Schon beim Aufwachen hatte sie tiefes Unbehagen verspürt. Welches sie auch den gesamten gestrigen Tag - wie eine dunkle, bedrohliche Gewitterwolke über ihrem Kopf - verfolgt und jeden ihrer Schritte und Handgriffe begleitet hatte. Unbestimmbar, man konnte nicht den Finger darauflegen und vorhersagen, was genau passieren würde, aber die Gewissheit, dass ‘etwas‘ passieren würde, war permanent vorhanden. Wie könnte es aber auch anders sein? Dieser Tag war schließlich ein wichtiger, denn er sollte das Leben von Katherine – Bundmagierin, aber was noch viel gewichtiger war, eine ihrer engsten und geschätztesten Vertrauten - maßgeblich verändern. Nein, nicht nur verändern.. es wieder, unter den vorherrschenden Umständen, eben.. soweit wie möglich, ins Lot bringen. Aber das gesamte Vorhaben war nicht nur von den Fähigkeiten der anderen Ritualisten abhängig - in diese hatte sie keine Zweifel, allen voran Balthasar vertraute sie schließlich blind - es ging hier aber um Jazzar und allein die Tatsache, dass er sich gewiss zum Handeln genötigt oder bedroht fühlen würde, vermittelte ihr das untrügliche Bauchgefühl, das etwas Schlimmes passieren würde.
Als sie die Magieakademie betrat, war selbst Katherine anzumerken, dass sie einen Teil ihrer eher ruhig und kühl-distanziert wirkenden Art eingebüßt hatte und angespannter war als gewöhnlich. Xa’Velle bemühte sich zwar redlich, sich nichts anmerken zu lassen, aber als sie geraume Zeit später gemeinsam mit Balthasar, Davion, Rorek und Vyktorya die Treppen zum Ritualraum der Akademie hinunterstieg, war ihr deutlich bewusst, dass ihr das mehr schlecht als recht gelungen war.
Das Jazzar kein Dummkopf und äußerste Vorsicht geboten war, war allen Beteiligten durchaus bewusst, so war es auch nicht verwunderlich, dass Vorkehrungen getroffen wurden. Indem man eine Barriere aus knisternder Energie errichtete, wollte man Katherine, oder besser gesagt Jazzar (falls er sie denn dazu bringen würde) daran hindern, das geplante Ritual zu stören. Doch während die hochrangige Magierschaft im Keller der Akademie tat, weswegen sie an diesem Abend zusammengefunden hatten, bahnte sich oben im Foyer Böses an: Denn was tatsächlich passierte, war weitaus verheerender als ein nicht geglückter Zauber oder ein unterbrochenes Ritual gewesen..

Nach einem verabredeten Standortwechsel im Unterreich wurde die weitere Vorgehensweise beratschlagt. Nachdem Balthasar – der in der Akademie zurückgeblieben war und auf Informationen gehofft hatte – und Vyktorya, die eine erste Erkundung der Lage (in winziger, aber schauderlicher Gestalt) vornahm und sich gleichzeitig auch nach dem Verbleib des Sturmrufers umsehen wollte, gemeinsam zu den drei Anderen zurückkehrten, konnte Xa’Velle wenigstens etwas aufatmen. Das Verschnaufen war jedoch nur von kurzer Dauer, denn nun waren ihre Fähigkeiten gefragt. Ein zweites Mal an diesem Abend bündelten die Magier ihre Kräfte und unterstützten Xa beim Wirken ihres Zaubers. Das Ergebnis waren exakte Kopien von Katherines verzaubertem Magierstab - eine Kopie für jeden von ihnen einen, auch Cecilia, die beim Ritual selbst nicht zugegen sein konnte, würde eine für das Auge vom Original nicht zu unterscheidende Kopie erhalten.

Doch für den nächsten Schritt müsste Xa'Velle sich erst einmal ein wenig Schlaf gönnen, denn inzwischen sah man der Drachenmagierin deutlich an, dass das Zauberwirken sie körperlich erschöpfte.
Kaum im wohnzimmerlichen Kissenmeer eingesunken, an der Schulter des Sturmrufers angeschmiegt, galt ihr letzter Gedanke, bevor die wattigweiche Schwärze des Schlafes sie umfing, Katherine und der Frage, ob sie noch kämpfte, oder..
* * *
Balthasar hatte sie schlafen und ihre Kräfte regenerieren lassen, während er mithilfe seiner Magie sein außerordentliches handwerkliches Geschick einmal mehr unter Beweis gestellt hatte. Auf Vyktoryas hervorragende Idee hin, würde die Idee eines ‘heimlichen Mitteilungsmediums‘, auf das sie Alle Zugriff haben würden, umgesetzt werden, bis das finale Mittel der Wahl ausgeklügelt genug wäre, um Verwendung zu finden. Bisweilen würde man sich eben mit einer simplen Schreibtafel begnügen.

Der Illusionszauber, den sie gestern schon einmal gewirkt hatte, fand auch heute wieder Verwendung. Die Worte der Macht gingen ihr leicht von der Zunge, jetzt wo ihre Kräfte zur Gänze wiederhergestellt waren. Im Nu war der Zauber gewirkt und das nunmehr verzauberte Objekt wirkte durch die täuschend echte Illusion in der Wohnküche des kleinen Häuschens derart fehl am Platze, dass ihr fast schon ein wenig zum Schmunzeln zumute war. Aber auch nur fast- in erster Linie herrschte nämlich die Sorge um ihre Freundin vor, weshalb es nur zu einer faden Grimasse reichte. Xa‘Velle weigerte sich strikt, ihre Gedanken allzu weit schweifen zu lassen. Jazzar mochte zwar im Moment die Oberhand haben, aber irgendwo tief drin in der hübschen, körperlichen Hülle Kathrines, würde noch etwas von ihrer Seele übrig sein- ein anderes Szenario konnte ihr Verstand einfach nicht zulassen! Im Schutze der Dunkelheit eröffnete sie einen magischen Pfad, vergewisserte sich eilig unter Zuhilfenahme eines Zaubers, der in der Lage war, Unsichtbare aufzudecken, dass sie auch tatsächlich allein war und brachte das verzauberte Objekt schließlich zu dem Ort, an dem sie sich gestern voneinander getrennt hatten. Leider gab es noch keine Neuigkeiten, weshalb sie auch keine erste Nachricht hinterliess.
Auf dem Rückweg hatte sie noch in der Akademie nach dem Rechten sehen wollen und erschrocken den bemitleidenswerten Zustand Moiras, der Assistentin und Empfangsdame, entdeckt. Jazzar, dieses Scheusal! Er hatte ihr gehörig zugesetzt und allem Anschein nach, ihren Kopf mit voller Wucht gegen die Schreibtischplatte geschlagen. Rasch trug sie ihre gewohnten Utensilien zusammen – eine Waschschüssel, saubere Tücher, kleine Tiegelchen, die mit aromatischen Pasten gefüllt waren, Nadel und Faden – und machte sich ans Werk, um die unschöne Platzwunde zu versorgen. Die zornig rote Wunde, die ihr da entgegen starrte, ließ sie selbst ärgerlich werden, doch nachdem sie zusätzlich noch einen Zauber gewirkt hatte, konnte man bereits sehen, wie die Wundränder an den winzigen Stichen, die ihre Nadel hinterlassen hatte, bereits die Farbe heilenden Gewebes annahmen. Der massige Bluterguss der einen Teil des Gesichts 'zierte' verlor glücklicherweise auch zusehends an Farbkraft. Behutsam legte sie ihr noch einen Verband an, doch Kopfschmerzen und womöglich auch Übelkeit und Schwindel, aufgrund der vermeintlichen Gehirnerschütterung, würden wohl noch einige Tage lang Moiras ständige Begleiter sein. Ein Tiegelchen Heilsalbe für Schulter und Hüfte, die den Sturz vom Hocker abgefangen hatten, als sie das Bewusstsein verlor, drückte Xa ihr in die Hand und erklärte, dass sie morgens und abends die schmerzenden Stellen mit der Paste bestreichen solle. In der Hoffnung, Moiras Pein ein wenig zu lindern, gab sie ihr noch einige Heiltränke, bevor sie sich wieder zurück zu ihrem Haus begab.
Nun hiess es erst einmal abwarten..