.
“Dort”, befielt Mizrae und deutet zu der kleinen Insel. “Inmitten des tanzenden Feenfeuers.”
Feen- was?
Alec gehorcht und schreitet durch das knietiefe Wasser. Er platziert die Statue in der Mitte der Insel. Es ist ein schöner Platz, als wäre er dafür geschaffen worden. In dem Moment, als er sich umdreht, lässt die Wirkung der lichtspendenden Pilze nach. Er blinzelt und erstarrt. Erst jetzt kann er die Höhle auf sich wirken lassen. Sie leuchtet. Die Wände, die Pilze und das Wasser. In der Luft flirren lilane Flämmchen. Alec entdeckt viele Stellen im Fels, die von leuchtenden Rissen durchzogen sind.
Genauso wie die auf Mizraes Haut. Ist es das? Feenfeuer?
Als er zu seinen Stiefeln hinabsieht, bemerkt er, dass sie leicht schimmern, als wäre er durch Öl und nicht durch Wasser gewatet. Eine ungute Vorahnung erfasst ihn und sorgt für eine Gänsehaut auf seinen nackten Armen. Samruil versperrt ihm auf der anderen Seite des Wassers den Weg. Den Fluchtweg, wie Alec begreift.
“Das, was er getan hat, wird Lloth nicht lächeln lassen. Das, was er geben wird, jedoch schon.”
Was er geben wird?
Zu mehr als einem Gedanken ist er nicht mehr im Stande. Zuerst trifft ihn ein Wurfdolch aus Samruils Hand, mit einer Präzision, die Alec beängstigt. Mizrae setzt mit einem Zauber nach, der ihn wie eine Kanonenkugel gegen die Brust trifft und ihn in den Wasserfall stößt. Er verfehlt die Statue dabei nur um Haaresbreite.
Die violetten Flämmchen, die bei der Manifestation von Mizraes Magie um sie herum tanzten, umschmeicheln ihn und lechzen nach seiner Haut. Alec versucht sich aufzurappeln, als ihn mehrere Knochensplitter treffen, die von der zweiten Priesterin der Lloth beschworen werden. Er spuckt Wasser und Blut aus.
“Ilharess!”, brüllt er und seine Stimme wird vom Hall in der kleinen Höhle verstärkt. Feenfeuer knistert und seine Haut antwortet mit Juckreiz.
Er muss aus dem Wasser raus. Am besten aus der verfluchten Höhle!
Alec schafft es auf die Beine und an der Statue vorbei, die ihn in die Situation gebracht hat. Noch zwei lange Schritte bis zum Wasser, das ihn von Mizrae trennt.
Er will ihr das spitze, emporgereckte Näschen brechen.
Ihn trifft ein weiterer Zauber, der ihn nicht nur erstarren lässt, sondern an Ort und Stelle festfriert. Eine Macht, die er Dutzende Male in den Höhlen bezeugen durfte, aber die nie gegen ihn angewandt wurde. Bis jetzt.
Sein Körper zittert unkontrolliert und die nasse eisige Kleidung zwingt ihn auf die Knie. Keuchend sieht er zu den Dunkelelfen.
“Der Abyss wartet auf solch ein Exemplar”, intoniert Mizrae. “Ich zweifle daran, dass es Lloth vollends zufriedenstellen wird. Doch der Anfang ist getan. Er wird hier nun vergehen. Lloth wird ihn verzehren.”
Die Hohepriesterin der Lloth hat einen letzten Blick für ihn und die Statue übrig. Dann wendet sie sich ab.
“Kein Wort zu den Bewohnern Suroms.”
Sie spricht die Worte im Plauderton aus. Belanglos. Und dennoch endgültig. Mizrae weiß, dass er den Aufenthalt nicht überlebt.
Alec gräbt die Finger in den staubigen Untergrund. Er wird nicht kampflos aufgeben. Er wird diesen Ort verlassen, egal zu welchem Preis. Was soll ihn daran hindern, die Wasserlinie zu überqueren und sich einen Weg durch den Tunnel zu suchen? Wie als Antwort kringeln sich Flämmchen aus Feenfeuer unter seinen Fingern. Wie Fäden greifen sie nach ihm, betasten zärtlich anmutend seine Haut und kriechen seine Arme hinauf. Geduldig, wie die Dunkelelfen selbst.
Mizraes Worte wiederholen sich in seinem Kopf.
“Lloth wird ihn verzehren.”
Er war ein Narr hierher zu kommen.

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Re: Das Experiment

Verfasst: 25 Mai 2025, 13:01
von Alec Schwarzdorn
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Schmerz sorgt dafür, dass Zeit aus den Fugen gerät.
Alec weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als er das erste Mal durchatmen kann.
Vom ersten Kontakt mit dem Feenfeuer sind nur Momente verstrichen, bis aus dem Jucken ein Brennen wurde. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben: als würde eine Armee an Käfern unter seiner Haut eingesperrt sein, die sich einen Weg nach draußen sucht, ohne fündig zu werden. Manche Käfer bleiben hängen, hinterlassen Beulen und sorgen für einen Druck, der ihn wahnsinnig macht. Er möchte sich die Haut aufkratzen, sich an einem scharfkantigen Fels reiben, bis es nachlässt. Aber er hat Angst davor, was dann zum Vorschein kommt.
Außerdem hat er es seit Mizraes Aufbruch nicht geschafft, mehr als ein paar Fingerbreit an Weg zurückzulegen. Er hat versucht, ans Wasser zu gelangen, aber bei jeder Bewegung zuckt eine Empfindung durch ihn, als würde er zu nahe an einem Luftelementar stehen. Magie umgibt ihn, tänzelt in der Luft und lässt ihn wirre Gestalten sehen.
Dabei könnte er schwören, dass er es ihm Schneckentempo mehrmals bis an die Wasserlinie geschafft hat, die den Gang von der Höhle trennt. Doch seine Wahrnehmung und seine Fantasie verschwimmen zu einem zähen Nebel in seinem Kopf. Er kann nicht mehr trennen, was Realität und was Fiebertraum ist. Der Wahnsinn greift nach ihm.
Mit jedem schmerzhaften Atemzug sickert die Gewissheit in ihn, dass er das, was mit seinem Körper und Geist geschieht, nicht überleben wird. Er wird hier sterben. In dieser Höhle. Einsam. Unbedeutend.
Keine Frau wartet an der Oberfläche auf ihn. Keine Blumen verwelken in seiner Abwesenheit.
Niemand wird ihn hier finden
Er ahnt nicht, dass er sich in der Hinsicht täuscht.

Jemand findet ihn. Aber es ist nicht die Art von strahlendem Retter, den er sich aussuchen würde. Das Wesen ist kein Retter, sondern das Gegenteil.
Zuerst spürt Alec nur eine Gänsehaut im Nacken. Er fühlt sich beobachtet. Jemand beobachtet ihn und ergötzt sich an seinem Leid. Doch bisher hält er sich im Hintergrund.
Alec kann niemanden sehen und hören erst recht nicht. Seine Sinne trügen ihn, überfordert von dem Schmerz, der in grausamen Wellen durch seinen Körper zuckt. Das Einzige, was seine Ohren auffangen, ist ein Flüstern in der Ferne, das stetig lauter wird.
Alec dreht sich auf den Rücken. Einige Knochen antworten mit einem Knacken. Er liegt im Dreck, noch immer (oder wieder?) nass. An manchen Stellen an seinem Leib haben sich Schnitte gebildet, aus denen tiefroter Lebenssaft rinnt. Aber das ist nicht im Vergleich zu den glänzenden Rissen, die sich auf seiner Haut vermehren. Er hielt die Spuren zuerst für Adern, die sich deutlich unter seiner Haut abzeichnen. Bis er begriffen hat, dass es sich um die gleichen Linien handelt, die Mizraes obsidianschwarze Haut zieren.
Mit jedem frischen Riss schwindet die Hoffnung, dass er je wieder Tageslicht sehen wird.
Jeder Schmerzimpuls zieht ihn tiefer in die Dunkelheit. Er wird verzehrt, ganz wie die Ilharess es versprochen hat.
Langsam. Bissen für Bissen – Riss für Riss, bis nichts mehr von ihm übrig ist.

Re: Das Experiment

Verfasst: 25 Mai 2025, 15:42
von Alec Schwarzdorn
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Ein spitzer Schmerz in seiner Kehle weckt ihn.
Alec reißt die Augen auf und schnappt nach Luft. Er liegt im flachen Wasser, weit vom Ausgang entfernt. Sein Hals fühlt sich an, als hätte er Glassplitter verschluckt. Ein grausamer Durst überkommt ihn und er senkt die Hände ins verseuchte Wasser, bereit, sich Linderung zu verschaffen. Sein Magen verkrampft sich. Eine Warnung? Mit dem Hunger kommt er zurecht, aber der Durst zieht jede Kraft aus ihm. Er lässt das aufgefangene Wasser durch seine Finger rinnen.

“Nun trink ssschon! Sssonst nimmt esss nie ein Ende!”
Die Worte dringen als feuchtes Zischeln in sein Ohr. Alec fährt herum und sieht sich suchend um. Nichts. Nur eine weitere Stimme in seinem Kopf?
Die Aussprache klingt so als …
“Dummesss Menssschlein.”
Ja, es klingt fast so, als würde dem Sprechenden ein Teil der Unterlippe fehlen.
Alec entscheidet sich dazu, der Stimme keine Beachtung zu schenken. Wenn er sie ignoriert, verschwindet sie hoffentlich wie das ominöse Flüstern um ihn herum. Das Wispern ist plötzlich verstummt, als das Zischeln begonnen hat. Er hat ein Übel gegen ein anderes getauscht. Fantastisch.

“Beachte Nerxos, Menssschlein.”
“Du nervst. Was willst du?”
Alec hat noch nie in Gedanken gemurrt, aber er versucht es, indem er die Worte möglichst grollend denkt.
“Sssei nicht frech. Du sssollst Nerxos ressspektieren!”
Das Ding in seinem Kopf klingt wie ein trotziges Kind.
“Weißt du, dass du dich wie ein verdammter Idiot anhörst, wenn du in der dritten Person von dir sprichst? Ich weiß ja nich', warum sich keiner traut, dir das zu sagen, aber so fliegt dir bestimmt kein Respekt zu. Respekt verdient man sich mit Taten, nich' mit Worten.”
Das bringt die Stimme in seinem Kopf zum Schweigen. Hat er etwa die Gefühle des Was-auch-immers verletzt?
Er wertet es als Triumph. Zumindest bis das Feenfeuer, das ihn wie ein Schwarm Glühwürmchen umgibt, aufzüngelt. Zornig. Schlechtes Zeichen. Alec schluckt mit staubtrockenem Hals und versucht die klebrige Zunge vom Gaumen zu lösen.
Ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut warnt ihn, bevor ein exquisiter Schmerz durch seinen Körper schießt. Es fühlt sich an, als würden ihm ein Dutzend glühende Nadeln ins Rückgrat gestoßen werden. Die Empfindung kriecht seine Wirbelsäule empor bis in seinen Schädel. Seine Kopfhaut platzt auf wie eine reife Frucht. Er stößt einen gutturalen Schrei aus. Etwas dringt aus ihm hervor, hart und scharfkantig.
Er kann nicht anders als nach oben zu tasten. Unter seinem feuchten Haar schiebt sich etwas Spitzes an die Oberfläche. Stein? Knochen? Nein, Horn. Er kann die Rillen erahnen, klebrig von seinem Blut. Die Hörner schieben sich in die Freiheit, recken und winden sich in Richtung der Höhlendecke. Sein Lebenssaft rinnt ihm über das Gesicht und als sein Blut mit dem Riss in seiner linken Gesichtshälfte in Berührung kommt, zischt es. Ihm steigt der Geruch von verbrannter Haut in die Nase. Die beiden Mächte vertragen sich nicht.
Seine Kopfhaut und sein Gesicht brennen wie Feuer. Er kriecht mit dem Gesicht voran zum Wasser. Es ist ihm egal, was das verseuchte Wasser mit ihm angestellt hat. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Die Hörner zischen, als er sie untertaucht. Farbloser Dunst steigt auf und beißt ihm ins heile Auge. Aber er lebt und zieht mit tiefen Atemzügen Luft in die Lungen.

“Ich werde dich verzehren. Dein Kämpferwille kann dich nicht retten!”, zischelt Nerxos. Aber der Tonfall klingt wütend und längst nicht mehr so überheblich wie zuvor.
“Nein, das nicht. Aber er hält mich am Leben.”
Noch. Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange seine Kraft noch ausreicht. Aber sein Überlebensinstinkt ist stark und sein Verstand klart langsam auf. Die Verwirrung, die das Feenfeuer ausgelöst hat, wird weniger. Seine Muskeln gehorchen ihm wieder. Hat Nerxos sich ins eigene Fleisch geschnitten?
Seit die Stimme aufgetaucht ist, hat er zwar eine neue Nuance an Leid durchlitten, doch die Risse auf seinem Körper sind nicht weiter gewachsen. Die Höhle ist verstummt, als würde sie ausharren oder sich dem ungeladenen Besucher unterordnen.
Er packt die Gelegenheit, die sich ihm bietet am Schopf.
Alec beginnt zu kriechen. Die Verseuchung hat einen Teil seiner Kleidung aufgelöst und er zieht Stofffetzen, Blut und Dreck hinter sich her. Aber endlich ist er in Bewegung. Er schafft es an der Statue vorbei und bis zum anderen Ende der kleinen Insel. Bäuchlings krabbelt er durch das Wasser. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, als er die Stelle erreicht, an der Mizrae stand und ihn verhöhnte. Oder verfluchte?
“Warum tötet esss dich nicht?!”, schimpft sein Mitbewohner.
“Ich hab' keinen blassen Schimmer. Jedoch bleib ich keinen Herzschlag länger hier, als ich muss. Du wirst wohl oder übel mitkommen müssen.”
“Hüte deine Zzzunge, Menssschlein!”
“Du klingst wie ein bockiges Kind”, stellt Alec in Gedanken fest.
“Du bist nur eine Hülle. Ich werde dich zzzereißen.”
Hat er das nicht längst versucht? Aber das sagt Alec Nerxos nicht. Er hält es für klüger, sein Glück nicht weiter herauszufordern. Wer weiß, wie lange es anhält.

Re: Das Experiment

Verfasst: 26 Mai 2025, 10:03
von Alec Schwarzdorn
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Alec kroch bäuchlings durch die unterirdischen Tunnel der Dunkelelfen.
Er hatte keine Ahnung, dass er genau den richtigen Zeitpunkt erwischt hat, um dem Ort, der als seine letzte Ruhestätte gedacht war, zu entkommen. Kurz danach fand Yu'phodrak seinen Weg in die Höhle und erblickte die Statue. Die Wut, die die Statue traf, wäre sonst auf Alec niedergehagelt.
Doch er ist dem entgangen. Anscheinend hat noch jemand Pläne mit ihm. Oder zumindest hat irgendwer seine sadistische Freude daran, ihn durchs Leben scheitern zu sehen.

Sein mühsamer Weg führt ihn durch die Gedärme der Unterwelt. Immer wieder sieht er kleine Zünglein von flackerndem Feenfeuer im Augenwinkel seines heilen Auges. Jedes Mal lässt es ihn zusammenzucken. Die Furcht, dass die Strahlung erneut nach ihm greift, seinen Verstand benebelt und ihn zurückzerrt, steckt ihm tief in den Knochen. Er hat keine Gewissheit, dass er sich wirklich von der Höhle wegbewegt. Vielleicht ist es nur ein weiterer Fiebertraum und wenn er aufwacht, findet er sich in dem verseuchten Wasser wieder.
“Du bissst dem Tod nur kurzzz entkommen, Menssschlein. Er wird dich holen.”
Ach ja. Er hat fast vergessen, dass er einen Besucher im Kopf hat, der seine Gedanken mitbekommt.
“Du wiederholst dich. Noch atme ich,” brummt er, während er die Fingernägel immer wieder tief in den trockenen Boden rammt und sich weiter zieht. “Warum bist du überhaupt hier? Das ist hier die Preisfrage.”
“Nerxos sssah die Ssstatue.”
Die Statue?
Ernsthaft? Diese Statue! Erst ist sie sein Verderben und dann seine Rettung. Er wird nie wieder einen Meisel in die Hand nehmen!
“Habt ihr keine Steinmetze in ... Woher du kommst?”
Ein Schweigen ist die Antwort und Alec lauscht dem Scharren seiner dreckstarren Haut, die über den schroffen Höhlenboden schürft. Er versucht mehrmals auf alle viere zu kommen, aber seine Kraft reicht nicht aus. Sein Körper brüllt bei jeder Bewegung und jedes Schlucken sendet ihm einen stechenden Schmerz durch die Kehle.
“Nerxos issst fasziniert von dem Zorn und Präzisssion, mit der sssie gessschaffen wurde. Ihr Menssschlein ssseid ssso freigiebig mit euren Emotionen. Nerxos will sssich dem bemächtigen.”
“Du bekommst nichts von mir. Mach deine eigenen Erfahrungen. Nur Übung bringt wahre Meister hervor.”
“Wir werden sssehen.”
Er hört ein Geräusch.
“Klappe!”, zischt Alec. Seine überstrapazierte Muskulatur spannt sich an. Sie bekommen Gesellschaft. Das hat ihm noch gefehlt.
Er krabbelt unter ein ausgetrocknetes Dornengestrüpp und zerreißt sich die Haut.
Stille. Hat er sich das nur eingebildet? Nein, da ist ein Geräusch. Ein Fiepen. Fledermäuse! Er hat sich noch nie so gefreut, die geflügelten Nager zu hören. Er weiß wo er ist. Dem Licht so nahe. Ein Ausweg! Endlich.
Sein Puls rast und Adrenalin strömt durch ihn. Alec befreit sich aus dem Gestrüpp und kriecht weiter. Weiter immer weiter. Direkt in die Arme einer Frau, die nichts besseres zu tun hat, als Fledermäuse zu jagen und ihnen die Flügel auszurupfen.
Hol mich doch der Teufel ... Moment. Blöder Gedanke.

Sie fuchtelt mit dem Kampfdolch in der Dunkelheit. Er erkennt weder die Klinge, die seine Handschrift trägt, noch die blutrote Kleidung, in der die ungewöhnlich große Priesterin steckt. Aber ihre Stimme dringt zu ihm durch.
“Wer versteckt sich da?”
Almina! Dem Namenlosen sei Dank.

Re: Das Experiment

Verfasst: 29 Mai 2025, 17:18
von Alec Schwarzdorn
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Musik

“In die Magieakademie – JETZT!”
Dem Erzmagier reicht ein Blick auf die Hörner auf Alecs Kopf, um zu agieren. Unruhe, Spannung und Ungewissheit liegen in der Luft. Die Atmosphäre füllt den Ritualraum der Akademie.
Alec hört weitere Stimmen. Magier, Kameraden, Würdenträger. Ein paar von ihnen würde er Freunde schimpfen, aber was bedeutet das schon? Er weiß längst, dass jeder seinen eigenen Ambitionen folgt. Getrieben vom Hunger nach Macht, Ansehen oder Wissen. Kann er wissen, ob sie sich gegen ihn wenden? Ob der Klinge, die ihn einst verteidigte, jetzt zum Todesstoß ansetzt? Die Stunden (oder waren es Tage?) im Unterreich haben ihn gelehrt, dass jeder Masken trägt, die jederzeit fallen können.
Schmerz durchzuckt seinen Leib, als er in der Mitte des Ritualkreises gebracht wird. Das Gefühl ist ebenfalls ein alter Bekannter, einer, mit dem er sich längst arrangiert hat. Alec weiß nicht, was ihm bevorsteht. Er traut Golga nicht über den Weg. Bisher kam er gut durchs Leben, indem er sich möglichst von Magie ferngehalten hat. Den Luxus hat er nicht mehr. Jetzt beherrscht Magie seinen eigenen Körper, sein Sein, und obwohl er sie nicht kontrollieren oder nutzen kann, wird sie sein stetiger Begleiter sein. Die mattvioletten Risse auf seiner Haut glimmen, als Golga den Bannkreis mit Magie flutet.
Furcht steigt seine Kehle empor. Sein einäugiger Blick flitzt durch den Raum und sucht nach etwas Bekanntem, an das er sich klammern kann. Und findet Sorsha.
Sie ist hier. Natürlich ist sie hier. Seine Finger zucken und sie greift nach seiner Hand. Ja, daran kann er sich klammern. Wenn er einen Grund zum Kämpfen braucht, dann sollte es wenigstens eine Frau sein. Bah, wie romantisch.
Einen Herzschlag später spürt er eine zweite Berührung. Cataleya hat ebenfalls nach seiner Hand gegriffen. Die beiden Säulen des Reiches knien nebeneinander und buhlen darum, wer ihm eine Stütze sein darf. Alec könnte schwören, dass sie sich konkurrierend ansehen.
“Wie ssspannend. So ein Menssschlein bissst du also?”
“Halt die Klappe, Nerxos”, knurrt er in Gedanken.
Für Widerworte hat er immer Kraftreserven.
Die Situation ist vielleicht ein klein wenig pikant. Aber darum kann er sich sorgen, wenn er die Nacht überlebt. Der Groll besitzergreifender Frauen kann nicht übler sein als eine dämonische Besessenheit.

Golga wirft indes mit Befehlen und Worten der Macht um sich. Alec nimmt das Geschehen nur am Rande wahr. Nerxos hat längst begriffen, dass er im Mittelpunkt steht und den Schluss gezogen, dass es nicht zu seinem Besten ist. Hier steigt keine Willkommensfeier. Das Ding in Alec windet sich, als Golga einen Analysezauber wirkt.
Alec versteht nichts von dem, was gesagt wird und geschieht. Doch er sieht vor seinem inneren Auge ein Konstrukt, das den Blutgefäßen seines Körpers ähnelt. Wie ein Spinnennetz zieht es sich über seine Organe, Muskeln und Gliedmaßen und pulsiert.
Bildet er sich das nur ein? Vielleicht ist er dem Wahnsinn doch näher, als er denkt.

Die analysierende Magie des Erzmagiers tastet sich mit ihren Fühlern durch Alecs Leib. Nein, Hülle. Er ist nicht mehr als eine leere Hülle, die von Nerxos ausgewählt wurde. Nerxos hat den Steinmetz bewusst gewählt. Das Menschlein sollte dankbar sein, dass er eine solche Aufmerksamkeit erhält! Alles, was ihn an dem bemitleidenswerten Menschen interessiert, ist das mickrige Wissen, dass er während seiner kurzen Lebensspanne erlangt hat. Nerxos war zuerst da! Das ist Nerxos Hülle! Er wird bestimmt nicht vor einem aufdringlichen Magier kuschen. Niemalsss!
Bevor das passsiert, zerreißt er die Hülle.
“Er versucht zu entkommen”, warnt der Magier. Ganz recht.
Nerxos huscht vor dem Einfluss davon. Er wandert durch die Hülle und sucht sich Stellen, um einen Ausbruchversuch zu starten. Dabei saugt er jeden Laut der Qual auf den der Mensch von sich gibt. Nerxos lässt eine Rippe brechen wie einen trockenen Zweig. Sein Publikum zuckt mitfühlend. Nerxos gibt ihnen mehr, mehr Leid, mehr Furcht. Er demonstriert seine Dominanz und zeigt den verzweifelten Menschlein, womit sie es zu tun haben. Nerxos spürt beneidende Blicke auf den Hörnern seiner Hülle, als er sie weiter durch die Kopfhaut brechen lässt. Nerxos perfektioniert die Windung. Er setzt die letzten Pinselstriche bei einem Gemälde. Nur, um einen Atemzug später nach einem Messer zu greifen und die Leinwand aufzuritzen.
“Ich muss in ihn rein. Schützt mich. Wenn ich rauskomme und Töte sage, dann schlagt ihm ohne Zögern den Kopf ab.”
“Wie sssie mit dir umgehen. Und jene nennssst du Freunde? Nerxos tut dir einen Gefallen. Er bringt dir Erlösssung von den grausssamen Menschen.”
“Alec, bist du noch da?”, will der störende Magier wissen. Golga steht regungslos im Ritualkreis, der Blick leer und mit leuchtenden Hautmalereien. Nerxos zischt unzufrieden, als er Zeuge der Macht wird, die in dem Erzmagier schlummert.
“Ja, verdammt”, murrt Alec.
“Ich werde ihn jetzt jagen. Wenn du kannst, dann führe mich zu ihm. Du brauchst es dir nur vorzustellen.”
“Lasss Nerxosss in Ruhe”, zischelt Nerxos und huscht Schutz suchend durch den Körper, als er die mystische Energie wahrnimmt, die nach ihm tastet. Doch plötzlich packt ihn ein Griff, entschlossen und kraftvoll, dass er nur von dem hünenhaften Schmied stammen kann. Nerxos quiekt, als Alec die Kontrolle übernimmt und ihn festhält.
“Nein, nein, nein!”
Alecs ganzer Körper spannt sich an. Er mobilisiert seine letzte Kraft und glaubt, die Muskelstränge vor Anstrengung knarzen zu hören. Sein Wille kennt nur ein Ziel: Den Eindringling festzuhalten, damit Golga kurzen Prozess machen kann.
“Dein Tod heißt Golga von Assuan! Kal Corp Zan!”
Die Runen des Bannkreises glimmen auf wie Golgas Tätowierungen. Die Anwesenden blinzeln gegen das grelle Licht. Die pulsierende Energie durchdringt und reinigt seinen Körper. Dabei leuchtet sein Faerzress in einem mystischen Licht. Nerxos stößt einen letzten, zischelnden Schrei aus und verstummt anschließend.
Auf ewig?
Alec schnauft schwer und sein Bauch hebt und senkt sich wie ein Blasebalg. Sein geschundener Körper erhält etwas Kraft zurück, belebt von heilender Magie und verstärkt durch die Geisteskraft der anwesenden Magier. Er lässt sich einen kurzen unachtsamen Moment in den Strudel fallen, der ihn trägt und schützt. Dabei entgeht ihm fast, dass Golga noch einen Zauber wirkt, der für die Anwesenden unbemerkt bleibt. In Alecs Kopf manifestiert sich ein Bild von Golga, im Halbprofil, wie er ihm freundlich und harmlos zulächelt. Zwinkert er etwa? Drei Worte hallen dabei durch seinen Kopf wie aus dem Mund des Magiers.
“Freund und Helfer.” Dieser dreiste Magier. Da hol ihn doch der Teufel.

“Es ist geschafft”, verkündet Golga. Alec entspannt sich auf die Worte hin. Er blinzelt hinter einem Schleier aus Überlebenskampf und Qual hervor. Cataleya steht über ihm, mit gezücktem Zweihänder und entschlossener Miene. Sie scheidet die Klinge und wirft einen kritischen Blick hinab.
“Magus von Assuan. Ist das mit den Hörnern normal?”, erkundigt sich die Säule des Krieges.
“Nein, ist es nicht. Aber es sind jetzt seine. Sie sind ein Teil von ihm.”
Faerzress und Hörner? Himmel, Arsch und Schwefel. Das sind ja Aussichten.

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Welch schöner Ausgang dieser Geschichte. Der Dämon ist vernichtet, der Mensch am Leben, wenn auch gezeichnet. Alec und Golga lebten glücklich, bis ans Ende ihrer ... Moment, Golga? Alec und Sorsha reiten auf einem mitternachtsschwarzen Rappen in den Sonnenuntergang. Es wäre ein schönes Ende, das gleichzeitig den Beginn für etwas Neues markiert.
Aber der Drache ist nicht besiegt. Der Auslöser des Ganzen schwebt noch immer wie ein Damoklesschwert über dem Schmied. Wie wird die Ilharess auf das reagieren, was sie geschaffen hat, obwohl sie vernichten wollte? Wird sie es zu Ende bringen?
Gewalt ist das Werkzeug des Willens, zerstörend und schöpfend zugleich.
Nein, diese Geschichte ist noch nicht beendet. Der "Held" gelangt zurück in die bekannte Welt, nur um erneut den Abstieg zu wagen.
Das Unterreich ruft nach ihm und Alec gehorcht.