Wer hat von meinem...?
Eines Abends, als der Wind über die Stämme pfiff und die Moose unter den Sohlen federweich nachgaben, stolperte Bjornar auf eine Schar Bärenfreunde. Diese Bären waren eine wahrhaft seltsame Truppe: Knaskeklo, der in jeder Honigwabe ein verlorenes Königreich sah; Tapsfot, der auf eigener Tatze stand, als balancierte er auf Glatteis; Rullebjørn, der so ausladend rollte, dass man die Erde unter ihm knirschen hörte; und weitere bärige Gestalten, deren Namen klangen, als hätte jemand im Halbschlaf über eine Klaviertastatur gestolpert.
Bjornar sprach zu ihnen von einem Ort, der wärmer und geräumiger war als jede Höhle, von einer Wunderstätte, in der es immer etwas zu beißen gab: dem Langhaus im Dorf Fjellgatt. Die Bären lauschten mit gespitzten Ohren. Sie waren bei weitem nicht dumm, doch Essen und Bequemlichkeit konnte man ihnen nur schwer verwehren.
Also trotteten sie hinter Bjornar her. Als sie durch das Dorf zogen, brummten die Svag etwas von „Wilder Kerl!“ oder „Da kommt der verrückte Björn-Bube wieder!“, doch niemand wagte einzugreifen. Wen wundert’s, wenn man mit einer ganzen Kompanie Pelzträger ankommt, die aussehen, als würden sie jeden Moment am liebsten ein Gasthaus verschlingen.
Endlich erreichten sie das Langhaus. Bjornar, der sich so selbstverständlich darin bewegte, als hätte er statt Menschenhand einst eine Bärentatze zum Führen gehabt, deckte einen Tisch, der dem Schlaraffenland zur Ehre gereicht hätte: Schüsseln mit Brei, Berge von Beeren, Fleischstücke so groß wie Schilder, und Honigtöpfe, von denen ein Bienenschwarm schwärmerisch geträumt hätte.„Auf, zum Wettfressen!“ rief er, von Begeisterung erfüllt: „Ich besieg Euch allesamt!“
Die Bären begannen zu mampfen, zu schlingen und zu schmatzen, wie es der Welt in ihren schlimmsten Albträumen nie eingefallen wäre. Sie fraßen nicht nur den Inhalt der Schüsseln, sondern bald schienen sie auch das Inventar des Langhauses zu prüfen. Was nicht festgeschraubt war, verschwand in ihrem Rachen: Holzbänke, Stuhlbeine, ein halber Baldachin. Während Bjornar mit rot glühenden Wangen versuchte mitzuhalten, tobte im Saal ein Schmaus, der mit jedem Schluck und jedem Bissen die Wände zum Wanken brachte. Am Ende war der Raum verwüstet wie nach einem Fest, bei dem keiner mehr wusste, wer eingeladen war.
Erschöpft ließ sich Bjornar zwischen ein paar Krümeln und halben Stuhlresten nieder. Die Bären, vollgefressen und schwer wie schlaftrunkene Steine, warfen sich auf den Boden rund um ihn herum und schnarchten los. In seinem Schlaf träumte Bjornar von einer mächtigen Gestalt: ein Oberbär, größer als ein Scheunentor, mit Augen, die so streng waren wie ein Wintermorgen - der gefürchtete Lothar-Rashka: „Wer hat von meinem Brei gegessen?“ brüllte dieser. „Wer hat auf meinem Stuhl gesessen? Und wer zum Donner schlummert in meinem Bett?“ Jede Frage klang, als komme sie aus einem Maul, das mit einem Gebirge gefüllt war.
Bjornar fuhr aus dem Schlaf hoch. Der Schnarchchor der Bären war ihm ein schwacher Trost. Die Silhouetten der zerbissenen Möbel und der leergefegten Teller standen wie Gespenster um ihn herum. Ohne ein weiteres Wort, ohne Abschiedsruf sprang er auf und jagte aus dem Langhaus hinaus, zurück in den Schutz der Bäume und des weichen Unterholzes.Die Bären wurden kurz wach, schüttelten die schweren Köpfe, und als einer fragte „Wo is’ denn der Kleine hin?“ antwortete ein anderer nur mit einem Gähnen. Schon bald verloren sie ihr Interesse an der Sache, rollten sich noch tiefer in die Trümmer des Langhauses und fielen in einen Schlaf, so tief wie die Wurzeln der alten Tannen.
Und so blieb am Ende nur die flüchtige Ahnung, dass Bjornar, das Waldkind, lieber wieder auf allzu menschliche Gemächer verzichten und im Schoß der Natur – oder wer weiß, vielleicht wieder im brummenden Schutz eines Bärenfells – seinen nächsten Schlaf halten würde. Denn wenn ein Junge, der stets zwischen Tannennadeln und Tatzen lebte, etwas wusste, dann dies: Es gibt einen Unterschied zwischen satt und glücklich – und manchmal ist Glück ein stiller Wald, weit weg von hungrigen Mäulern und zerbrochenen Stühlen.