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«Die Augen des Leviathans»
Schon seit Urzeiten galten Belial, Westwind und Herr der Lügen und Leviathan, Ostwind und Fürst des Neides als Kontrahenten, die sich gegenseitig beneideten. Belial, der es nach dem weltlichen Reichtum des Ostwinds gierte und Leviathan, der den Westwind um das Wissen um die Wahrheit beneidete.
Doch beide Erzdämonen standen vereint im Dienste Asmodans höchstpersönlich und so waren sie gezwungen ihre Gier und den Neid zurückzudrängen, um ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Doch das hinderte sie nicht daran, gelegentlich ihre Anhänger unter den Gläubigen des Namenlosen dazu zu animieren, Artefakte aus den Besitztümern des Kontrahenten zu entwenden und diese den eigenen Schatzkammern hinzuzufügen oder auserwählten Anhängern weiterzugeben. Es war ein steter Konflikt, den sie durch ihre Anhänger aufrechterhielten, ohne sich dem Zorn Asmodans auszuliefern.
Unter den heiligen Artefakten gehörten unter anderem die rubinroten Augen der Statue, die einst in im Tempel Suroms stand und den Ostwind Leviathan darstellten. Neid, Zorn und Hass sprach aus den Augen, die einen anstarrten, als man den Tempel betrat. Sie standen für die Eifersucht und Zwietracht jener Tage und für alle Zeit. Doch nach der Intrige der verblendeten Anhänger der goldenen Schlange und dem damit einhergehenden Fall Suroms, wurde die Stadt und damit auch der grosse Tempel dem Erdboden gleichgemacht. Unzählige Artefakte die ausgestellt waren, wurden entweder entwendet und als Trophäe ausgestellt oder aber zerstört. Einige der heiligen Artefakte jedoch, darunter auch die «Augen des Leviathans», galten seit der Zerstörung als vermisst.
Nur wenige Menschen überstanden diese Zeit und waren in der Lage, zu fliehen. Noch weniger gelang es, zusätzlich etwas Hab und Gut zu sichern. Die meisten waren verdammt dazu, alles, dass sie besassen zurückzulassen und von null aus ihr Leben neu zu beginnen. Vorausgesetzt, sie entkamen den Verfolgungen.
Mehrere Wochenläufe vergingen seit dem Fall Suroms. Zeit, in denen die rubinroten Augen einen langen Weg hinter sich legten, ohne dass jemand den wahren Wert dieser Edelsteine erkannte. Durch die Hände eines Jungen, der dieses Artefakt aus den Trümmern des ehemaligen Tempels zog und mit seiner Familie aus der Stadt flüchtete, wurde vereitelt, dass das heilige Artefakt in die Hände der Ketzerbrut gelangte. Doch nach einer kräftezerrenden und langen Flucht gelang es auch der Familie nicht mehr, weiter zu reisen. Die Paladine auf ihren Pferden hatten keine Mühen, die Flüchtigen aufzuholen und obwohl der Junge sich vornahm, die Edelsteine schnellstmöglich zu verkaufen, um der Familie einen Neuanfang zu ermöglichen, sah er sich gezwungen, die Augen in einen nahegelegenen Fluss zu werfen, als er aus der Ferne die herangaloppierenden Reiter vernahm. Hätte er dies nicht getan, wäre seine Familie zurück in die Stadt eskortiert und dort vermutlich hingerichtet worden, dachte er sich. So sanken die rubinroten Edelsteine langsam hinunter auf das Flussbett, wo sie über den nächsten Jahrtausenden immer weiter voneinander getrennt wurden und unter der Wasseroberfläche verweilten.
Es war einem einfachen Fischer zu verdanken, dass eines der Augen nach Ewigkeiten zurück an die Oberfläche gelangte. Der unbekannte Mann sass zu dem Zeitpunkt auf seinem Boot und wartete geduldig darauf, dass die Fische sich von seinem Köder locken liessen und anbissen, als ihm ein Glitzern unter der Wasseroberfläche auffiel. Durch die direkte Sonneneinstrahlung war das rötliche Schimmern des Edelsteins für ihn selbst durch das Wasser hinweg noch gut sichtbar zu erkennen. Erste Versuche, mithilfe eines Fischernetzes an die Rubine zu gelangen scheiterten schlicht an der Tiefe. So entschied sich der Fischer sich entgegen seines Willens, in das – zu der Jahreszeit – sehr kalte Wasser zu springen und die Kostbarkeit selbst zu bergen. Wenig später fand er sich zitternd und schlotternd am Ufer wieder, wo er sich mithilfe eines Lagerfeuers wieder aufwärmte und das sonderbare Rubinauge musterte.
Völlig eingenommen von dem Anblick der detailreich gravierten Edelsteine entgingen ihm vollkommen, dass sich ein grosses Wesen aus dem Wasser erhob. Erst als der Schatten jenes Ungeheuers den Mann erreichte, blickte dieser verwundert auf und erschrak ob des Anblicks, der sich ihm bot. Noch bevor er einen Schrei von sich geben oder anderweitig reagieren konnte, wurde er bereits gänzlich verschlungen. Die Augen des Leviathans waren seither wieder verschollen.
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