Die Werft von Fjelgart
Der Morgen brach über Fjelgart herein wie ein silberner Schleier.
Nebel kroch zwischen den Felsen des Fjords hindurch, und das Wasser lag so ruhig, dass sich die Welt darin zu spiegeln schien.
Doch die Ruhe täuschte: Im Dorf rumorte bereits die Ankündigung eines gewaltigen Vorhabens.
Vor dem alten Sägewerk standen die Barbaren des Stammes versammelt.
Mit vereinten Kräften begann die größte Bauarbeit, die Fjelgart je erlebt hatte.
Die ersten Schläge hallten durch den Nebelwald. Bäume wurden gefällt, und ihre Stämme krachten zu Boden.
Material wurde transportiert, Wege vorbereitet und Wasserstellen für das Sägewerk genutzt.
Am Ausbau des Sägewerks wurde gearbeitet, Balken getragen und schwere Lasten bewegt.
Schon nach wenigen Tagen wuchs das Sägewerk über seine alten Mauern hinaus. Neues Holz wurde gelagert, breitere Plattformen entstanden, und zwei gewaltige Wasserräder dröhnten über den Fluss.
Funken flogen aus der Schmiede, Sägen kreischten, und der Duft von frischem Holz lag in der Luft wie eine Verheißung.
Am Ufer des Fjords wurden Pfosten in den Boden geschlagen, um den Bau der Werft zu markieren.
Tag für Tag wuchs das Bauwerk an der Uferseite: breite Stege, massive Stützbalken, hölzerne Gerüste, die sich wie Rippen eines riesigen Tieres in den Himmel reckten.
Schwere Pfähle wurden gesetzt, Gerüste aufgerichtet und Arbeitsplattformen errichtet.
Und so arbeiteten sie – Seite an Seite, ohne Befehle und ohne Rang.
Jeder wusste, was zu tun war.
Jeder schuf ein Stück der Zukunft.
Eines Abends, als die Sonne den Himmel rot färbte, standen sie alle am Ufer.
Das Sägewerk arbeitete mächtig im Hintergrund, und die neue Werft breitete sich vor ihnen aus wie ein hölzerner Drache, der gerade erwacht war.
Der Fjord rauschte sanft.
Die Werft stand.
Das Sägewerk brummte.
Und Fjelgart war bereit für seine ersten Drachenschiffe.
Gemeinsam gebaut.
Gemeinsam für die Zukunft.
[Fjellgat] Ein Drache zu Wasser für Thrymm'tack
- Rashka|Brom
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Re: [Fjellgat] Ein Drache zu Wasser für Thrymm'tack

Der Morgen über Fjellgat war noch jung, als Rashka als Erster die Werft betrat. Der Geruch von Harz frisch gesägtem Holz hing in der Luft, und die schwere, offene Halle wirkte wie ein hohler Rachen eines Ungeheuers, das ein Schiff auszuspucken bereit war.
Kurz darauf erschien Ragnar, den Umhang achtlos abwerfend, und brummte:
„Jau, nur dey Wand habs verjessen.“
Rashka schnaubte. „Je denk, dat soll so seyn. Do kynns dey Schiff baun un rausschiebn.“
Kaum hatte er das gesagt, betrat Yngvildr die Werft, strich sich das Haar aus dem Gesicht und grüßte:
„De Ahnen zu Ehr’.“
Die drei standen um den schweren Balken, der bald der Kjøl, der Kiel, sein würde – das Rückgrat des Drachenbootes. Falk, der alte Handwerker des Clans, hatte in den letzten Tagen den Kiel zurechttgehauen aus dem Holz das die Suromer in ihren Wäldern Gehauen und gesammelt hatten. Janika hatte sorgsam die Holznägel, die trenaglar, sortiert.
„Mhm, Bra sieht recht aus,“ murmelte Rashka und legte die ersten Planken, die später zu den Strakes – den Plankengängen – werden würden.
Ragnar bearbeitete mit einem langen Hobel die Innenkante jeder Planke. Geschickt führte er das Werkzeug, ließ es über das Holz gleiten, um dem Schiff die glatte Krümmung zu geben, die ein Drachenboot brauchte.
Yngvildr trug Planken heran, kritisierte Rashkas manchmal schiefen Einschlag, und korrigierte geduldig.
Als die ersten beiden Planken an den Kiel genagelt wurden, hallte das rhythmische Schlagen ihrer Hämmer wie ein Herzschlag durch die Werft.
Planke für Planke wuchs der Rumpf nach oben. Mit Muskelkraft bogen sie die langen Bretter, bis sie sich an den natürlichen Schwung des Bootes schmiegten – Klinkerbauweise, wie die Alten es nannten. Jeder Schlag der Hämmer, jeder Holznagel, der durch das Holz getrieben wurde, verband die Männer und Frauen mehr mit dem werdenden Schiff.
Ragnar fertigte die Spanten, die Rippen des Schiffes – biegsam, aber kräftig.
„Dey Ryppn verstaerkn dat Schiff jut,“ brummte er zufrieden, während Falk ihm Moos reichte, das später die Fugen abdichten würde.
Yngvildr rührte Teer in einem offenen Fass an und begann die Fugen mit Moos zu stopfen, das durch den heißen Teer hart und wasserdicht werden würde – ein uralter Trick der Seefahrer.
Rashka legte weitere Querbalken, damit sich die Form nicht verzog, und arbeitete sich anschließend zum Deck vor.
Mit Schweiß auf der Stirn und rußverschmierten Händen nagelte Rashka die Planken des Decks auf die Querbalken, ließ aber die runde Öffnung frei – dort, wo später der Mast stehen sollte.
Ragnar schnitzte am Stýri – dem Steuerruder – und fertigte am Steuerbord eine sorgfältige Ausnehmung, in die das große Seitenruder passen würde.
„Vi müssn och eyn paar Löchr fyr dey Ruder sägn,“ erinnerte Ragnar.
„Jau,“ murmelte Rashka, während er weiterarbeitete.
Yngvildr prüfte derweil jede Naht, jedes Stück Holz, als wäre das Schiff ein lebendiges Wesen, das Fürsorge brauchte.
Als der Rumpf stand, strichen sie heiße Schichten Teer über die Planken. Der beißende Geruch erfüllte die ganze Werft, und Ragnar erwärmte mit einer Fackel Stellen, die bereits erkaltet waren, damit der Teer tief in die Fugen sickerte.
„Dett wyrd haltn,“ meinte er.
Gemeinsam schoben sie das Boot auf die Rampe, auf die Rundhölzer, die sie als Rollen nutzten.
Jeder stemmte sich dagegen, die Muskeln aller, spannten sich bei der harten Arbeit an. Das Holz ächzte – und schließlich rutschte der Rumpf nach vorn, die Rampe hinab.
„Braa… unter dem Kran,“ keuchte Rashka.
Der Mast würde der nächste schwere Akt werden.
Hinter der Werft lag der vorbereitete Mast – ein gewaltiger Stamm.
Gemeinsam – Rashka mit seiner Schulter, Ragnar oben am Rumpf, Yngvildr stützend von der Seite – hievten sie ihn an den Kran.
„Hnggg…“ knurrte Yngvildr, der Schweiß tropfte auf das Holz.
Langsam, Stück um Stück, richteten sie ihn auf.
Ragnar trieb Keile ein, setzte einen U-förmigen Mastblock, der verhinderte, dass der Mast später bei Sturm brach oder aus der Verankerung riss.
Als der Mast schließlich stand, war es, als würde das Drachenboot tief durchatmen.
„Eyns fehlt noch,“ sagte Ragnar schließlich und deutete auf den Bug.
„Eyn Drakkn Kopf.“
Alle nickten. Denn ohne den Drakkinn, den geschnitzten Drachenkopf, war ein Drachenboot nur ein Schiff – aber kein Krieger.
„Jau, jeg mach dat,“ sagte Yngvildr.
„Abr broch och Zejt.“
„Nymm dey de Zeyt,“ antwortete Ragnar. „Uss soll prächytg wern.“
Die letzten Schilde wurden in die Schlingen an der Bordwand gehängt, die Segel von Janika und anderen Frauen des Clans vorbereitet. Das Boot stand in der Sonne wie ein junger Drache – hungrig nach Wasser, Wind und Geschichten.
Rashka, Ragnar und Yngvildr standen nebeneinander und betrachteten ihr Werk.
Schmutzige Hände. Schweiß auf der Haut. Zufriedene Blicke.
„Det is n starkes Schiff,“ murmelte Rashka.
Niemand widersprach.
Denn alle wussten:
Dieses Drachenboot war nicht nur aus Holz gebaut worden.
Sondern aus Händen, Kraft, Atem – und dem Willen eines Volkes.
Und so war das erste Schiff vollendet, sie mussten nur noch den Drahenkopf befestigen und dem Schiff seinen namen Geben.
- Rashka|Brom
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Re: [Fjellgat] Ein Drache zu Wasser für Thrymm'tack

Die Werft von Fjellgat war in den vergangenen Tagen zu einem belebten Ort geworden. Wer immer neben seinen täglichen Pflichten auch nur einen Augenblick erübrigen konnte, war dorthin gegangen, um am Bau der neuen Schiffe mitzuhelfen. Unter der wachsamen Anleitung des alten Falk Joryck hatte sich das Durcheinander aus gelagerten Stämmen, grob behauenen Brettern und verstreutem Werkzeug langsam in Form gesetzt. Aus dem herumliegenden Holz war Stück für Stück der gewölbte Bauch eines zweiten Drachenbootes entstanden – noch roh, noch voller Arbeit, doch bereits mit jener stolzen Linie, die eines Tages die Wellen schneiden sollte.
Gegen Mittag waren Rashka, Haldron und Bjornar an der Werft eingetroffen. Der Wind trug den Duft von Harz, feuchtem Holz und kaltem Meerwasser herüber, und die Männer grüßten sich mit der Geste der Ahnen, ehe sie sich gemeinsam dem halb fertigen Schiff zuwandten.
Bjornar hatte – wie zu erwarten – sofort damit begonnen, wilde und ungebremste Ideen einzubringen. Zwischen ernst gemeinten Vorschlägen und halb scherzhaften Eingebungen hatte er lautstark darüber fantasiert, den Solgrader Jaster einzufangen und für einen Segensritus an den Bug zu ketten. Haldron hatte daraufhin nur leise den Kopf geschüttelt und den Jüngeren mit trockenem, warnendem Unterton daran erinnert, dass die zeit der Abrechnung kommen würde aber der Bau im moment vorrang hatte.
Der wortkarge Rashka hatte sich von all dem kaum ablenken lassen. Er war sofort zur Arbeit übergegangen, hatte eine Planke nach der anderen an den Rumpf gelegt und sie mit kräftigen, präzisen Schlägen eingepasst. Dabei hatte er dem enthusiastischen, aber chaotischen Bjornar geduldig erklärt, wie ein Hobel richtig geführt wurde – vom feinen Einstellen des Messerabstands bis zum korrekten Anfasen der schrägen Kanten. Bjornar hatte sich redlich bemüht, doch die Bretter unter seinen Händen hatten mehr gelitten. Riefen, Splitter, und stellenweise eingeritzte Runen, deren Bedeutung wohl nur er selbst kannte, hatten seine ersten Versuche geprägt.
Haldron hatte das Geschehen beobachtet, die Arme verschränkt, den Blick zwischen Rashkas ruhigem Schaffen und Bjornars verzweifelten Hobelversuchen wandernd. In seinem Gesicht hatte sich eine Mischung aus ehrlicher Belustigung und wachsender Sorge um den Holzvorrat gespiegelt.
Trotz aller Missgeschicke war das Drachenboot stetig weitergewachsen. Zwischen Hammerschlägen, tiefem Brummen, dem Quietschen des Holzes und dem gelegentlichen, kaum zu unterdrückenden Fluch Bjornars hatten die Männer die Seitenwände erhöht, die Ruderöffnungen geplant, ausgesägt und mit Metallblechen verstärkt. Späne hatten sich unter ihren Füßen gesammelt wie frisch gefallener Schnee.
Als sie am Nachmittag einen Schritt zurücktraten und das Werk betrachteten, hatten sie zufrieden feststellen können, dass der Rumpf nun fest und gut geformt dastand – ein roher, aber kraftvoller Körper, bereit, eines Tages stolz die Wellen zu brechen.
Während Rashka und Haldron konzentriert und mit sicherer Hand weiterarbeiteten, hatte Bjornar unermüdlich mit widerspenstigen Planken gerungen, die sich hartnäckig gegen seine künstlerischen Vorstellungen von feinen Linien und eingebrannten Runenmotiven gewehrt hatten. Doch trotz allem Chaos, trotz Splitterregen und misslungenen Hobelschnitten hatte auch er seinen Teil beigetragen – lautstark, voller Begeisterung und mit unverkennbarem Herzblut.
So war der Bau des zweiten Schiffes vorangeschritten – unter Flüchen, Gelächter, dem dumpfen Rhythmus von Hammer und Hobel und dem rauen Geist gemeinsamer Arbeit. Ein Stück barbarischer Gemeinschaft, unbeholfen und wunderbar zugleich, so roh und echt wie der Norden selbst.
Am Abend würde er einen Boten nach Surom schicken können denn ihr werk war schon beinah vollendet.