Nicht zur Freude, sondern zur Reinigung

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Nighean
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Nicht zur Freude, sondern zur Reinigung

Beitrag von Nighean »

Ich stand etwas abseits des Podests und hielt den Blick auf den Mann gerichtet, der heute geprüft werden sollte. Alec Schwarzdorn, groß, die Haut von Adern gezeichnet, die nicht von dieser Welt wirkten. Seine Ruhe war kein Trotz. Eher ein Schweigen, das weiß, dass Worte hier nichts nützen.
 
Valleron Gadomar legte die Handschuhe ab, verstaute sie, als seien sie eine letzte Schranke zwischen ihm und seiner Pflicht. Er sprach nicht hastig, nicht schneidend. Seine Stimme war ein gleichmäßiger Stein, der in einen stillen See fällt. „Nicht zur Freude, sondern zur Reinigung“, dachte ich, und ich merkte, wie sich dieser Satz in mir festsetzte, noch bevor er ihn selbst der Menge in anderer Form gab. Ordnung, sagte er, sei Schild und Fundament. Recht und Gnade müssten einander nicht ausschließen. Als er Alec bat, den Oberkörper frei zu machen, regte sich in mir der alte Reflex, den Blick zu senken. Ich tat es nicht. Wer segnen will, darf nicht blinzeln.

Alec gehorchte, hob die Arme, ließ sich anketten. Ein lila-blauer Schatten an den Rippen, der nicht zu seinen Markierungen passte, erzählte von älteren Geschichten, die heute nicht die Bühne hatten. Er stand fest. Ich suchte sein Gesicht. Aber da war nur das Arbeiten des Atems, die eiserne Miene eines Mannes, der die Welt für einen Augenblick schmal macht, damit sie vorbeizieht, ohne ihn umzustoßen.

Ich flüsterte mein Gebet, so leise, dass es kaum die Luft veränderte. „Vater der Finsternis… reinige mein Herz, läutere meine Seele, nimm das Opfer des Herzens an, vollende mich in deinem Wort.“ Ich bat nicht für Milderung. Ich bat um Sinn.

Valleron hob die Peitsche. Ich hob das Kinn, als der erste Hieb fiel, ohne es zu wollen. Es war, als würde der Ritus mich ebenso aufrichten, wie er ihn niederdrückte. Er gab jedem Hieb einen Namen, als würde er ihn binden, damit er nicht zum Ausbruch verkommt. Erinnerung, Schutz, Abwehr, Prüfung. Bei jedem Schlag straffte sich Alecs Rücken, der Körper wich aus und kehrte sogleich zurück, als wolle er dem Schmerz weder ausweichen noch ihn einladen. Kein Schrei. Nur das Geräusch von Leder auf Haut, dann Blut, das die Ordnung kannte, austreten, rinnen, glänzen.

Valleron sprach weiter, nicht zu lang, nie taumelnd. Seine Worte gaben der Menge Halt. Nicht, um zu quälen, um zu warnen, zu schützen, zur Vernunft zu rufen. Mit dem fünften Hieb spürte ich, wie der Platz den Atem anhielt. Mit dem sechsten roch ich Eisen, schwer und dicht, als läge der Marktplatz unter einem dunklen Umhang. Reinigung, sagte Valleron, und ich nickte kaum merklich. Wenn das Wort trägt, trägt auch der Schlag.

Beim siebten und achten Hieb spritzte Blut. Ein paar Tropfen trafen Vallerons Arm, und er zuckte nicht. Glaube, sagte er, und ich dachte. "Prüfung ist nie laut." Der neunte Hieb, Erbarmen, ließ die Ketten singen. Da hob Alec den Blick, starrte nicht den Mann an, der schlug, sondern über uns hinweg in eine Ferne, die ich nicht sehen konnte. Manche nennen das Trotz. Ich nenne es Entscheidung.

Der letzte Schlag, Hoffnung und Pflicht, sagte Valleron. Er holte aus, gleichmäßig, ohne Rausch. Es war derselbe Bewegungsbogen wie beim ersten. Leder traf Fleisch, die Luft zog sich zusammen, und dann war es vorbei. Ein Rascheln, als die Peitsche wieder atmete. Valleron senkte sie, steckte sie fort, löste die Fesseln. „Du bist frei und von deiner Strafe erlöst.“

Alec blieb einen Herzschlag zu lange stehen, als prüfe er, ob sein Körper noch gehorchen würde. Dann griff er nach Vallerons Arm. Kein Dank, keine Pose. Ein Handschlag, in dem nichts gesucht wurde außer einem Boden, auf dem man wieder gehen kann. „Ich diene, wenn es Surom nützt“, sagte sein Blick, und Valleron erwiderte den Druck. Vielleicht war das der eigentliche Schwur.

Ich trat erst vor, als die beiden sich lösten. Der Platz roch nach Blut und Staub. Stimmen flackerten am Rand, doch der Kern war still. Ich stand. Für einen Moment war der Platz schwer, dann ruhig, wie eine Wunde, die beschlossen hat, zu schließen. Valleron wischte schweigend die Arme ab. Die Geste war schmucklos, beinahe zärtlich in ihrer Nüchternheit. Alec hob sein Oberteil, trug es über dem Arm wie etwas, das heute noch keinen Platz auf der Haut hat. Er neigte Valleron das gehörnte Haupt, und ich verneigte mich vor ihm, tief, als er an mir vorbeiging. Nicht als Zier, sondern als Anerkennung der Last, die getragen wurde.

Ehrfürchtig schritt ich auf das Podest. kniete mich nieder und nahm die kleine Flasche aus dem Gürtel. Wasser und Asche, entkorkte die Flasche und ließ die Tropfen auf die Bretter fallen, dort, wo das Rot am dunkelsten stand. Mit der flachen Hand rieb ich das Gemisch in kreisenden Bahnen, nicht um die Spuren zu tilgen, sondern um sie zu binden. „Vater der Finsternis,“ hauchte ich, „nimm das Opfer des Blutes und reinige den Ort.“

Meine Finger wurden grau und rot, als gehörten auch sie jetzt zum Blute. Ich richtete mich halb auf, legte die nasse Hand an meine Stirn und sprach klar.
 
„Im Blut wird das Herz gereinigt, und in der Finsternis wird es vollendet.“
 
Meine Arbeit war hier, bei den Brettern, die alles behalten und nichts erzählen, wenn man sie nicht darum bittet. Ich blieb noch, bis das Blut im Aschewasser matt wurde und die letzten Tropfen ihren Weg gefunden hatten. Dann drehte ich mich zum Ausgang des Platzes. Valleron hatte das Recht gesprochen, Alec hatte es angenommen, und ich hatte den Ort an den Namenlosen zurückgegeben. Das genügte für heute.


Nighean
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Nighean
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Re: Nicht zur Freude, sondern zur Reinigung

Beitrag von Nighean »

Ich trete aus dem Schatten der Maske.
„Barchmon, Treue und Unterwerfung dem Entfesselten.“
Der Stoff fällt von meinem Gesicht, und für einen Moment fühle ich mich ruhig, gesammelt, fast heiter.

Golga nickt mir zu, sein Lächeln ist freundlich.
„Wie geht es euch, Erzmagus?“ frage ich.
„So weit alles gut.“
„Eh, es ist alles in Bewegung.“ Meine ich zur Antwort.

Alles wirkt wie ein Wiedersehen. Vertraut, beinahe leicht. Doch als ich Cecilia erwähne, dass sie SEINEN Namen laut ausgesprochen habe, zieht sich in mir etwas zusammen. Ein Zug im Bauch, gespannt wie eine Saite.
 „Äh… nein? Ist das schlimm?“ fragt er.
„Ihr wart doch selbst einmal ein Diener?“ sage ich, den Kopf geneigt, prüfend. Es regt sich in mehr etwas.

Er redet von früher, von Ketten, von der Schlange. Für ihn klingt es so einfach. SEINEN Namen lobpreisen, ihn rufen wie eine Fahne. Ich bleibe sachlich, erkläre von Respekt, von alten Gesetzen. Doch unter meiner Stimme pocht etwas.

Dann malt er sein Bild. Armeen, Schwerter, Schlachtrufe. SEIN Name, der Feinde erzittern lässt.
Ein Bild voller Blut.
Da bricht in mir ein Kichern hervor, ungerufen. Zu hell, zu leicht. Ich spüre, wie meine Lippen sich selbständig kräuseln, wie mein Blick ihn scharf anspringt. Mein Kopf kippt zur Seite, langsam, ein Spiel, das keines ist.

„Weißt du, was die Menschen am meisten fürchten?“ frage ich, die Worte schmecken süß, aber darunter brennt es.
„Das Unbekannte“ sagt er.
„Ja… das Unbekannte. Etwas, das man nicht greifen kann. Wie ein Schatten.“

Meine Hand hebt sich wie von selbst, bis sie fast seine Brust berührt. Die Luft dazwischen fühlt sich schwer an, geladen. Ich beiße mir auf die Lippe, das Lächeln bleibt.
„Nicht SEIN Name soll Angst bringen… Hast du Angst, Golga?“

Er schweigt. Sein Atem bleibt ruhig. Das Schweigen ist schwerer als jedes Wort.
Ein neuer Schub fährt durch mich. Ich lache, hebe die Arme, strecke mich zum Himmel, und das Lachen klingt fremd in meinen eigenen Ohren.

„Angst sollte jeder haben“ Sagt er ruhig.
Ein Kribbeln läuft über meinen Nacken, kalt und heiß zugleich. „Richtig.“ Meine Stimme tropft wie Honig. „Und so sollen sie erstarren, wenn sie SEINEN Namen hören. Es soll ihr letzter Tag sein.“

Cataleya tritt heran, ihre Stimme stört den Faden. Ein Riss im Gewebe. Das Feuer knistert in mir, ich halte den Blick auf Golga, halte fest. „Die Stimmen, mein lieber Golga…“

Golga fragt. „Was muss Cecilia befürchten?“
Die Glut flammt auf, die Antwort ist schmal und scharf. Geflüsstert rollen die Worte aus meinem Mund.
„Sie hat IHN gefrevelt. Dafür wird sie Buße tun müssen.“
Es ist mein Wille, doch angefacht von Härte, die ich nicht herbeigerufen habe.

Als Cataleya mich direkt anspricht, springt Wut in meine Augen, als hätte jemand Öl ins Feuer gegossen. „Habt ihr nichts zu tun, Templerin!? Geht hinaus und bringt SEINE Worte in die Welt!“
Meine Stimme ist scharf, voller Hass. Erst ihr „Haucha Trowe“ löscht die Flamme. Ich atme, lasse sie ziehen, mein Herzschlag dröhnt noch in den Schläfen.

Dann wende ich mich wieder Golga zu. Leichter jetzt, beinah verspielt. Der Wechsel überrascht selbst mich. „Wie geht es deiner Hand?“ frage ich, süßlich, unschuldig.

Er senkt nur den Blick, doch weicht nicht. Ich spüre die Schwere in seiner Stille. Die Geschichte seiner Finger, die Strafe, die er getragen hat. Es liegt zwischen uns wie ein unsichtbares Mal. Und ich genieße für einen Atemzug, dass ich es berührt habe.

Ich schließe die Augen, drehe den Kopf, atme durch. Es fühlt sich an, als würde die Glut unter der Haut langsam abkühlen. Meine Stimme wird wieder weich, fast lehrmeisterlich. Ich erzähle von Surom, von SEINEM Geschenk, von den unsterblichen Menschen im ewigen Tag-und-Nacht-Zyklus. Worte voller Wärme, voller Sinn.

Und dann, auch wieder unerwartet, weich, fast schwerelos gesprochen. 
„Ich werde für Cecilia beten“, sage ich leise. „Auf dass die Fürstin Nachsicht übt.“
Es ist mein Wille, getragen von Milde, die ich ebenso wenig erklären kann.

„Nachsicht… der Begleiter von Schwäche“, antwortet Golga. Seine Augen lassen mich nicht los.

Ich nicke zweimal, bedauernd. „Eh, ihr habt recht. Sie muss ihre Strafe ertragen. Wir dürfen keine Schwäche zeigen.“
Es fühlt sich jetzt an wie Asche auf der Zunge.

„Jeder muss seine Strafe annehmen“, sagt er.
Ich senke den Kopf, rede vom Dienst, vom Willen, von verlorenen Kindern. Das sind die Sätze, die mir Halt geben. Worte wie Steine im Fluss, an denen ich mich festklammere, wenn das Wasser reißt.

Er lächelt schwach, gibt mir Rat. Ich lächle zurück, diesmal warm, lehrend. Doch tief in mir glimmt noch immer das Kichern, der Blick, die Frage nach Angst, die Erinnerung an seine Hand.

Als wir uns verabschieden, neige ich den Kopf. „Ser B’scheino, Erzmagus. Treue und Unterwerfung dem Entfesselten.“
„Einen wohligen Abend. Dass die Schatten euch vor den Blicken eurer Neider wahren.“

Ich wende mich ab, steige auf mein Pferd. Mein Herzschlag hat sich beruhigt, mein Lächeln sitzt wieder dort, wo es hingehört.
Aber im Inneren weiß ich. Es war mein Wille, meine Worte. Einmal hart wie Klinge, einmal weich wie Gebet. Beide aus demselben Feuer, das ich nicht benennen kann.

Nighean
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