Unbelehrbar. Stur. Taub gegenüber allem, was über ihre eigene Sicht hinausging. Die Gedanken wälzten sich durch Marleens Geist, schwer und brennend wie ein Mahlstrom glühender Lava. Cataleya – mit ihrem starrsinnigen Blick, ihrem Stolz, der sich wie ein scharfkantiger Schild um ihre Seele legte. Sie hörte nicht zu. Sie hörte niemals zu. Worte prallten an ihr ab wie Regen an Stein, versickerten nutzlos in der Erde, ohne auch nur einen Hauch von Erkenntnis zu hinterlassen.
Marleen hatte gehofft, dass die Zeit der Wächterin Klarheit brachte, dass es ihren Horizont öffnete und ihr Weitsicht schenkte. Doch stattdessen blieb sie in ihrem sturen, aufbrausenden Wesen gefangen, reagierte wie immer nicht mit Überlegung, sondern mit impulsiver Wut. Marleen spürte es – ihr eigenes Temperament, wie es in ihr aufkochte, sich wie eine brodelnde Masse durch ihre Adern schob und ihre Wangen zum Glühen brachte.
Diese Frau... Diese Frau mit ihrer halsstarrigen Art, mit ihrer sturen Unfähigkeit, über ihren eigenen Schatten zu springen – sie hatte die Priesterin an den Rand ihrer Beherrschung gebracht. Marleen hörte noch immer ihre Stimme im Geist, dieses unsägliche Ich habe mich vorbereitet! Ich habe nach Surom geführt! Ich prügel einen Paladin nach dem anderen aus dem Reich! Ich will aber Messen im Tempel halten! Ich, ich, ich! Ihre Selbstsucht triefte aus jeder Silbe, aus jedem Atemzug. Wie konnte sie es nicht sehen? Wie konnte sie derart überzeugt sein, ohne auch nur einen Moment innezuhalten und sich zu fragen, ob es noch eine Wahrheit hinter ihrer Wahrheit gibt? Sie achtete den tiefen und echten Glauben der Wächterin. Auch das Handeln Cataleyas respektierte sie. Doch Achtung war nicht dasselbe wie Zustimmung, und die Ordnung musste unter allen Umständen aufrechterhalten werden!
Die Priesterin war kurz davor gewesen, den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung zu verlieren. Die Kriegerin zu packen, sie endlich das Brennen ihrer Wut spüren lassen, sie zwingen, sich zu fügen. Aber sie tat es nicht. Stattdessen wählte sie Worte, schneidender als jede scharfe Klaue. Direkte und ungeschönte Worte, die heilsames Potential hatten. Oder vernichtendes, je nachdem.
Worte über Trotz, Starrsinnigkeit und Egoismus. Über Rollen und Aufgaben, die vorrangig dem Gemeinwohl dienen sollten und nicht der Erfüllung persönlicher Wünsche. Worte über Schwäche, Verletzlichkeit und Selbstmitleid. Klare Worte über fehlende Weitsicht und Erfahrung, die selbst im Angesicht ihrer bedeutsamen Stellung im Reich nicht reifen würden. Und schließlich die Klarstellung, dass sie sich momentan nicht auf dem Pfad befand, der einer Dunklen Templerin würdig war.
Und dann – der Moment. Der Blick in ihren Augen. Diese kurze Regung, kaum wahrnehmbar, aber da. Ein Splitter des Zweifels, ein Riss in der festgefahrenen Maske der Wut. Das erste sichtbare Ergebnis war eine Flucht aus der Situation. Das nicht sichtbare sollte sich zeigen.
Es zeigte sich rasch danach.
Marleen atmete bewusst tief aus, lange, kontrolliert. Den Sturm aus Feuer tief in ihr Inneres verbannend, die Gedanken straffend und von Wut befreiend.
Hatte sie als Priesterin richtig gehandelt? Hatte es dem Reich Stärke oder Schwäche gebracht, die Wächterin vor dem Freitod zu retten? Würde Cataleya unter dem Druck geformt und härter werden? Oder würde sie früher oder später doch zerbrechen?
Es wäre einfach, hätten die Priester immer auf alles eine Antwort. Eine Antwort, die ihnen direkt von ihrem Gott eingegeben wurde. Doch sie waren nur ebenso nur Diener SEINER Herrlichkeit mit der Maßgabe, SEINE Kinder weise und vorausschauend zu lenken. Die Priester konnten irren und falsch entscheiden. Allein, dass die Rettung der Wächterin so einfach gelang, konnte als positives Zeichen gedeutet werden, als Wohlwollen des Namenlosen, diese Menschenfrau doch nicht beim ersten Straucheln gleich fallenzulassen, sondern ihr die Möglichkeit zu geben, stärker zu werden.
Ein Beobachter könnte Marleen in tiefer Meditation in der Kammer des Ostwindes erblickt haben. Mit ruhiger Atmung und fester Haltung. Kein Anzeichen von dem inneren Tornado aus Feuer, der nach Zerstörung schrie.
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[OOC-Disclaimer: Die dargestellten Gedanken und Handlungen entsprechen der subjektiven Wahrnehmung des Charakters 'Marleen Lamont' und können sich aus einer anderen Perspektive abweichend darstellen.]
Gedanken einer Priesterin
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