Juliane zog ihren roten, warmen, mit Pelz besetzten Umhang enger um sich, während sie auf der Veranda des Hauses der Gemeinschaft stand und in die graue Winterlandschaft blickte. Der kalte Wind zog an ihren Haaren, aber der Schnee, den sie aus ihrer Kindheit kannte, fehlte.
Das Trinith - ihre Heimat, war von majestätischen Bergen umgeben, die jeden Winter in eine zauberhafte Schneedecke gehüllt waren. Dort hatten die Winter etwas Märchenhaftes – kristallklarer Schnee, der die Welt dämpfte und mit einem besonderen Glanz überzog. Sie erinnerte sich an die verschneiten Wälder, die glitzernden Eiszapfen und die friedlichen Nächte, in denen der Mond den Schnee zum Leuchten brachte und die Welt in einem neuen Licht erstrahlen ließ.
Hier jedoch, in der Ebene von Nebelhafen, schien der Winter nur Kälte und vereinzelte Schneeflocken zu bringen. Juliane spürte einen leisen Stich der Sehnsucht, der sie unweigerlich in die Vergangenheit zog. Sie wollte dieses Gefühl aus ihrer Jugend zurückbringen, dieses magische Winterwunder, das sie so sehr liebte. Entschlossen stieg sie die knarrenden Treppen zur Bibliothek der Gilde hinab.
Die Bibliothek war ein Ort, der immer nach alten Büchern und Wachs roch, ein ruhiger Rückzugsort, den sie oft für ihre Studien nutzte. Heute jedoch suchte sie nach etwas Speziellem: einem Zauber, der ihr helfen könnte, die Winter von Trinith vor die Tür der Nexus zu holen. Nach Stunden des Suchens entdeckte sie ein Buch, dessen metallene Schnallen in der Dunkelheit funkelten. „Das Geheimnis der Elementarsteine“, las sie leise und spürte ein aufgeregtes Kribbeln.
Dieses Buch enthielt Rituale, um magische Steine zu schaffen, die das Wetter temporär beeinflussen konnten. Sie blätterte durch die alten Seiten, bis sie eine detaillierte Beschreibung fand: ein „Stein der Schneeflocken“, der in einem kleinen Radius Schneefall erzeugen konnte. Sie notierte sich die benötigten Zutaten und begann, einen Plan zu schmieden.
Am nächsten Morgen begann Juliane mit den Vorbereitungen. Sie benötigte Obsidian, um die Verbindung zur Elementarmagie zu schaffen, sowie Spinnenseide, um die Bindung der Schneeflocken an den Ort zu garantieren. Dazu brauchte sie fruchtbare Erde für die Lebenskraft und einen Splitter schwarzer Perle, um die magische Energie zu kanalisieren.
Die Erde war besonders wichtig, da sie symbolisch für das Leben unter der Schneedecke stand. Juliane wusste, dass im Osten – nahe bei der Stadt des Barbarenvolks ein Berghang war, der auch im Winter von feinen, gefrorenen Moosen bedeckt war, die die richtige Sorte Erde liefern würde.
Sie machte sich auf, die Erde dort eigenhändig zu sammeln. Mit einer kleinen Schaufel und einer hölzernen Truhe ausgerüstet, verbrachte sie Stunden damit, die richtige, nährstoffreiche Erde aus den Wurzeln der frostigen Vegetation zu gewinnen. Zufrieden kehrte sie mit ihrer Beute zur Gebäude der Nexus zurück. Zurück im Gebäude der Nexus bereitete Juliane den Ritualraum vor. Ein kleiner Raum in welchem Bett, Schreibtisch und ein paar Regale standen. Sie zog sich hier hin zurück, wenn sie denn allein sein wollte. Der Raum war in Dunkelheit und Stille getaucht, nur das Licht der Kerze, die sie entzündet hatte, flackerte an den Wänden.
Sie legte die Zutaten in einem perfekten Kreis aus und konzentrierte sich auf die magische Formel. Ihre Stimme erhob sich, während sie die Worte sprach: Grav Des Hur Tym – Kälte, die den Wind zähmt und die Zeit in Frost hüllt.
Die Luft begann zu vibrieren, als die Magie durch den Raum floss. Der Obsidian glühte, die Spinnenseide begann, wie kleine Schneeflocken zu glitzern, und die Erde schwebte in der Luft. Langsam verbanden sich die Elemente, bis ein kleiner, schimmernder Stein entstand – ein Stein so dunkel wie die Nächte in Trinith, durchzogen von einem eisblauen Glühen. Juliane hielt den Stein in den Händen, während ihre Magie langsam abebbte. Sie spürte die kalte, aber friedliche Kraft, die von ihm ausging. Draußen vor dem Gildenhaus platzierte sie den Stein auf einem verzierten Sockel aus Eichenholz, den sie zuvor selbst notdürftig gefertigt hatte. Juliane kniete sich vorsichtig vor dem „Stein der Schneeflocken“, der auf dem verzierten Sockel ruhte. Sie schloss die Augen, legte beide Hände an den Stein und spürte, wie die Magie in ihm pulsierte. Ein kurzer Moment der Stille verging, bevor sie mit ruhiger Stimme den Zauberspruch sprach, um den Stein zu aktivieren.
„Grav Des Hur Tym – Kälte, die den Wind zähmt und die Zeit in Frost hüllt.“
Ihre Hände begannen leicht zu vibrieren, als die Worte der Formel die Luft um sie herum ergriffen. Die Magie des Steins reagierte sofort, und in einem sanften, fast feierlichen Moment begann die Luft um sie herum merklich zu kühlen. Ein eisiger Hauch wehte durch den Raum, und erste Schneeflocken begannen, sanft herabzufallen, während sich der Winter langsam über die Landschaft legte. Zuerst passierte nichts. Dann jedoch wurde die Luft kälter, und kleine, tanzende Flocken begannen vom Himmel zu fallen. Innerhalb weniger Minuten war das Gildenhaus in ein helles Weiß gehüllt. Der Schnee blieb liegen, und das Gildenhaus wirkte, als hätte es einen Hauch der Wintermagie aus Trinith erhalten. Sie stand still und ließ die Vergangenheit, die sie vor einigen Tagen eingeholt hatte, wieder in das Hier und Jetzt zurückkehren. Sie ließ die Flocken auf ihrer Haut schmelzen und ein sanftes und seltenes Lächeln umspielte schließlich ihre Lippen. Der Stein würde regelmäßig Mana benötigen, um aktiv zu bleiben, aber das war es wert. Für einen Moment hatte sie Trinith zurückgeholt – und mit ihm die Magie ihrer Kindheit.
Ein Hauch von Schnee
- Teana/Juliane/Dariel
- Beiträge: 50
- Registriert: 23 Jan 2020, 23:56
- Has thanked: 2 times
- Been thanked: 64 times