Vor 3 Tagen ..
Der Himmel über der Wüste erinnerte Fel an die Farbe von Blei - unbestimmt in den Schattierungen von Grau balancierend, ohne sich final für eine der möglichen Richtungen entscheiden zu können. Eine halbe Stunde mehr, so sinniert sie, gerade mit einem Schritt aus dem langen Schatten der alten Pyramide tretend, dann würde das Indigo mehr und mehr Gewicht gewinnen um schliesslich selbst Raum zu schaffen für die vermeintlich farblose Nacht.
'Aber jetzt noch nicht.'
Was der Wüste an Farbe fehlte, das brachte die vor den alten Steinen versammelte Truppe im Übermaß mit: Keine zwei der Anwesenden wirkten auch nur weitgehend gleich gekleidet, die Ausrüstung folgte einem sehr unterschiedlich empfundenen Dikat von Notwendigkeit und Ästhetik und diese oberflächlichen Unterschiede wirkten aus der Nähe betrachtet noch sehr viel deutlicher, wenn einem allfälligen Beobachter zwangsläufig bewussst werden würde, wieviele Mitglieder des Elfenvolks sich unter die Menschen gemischt hatten.
'Und das alles nur wegen einer paranoiden Anwandlung.'
Der Gedanke kam ohne Groll, bettete sich stattdessen in gewisse, sehr milde Erheiterung ein, die sich mit aller Macht bemühte den im Schatten liegenden Eingang zu dem alten Gemäuer zu ignorieren. Nicht von ungefähr war das Interesse der meisten Anwesenden für die antike, halb im Sand versunkene Ruine, gering: Die allermeisten würden den Sandsteinbau schon unzählige Male passiert haben, selbst vom Tor Solgards aus ließ sich die markante Form ohne Mühe ausmachen. Der Anblick war vertraut, die perfekte Ost-West Ausrichtung interessant, aber nicht atemberaubend.
Und dann war die Zeit der Sammlung auch schon vorüber, die ersten Bewaffneten bahnten sich den Weg in die Ruinen, verschwanden rasch in etwas, das einer überreizten Fantasie wie ein aufgerissener Schlund erscheinen musste. Die Dunkelheit verschluckte einen nach dem anderen, Menschen wie Elfen ohne Unterschied, bis Fel schliesslich selbst - als Letzte - vor den Eingang trat.
Das hier war nicht der Berg: Der Fußboden war zu eben, die Linien des Ganges viel zu gerade, einer Ästhetik folgend, die klare Formen bevorzugte anstelle der pragmatischen Notwendigkeit, die Stollen durch die Eingeweide des Berges getrieben hatte. Nicht einmal der Geruch war ähnlich, das stete, ferne Tropfen von Wasser war ebenso abwesend, wie das typische "Seufzen" des Berges, ausgelöst durch vor langer Zeit gebohrte Luftschächte, durch die der Wand strich.
Und dennoch: Als das natürliche Licht im Rücken zu einem bleigrauen Auge verblasste, fühlte Fel wie ihr Herz bis zum Hals klopfte, die Panik nur einen unbedachten Moment entfernt. Alles hier war anders und doch zugleich viel zu vertraut. Die Enge. Die drückende Dunkelheit, nur gerade eben so in Schach gehalten durch Fackeln und Laternen. Das Gewicht von Stein über dem Kopf. Der Geschmack abgestandener Luft.
Voraus, ausserhalb der Sicht der Halbelfe wurden Erkenntnisse mitgeteilt, die ganze auseinandergezogene Schlange an Eindringlingen bewegte sich mit stetiger Vorsicht nach vorn, alten Staub aufwirbelnd und die Ruhe von Spinnen störend, deren Netze in Fetzen an den Wänden zurückblieben. Von irgendwoher, so bildete Fel sich ein, war ein Flüstern zu vernehmen, tonloses, unverständliches Raunen, dem Seufzen des Windes gar nicht so unähnlich.
Es musste auch hier Mechanismen zur Luftzufuhr geben, Hilfsmittel, die vielleicht schon lange durch Sand verstopft waren, dem Vergessen anheimgefallen und schließlich der Gleichgültigkeit, nun passiert durch die Schar der Suchenden, die über Treppen hinabstiegen, bis "Rückweg" nur noch wie ein Wort erschien: Kraft und Bedeutungslos vor der machtvollen Realität eines dunklen, stillen Labyrinths.
'Es ist, wenn man so will, ein Grab.'
Lärm von voraus, dann weiteten sich die bedrängenden Gänge zu einer Kammer - erleuchtet durch die Fackeln der Anwesenden, deren orangenes Licht zuckende Schatten über Halbreliefe und einen prachtvollen Sarkophag warf. Auch hier hatten sich Spinnen eingenistet, ein Revier für sich erobert, das nun unmöglich vor den zweibeinigen Eindringlingen zu verteidigen war.
'Aber wovon leben sie? Was für eine Art von Beute verirrt sich bis hierher?'
Während andere der Anwesenden die Wände abklopften auf der Suche nach einem möglichen versteckten Durchgang, studierte Fel weiter die Reliefe, erleichtert für den Moment der Umklammerung der engen Gänge entkommen zu sein. Und vielleicht war dies hier ja auch das Ende der Reise? Der Wendepunkt von dem aus es nur noch nach vorn gehen konnte?
Knacken. Knirschen. Das Ächzen von Stein, als eine versteckte Tür nachgab, zur Seite geschoben wurde um dahinter einen neuen Tunnel zu enthüllen - staubfrei und ohne die geringste Spur der Spinnen. Aus Enthusiasmus wurde Unruhe, als ein riesiger Stein von einer Druckplatte freigegeben wurde und nahezu Fenrik überrollte.
Weiter. Nur immer weiter, vorbei an Bolzenfallen durch weitere, enger werdende Gänge, die eigenartig unberührt von der vergangenen Zeit erschienen, bis eine eingebrochene Stelle im Boden nüchtern das genaue Gegenteil verhieß: Vielleicht war all das hier über die Jahre hinweg unentdeckt, unberührt geblieben, aber nichts vermochte letztlich dem Zahn der Zeit zu entkommen.
'Es ist in der Tat ein Grab.'
Der Gedanke kam mit ungerufener, ungewollter Morbidität, als sich voran bleiche Knochen selbstständig vom Boden erhoben und die Eindringlinge direkt nach der gefährlichen Stelle attackierte. Für bange Momente schien es, als wäre die untote Agilität und Sturheit ausreichend um die kleine Vorhut zu überwältigen, bevor mehr Hilfe über Balken und Reste von Stützpfeilern schliesslich in den Kampf eingreifen konnte.
Für Fel, die beinahe als Letzte den Übergang wagte, blieb nur die zerschlagenen Knochen zu studieren. Wer hatte den Weg hierher gefunden? Die Intaktheit der Fallen, die gänzliche Unversehrtheit des Zugangs - sie beide verhiessen, dass diese untoten Wächter schon vor der finalen Versiegelung hier gewesen sein mussten.
'Und das machte unser ganzen Hiersein zu etwas vollkommen Undurchsichtigem. Wie sollte jemand Livius hierher locken? Wenn das ein Streich ist, dann kaufe ich extra einen Hut, nur um ihn ziehen zu können und verschenke ihn danach an Ba'thal.'
Dann verblassten all diese Gedanken als Stimmen von vorn zu vernehmen waren und das Licht der Fackeln beleuchtete im nächsten Durchgang aufgehäufte Schätze, Gold und Geschmiede, Vasen aus edlem Metall und geschmückt mit Edelsteinen - eine geradezu willkürlich anmutende Sammlung, zusammengerafft wie der Hort eines Drachen - und vermeintlich behütet durch eine im Hintergrund glühende lebendig wirkende Maske als Barriere vor einem weiteren, tiefer hinabführendem Gang.
'Nichts davon ist .. oh...'
Es wäre weit von der Wahrheit entfernt, dass Fel sich nichts aus Reichtümern machte - ganz im Gegenteil. Die Vergangenheit hatte sie schlicht wieder und wieder gelehrt, dass Reichtum auch verteidigt werden musste, immer Neider auf den Plan rief. Aber jetzt, da sich ihre Wahrnehmung ohne Mühe schärfte und auf eine einzelne Lampe unter all den Schätzen konzentrierte, waren solche mahnenden Gedanken fern. All das Gold, das verstand sie in diesem Moment, war kaum mehr als eine Ablenkung, eine glänzende Scharade, drapiert um dieses ..
Ihr Herz zog sich in galligem Neid zusammen, als Fenrik genau diese Lampe griff, kommentiert durch ein Seufzen und Stöhnen von allen Umstehenden.
'Sie haben es alle gesehen. Natürlich. Wenn dieser Schatz als Tarnung gedacht war, dann hat er sein Ziel verfehlt ..'
Wer Zeit um sich Gedanken über Ablenkungsmanöver und die Implikation des Fehlschlags selbiger zu machen blieb jedoch nicht: Schwarzer Rauch begann aus der Lampe zu strömen, zeitgleich setzten machtvolle Vibrationen ein, die die Lampe aus der Hand befreiten und zu Boden rollen ließen, zumindest für den Moment wieder mit dem Schatz vereint. Nur Momente später zog der Rauch sich zusammen um eine zumindest vage menschenähnliche Gestalt zu formen.
"Tausende... über Tausende... über Tausende... nun bin ich frei!"
Das Schweigen der Umstehenden, während die Wesenheit sich vor Lachen schüttelte, wirkte peinlich berührt, ging jedoch rasch in eine Flut von Geflüster, von Mutmaßungen und Meinungen über, bevor sich voraus ein Dialog entspann zwischen der Kreatur und dem ehrlichen Finder der Lampe entspann.
"Ich bin der Große Sul`azir vom Glühenden Sand, meines Zeichen Dschinni. Gib mir meine Lampe und spiele nicht mit mir!"
"Ich habe dich befreit. Glaube ich. Das muss doch etwas wert sein."
"Dein Leben, Glückwunsch, du darfst es behalten."
Im Hintergrund, während des Zwiegesprächs, beklagte sich eine der beiden Maske über die feige Flucht ihres Bruders, ihre Warnungen ebenso überhört wie die Drohungen und Verheissungen kommenden Unheils - alle Konzentration der Eindringlinge lag bei dem Dschinni, der sich nun, im Besitz seiner Lampe, nur noch mit einer einzigen Warnung zufriedengab, bevor er sich zur verbleibenden, den Gang blockierenden Maske wandte.
"Nehmt ihr auch nur eine einzzzzige Münze an euch, wird es euch leid tun."
Ein einziger Hieb mit der Handfläche, dann zersprang die Maske auch schon, die Barriere dahinter in gleicher Weise ganz beiläufig zerschmettert.
"Ich sage euch nur eines, geht vorran und euch wird großes Unheil erwarten."
Das sollten die letzten, fast schon gönnerhaften Worte des Dschinni sein, bevor er sich wieder in Rauch verwandelte und - seine Lampe mit sich tragend - verschwand.
Wie allen anderen Anwesenden blieb Fel nur hinterherzugaffen.
'Dschinni. Nie gehört. An diese Lampe als Anker gebunden? Sicher weiss Livius mehr darüber.'
Über all der Aufregung war die Panik nahezu vergessen, in den Hintergrund gedrückt, bis sich die Ersten schon wieder in Bewegung setzten, dem zuvor verschlossenen Durchgang entgegenstrebend. Staubiger Nebel hing dort in der Luft, vage beleuchtet durch das Schimmern eines Portals, das sich scheinbar beim ersten Schritt in den Gang hinein zu schliessen begann.
'Und ich könnte schwören der Staub hing gerade eben noch bewegungslos.'
Der Vormarsch zerwirbelte die Schwaden rasch, trieb sie auseinander auf dem Weg zur nächsten - letzten - Kammer: Kein Weg führte von hier aus weiter, die ganze Rückseite war eingenommen von einem prachtvollen, wenn auch von der Zeit gezeichnetem Mosaik, das verschiedene Szenen der Verehrung gegenüber Sternendrachen zeigte.
Davor befand sich ein Altar aus schwarzem, poliertem Stein mit einigen darin eingelegten Metallfäden.
'Eine mir unbekannte Runenkombination. Aus dem Zentrum heraus betrachtet und dann entsprechend rotiert, könnte es sich um eine Zusammenbindung von "Gegenwart", "Reise" und "Zerstörung" handeln, aber es fehlen alle Zusatzelemente. Es könnte allerdings auch ein Sternbild sein. Und was ist das für ein Pergament direkt daneben? Es sieht .. brandneu aus. Völlig unmöglich natürlich, diese Kammer liegt seit Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten einsam und vergessen.'
Die Konzentration auf diesen Widerspruch ließ Fel zunächst die Sternenkugel im Hintergrund übersehen, auch wenn dieses Relikt das Interesse Livis deutlich mehr erregte als das Schriftstück: Auf filigranen Füßen aus Valorit ruhte ein Ring, der selbst als Auflage für eine aus Kristall geformte Kugel diente, deren gleichmässige Form durch ein unregelmässiges Loch gestört wurde, Staub und Schmutz fanden sich auf der Oberfläche, ließen aber dennoch einige Runenzeichen erkennen.
Die allgemeine Aufmerksamkeit wurde gebündelt als Ba'thal schliesslich das Pergament entfaltete und zu verlesen begann, einschliesslich der direkten Ansprache an Livius, die sich nahe dem Ende befand. Auch hier, wie so oft an diesem Tage schon, fand sich eine Warnung ganz am Ende:
"Doch gib davor Acht, mit wem du dieses Wissen teilst. Mögen die Sterne dir den richtigen Weg leiten."
Diese unheilvolle Mahnung bedeutete das Ende der Expedition, ein heraufbeschworenes Portal brachte die Reisenden wieder hinauf vor die Pyramide.
Nur einige wenige von ihnen waren in der Lage das Beben in der Astralebene wahrzunehmen, das in diesem Moment erfolgte. Etwas hatte sich verändert.