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- *work in progress* Auf langer Reise am Handy fabriziert. Völlig übertriebene "Erklärung", wo der Bjornar steckt, für die, die ihn vermissen. Und einiges mehr. Ich denk an Euch, das ist auch meine irre Art, "da" zu sein. Grüße aus dem Süden!
I Das Numenbäumchen an der Quelle
Der Abend streckte gierige Finger roten Goldes über die Hänge von Fjellgat. Bjornar stand am Rand der Rodung, unten am Fjord, zwischen Ynges Haus und dem Haupthaus der Trymm'tack. Er sah auf ein Werk, das noch nicht begonnen hatte: Freyjas eigenes Haus, seine Höhle. In seinem Kopf stand es längst da – ein Herd, der wie ein Herz brannte; Balken, stärker als Bärenschultern; ein Dach, das Schnee trüge, ohne zu klagen. Wuchtige Wände, die Musik voller und schöner zurückwerfen würden. Darunter eine Höhle, das Glück zu bergen, den Winter zu bannen, vielleicht Welpen zu werfen. Aber solch ein Haus verlangt Holz, und Holz verlangt Taten.
Die Wüsten-Ritter kamen in diesen Tagen oft in den Norden und suchten Streit und Land, führten sich auf, als gehörten ihnen Wald und Wolken, brachten ihren Herren und ihr Gerede. Ihnen folgten häufig Hakker tief in die Täler. Vielleicht waren es dieselben Wichtel? Schlimm würde es bald werden, das konnte er riechen. Jedenfalls hörte man Hacken und Sägen und höhnische Hiebe, sah ganze Stöße von Stämmen, Stümpfe stumm wie gefallene Helden. „So wächst keen Wald neyt,“ dachte Bjornar, „so stirbt han.“
Er selbst riss keine Bäume aus, als wären sie Rüben. Er sprach mit ihnen, wenn er allein war; er bat um Zweige, um Windschutz, um fünf gute Bretter – und zahlte mit Zeit und Rücksicht. Doch für ein Haus braucht man mehr als fünf gute Bretter und Balken. “Tausige”, seufzte er.
Er kniete nieder bei einem zarten Gewächs, das ein Kind hätte sein können. Gwen hatte ihn gebeten, darauf aufzupassen, ab und zu dranzupinkeln, aber nicht zu sehr. Auch das hatten die Ritter und der Blutpfad gemacht, das selbst Gwen nun nur noch mit der Vogelflöte im Mund hierher durfte. Sie war darüber traurig geworden, hatte um Hilfe gebeten. Ihren kleinen Schützling nannte sie das “Numenbäumchen”. Das stand neben der Druidenquelle in Fjellgat, mit Blättern, die selbst an trockenen Tagen Tau trugen. Sein Stämmchen war so dünn, dass die Vögel sich überlegten, darauf zu landen. Bjornar griff in die kühle Erde, als wollte er etwas tasten, das noch nicht wirklich war.
„Kleener Numen,“ murmelte er, „jeg brauch Holz. Bau-Bretter. Sing-Balken. Een Dachrücken, der den Nordwind trägt. Wirst myr das gebn können, ohne dass jeg dyr's nehm?“ Das Bäumchen gab keine Antwort, aber der Wind strich hindurch, und die Blätter klirrten, als riebe jemand zwei dünne Gläser aneinander. Bjornar schöpfte Wasser aus der Quelle, trug es mit beiden Pranken wie eine heilige Sache und ließ es über die feinen Wurzeln tropfen.
Ein Schnee-Hase huschte herbei, weiß wie Winteratem. Er blieb sitzen, blickte Bjornar auffordernd an und hoppelte dann eilig über die Wiese zur Quellmulde. Bjornar erhob sich und folgte ihm, zurück zur Quelle, hin und her, dreimal gegen den Sonnenlauf. Manche Wesen wussten am Abend einen Weg, den man zur rechten Zeit gehen muss.
Die Druidenquelle lag still und klar vor ihm, ein rundes Auge im Boden, das die Welt ansah. Der Hase stand am gegenüberliegenden Ufer, eine kleine Statue aus Schnee. Er nickte. Bjornar trat näher. Was er im Wasser sah, war ein Holzhaus. Nicht irgendeines: das seine. Die Balken standen, der Dachfirst war gesetzt; im Inneren leuchtete eine Herdglut, die durch den Rauchfang atmete. Das Haus war so deutlich im Spiegel, dass die Fichten dahinter blasser schienen als Wände und Fenster.
Bjornar sog leise Luft ein. „Jau,“ sagte er und nickte eifrig. Das Wort landete federleicht auf dem Wasser. In seinen Tiefen regte sich etwas: am Rand der Spiegellandschaft lief auch ein Hase, schneller als ein Gedanke. In der Ferne blinkte Glut auf Eisen: eine Höhle, eine Schmiede, und vor der Glut ein rußiger Schatten mit Hammer. Nahe am Wasser glomm plötzlich ein hässliches Gesicht auf – warzig, schief, Mündchen voller Nadelzähne – und als dieses Gesicht zu singen begann, fuhr Bjornar zusammen, denn es sang mit der Stimme Freyjas, weich und hell, wie er sie kannte, wie sie ihn in langen Nächten getröstet hat. Die Luft schmeckte plötzlich nach süßem Apfel und auf seiner Haut prickelten Dornen.
„Komm," flüsterte die Stimme im Spiegel. Die hässliche Alfkona - ein wahres Koboldweib - lächelte, und das Lächeln war schief und schön zugleich, weil die geliebte Stimme es bedeckte. Nicht weit dahinter bewegte sich etwas Schweres, eine zweite Gestalt – groß wie er selbst, doch wilder, dunkler, mit Atem, der in Wolken aus Dunst ging. Schatten legte sich neben Schatten; und der Schnee-Hase im Spiegel klopfte ungeduldig die Hinterpfote. Ganz fern, so fern, dass es fast nur ein Gedanke war, stand in einer Lichtung ein laubhäutiger Troll mit erdigen Händen, der den Kopf hob, als riefe ihm jemand aus einem Traum zu.
„Dat sin doch Bilda bloß", sagte Bjornar halblaut, kopfschüttelnd, und er merkte, wie armselig das klang vor einem Spiegel, der so zauberhaft zeigte, was er wusste und wollte. Er kniete sich ans Ufer. Das Wasser trug die Vision, und die Vision trug seine Wünsche wie ein Boot. Er streckte die Hand aus; seine Finger berührten die Oberfläche, und die Oberfläche fühlte sich an wie eine sanfte Haut, zum Liebkosen gemacht. Das Haus blieb dort, als wartete es auf ihn.
Hinter seinem Rücken flammte die Ebene kurz auf in Kupfer, als die Sonne zwischen zwei Kiefernstämmen hindurchglitt, dann sank das Licht, und blau legte sich das Zwielicht über Fjellgat. Das Geräusch der Hakker war weit fort; nur die Quelle sprach, sehr leise, ein Räuspern zwischen uralten Steinen. Der Schnee-Hase am echten Ufer hob die Nase, und sein Blick sagte: Jetzt.
„Wenn jeg nur einmal hineingreif,“ dachte Bjornar, „nur einmal das Sang-Holz fühle, das jeg noch neyt hab; wenn jeg nur schaute, wie sanft das Moosdach sich anfühligt…“ Das Herz tat einen Satz. Der Körper folgte.
Er beugte sich weiter, bis sein Gesicht fast die Oberfläche streifte. Der Atem zeichnete Nebel auf das Wasserbild, und für einen Moment verschwamm der Dachfirst, trat dafür etwas anderes schärfer hervor: der rußige Schmied, der in dunkler Mulde an einem glühendem Ring aus Knotengras arbeitete; die Alfkona, die sich wie ein Fetzen Nacht an einen Strauch klebte und doch mit Freyjas Stimme säuselte: „Komm, nimm den Kurzweg, den schnellen; nimm, nur, nimm alles was du brauchst“; der Runenhase, der in einem Takt klopfte, als zähle er Schritte; etwas Großes, das sich ihm lauernd entgegen beugte; und weit hinten der Erdige, der nicht sprach und wohl alles wusste.
„Neyt töricht,“ warnte er sich. Und dann rutschte der Stein am Ufer, so sanft, wie sich ein reifer Samen vom Baum löst. Bjornar verlor den Halt. Die Hand, die nur prüfend tasten wollte, sank ein, als sei die Welt dort weicher als Wasser. Die andere Hand griff noch nach Gras, erwischte einen Halm, der riss. Er stolperte, er glitt, er schlüpfte in das Traumbild hinein, in sein Haus und an seinem Haus vorbei, durch die dünne Haut zwischen den Dingen, flüchtig, wie ein Lied, das eine Note zu lang gehalten wurde.
Was folgte war ein langes, langsames… Fallen? Ein atemloses Hinabtreten? Licht stand seitlich in der Luft, als sei es ein Gegenstand, den man abstellen kann. Er griff danach, drehte und bog einen Lichtstrahl in den Händen, bevor er ihn behutsam wieder in die Freiheit entließ. Für einen Herzschlag sah er die Welt von oben – wie eine Schale, die jemand aus Mondglas gemacht hatte – und darunter, der tiefere Rand einer wildwuchernden Hecke, die nicht Hecke war, sondern eine Unordnung von Wegen, die selbst wanderten. Das Numenbäumchen blieb in der wirklichen Welt zurück und bebte kaum merklich, als sei in seiner Ader ein zweiter Saft aufgestiegen. Die Quelle glitt zu, wie ein Auge, das sanft zitternd sich in den Schlaf schließt.
Die Stimmen folgten ihm: das klingende Gras, das ferne Hämmern, das goldene, falsche Lied und das geduldige Schweigen. Und als die blaue Stunde ganz wurde, sich aus Farbe zu Stoff gewoben hatte, da schloss sich die Haut des Wassers über seinem Rücken. Die Luft roch nach nächtlichem Apfel und nach Erde, die reicher und würziger war als schwarzer Waldboden, und irgendwo – nicht hier, nicht dort – nickte zwischen Bohnenstangen ein alter, laubhäutiger Troll von einem Mann.
II Lauf mit dem Runenhase
Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich wogend weich an. Überall wuchsen Halme, dünn wie Glas, und wenn er den Arm hob, gaben sie einen Laut von sich – hell und fein, als klopfe jemand von innen an eine Glocke. Seine Sicht wurde in alle Richtungen von dornigen, dichten Hecken begrenzt, trocken, undurchdringlich und doch oft in voller Blüte stehend. Irgendwo in der Nähe atmete etwas, langsam und schwer. Es übte das Atmen erst seit Kurzem.
Bjornar richtete sich auf. Sein Bart war feucht umrandet von Tau, der hier vielleicht gar nicht aus Wasser war. Er prüfte, ob Haunseloh der Brandzeichner an seiner Seite hing – die Axt war da, schwer und still, und fühlte sich in dieser Welt älter an, als sie in der anderen war. Dabei hatte er sie doch gar nicht dabei gehabt, als er zum Numenbäumchen ging? Sie war aber weiter gewachsen, wuchtiger und schärfer denn je. Jemandes Wichtiges klopfte ihm schwer und anerkennend auf die Schulter, als er die Waffe umfasste. Er legte die andere Hand auf die Brust und wartete, bis sein Herz wieder zu sprechen wusste.
Da stand er.
Fünf Schritte voraus, weiß wie erster Frost, die Ohren wie zwei schmale Blätter aus Winterlicht, die Augen fein gezeichnet mit Runen, stand der Hase, den er an der Quelle gesehen hatte. Der Hase hob grüßend und ungeduldig die Pfote.
„Du bist endlich gekommen,“ sagte er.
Bjornar blinzelte, und seine Stimme klang in dieser Welt größer und ihr Klang ließ ihn begeister über sich selbst erstaunen. „Jau. Jeg bin… hierda.“
„Die Quelle hat dich eingelassen,“ leierte der Hase, so als würde er das jedem sagen. „Sie öffnet sich manchmal dem, der etwas sucht, das nicht mit Händen zu halten ist.“
„Jeg such Holz,“ brummte Bjornar, schlicht wie er war. „Og en Hus. Aber… ney, neyt nur Holz.“ Er sah sich um, mitten in den klingenden Halmen. „Jeg such was Rechtes un Schönes. Un jeg will dat Menschige lern!“
Der Hase nickte, langsam. „Dann geh nicht schnell,“ sagte er. „Doch geh.”
Der Hase wandte sich, und war im Nu voraus. “Ich allerdings muss eilen“, säuselte er im Lauf und schlug einen Haken. In der Dämmerung war sein Fell ein kleines, entschlossenes Licht. Bjornar setzte behutsam den ersten Schritt. Die Halme klangen und trugen den Schritt vielstimmig in die Ferne. Er tat den zweiten Schritt. Da kam der dritte – und der war nicht von ihm.
Es war ein Schritt, der seinen Schritt kannte. Er war schwerer, etwas tiefer, mit einem Ausatmen danach, das roch nach Fell und Knochen und Kälte. Es klang, als würde jemand, der ihm sehr ähnlich war, die Welt mit denselben Tatzen betreten, nur mehr mit Hunger als mit Vorsicht.
„Nicht umdrehn,“ rief der Hase aus der Ferne, ohne sich selbst umzusehen. „Man schaut nicht auf seine Fußspur, wenn man noch gehen will.“
„Jau,“ machte Bjornar, und seine Hand umklammerte den Griff der Axt, um sich selbst daran festzuhalten. „Aber… da is wat.“
„Es ist immer etwas,“ rief der Hase.
Sie gingen zwischen Hecken-Dingen, die wie Bäume aussahen, wären Bäume aus Mondscheiben gemacht: breite, hell schichtende Teller aus Licht, auf denen Moos wuchs, das nach Apfel roch, altem, reifem, süßem Apfel. Der Himmel bewegte sich unerträglich langsam. Der zweite Schritt war immer da. Er hielt Abstand wie ein Wolf, der Geduld gelernt hat, um zu fressen. Ab und zu grub sich sein Atem in Bjornars Nacken, kraftvoll, stoßweise, als setzte er zum Sprung an, oder zum Überholen.
„Dey da hinnen,“ murmelte Bjornar sehr leise in seine Brust, damit der Hase es nicht hören musste und doch alles hören konnte, was wichtig war: „Jeg weeß, dey läufst schnella. Aber jeg bestimm den Pfadweg“, sagte er, nach hinten gerichtet. Er erinnerte sich, wie oft ihn der Jothar auf der Bransla gefragt hatte, welchen Weg er in seinem Stammesleben einschlagen wollte; jetzt begriff er, was er schon immer wusste - der Weg war nicht wichtig, auch das Ziel konnte sich ändern. Wichtig war die Wahl. Das Wählen. Die Wahl zu haben.
Der zweite Schritt folgte ungerührt. Er schloss sogar einen Hauch näher auf, als wollte er riechen, ob dieser Entschluss wirklich nach Gewissheit roch, oder doch nach süßer, süßer Furcht.
In einer Senke lag die Luft schwer von Metall und Rauch. Fern schlug jemand geduldig auf Eisen. Der Geruch setzte sich auf die Zunge, schmeckte nach Funken, die jeden Augenblick etwas entzünden konnten.
„Das ist Arbeit,“ sagte der Hase, der ihm nun eilig entgegengelaufen kam, als hätte er oben in der Tagwelt etwas vergessen. „Arbeit ist ein Lied, das nicht singt und doch gehört werden will.“
„Arbeit ken jeg nu,“ brummte Bjornar. „Liebeslohn. Herzensfreude. Macht die Hände gud.“
„Wenn das Herz nicht hart wird dabei,“ sagte der Hase. Er setzte sich kurz und fuhr eitel mit der Pfote über ein Ohr.
Bjornar wollte antworten, da legte sich ein anderer Laut über die Welt: ein Lied, so süß, dass seine Zähne schmerzten und alle Sinne nur noch eine Richtung kannten. Es war jene Stimme, die seinen Namen zum Klingen brachte, ihn zart und warm in die Länge zog, wie man den Schlaf ausdehnt, ohne dabei aufzuwachen.
„Bjornar…“
Es war Freyjas Stimme.
Zwischen zwei krummen Stämmen ermahnte er die Sängerin: klein, warzig, den Mund voller Nadelzähne, Augen wie Stecknadeln, aus denen Finsternis hervorstach. Sie war hässlich wie eine Lüge, die sich schlecht verkleidet. Und doch sang sie – mit Freyjas Kehle, mit jener Unschuld, die sie auf die Silben legte, wenn sie ihm die Einsamkeit aus der Seele sang. Die garstige Alfkona.
„Komm,“ lockte sie, und grinsend formte sie aus Worten Schlingen: „Komm, Liebster, hier ist der kürzere Pfad. Hier ist dein Herd. Hier ist das Haus, das fertig ist. Hier bin ich.“
Bjornars Brust schmerzte, ein Muskel, der zu früh und zu schwer wieder arbeiten musste. Seine Finger lösten sich einen Herzschlag lang vom Axtgriff, fassten ziellos in den Klang. Der Atem hinter ihm wurde dichter, schob sich näher an seinen Hals, an den dünnen Platz, wo man den Puls sieht.
Der Hase hob die Pfote und klopfte einmal. Der Schlag fuhr durch die Halme, als wäre der Boden eine Trommel, die ein Riese hält. Das Lied der Alfkona schwankte. Einen blassen Moment sang sie weiter, dann glitt sie schabend ab, wie Messerschliff, der das Metall am Wetzstein verlässt. Die Nadelzähne knirschten, und das kleine, hässliche Gesicht zog sich in die Rinde zurück - ein Dorn, der seinen Schmerz mitnimmt.
Bjornar holte Luft, tauchte auf aus einer allzu süßen Honigschüssel. „Dat war… veldig,“ brachte er heraus, und er meinte das Lied und den Drang und sich selbst darin.
„Du bist stark,“ sagte der Hase. „Sie nur laut.“
Der zweite Schritt hinter ihm kratzte kurz am Boden, suchend, als wäre ihm etwas entgangen. Dann setzte er wieder an, zäher, geduldiger, mit einem ganz leisen Grollen, das so tief war, dass es im Brustbein vibrierte.
„Wenn de singst, falschiges Ding,“ sagte Bjornar, diesmal lauter, „sing woanners! Hier neyt!“ Er schlug sich mit der Faust auf die Brust, wie die Werager es zum Abschied tun.
Die Halme um sie her gaben eine Reihe sehr feiner Laute von sich, Zustimmung aus vielen kleinen Kehlenblättern. Sie gingen weiter, und die Muster am Boden bewegten sich, zeichneten Wege, löschten sie wieder, ließen neue entstehen, wie unsichtbare Hände, die im Mutterteig arbeiten, der später von allein aufgehen würde.
„Sie kommt wieder,“ stellte der Hase nach einer Weile fest, während er ohne Frage und ohne Trost nun neben ihm einher schlenderte. „Was man hören will, kommt immer wieder.“
„Jau,“ brummte Bjornar missmutig. „Aba jeg hör og uff myr.“
Der zweite Schritt stockte einen Herzschlag. Es fiel ihm schwer, zwei Herren zugleich zu sein: Hunger und Vorsatz.
Sie stiegen einen Hang hinunter, der aus rußigem Sand bestand. Vom Hang ging Hitze aus. Eine Höhle fiel in ihn hinein – flach und halbdunkel, wie der Anfang von etwas, das länger wird, sollte es nötig sein. Aus der Höhle kamen Hammersschläge, die die Zeit zusammentrieben. Jeder Takt sagte: Jetzt. Noch einmal. Und wieder.
Die Heckenwelt pulsierte im Einklang.
„Dort wohnt der, der die Dinge bindet,“ sagte der Hase. „Und sie löst.“
„Knorri,“ murmelte Bjornar, und der Name fühlte sich im Mund an wie Brot mit Kruste. Eine Geschichte, die er schon einmal verschlungen haben musste. „Jau.“
Er machte einen Schritt, und der Boden gab weich nach. Den zweiten machte er fester. Beim dritten kroch ihm der andere Schritt fast in die Fersen. Der Atem an seinem Nacken war plötzlich wieder nah genug, dass er die feuchte Wärme fühlen konnte. Es war der Atem eines Tieres, das schon einmal Blut geschmeckt hat.
„Nicht umdrehn,“ sagte der Hase wieder, leise. „Noch nicht.“
„Jeg dreh myr neyt und wend myr neyt,“ antwortete Bjornar, und er glaubte sich selbst, weil seine Hand an der Axt ruhig blieb. „Aber jeg seh dyr, dey da. De läufst neyt vorn.“
Ein sehr tiefes Geräusch antwortete ihm, es war ein zahnbewehrtes Einverständnis. Und ein langer Schatten fiel in der ewigen Abendsonne von hinten neben ihn, seinem eigenen nicht unähnlich.
Vor der Höhle blieb der Hase stehen. „Wart's ab,“ sagte er. „Arbeit will gefragt werden.“
Bjornar blieb. Er hielt die Axt in beiden Händen, fest und freundlich, wie man die Lefzen eines störrischen Reitbären hält, um sich schließlich mit ihm zu einigen. Dann hob er den Kopf, und seine Stimme war groß und einfach: „Hensyn, Schmied-Binder!“
Der Hammer hielt noch die Schlag-Reihe. Jetzt. Noch einmal. Und wieder. Dann änderte er seinen Takt, der Schlug nun bis drei und ließ die vier aus. Luft wehte aus dem Höhlenhalbdunkel, die nach Asche schmeckte. Bjornar roch noch vieles andere darin, allein die Trauer nicht.
„Er hört,“ sagte der Hase. „Er kommt, wenn die Arbeit dich hört.“
Bjornar setzte sich auf einen flachen Stein. Der Stein war warm. Es war die Wärme von Dingen, die gemacht werden wollen. Der Hase setzte sich neben ihn, und seine Pfote berührte kurz Bjornars Tatzen, als sei auch das Sitzen eine Übereinkunft. Er tappelte dabei vor Ungeduld mit den Hinterläufen, trotz allem, was er zuvor über Geduld gesagt hatte. Hinter ihnen legte der zweite Schritt sich lauernd nieder. Das Grollen zog sich lang und dünn, wie eine Saite, die nie ganz still wird.
Aus der Tiefe der Hecke kam wieder ein Ton, ganz weit, wie ein dünner Faden aus Honig, der gezogen wird und nicht reißt: Freyjas Stimme. Sie war zu weit und faserig, um zu locken. Nah genug, um zu erinnern. „Bjornar…“ Die Halme über ihnen klingelten sehr leise, als fragte sich der Wind etwas, was er seiner Unruh wegen nicht verstehen konnte.
„Geh,“ sagte der Hase, nachdem Zeit vergangen war und ohne aufzublicken. „Aber nicht zu ihr.“
„Jau,“ flüsterte Bjornar, und der zweite Schritt hinter ihm knirschte unzufrieden im heißen Sand.
Sie brachen erneut auf, umkreisten gemächlich die Schmiedehöhle, und der Hase führte ihn ein Stück den Hang entlang, wo Schatten lagen, die nicht zum Licht passten. In einem davon – ein vergessener Streifen halben Lichtes – stand der trollhäutige Mann zwischen Bohnenstangen. Er stand da wie jemand, der alles schon bewiesen hatte. Seine Hände ruhten auf einem Querholz, seine Augen waren tief, zwei unerschöpfliche Brunnen.
Bjornar inne. Der Mann hob den Kopf sehr wenig, genau so viel, wie nötig ist, um jemanden zu grüßen, der längst bekannt ist und vor einem steht. Es war ein Gruß, der sagte: Du bist da. Bjornar nickte höflich, tief und dankbar. “In meinem Hus bist og kommwillen”, sagte er aus dem Bauch heraus. "Wenn's denn je ma’ fertisch is…” Suchend schaute er sich in der Gegend nach seiner Haus-Vision um. Als sein Blick den Kreis vergeblich vollendet hatte, war der Mann nicht mehr zu sehen, und doch war er nicht fort; es blieb nur die Ordnung der Pfade, die er mitgebracht hatte – eine Stille, in der Dinge leichter wuchsen, weil niemand sie zog.
„Wer…“ setzte Bjornar an, aber der Hase sagte:
„Er ist nur da, wenn du ihn nicht rufst. Und auch dann nicht immer.“
„Jau,“ machte Bjornar. Der zweite Schritt hinter ihm stand jetzt. Er stand so still, dass die Welt ihn hören konnte. Stille ist auch ein Schritt.
„Du wirst dem alten Gartentroll schon wieder begegnen,“ sagte der Hase und lief an Bjornars Knie vorbei, weiter entlang der Kante, wo die Hitze aus der Höhle die Luft wellig machte. „Und er wird dir geben, was sich nicht nehmen lässt.“
„Wat denn?“
„Etwas, das aufscheint, wenn du es beinahe vergisst.“
Aus der Höhle veränderte sich der Takt des Hammers noch einmal. Er war jetzt langsamer, gewichtiger, das Eisen wurde nicht länger geschlagen, es führte ein Gespräch mit Hammer und Amboss. Auf dem warmen Stein, wo Bjornar zuvor gesessen hatte, zeichnete der Sand ein sehr schlichtes Zeichen, ohne Hand: einen Knoten, der aus einem einzigen Strich bestand.
„Geh jetzt,“ sagte der Hase. „Der Schmied kennt den Preis, aber noch nicht den, der ihn zahlen muss. Und du kennst dich noch nicht, aber schon den Preis.“
„Dat klingelt wie de Spruchrätsel von den Alten. Oda von Tarsnjor“, brummte Bjornar, und trotzdem nickte er. Seine Zunge schmeckte plötzlich nach Eisen und war genauso schwer. Der zweite Schritt kam wieder, ehrfürchtig. Sie standen vor der Höhle. Die Luft darin war dunkel und beständig. Die Glut atmete im Finstern. Über dem Eingang hing der Schatten eines Ringes. Hinter dem Schatten lag Arbeit.
„Hensyn,“ rief Bjornar noch einmal, und der Ruf legte sich an die Höhlenwand und kam als ruhiger Widerhall zu ihm zurück. Jemand sagte “Gut.” und gewährte Einlass.
Der Hase hob die Pfote und klopfte einmal. Der Ton lief hinunter, lief hinein, verschwand, kehrte in vielen kleinen Funken zurück. „Gut,“ sagte der Hase ebenfalls und sprang ins Dunkel. Das Wort war diesmal nicht für Bjornar, sondern für den, der drinnen saß. „Er kann warten“, hallte es aus der Höhle.
Bjornar konnte das tätsächlich, besonders hier, in der wüsten, blühenden Schönheit, die ihn umgab. Er ging zurück, setzte sich noch einmal auf den warmen Stein und legte die Axt quer über die Knie, damit seine Hände etwas Ehrliches zu tun hatten. Er atmete ein, und der Atem schmeckte nach Arbeit und Apfel, nach Metall und Erde, nach Fell und Lied. Hinter ihm lauerte der zweite Schritt, dicht genug, dass er den Pelz hätte greifen können, wenn er nicht die Hände gebraucht hätte, um ruhig zu sein.
Aus der Tiefe der Hecke zog noch einmal ein hauchdünner Faden süßen Gesangs, zerriss auf halbem Weg und wurde zu schmachtender Stille. Über dem Hang ordneten sich drei Vögel auf einem Ast, wie Noten auf einer Zeile.
Die Höhle tat nun einen Atemzug und antwortete mit dem Fauchen und Aufleuchten ihrer Schlund-Glut. Dann trat etwas in die Schwärze, sehr langsam, so wie man aus einem Traum tritt, den man festhalten willl. Es war groß. Es war klein. Es war die Gestalt dessen, der die Dinge bindet und der sie löst, wenn sie falsch gebunden sind. Knorri.
„Jau,“ verkündete Bjornar, nach überall hin und meinte doch genau den Schmied. „Jeg bin hierda.“
Und der zweite Schritt hinter ihm, der ihn die ganze Zeit hungrig begleitet hatte, legte für einen Moment den Kopf auf seine Ferse, bettelnd wie ein Tier, das weiß, dass es heute nichts zu fressen bekommt.
III Beim Trollschmied
Da stand Knorri, der Schmied. Bucklig, breit, mit einem Bart wie Draht und Haut wie gebrannter Ton. Eiserner Stirnreif, so wie Tarabasch, Metall, das geringere Trolle in Angst und Schrecken versetzt. Die Schürze hing ihm vom Bauch und in ihr schmauchten Fäden, als selbst die Schatten darin langsam verkohlten. Seine Augen funkelten, zwei Stücke Glut, die sich weigern, klein zu werden.
Er blickte umher und schnaufte: „Haunseloh.“
Bjornars Hand fuhr instinktiv an die Axt. „Jau,“ brummte er. „Is meyn.“
Knorri lachte kurz, knisternd, ein Funkenregen. „Dein? Nein. Du trägst sie, wie ein Kind den Knochen eines Riesen trägt. Sie frisst dich mehr, als du sie führst. Aber gut – du hast sie noch. Du und deine Stammesbrüder haben sie mit Blut und Brandzeichen dick gefüttert, bis sie träge und fügsam wurde. Also bist du halb wert, mit mir zu reden.“
„Jeg red neyt gud,“ murrte Bjornar. „Wat is der Preis denn, für meyne Haushöhle?“
Der Schmied ließ den Hammer klingen, und jeder surrende Schwung war wie eine Frage, auf die es viele Antworten gab. „Preis? Alles hat einen Preis. Ein Haus. Ein Herd. Balken, die tragen, wenn Stürme kommen. Herdfrieden. Liebe die hält. Du willst bauen? Dann leg was in die Glut, das mehr wert ist, als Holz.“
Bjornar ballte die Fäuste. „Jeg geb, wat jeg hab. Aba alls Zeug kriegt schon das Weib un der Trymm-Stamm.”
Da warf Knorri den Hammer in die Glut. Die verschlang das Werkzeug und begann zu singen. Ein einzelner Funken stob auf, groß wie eine Faust. Der war mehr als Funken – eine feuergewordene Melodie.
Er hing in der Luft, hell, rein, brennend. Ein Laut, der keinen Anfang und kein Ende hatte. Er vibrierte in Bjornars Zähnen, in seiner Brust, tief im Magen, wo Hunger und Sehnsucht wohnen. Im Hinterkopf, wo die vielen Löcher lagen. Und Bjornar spürte sofort: Das war das erste Lied. Das Lied, das seine Mutter gesungen hatte, die er nie sah, die er nur auf diese Weise kannte.
Sein Atem stockte. „Dat… Herzholz. Dat is meyn Lied!“
Knorri grinste breit, ein Riss aus Ruß und Zähnen zerbrach sein Gesicht. „Jau. Das ist deins. Also leg es her. Ich binde es ins Eisen. Ich nagel es in die Balken. Dein Haus wird stehn, solange die Berge stehn. Aber –“ Er beugte sich vor, die Glut spiegelte sich in den gelben Augen. „Du wirst den Klang nie mehr hören. Kein Lied. Kein Anfang. Nur Balken.“
Bjornar fühlte, wie seine Knie weich wurden. Der Schatten an seiner Seite lachte tief. Er hörte es, er roch es – Fänge, die sich schon ins blutende Fleisch geschlagen hatten. „Gib’s her,“ knurrte der Schatten. „Gib’s hin, un jeg friss dat für dyr! Dann bist veldig stark. Dann brauchst keene Lieder. Nur Fang-Zähne.“
Seine Finger zuckten. Er wollte den Ton greifen, ihn an die Brust reißen, ihn festhalten wie Herzblut. Seine Augen brannten, die Kehle verdorrte. „Een Lied,“ röchelte er. „Nur een Lied. Aba dat enzige. Un erstige."
Der Hammer sprang aus der Glut und krachte nieder, der Boden bebte. „So ist die Arbeit, Bärensohn! Man legt etwas in die Glut, und es kommt gehärtet oder verloren zurück. Willst du bauen, oder willst du singen? Entscheide!“
Der Schnee-Hase saß am Rand der Höhle, still, die Pfote erhoben, aber er klopfte nicht. Er wartete.
Bjornar schloss die Augen. Vor ihm sah er das Haus – Balken, Herd, Dach, Kinderlachen. Im Herzen hörte er das Lied, rein, hell, brennend. Es war sein erster Halt in einer Welt, die ihn oft nicht hielt.
„Jeg…“ Seine Stimme erstarb. Dann füllte er die Lungen und sprach wie einer, der den eigenen, holpernden Herzschlag beschwört.
„Jeg kann neyt
was geben,
dat myr
ganz macht.
Keen Hus
is dat wert.
Neyts is dat wert.“
Die Glut zischte. Der schwebende Ton flackerte und sank in seine Brust zurück, kehrte heim.
Knorri schnaufte, ein raues Lachen, rußig, kratzig, fast zufrieden. „Hoar! Weldig bra!“, sprach er mit auf einmal vertrauter Stimme und nickte eifrig. Er schlug den Hammer noch mehrmals wild hierhin und dorthin und aus der Glut flog ein Stück Eisen. Es fiel vor Bjornars Füße – ein Ring, geformt wie ein Knoten. Kein Anfang, kein Ende. Es summte leise, als hielte es den Rest des Liedes fest.
„Nimm,“ sagte Knorri, seine Stimme wieder ganz Trollschmied. „Es ist nicht dein Lied – aber ein Zeichen davon. Damit du weißt: Arbeit heißt nicht, Heiliges aufzugeben. Arbeit heißt, es zu tragen und trotzdem zu schmieden.” Er nickte, erhaben im Glut-Glanz seiner Weisheit. Dann schoss sein Gesicht auf Bjornar zu, füllte die Höhle aus, und er grollte gehässig: “Aber dein Haus wirst du niemals fertig bauen, solang es lebt.”
Bjornar hob behutsam den Knoten auf. Er war warm. Er summte in seiner Hand, leise wie eine Erinnerung, die nicht vergehen kann.
Der Schatten hinter ihm brummte, hungrig, gierig, doch geschlagen. Er zog sich zurück, tiefer, dunkler. Für diesmal.
Der Hase stampfte einmal, hell wie ein Gong. „Gut,“ sagte er.
Bjornar wischte sich über die Augen. „Jau,“ brummte er, und seine Stimme war heiser. „Dat is gud. Aba wo krieg jeg nu die vielen Bau-Bretter her?“
Der Schmied atmete, schwer und langsam, und wandte sich ab, als wäre nichts geschehen. „Arbeit is warten,“ murmelte er. „Und warten is Arbeit. Geh.“
Bjornar kehrte um, den Knoten in der Faust. Hinter ihm summte die Glut noch einmal, dann schlief sie zischend ein. Der zweite Schritt folgte ihm, schwer, hungrig und ansonsten recht im Einklang mit seinen eigenen Schritten.
IV Die Alfkona
Die Luft wurde leichter, als er von der Schmiede fortging. Die Pfade zwischen der Hecke kräuselten sich verspielt und wucherten malerisch über die Ruinen alter, längst zerfallener Häuser. Das Klingeln der Glasgräser trat zurück, und über den Halmen lag weiche Wärme. Bjornar ging, den Eisenknoten in der Faust, Haunseloh quer auf der Schulter, den Blick geradeaus. Der Hase rannte los und verschwand hinter der nächsten Biegung, nun war da kein weißer Punkt mehr, der die Dämmerung ordnete. Kein Trommler, der den Weg festigte. Er spürte nur seinen eigenen Schritt und daneben den zweiten, schwerer, hungriger, schnaufender.
„Bleyb hinten,“ murmelte er in die Brust, ohne dabei langsamer zu werden. „Dey läufst neyt vorn!“
Der Verfolger lachte tief, so leise, dass die Nackenhaare es spürten. Dann rückte er klein ein wenig ab, doch blieb.
Vor ihm senkte sich die Hecke in ein schattiges Tal und in dem Tal stand ein Baum, der keiner war: ein Stamm wie verfilzte Stricke, Äste wie krumme Finger, die einen Mund formen wollten. In den Astgabeln hatte sich Dunst gesammelt; er schimmerte und wogte, ein körperloses Verlangen. Als Bjornar näher trat, wurde aus Dunst eine Gestalt.
Die Alfkona war klein, bucklig, knochig unter der Haut, deren Farbe zwischen Modergrün und Asche schwankte. Warzen saßen darauf wie Samenkörner; aus dem Maul sahen Nadeln, schief und weiß, und die Augen waren zwei stecknadelgroße Löcher, in tiefen Höhlen. So viel Hässlichkeit, dass man wegsehen wollte. Dann öffnete sie den Mund.
„Bjornar,“ sang die Gestalt, und es war Freyjas Stimme.
Sie sprach seinen Namen
erneut so, wie er ihn nur einmal im Leben hörte: weich, tief, mit der kleinen Neigung auf der zweiten Silbe, die ihn warm machte. Wie damals, als sie sagte: “Bjornar, sei meyn Kerl!” Immer so. Immer zum ersten Mal.
Er blieb stehen, weil man bei so einer Erscheinung nicht weitergehen konnte, auch wenn man genau spürte, dass man es sollte.
„Komm, Liebster,“ sang sie, und zwischen den Nadeln war plötzlich Frühling. „Du bist müde. Deine Schultern sind schwer. Leg Haunseloh ab. Leg den Knoten ab. Leg dich hin, ich halte Wache, ich singe unser Haus fertig.“
Bjornar schluckte. „Ney,“ sagte er, doch das Wort war matt. Der Schatten neben ihm drängte vor, kaum merklich. Eine Schnauze schob sich an seiner Hüfte vorbei, ein mächtiger Fellstrich, dunkler als die Dämmerung. Die Alfkona sah den Schatten und erstrahlte entzückt. Das Lächeln war schief und schön zugleich. „Ach,“ sang sie, und ihre Nadeln glänzten. „Du bist auch da, mein Grosser, mein Starker. Komm her, komm näher.“ Ihre Hand, knochig, mit dünnem Hautsack darüber, fuhr in die Luft, als streichelte sie ein Tier. Der Schatten fuhr zusammen, beglückt wie ein Hund, der seinem Herren nach langer Zeit begegnet. Er drängte weiter vor, so dass Bjornars Schritt zur Seite musste, um nicht berührt zu werden.
Eifersucht ist ein grausamer Wurm mit schnell schlagendem Puls. Er kroch ihm an die Rippen, biss dahinter zu und zappelte. Die Alfkona sah nur den Schatten; für ihn, den ganzen, aufrechten Mann, hatte sie nicht die Augen, nur die Stimme. Etwas in ihm wollte plötzlich klein werden, gehorsam, lieb; wollte die Axt fallen lassen, wollte sagen “ja” für jedes “komm!”, das sie ihm sang. Er spürte, wie seine Finger den Eisenknoten fester drückten, bis das Summen darin zur Antwort vibrierte.
„Du bist müde, Bjornar,“ sang sie wieder. „Du hast so lange gearbeitet. Bau nicht weiter gegen den Wind. Ich kenne den kurzen Pfad. Da, sieh nur!” Sie wies mit ihrem knochigen Finger in die Schatten. Dort lag, als habe die Dämmerung selbst es hinein gezeichnet, sein Haus. Balken, Dach, Herd, alles richtig. Rauch stieg aus dem Schornstein, der noch nicht da war. Kinderlachen rollte aus der Tür, die nicht geöffnet wurde. Freyjas Stimme stand in der Luft wie eine Fackel, die niemals verlischt.
„Fäll den kleinen Baum,“ flüsterte sie, und jetzt war in der Süße Salz. „Nur den Kleinen bei der Quelle. Ein Hauch Holz, und alles ist fertig. Ich singe, du schläfst. Wenn du wach wirst, steht dein Haus, und ich bin in deinem Arm, und nichts verlangt mehr etwas von dir.“
Der Schatten knurrte, freudig: Ja! Er trat so nahe, dass seine Hitze Bjornars Hüfte wärmte. Die Gestalt beugte sich ihm entgegen; ihre Nadeln streiften Fell, ganz zart. Der Schatten atmete tief und saugte am Duft ihrer Worte.
„Ney,“ sagte Bjornar schärfer, doch das Wort fiel ihm zu Boden, willenlos, ohne jemanden zu treffen. Das kleine Tier in seiner Brust kratzte und bohrte weiter. Warum sollte der Schatten alles kriegen? Warum nicht er, der ging, der trug, der wartete, der sich weigerte, sein heiligstes Lied in die Glut zu werfen? Warum sah die Stimme ihn nicht?
„Ich sehe dich, Liebster,“ sang sie, als hätte sie sein Denken gehört. „Ich sehe dich ganz. Leg ab, nur für einen Atem. Lass mich singen. Lass mich bauen. Lass mich dir die Welt leicht machen.“
Er hob Haunseloh von der Schulter, die Axt war ihm schwer geworden. Die andere Hand mit dem Eisenknoten aber hob er nicht; sie blieb vor der Brust, und der Ring summte stur, als spräche jemand in einer Sprache, die keine Worte hat. „Wat willst? Gwens Bäumchen?“ fragte er heiser.
„Nur dein Einverständnis. Dein Ja. Deine Ruhe in meinem Arm. Den kleinen Baum — nur den kleinen, geliebten Kleinen bei der Quelle. Er ist zu klein für Balken. Er ist jung. Er ist… ersetzlich“, sang sie, so süß, dass es weh tat. Das letzte Wort fiel kalt auf seine Zunge. Ersatz. Das kleine Tier in seiner Brust hielt inne, legte den Kopf schief. „Versatz," wiederholte Bjornar, und sein Dialekt schnitt die Silben grob. „So red neyt üba den Kleinen. Dat is’ en Numen. Dat is’ heilig!“ Die Nadeln in ihrem Maul sahen einen Herzschlag lang wirklich aus wie Nadeln. Die Stimme drehte den Kopf, und das Lächeln bekam einen Haarriss.
„Heilig,“ sang sie sanft, „ist nur, was dir dient.“
Der Schatten schnurrte, zufrieden. Er drängte so dicht an sie, dass ihre warzige Haut an seinem Fell schabte. Sie senkte den Kopf zu einem Kuss; die Nadeln strichen durch sein Haar. Er keuchte und schmatzte.
Bjornars Zähne taten weh vor Eifersucht. Er hätte brüllen können, hätte zupacken können, den Schatten fortreißen, die Alfkona zu Boden stoßen und ihr die Stimme aus dem Hals zerren, weil sie falsch war, weil sie Freyjas war. Er atmete, lang und hart, bis der Atem in den Eisenknoten fuhr und dort kräftig wuchs.
„Ney,“ sagte er, und jetzt hielt das Wort. „Lieben is’ nich Hören… Gehörigen… Gehorchsam seyn! Un en Haus, dat von Trug steht, kippt beim ersten Winter.“
Die Gestalt blinzelte, langsam, als seien die Lider aus Papier. „Du weißt nicht, was gut für dich ist,“ sang sie, etwas flacher. „Du weißt nicht, wie müde du bist. Du weißt nicht, wie schön es ist, geführt zu werden.“
„Jeg weiß, wie schön Freyja singt,“ antwortete er. „Und jeg weiß, wie deyne Haut aussieht, wenn de Freyja spielst. De bist se neyt. Du bist eene Alfkona, Falsche. Du singst, dat ist Kunst. Aber du lügst, dat ist deyn Wesens-Kern.“
Der Schatten fuhr herum, als hätte ihn jemand geschlagen. Ein tiefes, beleidigtes Grimmen kam heraus. Er wollte springen, auf wen, war unklar. Auf die Gestalt, weil sie Lüge war. Auf Bjornar, weil er ihr das nahm, was er wollte. Er spannte sich, und die Luft roch plötzlich nach Blutversprechen.
„Kimm, dann,“ sagte Bjornar leise, ohne die Augen von der Alfkona zu nehmen. „Wenn dey springst, springst dey mit myr! Jeg geh neyt mehr alleine nich.“
Ein Wind, der keiner war, fuhr durch die Hecke; die Glasgräser am Rand klingelten scheu. Der Eisenknoten in seiner Hand summte höher, im Einklang mit dem Wind, und löste sich auf. Im Summen war der Schatten der Glut aus Knorris Höhle, und darunter lag ein Echo des ersten Liedes, das er nicht hergegeben hatte. Rost rieselt aus seiner Faust.
Die Alfkona verzog das Maul. Drei Herzschlag lang klang ihre Stimme hohl, als sänge sie in einem leeren Honigfass. Sie zog die Lippen zurück; die Nadeln sahen nackt aus, ohne Lied. „Ihr seid töricht,“ fauchte sie, kein Gesang mehr. „Ihr seid schwer. Ihr seid langsam.“
„Jau,“ sagte Bjornar. „Langsam is’ gut, wenn man ney in falsche Arme fällt.“ Sie zog sich zurück, einwärts, als wickele sie sich in den Stamm der Hecke. Ihr Körper wurde Dunst, dann Faser, dann Rinde. Ein Rest ihrer Stimme blieb in der Luft, ein dünner Faden Süße, der nicht mehr reichte, um etwas zu binden. Der Schatten schnappte nach dem Faden wie ein durstiger Hund nach einem Wasserstrahl; die Luft blieb leer.
Bjornar stand, die Axt auf der Schulter, den Eisenknoten vor der Brust. Er fühlte, wie der kleine Wurm in seinem Rippenkorb langsam die Fänge einzog, sich krümmte und schlafen ging. Der Schatten trat zurück, brummte, trottete wieder an seine Seite. Er berührte Bjornars Hüfte leicht mit dem Kopf, fordernd, unversöhnt, aber er war da.
„Neyt vorn,“ wiederholte Bjornar, milder. „Nebenher, wenn’s sein muss. Aber neyt vorn dran”
Ein Murmeln, das wie Einverständnis klang, ging durch das dunkle Fell. Über der Hecke hob sich ein erster Stern.
Bjornar setzte den Fuß in Bewegung. Der Boden gab unter ihm nach, die Hecke wich höflich, ließ einen Weg entstehen, der zuvor nicht da gewesen war. Hinter ihm setzte sich der zweite Schritt in Marsch, schwer, hungrig und diesmal im gleichen Takt.
V Blaue Stunde
Stilles Wandern. Nur zwei Schritte gingen: sein eigener, schwer vor Müdigkeit, und der andere, der ihn seit Beginn der Hecke begleitet hatte – tiefer, hungriger, mit einem kurzen Kehllaut am Ende jedes Tretens, als koste er den Weg. Als der Moment gekommen war, verstummte der Begleiter und warf sich in das Dickicht, unbeherrscht, vom Jagdfieber überkommen: Er hatte - endlich - Schwäche gewittert.
Die Lichtung, die Bjornar nun schlafwandelnd aufnahm, war rund und dunkelblau. Der Himmel lag darüber wie ein Tuch, das jemand straff gezogen hatte; Sterne steckten schon darin, doch als feine Stiche, die erst später leuchten würden. In der Mitte stand eine Gestalt, die keine war und doch alles: er selbst, größer, zottiger, mit gelben Schmied-Augen, mit Runenblick. Von Angesicht zu Angesicht.
Der Schatten grinste, als hätte man ihm eine Schüssel voller Wärme hingestellt. Bjornar selbst war seine Beute, die ganze Zeit schon. „Jau,“ knurrte er, die Zähne ein wenig zu lang für einen Menschenmund, „endiglich. Dey hanst myr gnug zurück gehalten.“
Bjornar hob Haunseloh. Seine Arme zitterten vor einer Müdigkeit, die schwerer wog als die Waffe. „Dey bist jeg,“ sagte er rau, „aber ney mein Beherrscher.“
Der Schatten lachte, und das Lachen band ihm das Herz zusammen wie ein Eisenreif. „Jeg bin dein Fraß-Hunga. Jeg bin dein Blut-Zorn. Jeg bin dat Rasen deiner Pranken, wenn dey der Wind krumm anguckt. Lass myr vorn, un dey kriegst, wat de willst. Holz. Fleisch. Wärme. Freyja. Jeg nehms für dyr! Weils dyr gehört.“
„Ney,“ brummte Bjornar, doch das Wort war herzlos. Stattdessen sprang er, von der Furcht getrieben, sich zu verlieren, und schlug. Die Schneide fuhr, und das Eisen schnitt, ins Nichts. Es war, als schlüge man auf Atem. Rauch fuhr ihm entgegen, und im Rauch stand wieder das grinsende Gesicht. Krallenhände packten ihn an den Schultern; sie rangen, schwer und nah, ein Stoßen aus Ellbogen, Zähnen, Atem. Jeder Schlag, den er führte, traf ihn auf dem Rückweg wieder: Spiegelkampf, ohne Gewinn, ohne Ende.
Er schmeckte Metall im Mund. Fell kratzte ihm die Handflächen wund. Ein Zahn strich an seiner Kehle vorbei, gerade so, dass Blut roch, aber kaum erschien. Er keuchte; der Schatten keuchte. Kein Sieg, nur Nähe.
Am Rand der Lichtung stand jemand und sah zu. Die Gestalt war nicht aus der Hecke getreten – stand eher so dorthin gestellt, wie man einen Spaten anlehnt, der weiß, wo er hingehört. Der Lehmhäutige, alt ohne Greisenhaftigkeit, Hecke an den Händen, Stille um die Stirn. Er trug die Art von Ruhe, die Pflanzen groß werden lässt. Seine Augenbrunnen waren tief, und in der Tiefe lag kein Urteil.
Er hob den Finger an die Lippen. Mehr nicht.
Bjornar hielt inne. Sein Atem ging wie ein Blasebalg, Haunseloh hing taub in der Hand. Der Schatten stand ihm so nah gegenüber, dass die Nasen fast einander rührten. In den gelben Augen brannte Gier – und dahinter, sehr fein, war Angst: die Angst, nicht anerkannt zu werden.
„Dey bist meins,“ sagte Bjornar, leise, damit es hielt. „Jeg kann dyr neyt töten. Weil du jeg bist. Aber dey führst ney. De läufst nebenher. Dat muss recht sein. Jeg bin ussgeschöpft, un so bist dey!“
Der Schatten stieß einen Laut aus, morsch und trocken, wie ein hohler Stamm, als Bjornars Schwäche auf ihn übersprang. Der Schatten heulte: “Ohne myr bist neyt. Willst neyt. Frisst neyt, kämpfst neyt!” Dann sank er ein, als hätte man ihm die Luft genommen: Fell wurde Rauch, Rauch wurde Atem, Atem wurde Gewicht unter den Rippen. Er fuhr in Bjornar zurück, nicht als Besiegter, vielmehr als Tier, das an den richtigen Platz gelotst wurde: vorbei an der Kehle, dem hungrigen Schlund, vorbei an den Händen, den gierigen Greifern, vorbei an den lüsternen Lenden, bis es schließlich heim fand und sich zur Ruhe legte, unter dem Herzen, dort, wo ein Mensch an den Winter denkt und trotzdem lacht.
Die Lichtung gab den Horizont frei, machte Platz zum Atmen.
Der lehmhäutige Mann am Rand kam näher. Er sagte nichts. Er machte keinen Zauber, rief keine Namen; er war nur da, mit der Art von Dasein, die Dinge zurechtrückt, ohne sie anzufassen. In seiner Hand lag etwas Kleines, das er Bjornar in die offene, leere Linke legte: ein Knoten aus Gras, grob geflochten, feucht vom Saft, an den Spitzen schon welk. Nichts von Eisen. Nichts, was bleibt.
Bjornar blickte auf die Gaben-Hand, dann in das tiefe Gesicht. „Takk,“ murmelte er, verlegen, weil man für Stille eigentlich kein Dankes-Wort findet.
Der Mann nickte nur. Mit der rechten Hand deutete er. Da, wo der Schatten eben noch gedroht hatte, wuchs ein Bogen aus Ranken aus der Luft, als hätte auch die Hecke beschlossen, höflich zu sein. Dahinter stand Wasser: die Stille einer Quelle, die Ferne eines Flusses, die Grenze des Ufers. Darin spiegelten sich glatt und ohne Anfang und Ende die Schatten der blauen Stunde.
Bjornar drückte den Grasknoten gegen die Brust. Seine Finger fanden den Schaft von Haunseloh, als wollten sie sagen: wir gehen jetzt. Er neigte den Kopf dem Mann zu. Der Mann neigte den Kopf ein wenig tiefer zurück, als wäre dies die Übereinkunft gewesen.
Bjornar trat durch den Bogen.
Er fiel, er stieg, er wechselte hinüber, durch die Haut zwischen den Dingen, so wie man ein Bild umdreht, das auf der anderen Seite auch ein Bild trägt.
Kälte fasste ihm die Wangen – ehrliche Kälte, die nach Stein und Nacht roch. Das erste, was er hörte, war das sehr leise Sprechen der Druidenquelle. Dann den Wind in Fjellgat, den er kannte wie den Herzschlag eines Freundes.
Er lag auf dem Bauch am Quellrand; Bart und Pelz waren nass. Der Nachthmmel über ihm war Herbst – aber nicht sein Herbst von vorhin. Das Gras stand höher, Disteln waren verblüht, ihr Ort geändert, die Geräusche des Waldes waren nicht mehr die, die sie gestern gewesen sein mussten. Auf dem Stein lag Moos, das es eine Woche zuvor noch nicht geben durfte.
Bjornar richtete sich auf, schwer, als sei der Körper, der wieder bei ihm war, etwas, das man neu anziehen muss. Seine linke Hand hielt den Knoten. Er war noch da – aber nur ein Knoten Gras: saftig, grob, mit einem halben Riss, der morgen schon braun sein würde. Er vermisste das Summen. Er sehnte sich nach dem Glutrest. Die Wärme seiner Hand gaukelte ihm vor, da wäre mehr.
„Jeg glaub jeg bin, jeg glaub, jeg hab…“ setzte er an, aber Wörter rutschten weg wie Forellen. Er wusste nicht, wo er gewesen war. Er wusste nicht einmal, ob Verweilen das richtige Wort dafür war, wie er gewesen war. Ihm blieb nur ein Gefühl, als habe er im Schlaf einen Felsen den Berg hinaufgetragen, ihn wieder und wieder hinunter gerollt und jedes Mal sei er ein Stück leichter gewesen als davor.
Er stand. Die Knie knirschten. Er drehte sich zur Quelle. Das Wasser war wieder nur Wasser – und spiegelte doch an seinem Rand ein zitterndes Haus. Das Druidenheim von Fjellgat lag nicht weit und sein Dach ragte über die Wipfel des Hains.
Am Ufer stand das Numenbäumchen. Es war gewachsen. Nicht größer – aber anders. Der kleine Stamm hatte eine Art Feinmut bekommen; die Blätter waren dicker, das Glänzen dunkler, als hätten sie irgendwo eine neue Art Licht kennengelernt. Bjornar streckte die Hand aus und legte die Finger an die Rinde.
„Jau, Kleener,“ murmelte er, und die Stimme klang ihm fremdartig vertraut. „Dey wächst og ohne myr.“
Die Quelle flüsterte ihre leises Wassermurmeln. Fjellgat roch nach trockenem Gras, nach Salz, das der Wind vom Fjord herauf trug. Es herrschte die Ruhe der frühen Abendstunde. Die Welt hielt ihm die Tür offen und fragte nicht, wo er gewesen war. Er selbst war voller Fragen: Wo ist die Geliebte, die Wahre und Schöne? Wo sind die Gefährten vom Stamm? Wen hatten die Ahnen zu sich geholt? Hielten die Palisaden stand? Wie weit war es bis zum Winter?
Er setzte sich erneut an den Rand, den Stiefelrand auf den glatten Stein, die Ferse im Moos. Mit der linken Hand drehte er den Grasknoten, der schon an einer Stelle brüchig war. Ein Halm knisterte – nur leise, doch gerade so, dass Erinnerung sich regte wie ein Fisch unter Wasser.
Er blieb so lange sitzen, bis die Schatten der Fichten zu langen schwarzen Fingern wurden, die ins Wasser zeigten. Er dachte an Freyja und dachte es nicht zu Ende; er dachte an das Haus und ließ den Gedanken mitten im ersten Balken liegen; er dachte an Knorri und an den falschen Gesang der Alfkona – und jedes Mal blieb unter dem Denken etwas übrig, das nicht verriet, was es sei, nur dass es war.
Dann knackte es in der Wiese.
Er hob den Kopf. Der Hase saß da – weiß wie erster Schnee, die Augen feinst geritzt, als hätte jemand mit Nadellicht hineingeschrieben. Er war die Ruhe eines Tieres, das seinen sicheren Ort kennt und blickte Bjornar an. Er verweilte freiwillig. Die Ohren standen, als lauschten sie auf eine ferne Melodie.
Bjornar hob die Hand, in der der Knoten lag. „Siehst de?“ wollte er sagen, doch er schwieg. Worte und Hasen sind selten Freunde.
Der Hase hob die Hinterpfote und klopfte einmal. Der Ton war klein und dumpf. Dann drehte er sich, hoppelte zwei Schritte, hielt an, schaute prüfend über die Schulter und verschwand in das Kraut, das seiner Größe gemäß war.
Bjornar saß. Er hörte die kleine Stille, die der Hase zurückgelassen hatte. Dann steckte er den Grasknoten in den Gürtel. Der Knoten war leicht, fast nichts. Gerade gut genug, um ihn das Nichts nicht vergessen zu lassen.
„Jau,“ sagte er in die blaue Stunde hinein, und die Quelle nahm das Wort, ohne es zurückzugeben. „Jeg kimm gleich. Aber neyt jetzt.“
Später erhob er sich, so, dass es der Boden spürte und dieser ihn nicht fallen ließ. Er strich mit der flachen Hand über das Numenbäumchen, als spreche er mit einem Kalb, das im Winter geboren wurde. Er tastete mit der Hand nach der Axt, beruhigend, er wollte dem Bäumchen Sicherheit bekunden: Mit dem Wald führte er keinen Krieg. Doch da war keine Axt! Hatte er sie in der anderen Welt verloren!? Er zuckte vertrauensvoll mit den Schultern, wichtige Dinge kehrten wieder, und ging dann den schmalen Pfad hinauf, der zwischen Heide und Stein liegt, ohne ins Dorf zu biegen, ohne den Blick noch einmal zu sehr zurück in die Quelle zu werfen.
Hinter ihm stand die Hecke, wo es keine gibt. Vor ihm lag Fjellgat, womöglich genau so, wie man es kennt, oder bereits ganz anders. Die Nacht kam ohne Hast. In seinem Brustkorb lag etwas Schweres und Warmes, das weder brannte noch sang – und doch Feuer sein konnte, und Lied, wenn man es darum bat.
Niemand wusste, wo er so lange gewesen war. Nicht einmal er. Aber als der Wind vom Fjord heraufkam und so vertraut roch, dachte er, nicht in Worten:
Is gud so. Is recht so. Is schön so. Is menschig.
Er summte das Lied, sein Lied, das er nicht hergegeben hatte, die Melodie völlig falsch und doch völlig wahr. Er ging weiter. Die blaue Stunde ging mit.