Die Legenden des Nordvolkes kommen oft aus zwei Richtungen.
Die eine sind Legenden von Heldentaten. Wenn ein Barbar ein besonders ehrenhaftes und ruhmreiches Leben geführt hat geht er nach seinem Tod in die Ahnenhallen ein. Bei wahrhaften Heldentaten erhält er sogar einen Platz an Sarmatijaschs Tafel.
Die andere Richtung sind Geschichten unehrenhaften Taten und Lebensweisen. Stirbt ein Barbar in furcht wird ihm der Zugang zu den Ahnenhallen verwehrt und er wandelt in der Zwischenwelt. Wird der verstorbene vergessen - verschwinden die Erinnerungen an ihn und seine Taten - verschwindet die Seele. Aus dieser Richtung kommen auch Geschichten von Drochsalen. Sie haben solch abscheuliche Gräueltaten begangen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten können und sollen. Skalden tragen diese Geschichten weiter, sodass ein Vergessen ausgeschlossen ist. Die Kunst dabei ist sie in Erinnerung zu halten, aber nicht wieder zum Leben erwecken, denn wenn die Geschichten zum Mythos werden kann es passieren, dass sich das Drochsal wieder auf unserer Ebene manifestiert. Sollte das passieren liegt es in ihrer Verantwortung den Stamm mit anderen Geschichten abzulenken und so die Erinnerung wieder zu schwächen. Allerdings dienen solche Geschichten auch als Ermahnung, solch einen Weg nicht einzuschlagen.
Als Gegensatz zu Dochsalgeschichten können auch Aisling eingesetzt werden. Das sind frei erfundene Geschichten. Man könnte sie auch Fabeln nennen, die meist eine Moral oder eine Lehre enthalten.
Hier nun eine Drochsalgeschichte, als Mahnung für Bjornar diesem Weg nicht zu folgen.
Nidgrim der Eifersüchtige – Eine dunkle Geschichte
In einem abgelegenen Dorf lebte Nidgrim, ein starker Krieger, der für seine Eifersucht bekannt war. Als seine Frau sich einem anderen Mann zuwandte, wurde sein Herz schwer und er konnte den Schmerz nicht überwinden. Dieser Mann, dem sich die Frau zuwandte, war kein geringerer als der Jothar, ein stolzer Krieger und der führer seines Stammes, der bei Nidgrim nur noch mehr Zorn und Eifersucht auslöste.
Statt jedoch den Mut zu finden, den Jothar herauszufordern und um seine Frau zu kämpfen, verfiel Nidgrim in eine düstere Stimmung. Er verließ das Dorf, getrieben von Wut und Schmerz. Auf seinem Weg durch den Wald fand er ein Reh, das friedlich im Schatten eines Baumes lag. In seinem Zorn tötete Nidgrim das Tier, doch anstatt das Fell und seine Einzelteile zu nutzen und zu ehren, warf er den faulenden Kadaver in die Quelle, aus sich der Brunnen des Dorfes speiste.
Sein Ziel war es, das Wasser zu vergiften, um das ganze Dorf zu bestrafen und seinen Schmerz spüren zu lassen. Er glaubte, dass so seine Schmerzen und seine Eifersucht gestillt werden konnte. Die Konsequenzen daraus nahm er in Kauf. Die Leere seines Herzens verschwand dadurch jedoch nicht.
Bald darauf begann das Trinkwasser des Dorfes unrein zu werden. Es wurde trüb und die Dorfbewohner wurden krank. Die Krankheit breitete sich aus, und das Dorf, das einst in Frieden lebte, wurde von Leid und Tod heimgesucht.
Als die Ältesten des Dorfes erkannten, was geschehen war, war es zu spät. Das Dorf war bereits zu schwer getroffen. Die Dunkelheit, die Nidgrim in seinem Herzen trug, hat alles zerstört.
Nidgrim wurde daraufhin vom Jothar verbannt, und sein Herz blieb schwer vor Reue. Er hatte den Zorn und die Eifersucht nicht überwunden, und sein Hass hatte alles zerstört – sein eigenes Leben, das Leben seiner Gemeinschaft und seine Seele. Nachdem er starb ging er nicht in die Halle der Ahnen ein, sondern fristete seinen schäbigen Verbleib als Drochsal, zur Mahnung aller Eifersüchtigen, seinem Weg nicht zu folgen.
Legenden des Nordvolkes
- Solvaig Sangridhur
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- Solvaig Sangridhur
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Re: Legenden des Nordvolkes
Hinter gleich eine erfundene Geschichte um Bjornar vielleicht wieder auf den rechten Weg zurück zu bringen
Eines Winters kam Thorvald Wolfssohn, ein Jarl eines anderen Dorfes, zu Besuch, dessen Rede weich und dessen Augen sanft waren. Bald bemerkte Jörmundgrím, wie Sigridurs Blicke dem Fremden folgten wie Möwen einem Fischerschiff. Als Jörmundgrím fragte, ob ihr Herz noch sein sei, antwortete Sigridur klar wie Eis: „Mein Herz folgt dem Wind. Einst brauchte ich deine Kraft, doch jetzt sehne ich mich nach seiner Sanftheit.“
Mit diesen Worten schlüpfte ein Ei in Jörmundgríms Brust – das Ei des Afundsormr, des Eifersuchtswurmes. Er wächst im Dunkeln der Seele, genährt von Zweifeln und Bitterkeit. Wo Liebe war, bringt er Gift, wo Vertrauen war, sät er Verdacht.
In Jörmundgríms Brust wuchs der Wurm schnell, nährte sich von jedem Lächeln, das Sigridur Thorvald schenkte. Doch Jörmundgrím wagte nicht, Thorvald herauszufordern – einen Jarl zu erschlagen hieß, Krieg über das ganze Dorf zu bringen. Und so nährte der Wurm sich weiter von Jörmundgríms Zorn.
Als zur Sonnenwende Thorvald neben Sigridur saß und ihre Hand die seine berührte, schlich Jörmundgrím, blind vor Schmerz, zur Augsquelle, dem heiligen Brunnen des Dorfes. Dort sah er einen weißen Hirsch trinken – ein Gemahl Grimlas, unschuldig und rein. Doch in seiner Verblendung sah Jörmundgrím nur Hohn und Spott in dessen Augen. Er erschlug den Hirsch, warf dessen Leichnam ins heilige Wasser und sprach: „Wie mein Herz zerreißt, so soll alles verderben, was ihr liebt.“
Aus dieser Tat, geboren aus Blut und Bitterkeit, kroch der Afundsormr hervor. Grau und schleimig, mit Spinnenbeinen und bernsteingelben Augen, schlich er ins Dorf und flüsterte den Schlafenden zu:
„Dein Freund begehrt deine Frau.“
„Dein Bruder beneidet deinen Besitz.“
„Sie lachen hinter deinem Rücken.“
Bald schmeckte das Wasser der Quelle nach Verrat. Alte Freundschaften zerbrachen, Liebe wurde zu Hass, und Misstrauen kroch in jedes Herz. Nur Sigridur widerstand dem Gift, denn wer seinem Herzen folgt, ist schwerer zu täuschen.
„Ich weiß, wer das Monster gerufen hat“, sprach sie zum Dorf und fand Jörmundgrím in seiner Hütte, blass wie Schnee. „Du konntest mich nicht gehen lassen“, sagte sie, „doch anstatt gegen Thorvald zu kämpfen oder meine Wahl zu akzeptieren, hast du den Afundsormr auf uns gehetzt. Nun frisst er uns alle.“
Da sah Jörmundgrím klar – zum ersten Mal seit langer Zeit. „Was muss ich tun?“
„Du musst das Wesen zerstören, das du erschufst“, erwiderte sie. „Doch dafür musst du zuerst die Wahrheit erkennen.“
Jörmundgrím ging zur Quelle, begleitet vom halben Dorf. Dort, im schwarzen, brodelnden Wasser, sprach er laut und klar: „Nicht Sigridur betrog mich, nicht Thorvald stahl mir, was ich besaß. Ich selbst erschuf mein Elend. Mein Misstrauen, meine Furcht – sie allein sind schuld.“
Und mit diesen Worten stieß er sein Schwert in die Quelle. Ein Schrei hallte auf, laut genug, um Götter zu wecken. Der Wurm in seiner Brust wand sich vor Schmerz, und Jörmundgrím griff hinein, öffnete sein Fleisch mit bloßen Händen und zog das zappelnde, grausige Wesen heraus. Er hielt es empor, den lebendigen Schatten seiner eigenen Schwäche, und zerquetschte es in seiner Faust. Der Wurm löste sich auf im Wasser der Quelle, das wieder rein wurde wie zuvor.
Jörmundgrím lebte, doch sein Herz war leer. „Du hast uns gerettet“, sagte Sigridur, „aber mein Herz gehört jetzt einem anderen. Kannst du damit leben, ohne dass ein neuer Wurm in dir heranwächst?“
„Ich werde es versuchen“, antwortete Jörmundgrím.
Der Rat beschloss, Jörmundgrím müsse gehen – nicht als Verbannter, sondern als Bote, der anderen von dem Wurm erzählt, der aus Eifersucht geboren wird. Bevor er ging, lehrte ihn die weise Gunnhild ein Ritual:
Eine Eisennadel erhitzt man, bis sie glüht, und hält sie dicht ans Herz. Dann spricht man leise:
„Wie Eisen Gift aus Wunden zieht,
so ziehe Wahrheit Gift aus meinem Herzen.“
Dann lässt man los, wie einen Vogel, den man liebt. Kehrt er zurück, war die Liebe wahr. Bleibt er fort – nun, dann war er nie dein.
Und Jörmundgrím ging fort, um diese Geschichte weiterzutragen, als Warnung und Mahnung. Man sagt, er wandere noch heute, und seine Stimme erklinge im Sturm, flüsternd und drängend: „Hütet euch vor dem Wurm im Herzen. Er frisst euch, bevor der Tod euch holt.“
So lehrt uns die Geschichte des Afundsormr, dass Eifersucht die größte Schwäche ist, Vertrauen aber die schwerste Tugend. Denn was man liebt, muss frei sein. Nur dann singt es ein Lied, das man hören will.
Jörmundgrím gebiert den Afundsormr - den Eifersuchtswurm
In den Zeiten, als die Vorfahren der Barbaren noch in der Alten, alten Welt wohnten, lebte in Knappavík der Krieger Jörmundgrím Rabenschwinge, ein Mann, dessen Kraft Legenden schrieb und dessen Herz Sigridur gehörte, deren Schönheit so tief war wie der Fjord, dessen Boden niemand je sah. Doch ein Herz ist kein Besitz, und ein Vogel in der Hand singt nicht.Eines Winters kam Thorvald Wolfssohn, ein Jarl eines anderen Dorfes, zu Besuch, dessen Rede weich und dessen Augen sanft waren. Bald bemerkte Jörmundgrím, wie Sigridurs Blicke dem Fremden folgten wie Möwen einem Fischerschiff. Als Jörmundgrím fragte, ob ihr Herz noch sein sei, antwortete Sigridur klar wie Eis: „Mein Herz folgt dem Wind. Einst brauchte ich deine Kraft, doch jetzt sehne ich mich nach seiner Sanftheit.“
Mit diesen Worten schlüpfte ein Ei in Jörmundgríms Brust – das Ei des Afundsormr, des Eifersuchtswurmes. Er wächst im Dunkeln der Seele, genährt von Zweifeln und Bitterkeit. Wo Liebe war, bringt er Gift, wo Vertrauen war, sät er Verdacht.
In Jörmundgríms Brust wuchs der Wurm schnell, nährte sich von jedem Lächeln, das Sigridur Thorvald schenkte. Doch Jörmundgrím wagte nicht, Thorvald herauszufordern – einen Jarl zu erschlagen hieß, Krieg über das ganze Dorf zu bringen. Und so nährte der Wurm sich weiter von Jörmundgríms Zorn.
Als zur Sonnenwende Thorvald neben Sigridur saß und ihre Hand die seine berührte, schlich Jörmundgrím, blind vor Schmerz, zur Augsquelle, dem heiligen Brunnen des Dorfes. Dort sah er einen weißen Hirsch trinken – ein Gemahl Grimlas, unschuldig und rein. Doch in seiner Verblendung sah Jörmundgrím nur Hohn und Spott in dessen Augen. Er erschlug den Hirsch, warf dessen Leichnam ins heilige Wasser und sprach: „Wie mein Herz zerreißt, so soll alles verderben, was ihr liebt.“
Aus dieser Tat, geboren aus Blut und Bitterkeit, kroch der Afundsormr hervor. Grau und schleimig, mit Spinnenbeinen und bernsteingelben Augen, schlich er ins Dorf und flüsterte den Schlafenden zu:
„Dein Freund begehrt deine Frau.“
„Dein Bruder beneidet deinen Besitz.“
„Sie lachen hinter deinem Rücken.“
Bald schmeckte das Wasser der Quelle nach Verrat. Alte Freundschaften zerbrachen, Liebe wurde zu Hass, und Misstrauen kroch in jedes Herz. Nur Sigridur widerstand dem Gift, denn wer seinem Herzen folgt, ist schwerer zu täuschen.
„Ich weiß, wer das Monster gerufen hat“, sprach sie zum Dorf und fand Jörmundgrím in seiner Hütte, blass wie Schnee. „Du konntest mich nicht gehen lassen“, sagte sie, „doch anstatt gegen Thorvald zu kämpfen oder meine Wahl zu akzeptieren, hast du den Afundsormr auf uns gehetzt. Nun frisst er uns alle.“
Da sah Jörmundgrím klar – zum ersten Mal seit langer Zeit. „Was muss ich tun?“
„Du musst das Wesen zerstören, das du erschufst“, erwiderte sie. „Doch dafür musst du zuerst die Wahrheit erkennen.“
Jörmundgrím ging zur Quelle, begleitet vom halben Dorf. Dort, im schwarzen, brodelnden Wasser, sprach er laut und klar: „Nicht Sigridur betrog mich, nicht Thorvald stahl mir, was ich besaß. Ich selbst erschuf mein Elend. Mein Misstrauen, meine Furcht – sie allein sind schuld.“
Und mit diesen Worten stieß er sein Schwert in die Quelle. Ein Schrei hallte auf, laut genug, um Götter zu wecken. Der Wurm in seiner Brust wand sich vor Schmerz, und Jörmundgrím griff hinein, öffnete sein Fleisch mit bloßen Händen und zog das zappelnde, grausige Wesen heraus. Er hielt es empor, den lebendigen Schatten seiner eigenen Schwäche, und zerquetschte es in seiner Faust. Der Wurm löste sich auf im Wasser der Quelle, das wieder rein wurde wie zuvor.
Jörmundgrím lebte, doch sein Herz war leer. „Du hast uns gerettet“, sagte Sigridur, „aber mein Herz gehört jetzt einem anderen. Kannst du damit leben, ohne dass ein neuer Wurm in dir heranwächst?“
„Ich werde es versuchen“, antwortete Jörmundgrím.
Der Rat beschloss, Jörmundgrím müsse gehen – nicht als Verbannter, sondern als Bote, der anderen von dem Wurm erzählt, der aus Eifersucht geboren wird. Bevor er ging, lehrte ihn die weise Gunnhild ein Ritual:
Eine Eisennadel erhitzt man, bis sie glüht, und hält sie dicht ans Herz. Dann spricht man leise:
„Wie Eisen Gift aus Wunden zieht,
so ziehe Wahrheit Gift aus meinem Herzen.“
Dann lässt man los, wie einen Vogel, den man liebt. Kehrt er zurück, war die Liebe wahr. Bleibt er fort – nun, dann war er nie dein.
Und Jörmundgrím ging fort, um diese Geschichte weiterzutragen, als Warnung und Mahnung. Man sagt, er wandere noch heute, und seine Stimme erklinge im Sturm, flüsternd und drängend: „Hütet euch vor dem Wurm im Herzen. Er frisst euch, bevor der Tod euch holt.“
So lehrt uns die Geschichte des Afundsormr, dass Eifersucht die größte Schwäche ist, Vertrauen aber die schwerste Tugend. Denn was man liebt, muss frei sein. Nur dann singt es ein Lied, das man hören will.
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Das Solsang-Fest
Mittsommer, Midsomar, Majstang, Ligo... oder in Fjellgat: das Fest des Sonnenliedes --- Solsang.
Tief in der neuen Schamenenhöhle, erinnert eine in alter Kunst frisch aufgetragene Wandmalerei an die lange Tradition dieses Festes, die wohl bis in die Uhrzeiten der Nordvölker zurückreicht.
So in etwa kann man sich das Treiben in Fjellgatt zu dieser Heiligen Zeit vorstellen:
Im Herzen der Berge, dort wo das Nordvolk in der Tiefe des Fjellgatt lebt, begann der längste Tag mit einem ersten Glühen der Sonnenhörner. Es war der Tag des großen Mittsommerfests, da Himmel und Erde nah und Ahnen, Tiergeister und Menschen in tiefem Gleichgewicht verbunden waren. Beim ersten Lichtschimmer entzündeten Skalden und Soeker die heiligen Feuer. Rauch aus Harz und Kräutern stieg auf, vertrieb dunkle Geister und erweckte die Geister des Landes. Die Alten schenkten dem Feuer erste Tropfen Met und Fladen aus Nussmehl – für die Ahnen und die Numengeister.
Ein Kreis ward bereitet auf der Lichtung, und in seiner Mitte erhob sich das Sonnenfeuer, genährt von neun Holzarten: Birke für das Erwachen, Kiefer für Kraft, Ulme für Klugheit, und Eibe für das Ende, Buche für die Runen, Esche für die Welt und zwei geheimen, eine die nur den Schamanen und eine die nur den Hathran bekannt war. Das Feuer brannte so hell, dass es den Himmel zu berühren schien. Als die Sonne zu Mitternacht doch eine kurze Rast einlegte, weil selbst heute dass Solkr hoch am Himmel auf seinem goldenen Bären Kovakarhu kurz verschnaufen musste, da traten die Jünglinge und Jungfrauen an. Drei Mal umrundeten sie das Feuer, barfuß, mit grünen Zweigen in der Hand, und riefen dann:
„Die Ahnen zur ehr‘n, die Geister zu schau‘n
--– mit Mut sich durch die Flammen trau’n!“
Dann sprangen sie – über Glut und Lohe – in einem alten Brauch, der Reinheit und Tapferkeit bringen soll. Die Alten sahen prüfend hin: Ob die Flammen den Ruf der Ahnen erwiderten oder ob ein Schatten durchs Feuer fuhr.
Allerlei Geister und Fae besuchten die Fjellgatter den Tag über und wurden mit Speiseopfer, Trank und Geschichten bewirtet. Im kühlen Schatten eines alten Kieferhains erzählten die Wortschmiede die Fabel von den Drei Mäulern des Waldes – eine Lehrsage, die immer zur Mittsommerzeit gesprochen wird:
Die drei Mäuler des Waldes
Es war zur Zeit, da das erste Moos noch sprach und jeder Fluss noch einen Namen sang.
Eines Tages rief der Wald drei Mäuler zu sich: Grimla, die milde Hirschkuh mit dem leuchtenden Geweih; Asagard, den grauen Wolf, dessen Blick das Verborgene sah; und Kovakarhu, den starken Bären, dessen Atem selbst den Schnee zum Schmelzen brachte.
Der Wald sprach: „Ich habe drei Schätze. Einer nährt, einer schützt, einer heilt. Doch meine Wurzeln tragen nur eines davon. Wählt gerecht.“
Grimla neigte das Haupt. „Ich nehme die Wurzel des Heils, denn Wunden schreien, wo Lieder sein sollten.“
Asagard fletschte die Zähne. „Ich nehme den Zahn der Jagd – ohne Jagd kein Überleben.“
Kovakarhu brummte nur. Dann sprach er: „Ich trage, was übrig bleibt.“
Die Zeit verging. Asagard jagte, doch tötete mehr als nötig. Grimla heilte, doch erschöpfte ihre Gabe.
Und Kovakarhu, der nur trug, hielt die Welt auf seiner Tatze, doch die war so schwer, dass er den ganzen Tag hungern musste und erschöpft heimkehrte.
Als sie wieder vor den Wald traten, waren alle hungrig, wund und zornig.
Der Wald sprach: „Drei Mäuler – und keines war satt. Nichts nährt allein. Nur der Kreis ernährt.“
Seit jenem Tag speisen sie sich voneinander – der Zahn, der Huf, die Pranke – und lehren uns Maß, Mäßigung und Miteinander.
So klang die Fabel aus und die Sonne begann ihren nun beschleunigten Aufstieg im Jahreskreis. Dann stimmten die Alten das Lied an, das nur zur Mittsommerzeit erklingt – rau, weit, hallend wie das Echo aus dem Herzen der Zeit:
„Sarmatijasch zu Ehr’,
und Grimla im Tanz
– Asagards Flanke,
Kovakarhus Kranz.
Sonnenhorn leuchte,
Glut bleib besteh’n –
wir zieh’n mit den Ahnen,
wir kommen und geh’n“
Und so war das Fest vollendet. Die Glut glomm, bis die Sterne vom zornigen Glanz des neuen Tages vertrieben wurden. Unvergessliches noch sahen und erlebten die wenigen Ehrengäste und Vertrauten anderer Völker, denen es gestattet war, diesen Heiligen Tag mit dem Stamm zu verbringen.
Der Tag des Lichtes, der Tag, des Goldenen Bären, an dem die Solkrs Stärke am weitesten reicht.
Der Frühling ist erwachsen geworden und nun erstrahlt die volle der Kraft des Sommers.
Tief in der neuen Schamenenhöhle, erinnert eine in alter Kunst frisch aufgetragene Wandmalerei an die lange Tradition dieses Festes, die wohl bis in die Uhrzeiten der Nordvölker zurückreicht.
So in etwa kann man sich das Treiben in Fjellgatt zu dieser Heiligen Zeit vorstellen:
Im Herzen der Berge, dort wo das Nordvolk in der Tiefe des Fjellgatt lebt, begann der längste Tag mit einem ersten Glühen der Sonnenhörner. Es war der Tag des großen Mittsommerfests, da Himmel und Erde nah und Ahnen, Tiergeister und Menschen in tiefem Gleichgewicht verbunden waren. Beim ersten Lichtschimmer entzündeten Skalden und Soeker die heiligen Feuer. Rauch aus Harz und Kräutern stieg auf, vertrieb dunkle Geister und erweckte die Geister des Landes. Die Alten schenkten dem Feuer erste Tropfen Met und Fladen aus Nussmehl – für die Ahnen und die Numengeister.
Ein Kreis ward bereitet auf der Lichtung, und in seiner Mitte erhob sich das Sonnenfeuer, genährt von neun Holzarten: Birke für das Erwachen, Kiefer für Kraft, Ulme für Klugheit, und Eibe für das Ende, Buche für die Runen, Esche für die Welt und zwei geheimen, eine die nur den Schamanen und eine die nur den Hathran bekannt war. Das Feuer brannte so hell, dass es den Himmel zu berühren schien. Als die Sonne zu Mitternacht doch eine kurze Rast einlegte, weil selbst heute dass Solkr hoch am Himmel auf seinem goldenen Bären Kovakarhu kurz verschnaufen musste, da traten die Jünglinge und Jungfrauen an. Drei Mal umrundeten sie das Feuer, barfuß, mit grünen Zweigen in der Hand, und riefen dann:
„Die Ahnen zur ehr‘n, die Geister zu schau‘n
--– mit Mut sich durch die Flammen trau’n!“
Dann sprangen sie – über Glut und Lohe – in einem alten Brauch, der Reinheit und Tapferkeit bringen soll. Die Alten sahen prüfend hin: Ob die Flammen den Ruf der Ahnen erwiderten oder ob ein Schatten durchs Feuer fuhr.
Allerlei Geister und Fae besuchten die Fjellgatter den Tag über und wurden mit Speiseopfer, Trank und Geschichten bewirtet. Im kühlen Schatten eines alten Kieferhains erzählten die Wortschmiede die Fabel von den Drei Mäulern des Waldes – eine Lehrsage, die immer zur Mittsommerzeit gesprochen wird:
Die drei Mäuler des Waldes
Es war zur Zeit, da das erste Moos noch sprach und jeder Fluss noch einen Namen sang.
Eines Tages rief der Wald drei Mäuler zu sich: Grimla, die milde Hirschkuh mit dem leuchtenden Geweih; Asagard, den grauen Wolf, dessen Blick das Verborgene sah; und Kovakarhu, den starken Bären, dessen Atem selbst den Schnee zum Schmelzen brachte.
Der Wald sprach: „Ich habe drei Schätze. Einer nährt, einer schützt, einer heilt. Doch meine Wurzeln tragen nur eines davon. Wählt gerecht.“
Grimla neigte das Haupt. „Ich nehme die Wurzel des Heils, denn Wunden schreien, wo Lieder sein sollten.“
Asagard fletschte die Zähne. „Ich nehme den Zahn der Jagd – ohne Jagd kein Überleben.“
Kovakarhu brummte nur. Dann sprach er: „Ich trage, was übrig bleibt.“
Die Zeit verging. Asagard jagte, doch tötete mehr als nötig. Grimla heilte, doch erschöpfte ihre Gabe.
Und Kovakarhu, der nur trug, hielt die Welt auf seiner Tatze, doch die war so schwer, dass er den ganzen Tag hungern musste und erschöpft heimkehrte.
Als sie wieder vor den Wald traten, waren alle hungrig, wund und zornig.
Der Wald sprach: „Drei Mäuler – und keines war satt. Nichts nährt allein. Nur der Kreis ernährt.“
Seit jenem Tag speisen sie sich voneinander – der Zahn, der Huf, die Pranke – und lehren uns Maß, Mäßigung und Miteinander.
So klang die Fabel aus und die Sonne begann ihren nun beschleunigten Aufstieg im Jahreskreis. Dann stimmten die Alten das Lied an, das nur zur Mittsommerzeit erklingt – rau, weit, hallend wie das Echo aus dem Herzen der Zeit:
„Sarmatijasch zu Ehr’,
und Grimla im Tanz
– Asagards Flanke,
Kovakarhus Kranz.
Sonnenhorn leuchte,
Glut bleib besteh’n –
wir zieh’n mit den Ahnen,
wir kommen und geh’n“
Und so war das Fest vollendet. Die Glut glomm, bis die Sterne vom zornigen Glanz des neuen Tages vertrieben wurden. Unvergessliches noch sahen und erlebten die wenigen Ehrengäste und Vertrauten anderer Völker, denen es gestattet war, diesen Heiligen Tag mit dem Stamm zu verbringen.
Der Tag des Lichtes, der Tag, des Goldenen Bären, an dem die Solkrs Stärke am weitesten reicht.
Der Frühling ist erwachsen geworden und nun erstrahlt die volle der Kraft des Sommers.