Es dauerte nicht lang bis er den Ort wieder fand. Dort stand er, der markante Baum. Die Umgebung glich, zumindest war der der Ansicht, grob der aus seiner Erinnerung.
Sein Blick wanderte eine Zeit lang umher, streifte über den Boden die Stelle suchend an der gegraben wurde, doch die Bilder waren zu flüchtig, zu schnell wieder entschwunden ehe er sie wirklich erfassen konnte.
Hier? Oder doch eher Dort? Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Dennoch schob er seinen Mantel etwas beiseite und zog den Dolch aus der Halterung, die am Gürtel und seinen rechten Oberschenkel befestigt war.
Mit einem Knie auf dem Boden begann er dann, an der vermeintlichen Stelle den Dolch in die Erde zu treiben und sie aufzulockern. Mit den Händen schaufelte er sie beiseite, um noch etwas weiter in die Tiefe zu gehen. So entstand das erste Loch, in dem sein Arm letztlich bis etwa zum Ellenbogen abtauchen konnte.
Vergebens. Hier war nichts.
Erneut, und kaum zwei Schritt weiter begann er das Ganze noch einmal von vorn, sodass mit der Zeit sechs Löcher an der Zahl entstanden. Glücklicherweise befand sich dieser Ort nicht in unmittelbarer Nähe zur Straße. Vermutlich hätte jeder der vorbei kam, ihn seltsam angeschaut und für verrückt gehalten den ganzen Boden mit Stolperfallen zu versehen.
Der vorherige Tatendran wich zunehmend der Resignation. Mit jedem weiteren Stich des Dolches in den Boden, verflog die Hoffnung tatsächlich etwas zu finden und nicht nur einem Hirngespinst nachzujagen ein Stück mehr.
Also gut, nur noch ein letztes Mal, um sich nicht selbst sagen zu müssen, man habe nicht wirklich alles versucht und und doch noch etwas weiter suchen sollen.
An den Händen klebte mittlerweile hauptsächlich Erde, begünstigt vom Regen der vor kurzer Zeit eingesetzt hatte. Dieses eine Loch jedoch wollte er noch zu Ende graben, ehe er sich wieder ins Trockene begab. Während sein Kopf ihm versuchte immer wieder klar zu machen, dass er völlig unnötig im Regen auf dem Boden kauerte, und wahllos Löcher in den Boden grub weil er einem belanglosen Traum nacheiferte, ließ sein Bauchgefühl ihn durchhalten, vermittelte ihm das Gefühl dass er das richtige tat...
Nur noch ein klein wenig, dann...
Als er den Dolch wieder in den Boden hieb, spürte er den Widerstand als er unter der Erde auf etwas traf, und die Klinge zur Seite abrutschte. Die Augen weiteten sich überrascht und für einen Moment hielt er inne. Sprachen diese Traumbilder also doch die Wahrheit, und er war nicht verrückt geworden wie sein Kopf es ihm einreden wollte?
Der Dolch wurde beiseite gelegt. Mit beiden Händen schaufelte er die Erde aus dem Loch und wischte sacht über die Oberfläche des Objekts dass sich darunter verbarg. Der Regen, der den letzten Rest der Erde darauf fort wusch, legte eine kupferfarbene metallische Oberfläche frei.
Eine kleine Schließkassette...
Er befreite sie aus ihrem Gefängnis, setzte sie vor sich auf dem Boden ab und betrachtete sie einige Momente.
Sein Haar klebte mittlerweile - nass vom Regen - an seinem Kopf, und die Tropfen fielen von den Spitzen herab. Es schien ihn nicht weiter zu stören, oder er hatte den Regen bereits gänzlich aus seiner Wahrnehmung verdrängt. Im Augenblick gab es nur noch die kleine Kiste vor der er kniete, und diese kribbelnde Spannung in seinem Bauch darüber was sie wohl beinhalten mag.
Nur ein schlichtes, einfaches Schloss hielt ihn davon ab, den Deckel einfach anzuheben und so griff er nach seinem Dolch der neben ihm lag. Vorsichtig schob er die Spitze in die Öffnung in die normalerweise ein Schlüssel gehörte. Ein kurzer Ruck, eine kleine Drehung, und der Schließmechanismus gab nach.
Geschafft...
Die Finger legten sich links und rechts an den Deckel, und klappten ihn vorsichtig auf.
Das Innere der kleinen Truhe war weitgehend trocken. Der Geruch von feucht-kaltem Leder stieg ihm in die Nase, als er sich nach vorn beugte um hinein zu sehen. Er holt den Inhalt heraus, und bettet ihn in seinem Schoß.
Er schlug die Ecken des Leders - dass den eigentlichen Inhalt beherbergte - beiseite, und hielt ihn schließlich in seinen Händen.
Es schien sich um ein kleines Buch zu handeln. Der Einband war bereits abgegriffen und an den Rändern hier und dort aufgerieben. Es schien häufig gelesen worden zu sein. Dann drehte er es herum, um die Vorderseite zu betrachten. Er fuhr mit den Fingern sacht darüber, und spürte die feinen Einlassungen gleich einer Gravur die er etwas genauer in Augenschein nahm.
Im gleichen Moment kamen die Kopfschmerzen zurück. Schleichend als wollten sie nicht entdeckt werden, ehe sie schließlich von Innen an seinen Schädel klopften als wollten sie ihn begrüßen. Mit zwei Fingern drückte er gegen die linke Schläfe. In kreisenden Bewegungen versuchten sie sie hinfort zu massieren, doch blieben sie standhaft.
Er neigte und drehte das Buch ein wenig, sodass das Licht in einem anderen Winkel darauf fiel und ihm schließlich den Wortlaut offenbarte, der auf dem kleinen Buch eingelassen war...
...
Die Musik ist meine Seele...
Er las sie erneut...
...
Die Musik ist meine Seele...
Seine Brauen zogen sich etwas weiter zusammen. Irgendwo hatte er...
Mit einem Mal, spürte er einen Druck in seinem Kopf, als würde es ihn von innen heraus zerbersten.
"AAaahhh!!!!"
Stöhnte er schmerzerfüllt auf und krümmte sich nach vorn zusammen. Die Hände pressten sich von beiden Seiten gegen die Schläfen als wollen sie ihn zusammen halten.
"AaaAAAaahhh!!!!"
Er vergrub den Kopf in seinen Armen, die Hände verschlingen sich auf seinem Hinterkopf ineinander, als er sich in Embryostellung zusammenkauerte.
Er hielt die Augen fest geschlossen, begann am ganzen Körper zu zittern, als es wie eine Sturmflut in seinem Kopf über ihn hereinbrach. Er hörte wie sein Herzschlag in seinen Ohren echote und spürte ihn durch seinen ganzen Körper hinweg.
Da kamen sie...kreuz und quer...durcheinander...ein wirres Gemenge das auf ihn einprasselte...
...Stimmen...
Er hörte aber verstand sie nicht...doch er erkannte sie...
...Bilder...
Kamen und gingen in Bruchteilen eines Herzschlags...doch er erkannte sie...
...Namen...
Viele Namen schossen durch seinen Kopf, wirbelten wild umher, und da war er...
Dieser eine Name, der ihm so vertraut war, wie kein Anderer...
...
"Jade"...
"
Sein" Name.
Der Regen prasselte unaufhörlich weiter auf die Erde nieder, auf der Jade, immer noch zusammengekauert mit vor Schmerzen pochendem Kopf lag. Keuchend und schwer atmend, als hätte sich eine Schlinge eng um seine Brust gelegt...ehe alles um ihn herum dunkel wurde. Die Stimmen und Bilder rückten in immer weitere Ferne...bis nichts mehr übrig blieb, außer dem leisen dumpfen Geräusch seines Herzschlags...
Die Flut des Begreifens, ließ ihn allein zurück. Allein, doch mit all der Erkenntnis, nach der er all die Zeit gesucht hatte.
Wer er war, woher er kam, und was er hier wollte. Tränen der Erleichterung mischten sich mit bitteren Tränen über die Umstände, die zu alle dem geführt haben, dessen er sich nun gerade wieder bewusst geworden war.
Es war sein Buch...seine Lieder. Seine Seele die er einst hier begraben und zurück gelassen hatte, in der Absicht diese Insel zu verlassen...wohl wissend, dass die Nebel niemanden mehr von hier fort ließen...