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Ein Heiligtum der Qualen

Verfasst: 06 Okt 2024, 18:22
von Marleen Lamont
Die rote Priesterin betrat die unterirdische Kammer. Ihr Blick glitt voller Zufriedenheit über die nackten Steinwände. Hier, in den Tiefen der neuen heiligen Stadt, war über die Wochen hinweg ein Ort entstanden, der ganz und gar ihren Vorstellungen entsprechen sollte. Ein Ort, der auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft zugeschnitten war. Geradlinig, schnörkellos und funktional. Ein geräumiger Korridor erstreckte sich vor ihr. Drei Türen führten in die dahinter liegenden Räume.

Hinter der hölzernen Tür zu ihrer Linken fand sie einen großen Schlafsaal vor. Zahlreiche Betten standen hier allen Gläubigen, die selbst keine Bleibe hatten, kostenlos zur Verfügung. Die einfachen Holzbetten boten zwar keinen Luxus, aber der Raum war trocken, ruhig gelegen und die Gesellschaft Gleichgesinnter für manche Menschen sicher angenehmer als die unfreiwillige Nachbarschaft mit betrunkenen oder liebestollen Tavernenbesuchern.

Die Holztür auf der rechten Seite führte die Priesterin in die Rüstkammer. Das Lager war zwar noch leer, aber die Einrichtung war auch hier sehr zweckmäßig. Gefüllt mit glänzenden Waffen und schweren Rüstteilen musste der Raum einen beeindruckenden Anblick bieten. Sogar an einen Schreibtisch für die Verwaltung war gedacht worden. Cristobal hatte hier wirklich sehr gute Arbeit geleistet, um die Planungen in die Tat umzusetzen.

Die rote Priesterin kehrte in den Hauptkorridor zurück. Ihr Blick fiel auf die massive Metalltür am Kopfende des Ganges. Ihr Herz machte einen kurzen Hüpfer. Hatte Cristobal auch dort die Pläne korrekt befolgt? Mit schnellen Schritten ging sie auf die letzte der Türen zu, die zu einem ganz besonderen Bereich führen sollte. 

Die schwere Metalltür schwang geräuschlos auf. Im Geiste notierte sich Marleen, hier noch ein Schloss nachrüsten zu lassen. Diese Räumlichkeiten musste nicht jeder neugierige Besucher sehen. Der schmale Gang hinter der Tür war dunkel und nur von einer Kerze erhellt. Auch hier führten wieder je eine Tür nach links und nach rechts ab. Stabile Metallgittertüren. Sie blickte hindurch. Der Raum zur Linken war ebenfalls für Besucher gedacht, die über ein paar Nächte bleiben sollten. Anstelle von Betten hatte man hier jedoch nur etwas Stroh verteilt. In die Wände waren dicke Ösen eingelassen. Zweckmäßig, befand Marleen und lobte Cristobal erneut gedanklich.

Sie löste sich von dem Anblick und wandte sich der anderen Gittertür zu. Sie war unverschlossen und so trat Marleen in den Befragungsraum.

Leichte Erregung breitete sich in ihr aus. Der Raum wirkte noch etwas steril und kahl, aber auch hier entsprach die Einrichtung vollständig dem Zweck der Kammer. An einer Wand hingen schwere Ketten, die darauf warteten, einem Verräter um die Glieder geschlungen zu werden. Marleen trat vor und strich über ein Kettenglied. Zwischen ihren Fingern fühlte sich das kalte Metall angenehm an. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie ein Delinquent hier schreiend gegen seine Fesseln kämpfte, während sie ihm langsam und gründlich zusetzte. Ein schauerlicher Genuss breitete sich in ihr aus. Sie atmete tief durch und ging forschend weiter.

Der Raum war größer als sie erwartet hatte. Im vorderen Teil gab es einen etwas größeren Freiraum, ein Kohlebecken, ein Wasserfass sowie einen soliden Steintisch als Ablagefläche. In der Mitte des Raumes teilte ihn eine Art gemauerte Werkbank, welche nicht nur zum Ablegen von schwerem Arbeitsgerät einlud, sondern mit eingelassenen Ösen an praktischen Stellen auch zum Fixieren widerspenstiger Personen. Im hinteren Teil stand ein hölzerner Stuhl, der mit Nägeln gespickt und mit Lederriemen versehen war. Das Leder verströmte einen frischen Geruch.

Sogar an eine kleine Nische mit Stuhl und Schreibtisch für einen Protokollführer hatte man gedacht. Der Ort war ideal, um mit mehreren Personen ein sehr gründliches Verhör durchzuführen und dem Reich und den Kindern des einzig wahren Gottes damit einen unschätzbaren Dienst zu erweisen. Als wichtiges Instrument zur Entlarvung von Verrätern und Ketzern schätzte die Priesterin die peinliche Wahrheitsfindung sehr. Und es machte ihr auch persönlich eine große Freude. Endlich gab es einen Ort, an dem sie ihrer Leidenschaft ungehindert frönen konnte. Es war ein Ort, an dem sie sich nicht zu verstellen brauchte.

Bevor sie den Raum verließ, ließ sie ihren Blick noch einmal über die Ablageflächen schweifen. Sie würde ihr Werkzeug hierher bringen, damit es endlich wieder einen geeigneten Platz hatte.

Marleen fühlte einen tiefen Frieden, als sie aus dem Kellergewölbe zurück ins Tageslicht trat. Erneut war ein wichtiger Schritt getan. Hier, in den Tiefen der neuen heiligen Stadt, hatte sie ein Heiligtum der Qual errichtet. Einen Ort, an dem sie Asmodan, ihrem dunklen Vater, Ehre erweisen konnte. Und die rote Priesterin ahnte, dass dieser Ort bald von Schreien erfüllt sein würde.

Sie lächelte sanft.