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Formwandler

Verfasst: 12 Okt 2025, 18:29
von Sadagar
Da lag er nun.
Sadagar hatte den Seziertisch mit Bedacht vorbereitet.
Jeder Handgriff war Teil eines Rituals, das er nicht nur aus Vorsicht, sondern auch aus Respekt vor dem Unbekannten ausführte.
Der Schutzkreis war gezogen – sorgsam, präzise, kein Symbol durfte verrutschen. Er würde kein Risiko eingehen.

Der Körper des Ophidianers wirkte selbst im Tod noch bedrohlich. Groß gewachsen, muskulös, die Schuppen dunkel wie Öl.
Die Hellebarde, die neben ihm gelegen hatte, deutete auf eine militärische Funktion hin.
Ein Krieger. Vielleicht mehr. Vielleicht etwas ganz anderes.

Sadagar erinnerte sich gut. Zu gut.
Er war dabei gewesen, als es geschah – nur wenige Schritte entfernt, mitten im Gespräch mit Sorsha vor dem Auktionshaus.
Die neue Wache hatte ihm schon beim ersten Blick Unbehagen bereitet.
Zu steif. Zu aufmerksam. Dann das kurze Wortgefecht, schneidend wie eine Messerklinge – und die Verwandlung.
Ein Mensch, der keiner war. Eine Kreatur, die ihre Haut abwarf wie eine Maske. Wechselbälger, hatte man sie genannt. Formwandler.
Und jetzt lag dieses Ding auf seinem Tisch.

Sadagar kniete sich neben die Ledertasche und löste langsam die Schnürung.
Die Werkzeuge klirrten leise, als er sie hervorzog: fein geschliffene Messer, eine kleine Säge, Haken, Klemmen. Alles geweiht, alles bereit.
Er spürte das Gewicht des ersten Messers in der Hand. Kühl. Vertraut.
Er atmete tief ein. Es war nicht das erste Mal, dass er ein fremdes Wesen untersuchte – aber dieses hier war anders.
Nicht wegen seines Körpers, sondern wegen dessen, was darin verborgen sein mochte. Macht. Wissen. Antworten.

„Wollen wir doch mal sehen“, murmelte er, „ob – und was – du mir alles zu erzählen hast.“

Seine Stimme war ruhig, beinahe freundlich. Doch in seinem Inneren loderte etwas anderes. Eine Mischung aus Faszination, Ehrfurcht – und Hunger.
Dieser tote Körper war vielleicht mehr als ein toter Krieger.
Vielleicht war er ein Schlüssel.
Vielleicht ein Tor.
Und vielleicht – nur vielleicht – würde er sich öffnen.

Re: Formwandler

Verfasst: 13 Okt 2025, 20:43
von Sadagar
Das Labor war still, abgesehen vom gedämpften Tropfen eines Leuchtelixiers, dasirgendwo in der Dunkelheit von Glas zu Glas rann.
Sadagar stand über dem steinernen Tisch, die Augen fest auf den Körper vor ihm gerichtet.
Vor ihm lag der Ophidianer – halb Mensch, halb Schlange –, die Haut gesprenkelt mit den Spuren verbrannter Magie.
Der Kopf war zur Seite geneigt, der Mund leicht geöffnet, als wolle er ein letztes Wort sprechen, das nie über die Lippen kam.
Das Licht der Lampe glitt über Schuppen, die wie polierter Smaragd schimmerten, an manchen Stellen jedoch matt und versengt waren.
Die magische Entladung, die ihn getötet hatte, hatte tiefe Brandlinien in das Fleisch gebrannt – dünne, blitzartige Narben,
die sich über Brust und Hals zogen.

Sadagar zog das Tuch beiseite, und der Geruch kalten Blutes stieg auf – metallisch, süß, von ozonartigem Nachhall durchzogen.
Er legte die Hand auf die Brust des Wesens.
Keine Regung.
Nur die seltsame Festigkeit der Haut, als wäre sie mehr Stein als Fleisch.
„Ein Krieger,“ murmelte er. „Von Magie bezwungen – und doch scheint selbst die Flamme ihn nicht ganz ausgelöscht zu haben.“

Er begann die äußere Untersuchung mit der Präzision eines Mannes, der zu viele Tote gesehen hatte.
Die Pupillen – senkrecht geschlitzt. Die Hände – fünf Finger, doch mit feinen Hornspitzen, die an den Enden leicht verkohlt waren.
Die Wunde auf der Brust war kein Schnitt, kein Pfeil – sondern der Brand eines Zaubers, der direkt ins Herz getroffen hatte.
Sorshas Werk, dachte Sadagar. Ihr Feuer hatte den Ophidianer vernichtet, während seine eigene Bannformel das Wesen an der Flucht in
eine neue Gestalt hinderte.
Er seufzte und nahm das Skalpell.

„Verzeih mir, alter Feind. Ich suche nur Wahrheit, keine Rache.“

Mit einem leisen Schnitt öffnete er die Brust. Kein Blut mehr, nur ein dunkelgrüner Schleim, der wie flüssige Jade glänzte.
Unter dem Brustbein pulsierte etwas Schwaches – nicht Leben, sondern Nachklang.
Drei Herzkammern, zwei menschlich, eine anders. Er beugte sich näher, spürte, wie eine feine Vibration durch das Metall des Skalpells lief –
als würde ein Rest der Magie in den Adern nachhallen.
„Faszinierend …“ flüsterte er. „Selbst im Tod weigert sich euer Fleisch, still zu sein.“
Er arbeitete weiter, schnitt, prüfte, maß.
Die inneren Strukturen folgten keiner menschlichen Logik: Muskeln liefen in Spiralen, die wie Runen geformt waren
und feine Membranen verbanden Organ zu Organ, als seien sie Fäden eines unsichtbaren Netzes.
Sadagar konnte nicht sagen, ob er ein Wesen zerlegte oder den Rest eines Zaubers entwirrte.

Schließlich legte er das Werkzeug nieder. Die Luft war schwer, die Lampe flackerte.
Ein Hauch zischte aus dem geöffneten Leib – ein Laut zwischen Atem und Sprache.
Sadagar erstarrte. Für einen Augenblick schwor er, das Wesen hätte gelächelt.

Er trat zurück, rieb sich die Hände mit Alkohol, als könnte er mehr abwaschen als nur Blut.
Dann begann er, den Körper wieder zu verhüllen – Schicht um Schicht Leinen,getränkt in Salz und Myrrhe.
„Ihr wart keine Bestien,“ sagte er leise. „Nur Träger einer anderen Wahrheit.“

Dann löschte er das Licht.

Im Dunkel schien das Tuch sich kurz zu bewegen – oder vielleicht war es nur der Nachklang der Magie, der noch immer im Raum hing
wie ein Atem, der nicht vergehen wollte.
 

Re: Formwandler

Verfasst: 14 Okt 2025, 00:25
von Sadagar
In einer Tiefe der Nacht, die keine Sterne mehr erhellte, sank er, von unsichtbarer Last gebeugt, auf den Stuhl vor dem geschwärzten Holz.
Die Feder, ein alter, knöcherner Kiel, begann über das Pergament zu gleiten. Trotz der Hast, die sein Herz umfing, verfasste er in einer Schrift
von unheimlicher, fast magischer Gleichmäßigkeit zwei Schreiben
, jede Zeile eine Beschwörung der Notwendigkeit, gefasst in
unerschütterlicher, gleichmäßiger Hand.

Die versiegelten Schriftstücke vertraute er einem Boten an, dessen Gesicht in der Dunkelheit kaum zu erkennen war, eine stumme, entschlossene Gestalt.


An: Magistra Sorsha von Schwarzenfels
Kopie an: Druidin Gwendolyn vom Zirkel

Betreff: Obduktion des gefallenen Ophidianers

Ich berichte hier, wie versprochen, über die Obduktion des Ophidianers.
Der Körper zeigt deutliche Zeichen eines magisch verursachten Todes – vermutlich durch die kombinierte Wirkung von
Pyromantie und Bannmagie.
Die energetischen Rückstände deuten darauf hin, dass der Formwandlungsprozess im Moment des Todes unvollständig blieb.
Auffällig ist die dreifache Struktur des Herzens sowie das netzartige System arkaner Leitbahnen, die biologische und
magische Funktionen miteinander verweben.
Ich vermute, dass die Ophidianer ihre Wandlungsfähigkeit nicht durch klassische Zauber, sondern durch ein angeborenes,
arkan-biologisches Prinzip erlangen.
Die Reste dieser Energie sind weiterhin messbar – ich rate dringend davon ab, den Körper ungeschützt zu transportieren.
Eine unkontrollierte Entladung könnte sich auf empfindliche magische Artefakte oder Lebewesen in der Nähe auswirken.
Weitere Analysen erfolgen, sobald die Rückstände stabilisiert sind.
Ich ersuche euch beide, in euren jeweiligen Kreisen auf Resonanzen oder Störungen im arkanen Gleichgewicht zu achten,
falls die Entladung über die lokale Ebene hinaus gewirkt haben sollte.

Mit Achtung und in Erwartung eurer Beobachtungen,
Sadagar Cronberg
Interrogator Mortis