

Im ersten Moment hat ihn der Name der neu gegründeten Gemeinschaft zum Nachdenken verleitet. Totenwacht. Ungewöhnlich. Und doch passend.
Aber als er an die Gründerin und Schirmherrin der Gilde denkt, Cataleya Rho'en, Templerin des Entfesselten und treue Dienerin Liliths, ergibt die Namenswahl einen Sinn. Die dunkle Mutter ist die Hüterin des Wissens über das Leben und den Tod. Jeder, der Cataleya kennt, weiß wie tief ihr Eifer ist, Lilith zu gefallen.
Er hatte das Vergnügen, Cataleya ein paarmal im Kampf zu erleben und weiß, dass Blutvergießen für sie Bedeutung hat. Sie sieht jedes Opfer als Gabe an den Südwind. Alec würde so weit gehen und behaupten, dass Cataleya eine Schwellenhüterin ist, mit der Aufgabe, die Toten in Liliths Reich hinüber zu geleiten. Wobei geleiten ein viel zu zärtliches Wort ist, wenn er an den riesigen Zweihänder denkt, mit dem die Wächterin des Namenlosen die Kreaturen in den Tod schickt.
Der Schmied und Steinmetz hat das Bild der kämpfenden Wächterin im Kopf, als er sich an den ersten Entwurf macht. Sie hat ihn damit beauftragt, einen passenden Stein für die Gemeinschaft zu fertigen. Seitdem der Brief mit dem Auftrag ihn erreicht hat, spinnt er in seinen Gedanken verschiedene Varianten zurecht.
Der Tod soll bei der Gestaltung eine Rolle spielen.
Schlussendlich setzten sich drei Symboliken durch, die in seinen Augen am aussagekräftigsten sind: Blut, Totenschädel und ein Rabe.
Die Skizze kostet ihn einige Stunden an Schlaf, die er nicht vermisst. Wenn er sich in ein Projekt stürzt, verlieren die menschlichen Bedürfnisse an Wichtigkeit. Wen kümmert schon Schlaf oder Nahrungsaufnahme? Er möchte jede Faser seiner Existenz in das Werk stecken und sein volles Maß an Kunstfertigkeit nutzen.
Trina, die Tempelwache, beäugt ihn etwas kritisch, als er sich mit einer Werkzeugkiste und einigen Stoffbahnen dem Tempel nähert. Der unscheinbare Steinblock steht auf dem Vorplatz des Versammlungssaals für ihn bereit. Dort wird der fertige Stein schließlich seinen Platz finden, auf einem Podest neben weiteren drei Gildensteinen.
Er richtet sich am frühen Morgen den Arbeitsplatz ein. Zuerst breitet er den Stoff um den Rohblock aus, um die Bodenfliesen nicht zu beschädigen und legt sein Werkzeug zurecht. Alec beginnt mit der groben Gestaltung und arbeitet sich mit einem Meisel mit breiter Schneide vom Kopf bis zum Fuß den Fels hinab. Die rhythmischen, stetigen Klänge, wann immer der Hammer mit Lederkopf auf den Meisel trifft, hallen über den Platz bis nach Surom.
Erst als sich die grobe Form zeigt, greift er nach einem mittleren Meisel. Er deutet erste Konturen an, die später zu kunstvollen Details werden. Dabei vergeht ein halber Tag, bis er sich den Feinheiten widmen darf. Alec zelebriert den Moment, als er nach dem schmalen Meisel greift, der zwar wenig Material absprengt, aber die Kraft der Hammerschläge unverfälscht überträgt. Ab dem Punkt wird jeder Fehler sichtbar.
Eine einnehmende Ruhe legt sich über den Steinmetz und sorgt dafür, dass seine Handgriffe und Bewegungen zu einem Tanz werden, der einem genauen Takt und Ablauf folgt. Er muss nicht mehr nachdenken, sondern verliert sich gänzlich im Prozess des Schaffens. Als er den Meisel absetzt und mit einem Pinsel Staub und Steinbröckchen von der Oberfläche entfernt, nimmt er zum ersten Mal bewusst die Silhouette des Werks wahr.
Auf der Vorderseite des Steins befindet sich zentriert und auf Augenhöhe eine gerahmte Fläche, die Platz für den Kodex und die Namen der Mitglieder lässt. Den Namen der Gemeinschaft graviert er an oberster Stelle auf die Tafel. Der Rest des Gildensteins überzeugt mit zahlreichen, aber unaufdringlichen Feinheiten. Er trägt an beiden Flanken Material ab und hinterlässt Spuren, die herabrinnendem Blut ähneln. Dadurch erweckt der Stein den Eindruck, als würde dickflüssiges Blut wie heißes Wachs an den Seiten hinablaufen. Zusätzlich setzt er mit Dornenranken einige Akzente und lässt den Betrachter glauben, dass die spitzen Stacheln in den Fels schneiden und ihn bluten lassen.
Am Sockel verteilt er ein halbes Dutzend menschlicher Totenschädel und reiht sie differierend auf. Dabei lenkt er auf einen Schädel besonderen Fokus, indem er einen Raben darauf platziert. Obwohl der Vogel die Flügel eng an den Körper gelegt hat, nimmt sich Alec Zeit und arbeitet die einzelnen Partien des Gefieders lebensecht heraus.
Während sich das Werk dem Ende nähert und er sich dem letzten Feinschliff widmet, erinnert er sich daran, warum er den Raben gewählt hat. Das Tier steht für Hoffnung, aber auch den Tod. Eine Gegensätzlichkeit, die ihm passend erscheint und zum Übergang zwischen Leben und Tod passt.
