Bjornar

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Bjornar
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Das Ekel von Fjellgatt

Beitrag von Bjornar »

Das Ekel von Fjellgatt_Gazette_beige_II.png

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Gewiss, es schmerzt das tugendhafte Herz zutiefst, über jene bedauerlichen Verirrungen berichten zu müssen, die uns aus Fjellgatt ereilen. Freilich möchte man das Auge verschließen vor derart unglückseligen Entgleisungen, doch verpflichtet uns die sittliche Wachsamkeit und unser heiliger Glaube, solche Verwerfungen nicht stillschweigend hinzunehmen.

Wie, so fragen wir voller Sorge, konnte es geschehen, dass ein Geschöpf, von Natur aus edel geboren, sich in einer Weise gebärdet, die jeder Beschreibung spottet? Ist es nicht ein Hohn auf jegliche Tugend und Anstand, dass ein gewisser Hüne, dessen Namen aus barmherziger Nächstenliebe hier verschwiegen sei, sich benimmt wie eine Bestie aus niedersten Gefilden?

Mehrfach, so hört man voller Entsetzen, wurde er bereits aus Nebelhafen vertrieben, da er in rasender Tollheit Schuldige und Unschuldige gleichermaßen anfiel. Dabei kämpft er nicht als edler Recke, sondern vielmehr wie ein tollwütiges Tier, das jegliche Grenzen der Ehre niemals kannte. Welch schmerzliche Kunde erreicht uns, dass er sich selbst in ehrenvolle Zweikämpfe mischt, dass er das ehrwürdige Langhaus von Fjellgatt verwüstete und in einen Bärenstall verwandelte und selbst den geduldigsten Jothar allentags zur Weißglut treibt?

Doch es ist dies nicht das Ende seiner bedauerlichen Verfehlungen. Wie tief muss die Tugend leiden, wenn wir hören, dass jener ungestüme Barbar selbst Freunde und schlimmer noch, Geliebte schlägt? Derart arg sind seine Missetaten, dass man trotz seines Stumpfsinnes fragen muss, ob es vielleicht rechte Absicht sein kann, alles fortwährend misszuverstehen. Vielmehr liegt hier doch sicherlich eine bewusste oder doch schlimmer noch unbewusste, weil wesenshafte Bösartigkeit vor, die in seinen Taten spricht?

Mit welch tiefem Bedauern vernehmen wir, dass dieser Nordmann, oder sollen wir sagen dieses Monster, einen unschuldigen Jüngling unter dem Vorwand des Waldschutzes verprügelte und wiederholt Damen auf offener Straße belästigte? Nicht einmal die vollendetsten Sänger sind vor seinem Spott sicher, dabei hat seine eigene Stimme nichts Melodisches an sich, vielmehr gleicht sie dem unheilvollen Geheul des Waldes, laut und unerträglich. Umso unverfrorener steht ihm da das Spotten an!

Ist es noch sittsam, wenn ein solcher Barbar ungeniert in öffentlichen Brunnen badet, in Solgard oder Surom aus Pferdetränken säuft und gar krude gereinigten Ogerdarm verspeist und anpreist, als sei es die feinste Köstlichkeit? Und was soll man sagen, wenn berichtet wird, er verrichte seine Notdurft unverhohlen in jeder Ecke, und sein Duft ähnele mehr dem widerwärtigen Schleim der Wüstenläufer, als einem Menschen?

Schrecklich ist es auch zu erfahren, dass er mit abscheulichen Kreaturen in Nebelhafens Kanalisation tanzt und in den dortigen Abwässern spielt, ja die Kanäle mit schleimigen Wesen bevölkert. So unrein ist sein Köper, dass er den ehrwürdigen Saunakeller des Handwerksbundes auf Tage verdirbt, diesen in einen Viehzuchtstall verwandelt und dann dort Türen demoliert, weil er Schloss und Schlüssel grobschlächtig nicht ineinander bringt. Nebenbei verspeist er die gesamten Vorräte der Handwerker mit seinem unbändigen Appetit und auch hört man aus dem Haus des Bundes oft die Kinder schreien – denn es ist ihm die größte Freude die kleinen Engelchen nicht zu Ruh und Sanftmut zu bewegen, sondern zum unflätigsten Gebrüll anzustacheln.

Wer aber könnte den Anblick noch ertragen, wenn er nackt mit Ogerweibern ringt, oder mit zottigen Fellen kaum zulänglich behangen, ehrbare Frauen aufdringlich beschnüffelt und dabei ständig zu Handgreiflichkeiten neigt? Von seinen stieren Blicken ganz zu schweigen, die sogar edle Amazonen unverholen zu entkleiden suchen!

Das Ekel von Fjellgatt_beige.png

Auch hört man, dass er den Garten der Friedhofswächter zu Surom gar mit Leichenteilen schändete, Werkstätten, Plätze und Gassen mit triefenden Schleimspuren aus dem Inneren seines stinkenden Beutesackes verschmutzte!
Es scheint, als kenne er keine Grenze, paktiert er doch sogar mit dunklen Mächten und erliegt den Einflüsterungen der unheiligen Spinnengöttin, um die Macht im eigenen Stamm an sich zu reißen und den vertrauenswerten wohlbekannten Jothar vom Thron zu stoßen! Auch erschleicht er sich den Zugang zur hohen Elfenstadt, nur um von dort Fabelwesen aus ihren Refugien entführen zu wollen! Der Tugend ist es kaum zuzumuten, solche Taten weiter zu erdulden, zumal er den süßesten und zartmütigsten Künstlerinnen aus Faulheit ihre Zauberrunen stiehlt, um sich nicht länger zu Fuß oder Ross durchs Land bewegen zu müssen. Schließlich wagt er es seit jüngstem, Schläge zu verteilen, sollte man ihn nicht ehrfürchtig genug und beim rechten Namen ansprechen – dabei reicht sein Verstand selbst nicht weit genug, um auch nur einen Namen respektvoll und unverstümmelt im Gedächntnis zu behalten. Welch eine dreiste und brutale Heuchelei!

Ist es überhaupt noch in anständige Worte zu fassen, wenn man beschreiben soll, wie er mit Riesenschlangen zu Feiern erscheint, Schleimmonster auf Freunde und Familie hetzt, Tiere - und darunter edle Rösser und Rappen - aus lauter Wut misshandelt? Freudig verkehrt er mit Gesellen, deren Ruf derart verdorben ist, dass sie besser unerwähnt blieben! Wie er sich wolllüstig durch Strände und Höhlen wühlt und in verschiedenster Gesellschaft Quellen und Bäder besudelt, von solch abscheulichen Taten und Handlungen mögen den Rechtschaffenen selbst die Vorstellung erspart bleiben!

Wir wollen nicht richten, denn das bleibt dem Allmächtigen vorbehalten. Doch als Hüter des Anstandes ist es unsere traurige Pflicht, diese unerhörten Verfehlungen offenzulegen, damit die Gesellschaft erkennt, welch ein Ekel unter uns wandelt und sich vor seinen sündhaften Taten hütet.

Das ihm seine eigene, verdorbene Stammesgemeinschaft auch nur den Hauch von Anstand und Benehmen einbleuen könnte, das hat man bisher doch ganz und gar vergebens gehofft - und auch neuerliche Anstrengungen geben uns keinen Anlass zur Zuversicht.
Möge sich also eine aufrechte Seele finden, um ihn vom seinem Tadel zu erlösen.
Möge seine traurige Gestalt uns als warnendes Beispiel dienen und der Herr uns vor unglückseligen Entscheidungen bewahren, die dem Treiben dieser Bestie auch nur im Geringsten ähneln!


Serenitas Seraphiel, Stimme von Anstand und Wahrheit
für die Solgard Gazette

Ich bin der Geist, der Stets verfeinert!
Und das mit Recht, denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es in Würde geht;
Drum besser wär's, die Sitte sei die Medizin!
So ist denn alles, was ihr Disziplin,
Tugend, kurz, den
ANSTAND nennt,
Mein eigentliches Element.


☥ ☥ ☥

(Wer jetzt Bock auf passenden kontroversen wirklich bösen Emo-Teenie-Alternative-Werewolf-Metal bekommen hat, kann sich ja Popular Monster anhören. RAWW!)
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Bjornar
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Opfergabe

Beitrag von Bjornar »

No One But You.png

Mit zitternden Händen legten sie des Nachts
der Göttin einen goldenen Reif um den Knöchel.
"Aeiti, steh uns bei..."




(No One But You)
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Bjornar
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Leicht, frisch und frey

Beitrag von Bjornar »

Monolog des jungen Riesen vor einem imaginären Freund. Glücklich, unterm Sommernachtshimmel.

Sommer, ist doch die Zeit des Nachtwanderns und Jagens. Zeit zum Reisen und Fangen! Wachzeit! Alleinzeit eigentlich… aber nein. Das wohl nicht. Gerade das nicht! Selbst der Schlaf ist munter. Nichts ist so leicht wie der Sommer! Ruhig ist die Insel, alle am Strand und im Schatten, auf dem Feld, in der Ferne. Warum nur sind sie dabei so lieb und leuchtend? Es ist eben die Zeit fürs finden. Die Leicht-Zeit!
Und was ich alles gefunden hab!
Ein Fest für die Klein-Große-Rou-Schwester hab ich gefunden, bis tief in die Nacht. Sie ist Jardis vom Nebeldorf nun! So freut Euch, ihr Wichtel, mit dem Stamm, und hört die Riesenfreude weithin hallen, denn besser geht’s nicht!
Dann einen Toten hab ich im Fjord gefunden: irgendwer wird sich freu‘n, irgendwer wird weinen.
Mit Aanatus hab ich Freundworte gefunden, über Holzköpfe und Kopfnüsse. Er nennt mich auch „Großer“ nun, statt irgendwelcher Spott-Worte, dass soll den Stamm ehren und wird Tarabasch stolz machen, auf seinen Werager. Das bin ich. Auch wenn Tarabasch runzelt. Er ist der Skilt nun! Auch das ist ein rechtes Sommerfest gewesen und der Stamm jubiliert, ein Skól auf seinen ehrigen Schützer!
Was hässliches hab ich auch gefunden, eine Pferdeschuld, die schlepp ich noch herum, die wär ich gern los. Doch ist eben auch alles so leicht auf meinen Schultern, da trag ich gern noch ein Weilchen dran – und ich sag dir warum! Warts nur ab! Es ist kein Geheimnis mehr!
Vorher aber:
Ich hab Einladungen gefunden, zur Frühlingsstadt, wo der Heilige Hirsch nun weilt. Das war traurig, durfte nicht nochmal rein, doch ich hatt‘ eine Hand die mich hielt! Da ist die Trauer schnell verblüht. Und es wird Wege geben!
Hab auch Yevas Echse gerettet, glatt aus dem Kochtopf der Trolle und beinah gabs einen Kuss dafür, aber – nein – den würd ich wohl gar nicht gewollt haben! Da wär nun Ynge stolz, glaub ich, wenn sie das nur wüsste! Aber wie kann man von einem Kuss wissen, der nie geküsst werden wollte? Nicht mal in die Luft?
Dafür hat eine hinterhältige Dunkelalbenhexe mich gefunden. War nicht schwer. Hat mich zerhexxt. War nicht schwer. Aber meine Worte hat sie nicht gefunden, die sie unbedingt haben wollte.
Umso mehr weiß ich ein Geheimnis nun, dass ich beim Zuhören gefangen hab! Selbst bei den dunklen Alben gibt’s solche und solche! Aber: Pssst! Das sind gefährliche Geschichten! Der böse Albenblitzfluch auf meiner Brust ist dafür schnell verheilt. So find ich mich sommerfrisch und ach so wohl dabei!
Sogar Sont hatte sein Tänzchen mit dem Morgentau, bald hab ich also wieder Wüstenläufer-Eier! Und wenn die kleinen süßen Schleimer erstmal schlüpfen!
Gar nicht der Rede wert ist die fette Sommer-Beute die ich anschleppte für den Stamm – es platzt fast meine Riesenkiste vor glänzendem Kram – doch ordentlich einstopfen, das ist für später! Jetzt ist die Frey-Zeit!

All das sind possierliche Sommerdinge, keine Heldenlieder, keine Großtaten, keine Schreckgeschichten. Unerträglich fast, wäre diese Sommerleichtigkeit, zum Abheben, wenn da nicht das Beste von allem wär:

Ich hab ein Weibchen gefunden – oder andersrum – hat es mich gefunden.
Wir.
Uns.
Ein Meins, ein Deins, ein Ganz-Und-Gar!
Das ist‘s wohl, was alles leicht macht, frisch und frey!
Ja!

Nun ist’s raus.
Und da kann man nur singen.
Wenn man’s könnte.

Leicht, frisch und frey.png

(Uriah Heep. Demons and Wizards. "Easy Living". Dauerschleife gegen Sommerlöcher. Classic. Peace and Love!)
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Bjornar
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Wilde Lieder. Erster Gesang

Beitrag von Bjornar »

Ich feiere mich selbst und singe mich selbst,
Und was ich mir herausnehme, sollst auch du dir herausnehmen,
Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört ebensogut auch dir.
Walt Whitman, Song of Myself



Fjellgatt Bannkreis - Erster Gesang - Wilde Lieder.png



ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ


Zwei Lieder und ein Grunzen


Erstes Lied. Ein Ruhmgesang

Es war eine allgemein anerkannte Wahrheit unter den Trymm'takk – geschrieben mit glitzerfunkelnden Runen der Liebesgöttin –, dass eine Jungbarbarin im Besitz einer göttlichen Stimme dringendst eines würdigen Herzensbundes bedurfte, jemandes, der ihre wilden Melodien auf ganz besondere Weise zu schätzen wusste. Selbstverständlich!

Am großen Stammesfeuer, das in epischen goldroten Farben tanzte weil normale Flammen viel zu gewöhnlich gewesen wären, erklang Freyjas kristallklarer Gesang. Ihre flammenden Locken wirbelten wie lebende Nordlichter um ihr porzellanfeines Antlitz. Neidische Mäuler könnten ihre Stupsnase, die frechen Sommersprossen, ihre tiefen, smaragdgrünen Augen und das jugendlich scheue Lächeln für gewöhnlich halten unter den Schönheiten der Neuen Welt, doch nein!, nicht in dieser Geschichte, nicht für diese Leser! Für uns mitfiebernde Herzen ist Freyja‘s Anblick die unvergleichlichste Freude, denn es strahlt die Göttin der Liebe selbst durch sie hindurch! Ihre Stimme also durchschnitt die Luft – süß wie Honigwein, wild wie ein Bergsturm und so voller Lebenskraft, dass selbst die Sterne aufhörten zu zwinkern.

Jothar Rashka, jener eisenharte Thronwächter von geradezu erschreckender Würde, sprang auf. Denn dieses köstliche Lied aus Freyjas zarten Munde galt seinem Ruhme! Seine kostbare Bärenfellmaske flog durch die Luft wie ein verliebter Rabe und landete – natürlich! – genau vor Freyjas Füßen. Ein Zeichen der Götter! Es war gewiss, ihre Aufnahme in den Stamm stand kurz bevor, so dröhnte der Jothar.

Bjornar das Bärenkind – o welch poetische Ironie des Schicksals! – dessen zartfühlende, jugendliche Seele in einem Körper gefangen war, der Bergtrolle zum Weinen und Elfenprinzessinnen zum Ohnmächtigwerden gebracht hätte, explodierte förmlich vor Entzückung. Seine borstigen Felle dampften vom Bergschnee, den er ins Dorf getragen hatte, sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich wie das mächtige Atmen eines Liebesschwurs aus dem Munde des Urvaters.

„Bei Kovakarhus Pranke!", donnerte er mit einer Stimme, die die Eisberge im Fjord zum Klirren brachte. „Dein Gesang, süße Liedzauberin, hat heut mein Herz mit doppelter Kraft erfüllt! Ich fühle mich wie hundert Berserker-Bären und alle sturmumtosten Drachenschlächter zusammen!"

Um ihn wehte plötzlich Waldduft, Mondlicht und – ein wenig traurig und doch sehr entzückend – der tragische Fluch seiner Unbeholfenheit.

„Ach, du Maßloser!", hauchte Freyja, ihre grünen Augenlichter funkelten wie Birkenblätter in der Frühlingssonne, während ihre Wangen rosa erglühten, den ersten Strahlen der Dämmerung auf mit jungfräulichem Schnee bedeckten Gipfeln gleich. „Du übertreibst wie ein... wie ein Skalde im Liebesrausch!" – in der Tat! Es gab überhaupt nicht genügend Adjektive, Kenningar und verstolperte Metaphern, um diesen Moment zu beschreiben, also musste die Zeit ihren Atem anhalten! Die Feuerflammen ehrfürchtig flackern. Selbst die Holzbalken der umstehenden Langhäuser ächzten – voller Erwartung auf das unweigerlich Kommende.

„Übertreiben? Ich?" Bjornar grinste mit der Unschuld eines verliebten Bärenwelpen. „O Augenweide! Träumst du denn nicht von Ruhm? Ich kenn da 'ne Sängerin in Surom – eine wahre Herzensräuberin! –, so bezaubernd, dass sogar ewige Gletscher vor Sehnsucht dahinschmelzen. Sie könnt dir helfen, dir nochmehr Gesänge, noch mehr Geschichten lehren und vor allem..."

Seine Stimme sank zu einem samtenen Flüstern, während goldene Funken zwischen ihnen tanzten: "...die hohe Kunst der Verführung."

Freyja errötete bis in ihre flammenden Haarwurzeln. Ihre Augen senkten sich schüchtern wie scheue Waldlilien nach dem ersten Frühlingsregen. „Singen und Geschichtenspinnen – ja, das wäre herrlich! Aber verführen? Ich?“

Ihre Stimme war nicht mehr als ein verzweifelter Hauch, zart wie der Flügelschlag einer Schwalbe, die gerade flügge werden wollte: „Wer würde schon sein Herz an eine so unbedeutende Jungfrau wie mich verschwenden?"

Und da – wie erhofft! – schlugen Blitze der Leidenschaft zwischen den beiden Seelenverwandten ein. Nicht normale Blitze, nein. Es waren Blitze aus Sternenstaub, Liebesglück und erwartungsvollen Romantasy-Klischees, die von bebenden Autoren und ihrer einhändigen Leserschaft geschleudert wurden und dabei so gleißend waren, dass selbst die trübste Stunde in der Nacht der Götterdämmerung davon erhellt werden würde.



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Zweites Lied. Das Lied vom Naturburschen in schlafloser Nacht

Am nächsten Morgen, als in Fjellgat perlende Tautropfen wie winzige Diamanten auf den Grashalmen glitzerten und die Morgensonne ihre goldenen Finger durch die Nebelschwaden streckte, trat Freyja hervor. Ihre waldgrünen Augen schimmerten feucht wie nach einem Sturm der Gefühle.

„Schlaflos war meine Nacht!", bekannte sie mit bebender Stimme, während ihre Rehaugen wie gefangene Schmetterlinge zu ihrem Herzensdieb huschten. „Deine Gestalt – ach! – sie ließ mir keine Ruhe. Unaufhörlich musste ich an dich denken, mein rätselhafter Sturmriese."
Es umgab sie ein Hauch aus Blütenduft, Inspiration und der süßen Pein aufkeimender Sehnsucht.

„An... an mich?" Bjornars borstiges Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck tausender Zweifel. Seine riesigen Pranken suchten verwirrt halt in der Luft und streiften - ganz zufällig, wirklich! - Freyjas feine Taille. „Hab ich etwa... hab ich dein zartes Herz verletzt?"

„Nein – ganz im Gegenteil, du wundervoller Tollpatsch!" Ihre Lippen, rot wie die Beeren des Blutbuschs, bebten vor Erregung. „Du hast mich derart verzaubert, dass ich – o ihr Götter, wie peinlich! – ein ganzes Lied über dich erschaffen habe. Ein Lied über deine... dein wildes Herz, deine Wildnis und die Wildnis, die dich liebt."

Die Morgenvögel im Dorf hielten inne im Gesang, damit der Wind aus dramatischen Gründen ein sehnsuchtsvolles Möwengeschrei über das Meer tragen konnte.
„Ui-ui-uiiiiii...", stöhnte Bjornar und blickte verzweifelt in alle vier Himmelsrichtungen, als suchte er Rettung vor dieser überwältigenden Liebeserklärung. Überall, nur nicht in ihre strahlenden Augen – denn dort lauerte süßeste Verzweiflung und mindestens drei verschiedene Arten von Herzschmerz.

Freyja schenkte ihm ein Lächeln so zart wie Morgenröte über einer Albenwiese und floh – ach, welch anmutige Flucht! – in Richtung der dampfenden heißen Quellen. Ihre Locken flatterten wie lebende Flammen hinter ihr her.

Bjornar starrte ihr nach wie ein verhungerndes Raubtier, ehe er mit tollpatschiger Anmut hinter seiner Herzenskönigin hertaumelte. Dabei stolperte er über nicht einen, nicht zwei, nein mindestens drei Steine und einen sehr empörten Reitbären und landete kopfüber in der Quelle.

Er entledigte sich unter Wasser seiner Pelze, ein Bad war allenfalls nötig, streckte dann den Kopf heraus und fand Freyja anmutig am Rande sitzend, seine herrlichen Kapriolen genüsslich betrachtend. Dann stimmte sie das Lied an, welches ihr in der letzten Nacht die Ruhe geraubt und dabei alle Freude der Welt bereitet hatte. Sie erhob erneut ihre Stimme. Das dampfende Wasser spiegelte ihre Gestalt wie ein verzauberter Spiegel der Ahnen.

Ihr Lied war so kristallrein und voller sehnsuchtstrunkener Schmerzen, dass Bjornars Augen sich augenblicklich mit den salzigen Tränen der Ergriffenheit füllten. Die Wassertropfen auf seinen borstigen Wimpern funkelten wie winzige Sterne. Er starrte seine Liedgöttin an, überwältigt von der erschütternden Erkenntnis, dass sie sein wirres Bärenherz in göttliche Worte zu fassen vermochte. In Freyjas Lied erschien Bjornar wild, frei, fabelhaft ein Krieger für das Leben, ein Held der Natur. Bjornar konnte es nicht glauben, seine Einfalt, sein Jähzorn, und all die schlimmen Dinge, die ihm anhafteten waren abgeperlt, hinfortgespült durch Freyjas Herzensklang. In ihren Augen war er schön und wahr.

Die Zeit hielt wieder den Atem an – sie machte das öfter in letzter Zeit – wahrscheinlich aber, damit auch sie einen ausgiebigen Blick auf Bjornars nackten Körper werfen konnte, wie er dort glücksselig im Wasser der heissen Quellen trieb.






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Ein Grunzer aus tiefstem Liederherz

„Ich... ich will auch ein Lied singen", grummelte Bjornar schließlich, seine Stimme rau vor Emotion. „Ein Lied, das tief in meinen Erinnerungen schlummert... von damals, als ich noch ein winziger Welpe war."

Von Freyjas himmlischer Melodie beflügelt wie ein sturmumtoster Adler, öffnete er seinen Mund – und natürlich entwich ihm nur ein herzzerreißendes Gemisch aus Grunzen, Knurren und tränenersticktem Schluchzen. O Qual der Sprachlosigkeit! O tragische Ironie der Liebe!

„Bleib... bei mir", krächzte er mit brechender Singstimme, jede Note schief wie ein sturmverzogener Baumkrüppel an Steilklippen geklammert. Salzige Tränen rannen seine bärtigen Wangen hinab: Gebirgsbäche im Frühjahrstau, die dem Beckenmeer zustrebten.
„Bleib wie Flamme im ewigen Frost... mein Herzholz, mein Hellblick, meyn..."
Seine Stimme zerbrach endgültig wie Packeis unter Großvater Winters unnachgiebigem Druck.
„Troooooost…“, presste er qualvoll hervor.
Aber irgendwie klang es auch wunderschön – wie das Lied eines sterbenden Schwans, mit quietschender Bassstimme und mehr Brusthaar.

Freyja schwieg in ehrfürchtiger Andacht. Sie beugte sich über das Becken und ihre zarte Hand streichelte sanft seine tränenfeuchte Wange, so federleicht, dass selbst ein Schmetterling vor Neid errötet wäre. Sie ließ ihn einfach sein, wie die Götter - oder welcher wilde Waldgeist auch immer – ihn geschaffen – stark wie ein Berserker, zart wie ein Neugeborenes und wild wie ein ungezähmter Sturm.

„Wer sang dir dieses wundersame Lied vor, mein Bärenkrieger?", flüsterte sie, mitfühlend und tröstlich wie ein Honigmeer.
Und da – wirklich! – fiel ein einzelnes Kirschblütenblatt, vom Wind der Schicksalsgeister geführt, genau auf Bjornars Nasenspitze. Er schielte, grinste durch seine Tränen, brummte leise – und in diesem Moment war die Welt perfekt.

„Muss... muss meine wahre Mutter gewesen sein", hauchte er glückselig.

„Das schönste Lied, das jemals erklungen ist. Dein Lied", flüsterte Freyja zurück.

Bjornar ließ sich im heilenden Wasser treiben wie ein selig Träumender und seufzte: „Das Herzholz-Lied ist mein Anfang. Ist ein Traumlied".
Erst nach langer Zeit der tiefen Blicke, sagter er: "Dein Gesang ist der erste, den jemand mit seinem Herzen für meins gemacht hat."
Und noch später, lang genug später, dass sie Zeit genug für ihren ersten Kuss gehabt hätten, sagte er: "Auch wenn‘s nicht stimmt, was du über mich singst, so ist es doch wahr!"

Und irgendwo, fern im Hintergrund, trällerte eine unsichtbare Harfe das „Lied der ewigen Verbindung". Oder war es nur das Quaken eines sehr melodiösen Froschs?
Bei so viel Romantik war das schwer zu unterscheiden.



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AMEDA

Beitrag von Bjornar »

Auf breiten Planken,
die AMEDA schaukelt sanft,
Stolz Suroms,
stolz zur Schau gestellt,
Gesichter glänzend,
groß und fein,
und mit dabei,
des Trymm'Takk Stammes starker Reigen.
Tarabasch, der Riese, Steuer hält,
während Winde zärtlich an Segeln zupfen.
Ich aber sehe nur dich,
Freyja,
meine Sonne, warmer Blick,
leise klingt dein Lied,
und mein Herz pocht zart im Takt.



Dann auf See,
ein neues Wunder der Menschenmacht
streckt gierig seinen Rachen in den Himmel
– ZISCH! KNALL! BA-BOOM!
Kanonenröhren speien Feuerschlünde,
Himmel splittert – Splitter!
Funken!
Schreckenswogen!

Krachend stürzt Erinnerung,
ich taumle, falle
– Feuerwerk der Grahl-Hochzeit,
Jubelndes Getöse im Sonnengarten,
auch dort Donnermenschen!
Kra-BUMM!
Ein Menschenfest der Liebe:
Schreckensstarr gelähmt die Wildnis!

Lauf Bjornar lauf,
lauflauflauf,
der Himmel schillert!
– raus aus falschem Drachenbrüllen,
raus aus Freudenschmerzgesang,
Feuerhände greifen nach den Wolken,
zerren,
Ha! Ha! Ha! lacht es grell,
ich schrei,
stumm
und flieh,
kein Schritt.

Später und doch immer jetzt –
Himmel reißt, Kometen fallen,
Sterne brennen,
BRUCH! BLITZ! SCHLAG!
Himmelswunde verdoppelt die Welt,
Weltenwunde klafft,
reißt,
Donnerhimmel,
Erdschmerz schickt Zorngeister,
Krater tief geschlagen,
Ahnenbaum brennt und ich darunter!
Welt zersplittert,
Schreckenskälteschweiß,
ich breche,
fliehe,
falle,
keuche,
sterben werde ich,
die Welt,
es endet alles jetzt,
jetzt,
JETZT!

Stille brandet herbei
im Widerhall
des Kanonenechos.
...echos.

Sanfte Hand,
Freyja singt,
Ruhe, Ruhe,
Bjornar mein,
warmer Klang,
wie Meeresrauschen,
wiegt mich,
rettet mich,
in deinen Augen finde ich Land,
Schmerz weicht langsam,
Herz klopft
sachte,
sachte,
sachte...


Doch wieder
– KNALL! ZORN! KRACH!

Menschen stehlen Himmelsdonner,
Schlachten werden Götterbeben,
Sturmwaffen mehren sich,
Titanengewalt in Wichtelhand,
sie lassen Wälder bersten,
Berge bluten,
den Maschinentod zischen sie voran,
metallnes Heulen,
OHRENBRAND!

Taub,
bin taub,
ich hör dich nicht,
kein Lied,
kein Trost,
kein Blick,
nur
– Lauf Bjornar lauf, lauflauflauf
– rett dich,
renn,
spring,
SCHWIMM!

Wasserklatschen,
kaltes Nass,
strampel,
zappel,
keuch und schnapp,
schlage,
schwimme,
flieh – ich flieh,
Land,
ich brauche Land,
weg von Donner,
weg von Schrecken,
weg von dir,
Freyja,
dein Sang hinfortgesprengt,
kann mich nicht halten,
fort,
retten muss ich mich
– allein!

(Zorngeist, nein!!!
Drochsalwahn,
Erfülle nicht mein Herz!
Nicht so nah bei IHR!)

Bjornar flieht und bleibt nicht,
der Donnermord ist über die Welt gekommen!


Ameda.png

(Soundtrack: Princess Mononoke. The Demon God.)
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Bjornar
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Aba gern' doch!

Beitrag von Bjornar »

Bjornar erwachte glücklich und mit summendem Schädel. Sein linker Unterarm brannte vertraut, seit Morgath ihn dort gezeichnet hatte. Sein rechter Unterarm hingegen juckte unerträglich; eine dicke Mücke musste ihn in der Nacht erwischt haben. So glücklich war er, dass er sich die unzähligen hübschen Larven vorstellte, die die Mücke aus seinem Blutstropfen erschaffen würde. Stolz fühlte er sich wie ein vielfacher Vater.
Zärtlich streichelte er die juckende Stelle und murmelte: „Aba gern‘ doch, kleine Mücke.“

Freyja! Ihr Duft lag noch auf seinem Gesicht. Er hatte den schönsten, lebhaftesten, wahrhaftigsten Traum von ihr gehabt! Die Welt um ihn herum strahlte davon, und wie sehr er sich nach ihr sehnte! Doch sie war fort, auf Bransla. Es schien ihm gewiss, dass sie gestern Abend hier gewesen war, beim freundschaftlichen Trinkgelage. Tatsächlich lag sein Kopf auf einem Diwankissen, das unwiderstehlich nach ihr duftete. Hatte er tief und fest geschlafen, als sie sich leise davonstahl und einen Abschiedskuss auf seine Wange hauchte? Lächelnd atmete er tief ein.
Mit einer langsamen Drehung im Halbschlaf und einem Blick durch verquollene Augen erkannte er: Ja, sie waren wirklich hier gewesen, vor wenigen glücklichen Tagen. Er befand sich im würzigen, gemütlichen Rauschrauchraum von Nebelhafen, unten, gegenüber der immermüden Sera. Doch gestern? War das wirklich gestern gewesen? Der Geruch seines geliebten Weibchens hatte das Kissen tief durchtränkt und war bereits älter. Er klammerte sich an das Kissen, vergrub den Kopf darin und wiegte es in seinen Armen. Zwei leere Metflaschen standen auf dem Tisch.

Aba gern doch_Bjornar wacht auf.png

Angestrengt versuchte er, sich zu erinnern.

Am Tag zuvor hatte er Frühsport gemacht, wie es der ruhmreiche Tarabasch täglich tat: Jagd auf Eisdrachen, allein. Auch wenn Bjornar es nicht so geübt, sicher und gelassen anging wie sein Freund, sondern eher mit Turnen, Schlittern und Gebrüll, kam er doch gut voran. Er wollte dem Stamm zeigen, dass er ein guter Jäger war, Freyja bei ihrer Rückkehr mit Trophäen überhäufen. Es nagte an ihm, was Cataleya von ihm gefordert hatte: Suroms Drachenhöhlen allein zu bezwingen! Nun, er würde vor Fjellgats Haustür anfangen zu üben. Kaum dachte er an die verfluchte Frau, da stand sie plötzlich mitten auf dem Eis: die Schreckgestalt, die Besessene! Anerkennend blickte sie auf die Spur von Drachenkadavern, die Bjornar hinterlassen hatte. „Es wird wohl doch noch was aus dir!“, lobte sie und folgte ihm. Die verbleibenden Drachen schmolzen unter ihren flammenden Hieben dahin; das Gebrüll der sterbenden Kreaturen war groß, hallte über den Jammerfjord und lockte Haldron aus dem Dorf herbei, der sich anschloss. Zwar wollte Bjornar die Wyrm-Mutter am Leben lassen, doch zu dritt und mit der Macht des Schamanen wurde auch diese rasch aus ihrem Hort vertrieben.

Aba gerndoch_Cataleya und Bjornar.png

Etwas musste in Surom vorgefallen sein, denn Cataleya wirkte blutrünstiger und bitterer als sonst. Kaum waren die Drachen besiegt, verlangte sie: „Ich will eine wahre Herausforderung!“ Sie schleifte Bjornar in die Eishöhlen des Drachenclans. Zu zweit, ohne Zaubermacht! Und wie sie dort litten, wie die Formwandler des Clans sie verspotteten und immer wieder blutend zum Eingang trieben! „Man lernt nur aus Schmerzen!“, sagte Cataleya grimmig; an Rückzug war nicht zu denken. Da wollte er ihr am liebsten die Totenkopfmaske vom Gesicht reißen, sie in die Arme schließen und trösten. ‚Man lernt immerzu!‘ schrie sein Kopf. ‚Aus Schmerzen lernt man eben nur Schmerzhaftes‘, dachte sein Herz traurig. ‚Das ist wohl alles, was sie je gelernt hat‘, grollten seine Eingeweide. In einer besseren Welt hätte er in diesem Moment zu ihr durchdringen können; sie hätten sich beruhigt, vielleicht weinend einander festgehalten und wären dann ihrer Wege gegangen. Sie hätte gesagt: „Du hast recht, Bjornar, gehen wir… und danke, dass du bei mir warst“, und er hätte gesagt:

„Aba gern‘ doch!“

Jedoch in dieser Welt waren sie im Blutrausch gefangen, riefen um Verstärkung bei Clan und Cataleyas Jüngern. Haldron und ein gewisser Dracon kamen hinzu, und zu viert verfielen sie in rachsüchtige Raserei und schlachteten sich durch die Eishöhlen. Blindwütig, effizient, reine Mordlust – eine typische Fieberjagd.
Ein Detail blieb Bjornar jedoch im Gedächtnis: Auf dem Weg zu Tyldarak versperrte ihnen ein unbekanntes, geflügeltes Wesen den Weg. Es platzte wie ein blutiges Daunenkissen, Federn stoben durch die Luft. Bjornar blickte zurück und sah im schmauchenden Federhaufen einen blutüberströmten Mann. Er hielt inne, half dem Röchelnden auf die Füße. Ohne ein Wort löste der sich in goldenes Licht auf. Die Horde rannte schulterzuckend weiter, Tyldarak zu unterwerfen und seine Schätze zu rauben.

Bjornar dachte nun angestrengt darüber nach. Er kannte den Mann, hatte dessen Verwandlung schon einmal gesehen, bei Tageslicht und ohne Blutdurst im Herzen. Das war Amarius, der freundliche Priester aus Solgard gewesen.
Um die Sache zu verstehen, stellte Bjornar sich vor, wie sie bei einem Messwein zusammensäßen und redeten:

„Es iss schon soooo, dass ich manschmal vom Willen des Herrn überkommen werd‘“, lallte Amarius weinselig.
„Jau, kenn jeg og. Mir überkomm og so Sachn, manchigma“, antwortete Bjornar. „Un dann bin jeg am Ende nakkisch un find myr woanners un wees neyts mehr, was gewesen war…“
„In der Tat. Wenn ich hicks, bei gesundem Menschenverstande gewesen wäre, wär ich doch niemals… allein… Eurer wilden Horde in die Jagdhöhlen gefolgt… um mich Euch wortlos in‘ Weg zu stelln…“, gestand der Priester kopfschüttelnd und rülpste vornehm. „Ich muss wohl von Sinnen gewesen sein.“
„De warst verwandelt, un besessn von deym Herrn“, sagte Bjornar weise. „Kaum zu verscheidn von all den annern Opfan dadrinn… Aba ehrlich ma… das heest doch, wir hamm dyr von eener Besessnheit gerretigt… so mit der Oks…“
Amarius blickte ihn zweifelnd an: „Könnte man so sehen…?“
Da legte Bjornar ihm verständnisvoll die Pranke auf die Hand:

„Aba gern‘ doch! Un jedazeit wieda, falls de dyr mal wieda verlieren tust. Jeg helfer imma gern!“

Dann fügte er grinsend hinzu: „Un de wolltst myr noch zeign, wo ma so eene Engelsfeder findn kann. Hast je selba keene überig gelassen. Eyn annermal?“ „Vielleicht…“, sagte Amarius nachdenklich und verschwand in goldenem Licht.

Aba gern doch_Amarius.png

Ja, so hätte Bjornar diese Geschichte gefallen, doch heute, mit seinem summenden Schädel, war er keineswegs sicher, ob dies der Wahrheit entsprach. Immerhin erinnerte er sich, dass der Paladin Jaster noch den ganzen Nachmittag auf Haldron eingeredet hatte, wegen der Ereignisse in der Höhle. Drohte nun etwa Krieg mit Solgard? Abenteuer bedeutete das gewiss, dachte er vorfreudig. Aber dies würde das Rätsel seines verzechten Abends nicht lösen. Amarius und Jaster hatten sicher nicht zu der lustigen Sauftruppe gehört, die gestern Abend im Rauschrauchraum gezecht hatte.

Von oben, aus der Stadt, drang munterer Gesang, fröhliches Spielen und der Lärm eines Festgelages herab, begleitet vom Duft vieler Köstlichkeiten.
Das musste Rous großes Nebelhafner Spiele-Fest sein! Bjornar hatte also eine ganze Nacht und den folgenden Tag verschlafen. Das war gut möglich, denn er war ein gewaltiger Schläfer. Sein Magen knurrte dröhnend und bestätigte dies. Rasch stopfte er das Diwankissen mit Freyjas Duft in seinen Reisesack, legte die achtlos herumliegenden Armschützer seines Hardpelzes an und kletterte die Brunnenstiege hoch. Als er ankam, neigte sich das Nebelhafner Fest bereits dem Ende zu.

Er beschloss, herumzufragen, wer denn gestern mit ihm gezecht hatte. Thralda und Rou kamen irgendwie in Betracht, Aleya vielleicht auch? Doch überall Fehlanzeige. Noch schlimmer, Aleya wusste nichts über den Verbleib Freyjas in Surom, was ihn zutiefst beunruhigte. Besonders Thralda hätte sich einen gemeinsamen Trinkabend sicher gemerkt. Zwar hatten sie gestern am Lagerfeuer gesessen, während Cataleya von starken Frauen predigte und Met getrunken wurde, doch Thralda beharrte darauf, nicht wirklich mit ihm gezecht zu haben.

Bjornar betrachtete das bunte Treiben: Von den sonst noch Anwesenden waren aus verschiedensten Gründen ausgeschlossen: der schöne Alec, Yeva, Gwen, die Schwarzalben, Cataleyas Jünger und Herr Grahl. Obwohl er sich mit jedem einen gemeinsamen Trinkabend durchaus vorstellen konnte. Also mussten es halbwegs Unbekannte gewesen sein. Vielleicht der sowieso stets betrunkene Sänger, der sich neuerdings in Nebelhafen herumtrieb? Oder sein Drachenfreund Mor’dan? Die listige Traumzauberin Orenda? Vielleicht sogar der immergrüßende Dakmor, der anwesende Grox oder gar die Hochalben dort drüben?
Ein gewaltiges Magenknurren beendete diese zunehmend abwegigen Überlegungen und er fiel heißhungrig über das Buffet her. Vollgefressen kam er mit dem alten Druiden Vidar ins Gespräch, und es bestätigte sich, was Zlata schon einmal angedeutet hatte: Vidar wollte die Tiere und Monster der Neuen Welt kennenlernen, zeichnen und beschreiben, und was gäbe es da für staunenswertere Wesen als die Schwabbel? Begeistert berichtete Bjornar von den wundervollen Eigenschaften dieser famosen Viecher, ihren Verwandlungen, Tänzen, Flötenrufen, Paarungsritualen und den erstaunlich nützlichen Anwendungen ihres Schwabbelschleims.
Vidar war sogleich begeistert und lud Bjornar zu einer Forschungsreise ein, um den Geheimnissen der Schwabbel auf die Spur zu kommen. Sie verabredeten sich für später, da das festliche Treiben gerade keine Gelegenheit für ausführliche Gespräche bot. Soviel war sicher – Bjornar würde bald unter die Schwabbel-Forscher gehen:

„Aba gern‘ doch!“, rief er begeistert, spuckte in die Hände und schlug ein.

Eine Möglichkeit blieb noch offen. Vielleicht war es sein Freund Hednar gewesen, mit dem er die letzte Nacht durchzecht hatte? Der nämlich wirbelte gerade das gesamte Fest durcheinander, mit seiner bewundernswerten, wilden Art. Wie er die Leute beschenkte, Orks bestaunte, Reitkunststücke vollführte und sogar kurz mit Bjornar raufte – es war eine wahre Freude! Mit ihm zu saufen konnte Bjornar sich besonders gut vorstellen, vor allem, weil beim Saufen oft etwas Besonderes geschah. Und Hednar war durch und durch besonders. Allerdings trank der Druide sicherlich nur Wasser und kaute Nachtschatten, aber auch das wäre wohl rauschhaft genug gewesen.

Doch dann begriff Bjornar, dass Hednar heute so besonders aufgebracht war, weil er alle Druiden der Insel zusammengetrommelt hatte, um am nächsten Tag gemeinsam die Himmelswunde im Schlangenhain mit einem großen Opfer zu heilen. Was genommen wurde, musste zurückgegeben werden. Kovakarhu würde erfreut sein. Hednar war seit Wochen derart beschäftigt mit seiner großen Aufgabe, dass er wohl kaum die Ruhe gefunden hätte, gestern Abend mit ihm in der Rauschhöhle zu verweilen. Hednar verstreute schon seit geraumer Zeit überall fruchtbare Erde. So ein Held und guter Mensch war der! Bjornar selbst hatte den Ahnenbaum im Silberhain mit aller Kraft vor den Zorngeistern verteidigt, und Hednars Anstrengungen verdienten wahrlich den Gesang der Skalden.

Er versuchte, mit Hednar über den morgigen Tag zu reden, doch das Reden mit ihm war ja bekanntlich schwierig. Aber Hednar war weise. Sicher wusste und spürte er, dass Bjornar ein unverzichtbarer Teil seines Zaubers sein musste, denn Bjornar hatte den Segen des Weißen Hirsches errungen – zusammen mit Freyja! (Oh, wo steckte sie bloß?) Die heilende Lebenskraft von Grimlas heiligem Tier war gewiss geeignet, die Himmelswunden zu schließen, ohne erneut Zorngeister hervorzurufen. Notfalls würde er morgen auch allein am Ahnenbaum erscheinen und Hednar helfen, sehr sehr gern doch wollte er das tun!

Da rief Rou zum krönenden Abschluss des Festes laut über den Marktplatz: „Achtung! Es wird laut! Bringt die Tiere in die Stallungen!“ Bjornar konnte es aus der Ferne riechen: die herangeschleppten Kisten und Kästen stanken nach schrecklichem Sprengpulver der Alchimisten. Feuerwerk! Auch Rou wollte ihre hervorragende Feier mit diesem unsäglichen Menschendonner aus der Dose ruinieren und die Himmelsgeister verspotten. Er flehte sie an, das nicht zu tun, doch seine Stimme ging unter im aufgeregten Geschrei der Menge. So viele Augen waren gespannt auf das Geschehen gerichtet, dass Rou ihn gewiss nicht mehr hören wollte.
„Anzünden, anzünden!“, rief die Menge, und in den Augen des Sprengmeisters und Rous stand geschrieben, wie gern sie doch das Spektakel in Gang bringen wollten.

Bjornar zog sich zurück und als das höllische, betäubende, kopfschmerzkreischende Geballer losging, da sah er schon einen echten, wütenden Zorngeist beleidigt und rachsüchtig in Rous ach so brennbares Zelt hineinfahren, er sah vor seinem Alptraumauge die Schwester brennen im Schlaf und hörte ihr jämmerliches, erstickendes Geschrei in seinen Ohren. Flieh Bjornar Flieh, lauf lauf lauf --- er sprang auf den Schwabbel, raste in die Wildnis, um sich wer weiß wie lange, wer weiß wo zu verkriechen. Der Schreck saß so tief, dass er Hednars heldenhaftes Heilritual am nächsten Tag gewiss verpassen würde. Mussten sie ohne Grimlas Segen voranschreiten. Auch die neugierige Frage nach der durchzechten Nacht verpuffte mit dem Feuerwerksgetöse gänzlich aus seinem animalischen und auch im besten Zustand bereits löchrigen Geist.

Sollte es also irgendwen geben, dem das Rätsel dieser vergessenen Nacht so viel bedeutet, dass er es lösen möchte:

Aba gern‘ doch!

Denn Bjornar allein vermag es nicht.
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Wilde Lieder. Zweiter Gesang

Beitrag von Bjornar »



Fjellgatt Bannkreis - Zweiter Gesang - Wilde Lieder.png

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Zweiter Gesang. Erster Kuss


Aller Anfang ist schnell und leicht, und unsere am Kliff des Ersten Gesanges hängenden, sehnsüchtig mitfiebernden Leser-Herzen sollen selbstverständlich nicht enttäuscht werden: Bereits am darauffolgenden Tage kam es zum ersten Kuss zwischen Freyja und Bjornar. Was man so „Kuss“ nennen kann bei zwei so herrlich Unbedarften in Liebesdingen – aber keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser der erlesenen Übertreibung: Das wird der Fjellgat-Romantik nur die nötige wilde Würze verleihen!

Die Sonne also ergoss sich in goldenen Strahlen durch Nebelschleier, die wie zart gezeichnete Liebesgeister über Fjellgats heißen Quellen tanzten. Dort ließ sich Bjornar nach der frühmorgendlichen Jagd nieder, und das Wasser spielte – wie es sich gehört – ein Lied von Feuer im Eis, so voll, dass selbst die Steine am Beckenrand kurz an die Liebe glaubten. Im Becken saß Freyja, dermaßen zufällig, man muss es schicksalhaft nennen. Da saß sie also und kämmte friedvoll ihre Feuerlocken, die wie ein ausgerollter Nordlicht-Teppich auf der Wasseroberfläche schwammen. Ja, genau jetzt setzte ein weiches Gegenlicht ein und verhüllt alle ihre weiteren Details zu einer reizvollen Silhouette.

„Hey, du Reinliche…“ Seine Stimme kam tief, fast verträumt, als sein Blick endlich auf sie fiel und dort lang und lieb verweilte. Sie musterte ihn lächelnd aus den Augenwinkeln, ihrerseits bereits seit dem ersten Moment, als er aus den Nebelschwaden erschienen war.

„Den Ahnen zur Ehr, Bjornar“, antwortete sie, und ihre smaragdgrünen Augen funkelten wie Quellwasser, im genau richtigen Winkel des Morgenlichtes betrachtet. „Was treibt dich her?“ Eine Braue stieg – und siehe, ganze Epen wurden mit weniger erhoben –, während er sich an den Lippen saugte, als könnte er den Geruch von Jagd und Morgen aus der Haut ziehen und gleich noch die richtigen Worte dazu.

„Ahnenehr, Quellenehr… ich meine wirklich, ich stinke doch sehr“, nuschelte er, und eine Röte kroch ihm ins Gesicht, so zart, weich und unschuldig wie Jungfuchs-Fell. Freyja lachte leise; ein warmer Klang, der die Quellen-Dämpfe kurz in Herzform kräuselte. Dann wurde ihr Blick einladend, moosweich, und sie wies auf die Stelle im Wasser neben sich: „Dann komm doch rein.“

Bjornar trat näher; Felle glitten von seinen Schultern wie abgelegter Winter. Der große Körper spannte sich in jener süßen, gefährlichen Erwartung, die in alten Sagas immer Vorbotin des Heldenschicksals ist – ob es wohl glorreich oder tragisch ausgehen wird, für beide? Das bleibt abzuwarten!
Mit kaltem Nordwind auf der Brust tauchte er ein, und die Wärme schloss sich um ihn wie ein sanfter Schmerz, während die Dampfströme seine Haut abschleckten (man verzeihe die Kulinarik der Metapher; der Erzähler ist auch nur ein Mensch und hat seine Figur ganz und gar zum Fressen gern).

„Autsch… Autsch… nur nicht zu dicht ran hier…!“ Ein leiser Schrei, als eine plötzlich aufschnurrende Dampfsäule heftig über Bjornars Hintern zischte – denn auch die Quellen Fjellgats sind nicht ganz unbeteiligt an der Geschichte und ahnten bereits, was sie als Schauplatz künftig noch miterleben durften: großes Gefühl und große Hitze. Freyjas Blick flackerte auffordernd zwischen Bjornar und dem wohlig wogendem Wasserfleck neben ihr – zwei kleine Funken, die nur nach Zunder suchten.

„Warum nicht näher heran?“ Sie winkte ihn herbei. Er trieb zu ihr, wehrlos wie ein Blatt auf dem Strom des Lebens; da legte sie die Hände auf seine Schultern. „Ich beiß nicht… naja, nicht jeden.“ Das war beinahe schon ein Versprechen. An dieser Stelle zwinkern die andächtig schweigenden, aber mächtig glubschenden Frösche am Rande der Quelle uns verschwörerisch zu, denn auch das Beißen werden wir wohl noch erleben dürfen, in diesen Wilden Liedern! Bjornar zögerte. Sein Herz pochte sichtbar, als schlügen Kriegstrommeln unter seiner nasser Haut, und dennoch: er setzte sich artig knapp außer Reichweite.

„Danke. Tausend Dank, sag ich dir!“ Er stammelte, Steine zu Sätzen stapelnd: „Wegen, weil, also… dafür dass… Dass ich mit dir üben darf!“ Die Nase wackelte, der Blick suchte ihren, dann wich er aus, als sei ihr Hellblick zu hell. Freyja musterte ihn; die Stirnfalten ein Buch aus ungedeuteten Orakelrunen. Dann platzte sie heraus: „Mit mir üben? Was denn?“

Dunkle Schatten huschten über sein Gesicht – Wolken aus Alb- und Wunschträumen. „Na, mich nicht zu verlieren… bei deinem Anblick, und alldem…“, gab er halb seufzend, halb brummend zu. Hastig warf er hinterher: „Aber, aber, aber… keine Sorge! Es ist ja kein Frühling mehr!“ (Wir notieren: Nur wer Bjornar kennt, weiß hier Bescheid. Alle anderen müssen ihn wohl noch besser kennenlernen.) Freyja glitt näher, legte beide Hände an seine Wangen; unter ihren Fingern vibrierte Bjornar wie ein fabelhaftes Biest. Ja, wer mag, der denke an das Einhorn, das nur von einer Jungfrau geritten werden darf, aber!, wer das denkt überstürzt den Fluss der Handlung ein wenig. Wir sind doch gerademal kurz vor dem ersten Kuss!

„Ich verstehe nur die Hälfte“, flüsterte sie, Ton mooswarm, Blick zärtlich. Bjornar holte endlos Atem, als wollte er den sommerlichen Südwind einfangen und nicht mehr hinauslassen. Seine Augen suchten ihre; er blinzelte, als wisse er nicht, ob er Rettung oder Untergang ansah. „Das ist schon klar… Weil… du neu hier bist… mich nicht kennst. Frag mal Ynge…“ – und er griff dem Satz panisch hinterher: „NEIN! Nicht…. frag sie lieber nicht!“

Seine Stimme brach; Freyja lächelte beruhigend, so wie man ein scheues Tier beruhigt, das man aber sehr liebhaben will. „Du machst es grad nur schlimmer.“ Eine Hand ruhte noch auf seiner Wange; er fasste sie, hilfesuchend wie ein einsam Ertrinkender, lehnte sich hinein, krallte sich fest und lies sofort los, als er meinte, ihr vielleicht weh getan zu haben – doch sein Blick blieb haften.

„Das kann ich gut… Dinge schlimmer machen… Also… ich… Benehme mich nicht so gut… also früher! Das ist jetzt schon besser!“ – die Sätze hüpften, jeder mutiger. Freyja wich nicht. „So… in der Schwitzhütte… oder wenn… wenn…“ – Worte verrutschten, das Wasser gluckste stellvertretend.

Sie nahm seine Hände mit sanfter Kraft, drehte die Handflächen, legte ihre Finger darauf. Sein Puls sprang gegen ihre Daumen. „Ich will meinen Kerl nicht teilen… Ich will, dass ich genug bin, das ich bin, was er will.“

Tränen standen plötzlich in seinen Augen – als hätte ein Ahne von innen dagegengeklopft. Er sah sie an, spürte, dass die Welt kippen könnte. „Es war so wenig drin… in deinem Lied! Über mich! Alles was du nicht über mich weißt, alles was nicht mal ich über mich weiß!“ Er stoppte und merkte wie schlüpfrige Worte Momente zerbrechen können. Heilige Momente, wie diesen. Dann presste er das Einzige, wirklich Wahre heraus: „Ich liebe dein Lied! Es kommt vom Herzen!“

Freyjas Lächeln blieb, doch ihr Blick wurde unerbittlich, die gründliche Klinge der Wahrheit. „Willst du irgendein Weib oder willst mich?“ Sie schloss die Augen (unser Blick fokussiert ihre wahrlich wogenschlagenden Wimpern und Bjornar wird fast umgeworfen, welch ein Augenaufschlag!). Bjornars Antwort kam, als spräche sein Herz selbst: „Ich will dich. Mit ganzem Herzen und ganzer Seele will ich das.“

„Wenn du sicher bist, dass du mich willst…“, flüsterte sie, und ihre Arme vollendeten den Satz, schlangen sich um ihn. Bjornar zitterte, doch nun wusste sein Körper plötzlich, wohin: Er hielt sie, als sei Fallen nun nie mehr möglich. „Wenn du sicher bist, dann gehe ich nicht weg“, vollendete sie die Bedingung ihres Liebes-Paktes.
Er nickte, die Lippen dicht an ihrer Wange; sein Atem strich vorbei, lebenswarm. Das Zittern blieb – doch war es nun der Überschuss des Gebens.

„Lass… das… ganz… langsam… machen… lass uns zusammen lernen… ja?“ flehte er. Freyja seufzte – denn der gewiefte Leser mochte sich doch denken, dass sie hin und hergerissen war zwischen dem Verlangen, den süßen Trottel schnell ihr eigen zu machen und das obwohl sie selbst doch die Langsamkeit genoss und brauchte. Die haarige Sache war auch für sie ein ganz und gar unbekanntes Abenteuer, in das sie sich stürzte, auch wenn es angesichts des hilflosen Hünen so schien, als wäre sie diejenige, die zumindest irgendeine Ahnung hatte. „Ich darf nichts falsch machen….“, setzte er obendrauf, ein Satz wie ein Eid. Würde man im Stamm herumfragen, so käme schnell heraus, dass er wohl bisher immer mit untrüglichem Gespür alles falsch gemacht hatte, was man überhaupt falsch machen konnte. Sie lächelte: „Langsam, gemeinsam. Naja, ein Kuss wäre jetzt ein Anfang.“

Bjornar schluckte – man sah den Mut wandern. Seine Erregung war ein Sturm, sein Blick ahnungslos. „Wie küsst man denn?“ Freyja summte leise, als müsse sie erneut ein entlaufenes Jungtier freundlich stimmen. „Versuch es einfach und hab keine Angst: Ich beisse nicht.“ Sie führte seine Hände an ihre Wangen und suchte seinen Blick. „Ich schon“, erwiderte er, keineswegs schelmisch lächelnd sondern ernsthaft besorgt – und in seinen Augen war dieses hungrig-treue Leuchten. Dann beugte er sich vor.

Freyja schloss die Augen, atmete tiefer. Bjornars Lippen an ihrer Haut: vorsichtig wie Pfoten auf Neuschnee, sanft und unbeholfen, sodass das Wasser um sie einen leisen Kreis zog. Einen „Kuss“, liebe Mitfiebernde, würde ein streng prüfender Zuschauer das folgende Schmatzen und Schlürfen vielleicht nicht nennen – aber wer sind wir, der Leidenschaft Schulnoten zu geben? In ihren Herzen bleibt dies der „erste Kuss“: jener Augenblick, da sie sich bekennen, Flamme im Frost gegen alles, was kommt – mit dieser grenzenlosen, jugendlichen Gewissheit, dass die Welt endlich Sinn macht und sie, genau sie, füreinander geschaffen waren.

„So? Kann es das sein? Ein Anfang? Ein Fangmich?“ – hauchte er und der Dampf kräuselte sich um beide, wie Drachenodem. Freyja nickte: „Ein Anfang.“

Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter; von Bjornar ging Hitze aus, die ungelogen einen kleinen Winter hätte vertreiben könnte. „Gut… unglaublich gut, unglaublich gut! Unglaublich gut…“ wiederholte er endlos, kein Lied, und doch eine Wahrheit, die nur zwei wirklich spüren konnten.

„Dann… dann… muss ich jetzt nicht mehr… im Kerker… schlafen? Du hast mich… freigeküsst?“ – fragte er in die glückselige Stille vor allen weiteren Küssen hinein. Es war eine scheinbar kleine Frage mit großem Gewicht. Freyjas Schultern zuckten, als streife ein Schatten ihr Herz.
Ohne im geringsten zu verstehen, was ihn eine derart schreckliche Frage stellen ließ, antwortete sie in vollster Zuversicht: „Ich weiss es nicht, aber wenn, dann schläfst du dort nicht allein.“
Der Blick senkte sich; Bjornars Antwort sprang wie ein Bär aus der Höhle: „Nein! Mit dir im Kerker?! NIEMALS!“ Seine Stimme füllte die Quellbecken, jagte schüchterne Echos über den Jammerfjord. „Du hast mich befreit und nun hast DU eine Bestie zu bändigen! Dafür braucht es keinen Kerker mehr!“

Nur weitere Küsse.

Ob das reichen wird?


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Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens

Beitrag von Bjornar »

(Ruhiger und kraftvoller Flow: Mine høvdinge – Fuimadane | 44 Acoustic Tracks Honoring My Ancestors.)

...Eines Tages würde Solvaig zurückkehren und mit Freyja gemeinsam am Herdfeuer im Langhaus sitzen und diese ruhigen Melodien spielen. Andere Barden und Skalden würden ein- und ausgehen und die Musik ihrer Völker mitbringen, um voneinander zu lernen. Er würde sich erinnern und jemand würde erzählen, wie er einst um die Insel schwamm....

Eine Inselumrundung in neun Teilen



I. Fjellgat


Bjornar Start.png


Hörst du, wie die Quellen dampfen,
wo der Eisrand Atem zieht?
Fjord und Gletscher, Bärenstampfen—
kalter Himmel, der mich wiegt.

Siehst du Tannen, Eichen stehen,
Schlittenpfade, Rentiertritt?
Sturmumtoste Gipfel wehen,
Heimatfelsen rufen mit.

Wohlauf—Dem Norden zur Ehr! ich spring
ins hartgewellte Meer,
die Muskeln warm, der Atem rings,
der Geist so weit und leer.
Die Harpyie krächzt am Klippenort,
die Dämonfeste schweigt,
doch vorwärts ruft mich Fjellgats Nord—
im Herzschlag, der mich treibt.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Ich zieh’ den Kreis um deinen Strand,
die Welle mich umspielt —
Sei mir gegrüßt, o Heimatland,
mein Anfang, der mich hielt:
Sei mir gegrüßt!



II. Nebelhafen


Nebelhafen.png


Horch, wie sanft die Nebel atmen,
Buchten bergen warm und mild;
Hügelwälder, sichere Pfade—
alles schweigt in blauem Bild.

Siehst du Lichter, die sich reihen,
Rast am Steg und leises Wort?
Gastlich kann man hier gedeihen—
offnes Ufer, offner Ort.

Komm her—Grüsse! tönt es sacht,
aus Gassen, Kai und Heim;
wer heimwärts will, wer weiterwacht,
wird hier verstanden sein.
Ich öffne mich wie Segel weit,
und leg das Herz bereit;
ich trage Stimmen aller Zeit—
und schwimme fort in Heiterkeit.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Hier lernt der Puls im Nebel lachen,
unterwegs vergehen Schmerzen—
Wer grüßt, der wird gegrüßt vom Land,
und reiset sicher, wohlbekannt:
Sei mir gegrüßt!



III. Elfenland


Elfland.png


Hörst du, wie die Haine wispern,
Loriendór im Sommerschein?
Schmetterlingsflügel sachte knistern—
über Caladlorns Marmor, so blendend rein.

Siehst du Erd’ und wilde Traub‘,
wie Fuchs und Reh den Steinkreis ringt?
Im Blütenmeer und Feenstaub—
ein Vogelchor, der immer singt.

Mae govannen—leiser Gruß,
Aluvé—wie Tau am Blatt;
ihr Unberührten, elfenkühl,
die Ewigkeit zur Stadt.
Ich schwimme nah und bleibe fern,
seh‘ Jugend ohne Ende;
die Sehnsucht winkt wie ferner Stern,
und Freude leitet meine Hände.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Wo Zauber atmet aus den Zweigen,
und still der Sommer herrscht—
Ich treib am Feenhain, leise und sacht,
halte den Atem mit Bedacht:
Sei mir gegrüßt!



IV. Verfluchte Küste


Verluchte Küste.png


Hörst du‘s gären, sumpfig, schwer,
Leben wuchert, süß und wild;
Riffe reißen Wracks ins Meer,
Ruinen schön im Dämmerbild.

Siehst du die Schattenstätte stehen,
die Wolfsgewalt am Dünenschlund?
Krähen kreisen, Stürme gehen—
Brandung malt, ein schwarzer Grund.

Hinaus! Ich lache des Abgrunds Lärm,
das Abenteuer ist geweckt;
Arargh! der Orks—ein Kampfbegehr,
das Blut im Ohr versteckt.
Vendui aus der Tiefe kriecht,
ein Flüstern, kalt und kühn;
ich grüße, was im Finstern siegt—
und lass mein Herzlicht glühn.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Wo wild die Ader in den Wogen,
das Leben trotzig sprüht—
Wer ruft, den ruft die Küste an,
ich schwimm, so lang ich atmen kann:
Sei mir gegrüßt!



V. Amazonenklippen von Servastae


Servastae 2.png


Hörst du Hufe, Felsschlag, Tiger,
Gazellensprünge, helle Luft?
Riechst du Zitronen und den Flieder,
Im Wüstenwind Kakteenduft?

Siehst du Löwin überm Kamm,
das Meer in Gold und Gischt?
Klippen glühn, und fern im Damm
verfängt das Licht sich frisch.

Sel’ja! ruft hoch vom Felsenstrand,
die Schwesterkron’ im Wind;
ihr Stolz ist wie ein Sonnenbrand,
ihr Herz wie Wellen sind.
Ich schwimme staunend, fremd und treu,
die Ferne brennt wie Wein;
der weiteste Punkt—und doch erneut
ruft Heimweh leis mich ein.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Wo heiß die Klippenwälle glänzen,
in jedem Auge Ruh—
Ich trage Stolz in jedem Zug,
und atme mir die Stärke zu:
Sei mir gegrüßt!



VI. Solgard


Solgard.png


Hörst du Gärten, Farbenfächer,
weißen Strand und Häuser mild?
Wüst blitzen da die Himmelsdächer,
Wolken leuchten honigwild.

Schmeckst du Früchte, süß und hell,
Kirchgesang im Abendrot?
Weite hält die Seele schnell,
und Glaube stillt die Not.

Des Herren Segen—sanft und klar,
ein Ankh im Sonnenlicht;
die Tugend geht wie Pilgerschar,
und legt den Staub zu sich.
Ich schwimme still und danke leis,
des Einen, das verbindet;
der Himmel spannt ein weites Weiß—
küsst alles, was sich findet.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Ein Faden Gnade überm Wasser,
der meine Kräfte schließt—
Ich schwimm im Glauben ohne Zwang,
der Atem wird zum Lobgesang:
Sei mir gegrüßt!



VII. Surom


Surom.png


Hörst du Donner, Aschefelder,
Feuerberge, schwarzen Rand?
Türme blinken, Winde schelten,
Spinneninsel droht hinterm Land.

Siehst du Medusenlicht in Tiefen,
Tempel, die der Sturm umpfeift?
Festungszähne, Zinnen riefen—
jedes Glück nach Stärke greift.

Barchmon—hart, wie Eisen bricht,
ein Name, streng und stumm;
wer finstre Lehr’ im Schatten spricht,
der wählt den Pfad der Macht.
Ich ehre, was im heißen Kern
der Preis der Menschheit bleibt;
nehm’ Schauder auf—und schwimme fern,
bis die Kraft mich heimwärts treibt.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Die Glut der Werke härtet mich,
du bist mein Ziel, das spüre ich—
Drum halte ich Zug um Zug bereit,
und schwimme aus der Dunkelheit:
Sei mir gegrüßt!



VIII. Jammerfjord


Jammerfjord.png


Hörst du Eisscholl’n, karg und bleich,
Drachenhauch am Meeresgrund?
Packeis knackt, das Meer wird seicht—
und jeder Atem wund.

Siehst du Schwarz in Weiß verschwommen,
Stille, die den Herzschlag frisst?
Wie nur bin ich je soweit gekommen?
Die Hoffnung war’s, sie bleibt, sie ist.

Mahal—der Gruß, der trägt und hält,
ein Eisenwort im Berge;
Es trotzt und stemmt hinauf die Welt,
das alte Reich der Zwerge.
Ich treibe ab— der Blick
erhascht den Heimatstreif;
ich halte gegen—Stück um Stück,
allein die Glieder werden steif.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Aus Schollen, Frost und Drachenwinden
der Wille heimwärts zielt—
Ich beiße Zähne, schwimme stur,
und halte Kurs auf Fjellgats Flur:
Sei mir gegrüßt!

IX. Heimkehr


Bjornar_Dramatic Rescue.png


Hörst du wieder Quellen steigen,
Gletscherblau und Möwenschrei?
Fjord und Berge, Wälder zeigen—
Haus aus Holz am Ufer treu.

Siehst du die Riesen wachen,
Eiche, Tanne, Fels und Bucht?
Hörst du des Nordens Lachen—
Gewaltig knisterts in der Luft.

Es ruft der Stamm—Den Ahnen zur Ehr,
das Drachenboot schneidet Schaum;
sie fischen mich, das Herz so schwer
und doch so leicht im Traum.
Ich steh im Kiel, die Adern still,
das Wasser abgeronnen;
die Küste naht, wie Heimat will—
die Runde ist gewonnen.

♪♪♪

Sei mir gegrüßt, Insel meines Herzens,
Sei mir gegrüßt!
Ich zog den Kreis um Strand und Klippen—
und bin in dir beschützt.
Beginn und Ende küssen sacht,
die Liebe hält die letzte Wacht:
Sei mir gegrüßt!

♪♪♪


Fjellgat Return.png
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Bjornar
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Sommerbeute

Beitrag von Bjornar »


Harbardsljóð
Thor:

„Ek drap Þjaza, inn þrúðmóðga jötun;
upp ek varp augum Alvalda sonar
á þann inn heiða himin;
þau eru merki mest minna verka,
þau er allir menn síðan of séa.”

Old Norse Version

„Ich erschlug Thjazi, den übermütigen Riesen,
und schleuderte die Augen von Alvaldis Sohn
hoch an den Himmel;
sie sind das größte Zeichen meiner Taten,
das alle Menschen fortan sehen können.

English Version


Bjornar_boasting_animated.gif
Bjornar_boasting_animated.gif (6.95 MiB) 253 mal betrachtet

Da steht er nun, zwischen den geraubten Schätzen. Das Langhaus der Trymm'takk gefüllt mit einem Durcheinander an Beute, seine Sommerbeute! All dies ist für den Stamm bestimmt, denn die Barbaren von Fjellgat teilen all ihre Schätze auf der gemeinsamen Jagd. Aber auch sonst? Doch! Das hat Bjornar sicher verstanden. Denn was ist ihm die Sommerbeute überhaupt wert, wenn nicht die Anerkennung und das Lob des Stammes? Er hat keine Verwendung für die funkelnden Juwelen, für die seltenen Häute und all die anderen Dinge, die ihm in den ruhelosen, abenteuerlichen Sommermonaten in die Pranken gefallen sind. Wenn er nach Hause kommt, so stopft er all dies achtlos in einen Sack und große überquellende Lagerkisten, seine Sommerbeute ist wahrlich ein gewaltiger Haufen an... Zeug.

Er hat Großes vor, ein Haus ist zu bauen, eine Höhle zu Graben, Hochzeit zu halten und all dies, bevor Großvater Winter seine klammen Hände ausstreckt und Fjellgat im Schnee versinkt und die lange Ruhe am prasselnden Herdfeuer einkehren wird.

So schleppt er seine Beute vor den Stamm, verschwenderisch, freigiebig, großherzig. Er gibt es zuforderst, wie all seinen Besitz, in die Hände von Freyja, die sein Weib werden will! SIE soll es einsortieren, verwahren, ordnen, dem Stamm zum Besten. So, glaubt er verstanden zu haben, geht es zu zwischen Kerl und Weib bei den Barbaren.

Die Ärmste! Was für eine Arbeit wartet da auf sie - Solvaig musste das früher machen, all die Fässer und Kisten, die Säcke und Bündel verwahren, versorgen und haltbar machen. All das Pökeln, Dörren, Gerben, Räuchern, Einkochen, Vergären, das Mahlen und Bündeln, das Trocken, Hängen, Schaben, Schmelzen, das Sieden und Schleifen, das Bohren und Binden und noch so viel.... all das, ist das wirkliche Geschenk für sein Weib!

Was für eine blutige Schweinerei er da anschleppt und wie hilflos er dasteht, zwischen all dem Plunder!

Obendrein bekommt er kein Wort heraus, wie er sich umschaut und stumm mit den übermäßig stark gewordenenen Armen rudert, dem Stamm die Großtaten zufächert: Hier! Nehmt! Praßt! Zecht! Seid froh! Gebt mir Dank! Gebt mir Liebe und Ruhm!, fleht er mit überwältigenden Batzen der Geschenke. Noch hat niemand wirklich das Lied gesungen, wie er um die Insel schwamm - ist die Heldentat überhaupt geschehen, wenn niemand davon erzählt? Er schaut suchend in die Augen des Stammes: Wer wohl hat es mitbekommen, wie ihm hinterher tagelang die Glieder schmerzten in Freyjas Gastzimmer auf der Bransla? Wer hat lüstern gescherzt, dass seine Schwäche eigentlich ganz andere Gründe hätte? Als er aus dem Meer gefischt wurde: haben sie gedacht, dass es nur eine weitere ungeschickte Dummheit war, die er beging? Musste man dem Tor das Leben retten, kurz vor der Küste, vielleicht weil er beim Fischen ins Meer gefallen und von der Brandung fortgetragen wurde?

Wer also hilft ihm, dem die menschliche Sprache noch immer mehr Stolperstein ist, als ebnender Weg? Würde sein zukünftiges Weib für ihn singen? Sicher findet sie Melodien, aber auch Worte? Wäre er ein anderer, oder würde man ihn wirklich erkennen, gäbe es diese Gesänge über ihn?
Tatsächlich hat er die Skaldinnen des Dorfes - Solvaig und Freyja - auf seiner Seite. Nehmen wir an, sie lehrten ihm wirklich gewandt zu sprechen und er verfüge über die geistigen Mittel, sich all diese vielen Worte merken zu können, die nun folgen. Dann würde er in der Tradition der großen Verse seines Volkes ganz anders dastehen, zwischen all den Schätzen in einem anderen Licht erscheinen. Dann würde er mit voller Brust, großer Geste und lauter, sicherer Stimme folgendes in den Saal schmettern:


Hwaet! Hallensöhne, hört mein Wortwagnis;
Herdfreund und Hörnerklang heben mir den Mut.
Sommer, Speerzeit, Sturmfahrt der Jäger:
streifend die Steinpfade stand ich dem Feind.

Bjornar heiß ich, Werager des Stamms;
Bärenkraft, Bergbrust, Brand in den Adern.
Was ich nahm in der Nacht, neige ich heimwärts:
Beute für’s Bündel, Brot für die Sippe.

Windfrauen waren’s, kreischend, keifend;
Wehschrei und Wipfelflug, ich wand sie zu Boden.
Flügel faßten Fäuste, Federn wie Schnee;
Spott ihrer Schnäbel schnitt ich zu Schweigen.

Menschenfresser Mordmächtige-Oger,
Mißgeburt, Matschhaut, Müh’ ohne Ehre:
Maßloser Gliedhügel, mein Eisen maß sie.
Knochen wie Köpfe knickte ich im Frost.

Drochsal-Dämonen, Dunst aus Verbrechen,
die Sünde der Sippen sickernd bewahrten:
Ketten der Schuld kappte mein Stahl,
Herzen der Höllischen erloschen im Herd.

Drachen-Dämmerfrost, des Stammes Urfeinde;
Eisodem, Endnacht; ich stand und lachte.
Schuppensturm schlug ich, Schlund ward stumm;
Lindwurms Leuchtkern liegt an meinem Gurt.

Seht, was die Hände heimwärts getragen:
Fellflut, Fischrippen, Flammen- und Froststein;
Wolfsmask’ weißgrau, Waidwerk der Tage;
Obsidian, Ölglas, und Schwarze Perlen;
Saphir und Smaragd, Sternen-Splitter;
Rubin, Rauchgold, Ringgeber-Schätze.
Neidwürmer im Felsen, ich würg’ sie nieder:
vor eure Füße fällt mein Gewinn.

So schwör ich stark, Stamm unter Speeren:
Sicher sei Fjellgatt, solang mein Schwert wacht;
Reich sei Fjellgatt, solang ich Ringe bringe;
an Schutz, Ruhm, Schätzen schelt’ uns kein Morgen,
solang ich als Werager wild walle.

Speere sind Zeugen, Stimmen bekennen;
Met schäumt, Mund jubelt; mein Wort steht fest.
Was ich prahle, ist Pfand und Zahlung:
Narben sind Runen, rostrote Eide.

Also brummt Bjornar; Brotbringer, Schildherr;
Met schäumt, Mütter lächeln, Mägen sind voll.
Solang ich wache, wird Fjellgatt wohlleben;
Kein Kind kennt Hunger, kein Hof kennt Furcht.
Ich fülle die Speicher, speise die Alten;
Ich hüte die Hallen, halte die Tore.
Not naht nimmer, solange ich nahe.

Nun, solche Worte aber hat Bjornar nicht und niemand noch hat sie gesungen. Es bleibt also dem Stamm, auf seine Taten zu schauen und das, ohne erklärendes Lied-Geleit, welches Taten in Heldentaten verwandelt. Es kann auch einfach eine Riesensauerei sein, die er da in den Hallen anrichtet. Eine schreckliche, unerhörte Sauerei. Denn das Übermaß, das dürfte er wohl in seinem riesigen Stürmen und Drängen allemal voll gemacht haben.

Schau her! Messt Euch! Seid ihr auch so gewaltige Jäger? Vermögt ihr es besser? Wer es wagt, den Blick auf das Chaos des Gerümpels zu werfen und zu zählen, wie viele Feinde er erschlug und wie viele Stunden er dem Stamm hier zu Füßen wirft, der wird vielleicht staunen -- oder milde Lächeln, wenn da einer ist, dem die Macht zu noch gewaltigeren Schätzen gereicht.

Schaut nur her!

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78 Wildleder (grob)
32 Kugelfisch
2 Wolfsmaske (weisser Wolf)
234 Roheisen
35 Trollleder (grob)
1490 Leder (grob)
742 Eisenerz
5115 Steine
305 Drachenleder (grob)
1 Wolfsmaske
5 Fleischschwimmer
21 Baumwolle
2189 Schwefelasche
2 Schwarztorf
391 Daemonenblut
116 grosser Hering
1 Feuerpfeil
569 Quarzsand
1 Wolfsmaske (weisser Wolf)
479 Fleischrippchen
2 Minotaurenleder
67 einfaches Leder
47 Salz
1 Wolfsmaske (weisser Wolf)
2 Schaedel
292 Kristallfragmente
3 zerstoerte Armteile
6 Thunfisch
66 Amethyste
22 Himbeere
1 Wolfsmaske (weisser Wolf)
311 Zyklopenleder (grob)
214 Daemonenleder (grob)
276 Hering
253 Stichling
1 Hirschmaske (Rentier)
3 zerstoerte Handschuh
5 Fächerfisch
6 grosser Fächerfisch
3 Spinnenseide
2 Goblinleder
10 Steak
11 zerstoertes Schwert
9 Runenstein
9 steinige Überreste
8 Alraune
27 zerstoerte Axt
22 Schlangenschuppe
7 magischer Kristall +8
3 zerstoerter Helm
91 Kohle
31 magischer Kristall +6
55 magischer Kristall +2
11346 zerbrochenes Reliktstück
3 zerstoerter Harnisch
5 Kupfererz
228 Fledermausflügel
75 Vulkanasche
169 Blutknochen
27 Knochen
212 Herz des Lindwurm
42 magischer Kristall +4
69 fruchtbare Erde
15 Braunkappe
59 Kokosnuss
5 Knoblauch
1 Hirschmaske (Rentier)
697 Schwefel
2 magischer Kristall +10
15 Haselnuss
20 Honigmelone
38 Blaubeere
1 Hirschmaske (Rentier)
1 zerstoerter Schild
3 zerstoerte Armteile
174 Aal
4 kleiner Schleimer
259 Drachenblut
20 Erdbeere
38 Bolzen
29 Daemonenleder
128 Obsidian
21 Trauben
8 Limone
3 Giftpfeil
58 Farbenfragmente
18 Eier
14 zerstoerte Handschuh
122 Urknochen
224 Herz eines Daemons
6 Pfeil
1364 Monsterknochen
15 Skatziköder
zerstoerter Helm
7 Zitrone
12016 Feder
40 Bimsstein
57 Sternsaphire
5 himmlische Essenz
71 Turmaline
80 Bernsteine
53 Rubine
61 Smaragde
62 Saphire
78 Zitrine
46 Diamanten
93 Schwarze Perle

So viel Beute! Wer kann das fressen! Das Zeug interessiert ihn wirklich wahrlich nicht, so zumindest fühlt er, wenn das Jagdfieber nicht von ihm Besitz ergriffen hat.
Man muss jedoch sagen, das Bündnis mit Sorum und die Jagden mit den gierigen Gestalten dort, versetzen ihn des öfteren in gewaltigen Blut- und Beuterausch, denn oh!, wie ansteckend ist die Blutlust der Macht- und Habgierigen Kampfgefährten! Außerdem ist Sommer, die Zeit der Stärke.

Jedoch, wie er so da steht in diesem Beuteberg, da erinnert er sich an den Spruch der Weisen, der ausdrückt, was in vollster Überzeugung in seinem Bärenherzen schwingt: „Was genommen wird, muss zurückgegeben werden“ - so will es Kovakarhu, der Vermittler zwischen dem übermäßigem Leben Grimlas und dem unersättlichen Hunger Asagards. Und Bjornar fühlt, wie der Raubtierhunger von ihm Besitz ergriffen hat.
Er muss ein Opfer bringen.
Aber was?
Und wieviel?
„Besser ungebeten bleiben, als zu viel zu opfern, denn jede Gabe verlangt nach einer Gegengabe.“ Auch das hat er mal gehört, das hat wohl Sarmatijasch selbst gesagt?
So also geht er zum Druiden des Dorfes und fragt ihn, was man denn opfern solle, um einen Ausgleich zu schaffen. Der sagt: "Das ist einfach, nach jeder Jagd wirf ein paar Samen auf den Boden. Das Leben ist ein Kreislauf und all die Dinge, die du genommen hast, werden sich erneuern."

So tat er es dann auch: Er begab sich zum Ahnenbaum und verstreute ein paar Samen im Wind und auf der Erde, sprach die Worte des Ausgleichs.

Bjornar_Samenopfer.png

Dann ging er zufrieden davon.

Bjornar_Samenopfer 2.png

Warum nur, warum träumt er in den letzten Tagen immer wieder davon, wie er vor dem Stamm seine ruhmreichende Prahl-Rede hält? Die Worte kommen ihm im Traum so gewandt und mächtig aus der Kehle, wie es einem Krieger-Poeten gebührt.
Vom Stamm bewundert, gelobt und gerühmt wird er im Traum ebenfalls.

Warum nur, warum steckt er in diesen Träumen mit den Füßen fest, zwischen all der schlammigen Beute und kommt am Ende keinen Schritt voran?
Hundert Drachenschädel, hunderte Windfrauen- und Ogeraugen schauen ihn an. Hunderte Drochsaal-Fratzen grinsen hämisch in erschlagenem Hohn.

Darunter ein Meer aus altem, kalten, klebrigem Blut.

Er strampelt hilflos im Schlaf mit den Beinen...
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Bjornar
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Durch die Hecke

Beitrag von Bjornar »

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*work in progress* Auf langer Reise am Handy fabriziert. Völlig übertriebene "Erklärung", wo der Bjornar steckt, für die, die ihn vermissen. Und einiges mehr. Ich denk an Euch, das ist auch meine irre Art, "da" zu sein. Grüße aus dem Süden!

I Das Numenbäumchen an der Quelle

Der Abend streckte gierige Finger roten Goldes über die Hänge von Fjellgat. Bjornar stand am Rand der Rodung, unten am Fjord, zwischen Ynges Haus und dem Haupthaus der Trymm'tack. Er sah auf ein Werk, das noch nicht begonnen hatte: Freyjas eigenes Haus, seine Höhle. In seinem Kopf stand es längst da – ein Herd, der wie ein Herz brannte; Balken, stärker als Bärenschultern; ein Dach, das Schnee trüge, ohne zu klagen. Wuchtige Wände, die Musik voller und schöner zurückwerfen würden. Darunter eine Höhle, das Glück zu bergen, den Winter zu bannen, vielleicht Welpen zu werfen. Aber solch ein Haus verlangt Holz, und Holz verlangt Taten.

Die Wüsten-Ritter kamen in diesen Tagen oft in den Norden und suchten Streit und Land, führten sich auf, als gehörten ihnen Wald und Wolken, brachten ihren Herren und ihr Gerede. Ihnen folgten häufig Hakker tief in die Täler. Vielleicht waren es dieselben Wichtel? Schlimm würde es bald werden, das konnte er riechen. Jedenfalls hörte man Hacken und Sägen und höhnische Hiebe, sah ganze Stöße von Stämmen, Stümpfe stumm wie gefallene Helden. „So wächst keen Wald neyt,“ dachte Bjornar, „so stirbt han.“
Er selbst riss keine Bäume aus, als wären sie Rüben. Er sprach mit ihnen, wenn er allein war; er bat um Zweige, um Windschutz, um fünf gute Bretter – und zahlte mit Zeit und Rücksicht. Doch für ein Haus braucht man mehr als fünf gute Bretter und Balken. “Tausige”, seufzte er.

Er kniete nieder bei einem zarten Gewächs, das ein Kind hätte sein können. Gwen hatte ihn gebeten, darauf aufzupassen, ab und zu dranzupinkeln, aber nicht zu sehr. Auch das hatten die Ritter und der Blutpfad gemacht, das selbst Gwen nun nur noch mit der Vogelflöte im Mund hierher durfte. Sie war darüber traurig geworden, hatte um Hilfe gebeten. Ihren kleinen Schützling nannte sie das “Numenbäumchen”. Das stand neben der Druidenquelle in Fjellgat, mit Blättern, die selbst an trockenen Tagen Tau trugen. Sein Stämmchen war so dünn, dass die Vögel sich überlegten, darauf zu landen. Bjornar griff in die kühle Erde, als wollte er etwas tasten, das noch nicht wirklich war.

„Kleener Numen,“ murmelte er, „jeg brauch Holz. Bau-Bretter. Sing-Balken. Een Dachrücken, der den Nordwind trägt. Wirst myr das gebn können, ohne dass jeg dyr's nehm?“ Das Bäumchen gab keine Antwort, aber der Wind strich hindurch, und die Blätter klirrten, als riebe jemand zwei dünne Gläser aneinander. Bjornar schöpfte Wasser aus der Quelle, trug es mit beiden Pranken wie eine heilige Sache und ließ es über die feinen Wurzeln tropfen.

Ein Schnee-Hase huschte herbei, weiß wie Winteratem. Er blieb sitzen, blickte Bjornar auffordernd an und hoppelte dann eilig über die Wiese zur Quellmulde. Bjornar erhob sich und folgte ihm, zurück zur Quelle, hin und her, dreimal gegen den Sonnenlauf. Manche Wesen wussten am Abend einen Weg, den man zur rechten Zeit gehen muss.

Die Druidenquelle lag still und klar vor ihm, ein rundes Auge im Boden, das die Welt ansah. Der Hase stand am gegenüberliegenden Ufer, eine kleine Statue aus Schnee. Er nickte. Bjornar trat näher. Was er im Wasser sah, war ein Holzhaus. Nicht irgendeines: das seine. Die Balken standen, der Dachfirst war gesetzt; im Inneren leuchtete eine Herdglut, die durch den Rauchfang atmete. Das Haus war so deutlich im Spiegel, dass die Fichten dahinter blasser schienen als Wände und Fenster.

Bjornar sog leise Luft ein. „Jau,“ sagte er und nickte eifrig. Das Wort landete federleicht auf dem Wasser. In seinen Tiefen regte sich etwas: am Rand der Spiegellandschaft lief auch ein Hase, schneller als ein Gedanke. In der Ferne blinkte Glut auf Eisen: eine Höhle, eine Schmiede, und vor der Glut ein rußiger Schatten mit Hammer. Nahe am Wasser glomm plötzlich ein hässliches Gesicht auf – warzig, schief, Mündchen voller Nadelzähne – und als dieses Gesicht zu singen begann, fuhr Bjornar zusammen, denn es sang mit der Stimme Freyjas, weich und hell, wie er sie kannte, wie sie ihn in langen Nächten getröstet hat. Die Luft schmeckte plötzlich nach süßem Apfel und auf seiner Haut prickelten Dornen.

„Komm," flüsterte die Stimme im Spiegel. Die hässliche Alfkona - ein wahres Koboldweib - lächelte, und das Lächeln war schief und schön zugleich, weil die geliebte Stimme es bedeckte. Nicht weit dahinter bewegte sich etwas Schweres, eine zweite Gestalt – groß wie er selbst, doch wilder, dunkler, mit Atem, der in Wolken aus Dunst ging. Schatten legte sich neben Schatten; und der Schnee-Hase im Spiegel klopfte ungeduldig die Hinterpfote. Ganz fern, so fern, dass es fast nur ein Gedanke war, stand in einer Lichtung ein laubhäutiger Troll mit erdigen Händen, der den Kopf hob, als riefe ihm jemand aus einem Traum zu.

„Dat sin doch Bilda bloß", sagte Bjornar halblaut, kopfschüttelnd, und er merkte, wie armselig das klang vor einem Spiegel, der so zauberhaft zeigte, was er wusste und wollte. Er kniete sich ans Ufer. Das Wasser trug die Vision, und die Vision trug seine Wünsche wie ein Boot. Er streckte die Hand aus; seine Finger berührten die Oberfläche, und die Oberfläche fühlte sich an wie eine sanfte Haut, zum Liebkosen gemacht. Das Haus blieb dort, als wartete es auf ihn.

Hinter seinem Rücken flammte die Ebene kurz auf in Kupfer, als die Sonne zwischen zwei Kiefernstämmen hindurchglitt, dann sank das Licht, und blau legte sich das Zwielicht über Fjellgat. Das Geräusch der Hakker war weit fort; nur die Quelle sprach, sehr leise, ein Räuspern zwischen uralten Steinen. Der Schnee-Hase am echten Ufer hob die Nase, und sein Blick sagte: Jetzt.

„Wenn jeg nur einmal hineingreif,“ dachte Bjornar, „nur einmal das Sang-Holz fühle, das jeg noch neyt hab; wenn jeg nur schaute, wie sanft das Moosdach sich anfühligt…“ Das Herz tat einen Satz. Der Körper folgte.

Er beugte sich weiter, bis sein Gesicht fast die Oberfläche streifte. Der Atem zeichnete Nebel auf das Wasserbild, und für einen Moment verschwamm der Dachfirst, trat dafür etwas anderes schärfer hervor: der rußige Schmied, der in dunkler Mulde an einem glühendem Ring aus Knotengras arbeitete; die Alfkona, die sich wie ein Fetzen Nacht an einen Strauch klebte und doch mit Freyjas Stimme säuselte: „Komm, nimm den Kurzweg, den schnellen; nimm, nur, nimm alles was du brauchst“; der Runenhase, der in einem Takt klopfte, als zähle er Schritte; etwas Großes, das sich ihm lauernd entgegen beugte; und weit hinten der Erdige, der nicht sprach und wohl alles wusste.

„Neyt töricht,“ warnte er sich. Und dann rutschte der Stein am Ufer, so sanft, wie sich ein reifer Samen vom Baum löst. Bjornar verlor den Halt. Die Hand, die nur prüfend tasten wollte, sank ein, als sei die Welt dort weicher als Wasser. Die andere Hand griff noch nach Gras, erwischte einen Halm, der riss. Er stolperte, er glitt, er schlüpfte in das Traumbild hinein, in sein Haus und an seinem Haus vorbei, durch die dünne Haut zwischen den Dingen, flüchtig, wie ein Lied, das eine Note zu lang gehalten wurde.

Was folgte war ein langes, langsames… Fallen? Ein atemloses Hinabtreten? Licht stand seitlich in der Luft, als sei es ein Gegenstand, den man abstellen kann. Er griff danach, drehte und bog einen Lichtstrahl in den Händen, bevor er ihn behutsam wieder in die Freiheit entließ. Für einen Herzschlag sah er die Welt von oben – wie eine Schale, die jemand aus Mondglas gemacht hatte – und darunter, der tiefere Rand einer wildwuchernden Hecke, die nicht Hecke war, sondern eine Unordnung von Wegen, die selbst wanderten. Das Numenbäumchen blieb in der wirklichen Welt zurück und bebte kaum merklich, als sei in seiner Ader ein zweiter Saft aufgestiegen. Die Quelle glitt zu, wie ein Auge, das sanft zitternd sich in den Schlaf schließt.

Die Stimmen folgten ihm: das klingende Gras, das ferne Hämmern, das goldene, falsche Lied und das geduldige Schweigen. Und als die blaue Stunde ganz wurde, sich aus Farbe zu Stoff gewoben hatte, da schloss sich die Haut des Wassers über seinem Rücken. Die Luft roch nach nächtlichem Apfel und nach Erde, die reicher und würziger war als schwarzer Waldboden, und irgendwo – nicht hier, nicht dort – nickte zwischen Bohnenstangen ein alter, laubhäutiger Troll von einem Mann.

II Lauf mit dem Runenhase

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Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich wogend weich an. Überall wuchsen Halme, dünn wie Glas, und wenn er den Arm hob, gaben sie einen Laut von sich – hell und fein, als klopfe jemand von innen an eine Glocke. Seine Sicht wurde in alle Richtungen von dornigen, dichten Hecken begrenzt, trocken, undurchdringlich und doch oft in voller Blüte stehend. Irgendwo in der Nähe atmete etwas, langsam und schwer. Es übte das Atmen erst seit Kurzem.

Bjornar richtete sich auf. Sein Bart war feucht umrandet von Tau, der hier vielleicht gar nicht aus Wasser war. Er prüfte, ob Haunseloh der Brandzeichner an seiner Seite hing – die Axt war da, schwer und still, und fühlte sich in dieser Welt älter an, als sie in der anderen war. Dabei hatte er sie doch gar nicht dabei gehabt, als er zum Numenbäumchen ging? Sie war aber weiter gewachsen, wuchtiger und schärfer denn je. Jemandes Wichtiges klopfte ihm schwer und anerkennend auf die Schulter, als er die Waffe umfasste. Er legte die andere Hand auf die Brust und wartete, bis sein Herz wieder zu sprechen wusste.

Da stand er.

Fünf Schritte voraus, weiß wie erster Frost, die Ohren wie zwei schmale Blätter aus Winterlicht, die Augen fein gezeichnet mit Runen, stand der Hase, den er an der Quelle gesehen hatte. Der Hase hob grüßend und ungeduldig die Pfote.

„Du bist endlich gekommen,“ sagte er.

Bjornar blinzelte, und seine Stimme klang in dieser Welt größer und ihr Klang ließ ihn begeister über sich selbst erstaunen. „Jau. Jeg bin… hierda.“

„Die Quelle hat dich eingelassen,“ leierte der Hase, so als würde er das jedem sagen. „Sie öffnet sich manchmal dem, der etwas sucht, das nicht mit Händen zu halten ist.“

„Jeg such Holz,“ brummte Bjornar, schlicht wie er war. „Og en Hus. Aber… ney, neyt nur Holz.“ Er sah sich um, mitten in den klingenden Halmen. „Jeg such was Rechtes un Schönes. Un jeg will dat Menschige lern!“

Der Hase nickte, langsam. „Dann geh nicht schnell,“ sagte er. „Doch geh.”

Der Hase wandte sich, und war im Nu voraus. “Ich allerdings muss eilen“, säuselte er im Lauf und schlug einen Haken. In der Dämmerung war sein Fell ein kleines, entschlossenes Licht. Bjornar setzte behutsam den ersten Schritt. Die Halme klangen und trugen den Schritt vielstimmig in die Ferne. Er tat den zweiten Schritt. Da kam der dritte – und der war nicht von ihm.

Es war ein Schritt, der seinen Schritt kannte. Er war schwerer, etwas tiefer, mit einem Ausatmen danach, das roch nach Fell und Knochen und Kälte. Es klang, als würde jemand, der ihm sehr ähnlich war, die Welt mit denselben Tatzen betreten, nur mehr mit Hunger als mit Vorsicht.

„Nicht umdrehn,“ rief der Hase aus der Ferne, ohne sich selbst umzusehen. „Man schaut nicht auf seine Fußspur, wenn man noch gehen will.“

„Jau,“ machte Bjornar, und seine Hand umklammerte den Griff der Axt, um sich selbst daran festzuhalten. „Aber… da is wat.“

„Es ist immer etwas,“ rief der Hase.

Sie gingen zwischen Hecken-Dingen, die wie Bäume aussahen, wären Bäume aus Mondscheiben gemacht: breite, hell schichtende Teller aus Licht, auf denen Moos wuchs, das nach Apfel roch, altem, reifem, süßem Apfel. Der Himmel bewegte sich unerträglich langsam. Der zweite Schritt war immer da. Er hielt Abstand wie ein Wolf, der Geduld gelernt hat, um zu fressen. Ab und zu grub sich sein Atem in Bjornars Nacken, kraftvoll, stoßweise, als setzte er zum Sprung an, oder zum Überholen.

„Dey da hinnen,“ murmelte Bjornar sehr leise in seine Brust, damit der Hase es nicht hören musste und doch alles hören konnte, was wichtig war: „Jeg weeß, dey läufst schnella. Aber jeg bestimm den Pfadweg“, sagte er, nach hinten gerichtet. Er erinnerte sich, wie oft ihn der Jothar auf der Bransla gefragt hatte, welchen Weg er in seinem Stammesleben einschlagen wollte; jetzt begriff er, was er schon immer wusste - der Weg war nicht wichtig, auch das Ziel konnte sich ändern. Wichtig war die Wahl. Das Wählen. Die Wahl zu haben.

Der zweite Schritt folgte ungerührt. Er schloss sogar einen Hauch näher auf, als wollte er riechen, ob dieser Entschluss wirklich nach Gewissheit roch, oder doch nach süßer, süßer Furcht.

In einer Senke lag die Luft schwer von Metall und Rauch. Fern schlug jemand geduldig auf Eisen. Der Geruch setzte sich auf die Zunge, schmeckte nach Funken, die jeden Augenblick etwas entzünden konnten.

„Das ist Arbeit,“ sagte der Hase, der ihm nun eilig entgegengelaufen kam, als hätte er oben in der Tagwelt etwas vergessen. „Arbeit ist ein Lied, das nicht singt und doch gehört werden will.“

„Arbeit ken jeg nu,“ brummte Bjornar. „Liebeslohn. Herzensfreude. Macht die Hände gud.“

„Wenn das Herz nicht hart wird dabei,“ sagte der Hase. Er setzte sich kurz und fuhr eitel mit der Pfote über ein Ohr.

Bjornar wollte antworten, da legte sich ein anderer Laut über die Welt: ein Lied, so süß, dass seine Zähne schmerzten und alle Sinne nur noch eine Richtung kannten. Es war jene Stimme, die seinen Namen zum Klingen brachte, ihn zart und warm in die Länge zog, wie man den Schlaf ausdehnt, ohne dabei aufzuwachen.

„Bjornar…“

Es war Freyjas Stimme.

Zwischen zwei krummen Stämmen ermahnte er die Sängerin: klein, warzig, den Mund voller Nadelzähne, Augen wie Stecknadeln, aus denen Finsternis hervorstach. Sie war hässlich wie eine Lüge, die sich schlecht verkleidet. Und doch sang sie – mit Freyjas Kehle, mit jener Unschuld, die sie auf die Silben legte, wenn sie ihm die Einsamkeit aus der Seele sang. Die garstige Alfkona.

„Komm,“ lockte sie, und grinsend formte sie aus Worten Schlingen: „Komm, Liebster, hier ist der kürzere Pfad. Hier ist dein Herd. Hier ist das Haus, das fertig ist. Hier bin ich.“

Bjornars Brust schmerzte, ein Muskel, der zu früh und zu schwer wieder arbeiten musste. Seine Finger lösten sich einen Herzschlag lang vom Axtgriff, fassten ziellos in den Klang. Der Atem hinter ihm wurde dichter, schob sich näher an seinen Hals, an den dünnen Platz, wo man den Puls sieht.

Der Hase hob die Pfote und klopfte einmal. Der Schlag fuhr durch die Halme, als wäre der Boden eine Trommel, die ein Riese hält. Das Lied der Alfkona schwankte. Einen blassen Moment sang sie weiter, dann glitt sie schabend ab, wie Messerschliff, der das Metall am Wetzstein verlässt. Die Nadelzähne knirschten, und das kleine, hässliche Gesicht zog sich in die Rinde zurück - ein Dorn, der seinen Schmerz mitnimmt.

Bjornar holte Luft, tauchte auf aus einer allzu süßen Honigschüssel. „Dat war… veldig,“ brachte er heraus, und er meinte das Lied und den Drang und sich selbst darin.

„Du bist stark,“ sagte der Hase. „Sie nur laut.“

Der zweite Schritt hinter ihm kratzte kurz am Boden, suchend, als wäre ihm etwas entgangen. Dann setzte er wieder an, zäher, geduldiger, mit einem ganz leisen Grollen, das so tief war, dass es im Brustbein vibrierte.

„Wenn de singst, falschiges Ding,“ sagte Bjornar, diesmal lauter, „sing woanners! Hier neyt!“ Er schlug sich mit der Faust auf die Brust, wie die Werager es zum Abschied tun.

Die Halme um sie her gaben eine Reihe sehr feiner Laute von sich, Zustimmung aus vielen kleinen Kehlenblättern. Sie gingen weiter, und die Muster am Boden bewegten sich, zeichneten Wege, löschten sie wieder, ließen neue entstehen, wie unsichtbare Hände, die im Mutterteig arbeiten, der später von allein aufgehen würde.

„Sie kommt wieder,“ stellte der Hase nach einer Weile fest, während er ohne Frage und ohne Trost nun neben ihm einher schlenderte. „Was man hören will, kommt immer wieder.“

„Jau,“ brummte Bjornar missmutig. „Aba jeg hör og uff myr.“

Der zweite Schritt stockte einen Herzschlag. Es fiel ihm schwer, zwei Herren zugleich zu sein: Hunger und Vorsatz.

Sie stiegen einen Hang hinunter, der aus rußigem Sand bestand. Vom Hang ging Hitze aus. Eine Höhle fiel in ihn hinein – flach und halbdunkel, wie der Anfang von etwas, das länger wird, sollte es nötig sein. Aus der Höhle kamen Hammersschläge, die die Zeit zusammentrieben. Jeder Takt sagte: Jetzt. Noch einmal. Und wieder.
Die Heckenwelt pulsierte im Einklang.

„Dort wohnt der, der die Dinge bindet,“ sagte der Hase. „Und sie löst.“

„Knorri,“ murmelte Bjornar, und der Name fühlte sich im Mund an wie Brot mit Kruste. Eine Geschichte, die er schon einmal verschlungen haben musste. „Jau.“

Er machte einen Schritt, und der Boden gab weich nach. Den zweiten machte er fester. Beim dritten kroch ihm der andere Schritt fast in die Fersen. Der Atem an seinem Nacken war plötzlich wieder nah genug, dass er die feuchte Wärme fühlen konnte. Es war der Atem eines Tieres, das schon einmal Blut geschmeckt hat.

„Nicht umdrehn,“ sagte der Hase wieder, leise. „Noch nicht.“

„Jeg dreh myr neyt und wend myr neyt,“ antwortete Bjornar, und er glaubte sich selbst, weil seine Hand an der Axt ruhig blieb. „Aber jeg seh dyr, dey da. De läufst neyt vorn.“

Ein sehr tiefes Geräusch antwortete ihm, es war ein zahnbewehrtes Einverständnis. Und ein langer Schatten fiel in der ewigen Abendsonne von hinten neben ihn, seinem eigenen nicht unähnlich.

Vor der Höhle blieb der Hase stehen. „Wart's ab,“ sagte er. „Arbeit will gefragt werden.“

Bjornar blieb. Er hielt die Axt in beiden Händen, fest und freundlich, wie man die Lefzen eines störrischen Reitbären hält, um sich schließlich mit ihm zu einigen. Dann hob er den Kopf, und seine Stimme war groß und einfach: „Hensyn, Schmied-Binder!“

Der Hammer hielt noch die Schlag-Reihe. Jetzt. Noch einmal. Und wieder. Dann änderte er seinen Takt, der Schlug nun bis drei und ließ die vier aus. Luft wehte aus dem Höhlenhalbdunkel, die nach Asche schmeckte. Bjornar roch noch vieles andere darin, allein die Trauer nicht.

„Er hört,“ sagte der Hase. „Er kommt, wenn die Arbeit dich hört.“

Bjornar setzte sich auf einen flachen Stein. Der Stein war warm. Es war die Wärme von Dingen, die gemacht werden wollen. Der Hase setzte sich neben ihn, und seine Pfote berührte kurz Bjornars Tatzen, als sei auch das Sitzen eine Übereinkunft. Er tappelte dabei vor Ungeduld mit den Hinterläufen, trotz allem, was er zuvor über Geduld gesagt hatte. Hinter ihnen legte der zweite Schritt sich lauernd nieder. Das Grollen zog sich lang und dünn, wie eine Saite, die nie ganz still wird.

Aus der Tiefe der Hecke kam wieder ein Ton, ganz weit, wie ein dünner Faden aus Honig, der gezogen wird und nicht reißt: Freyjas Stimme. Sie war zu weit und faserig, um zu locken. Nah genug, um zu erinnern. „Bjornar…“ Die Halme über ihnen klingelten sehr leise, als fragte sich der Wind etwas, was er seiner Unruh wegen nicht verstehen konnte.

„Geh,“ sagte der Hase, nachdem Zeit vergangen war und ohne aufzublicken. „Aber nicht zu ihr.“

„Jau,“ flüsterte Bjornar, und der zweite Schritt hinter ihm knirschte unzufrieden im heißen Sand.

Sie brachen erneut auf, umkreisten gemächlich die Schmiedehöhle, und der Hase führte ihn ein Stück den Hang entlang, wo Schatten lagen, die nicht zum Licht passten. In einem davon – ein vergessener Streifen halben Lichtes – stand der trollhäutige Mann zwischen Bohnenstangen. Er stand da wie jemand, der alles schon bewiesen hatte. Seine Hände ruhten auf einem Querholz, seine Augen waren tief, zwei unerschöpfliche Brunnen.

Bjornar inne. Der Mann hob den Kopf sehr wenig, genau so viel, wie nötig ist, um jemanden zu grüßen, der längst bekannt ist und vor einem steht. Es war ein Gruß, der sagte: Du bist da. Bjornar nickte höflich, tief und dankbar. “In meinem Hus bist og kommwillen”, sagte er aus dem Bauch heraus. "Wenn's denn je ma’ fertisch is…” Suchend schaute er sich in der Gegend nach seiner Haus-Vision um. Als sein Blick den Kreis vergeblich vollendet hatte, war der Mann nicht mehr zu sehen, und doch war er nicht fort; es blieb nur die Ordnung der Pfade, die er mitgebracht hatte – eine Stille, in der Dinge leichter wuchsen, weil niemand sie zog.

„Wer…“ setzte Bjornar an, aber der Hase sagte:

„Er ist nur da, wenn du ihn nicht rufst. Und auch dann nicht immer.“

„Jau,“ machte Bjornar. Der zweite Schritt hinter ihm stand jetzt. Er stand so still, dass die Welt ihn hören konnte. Stille ist auch ein Schritt.

„Du wirst dem alten Gartentroll schon wieder begegnen,“ sagte der Hase und lief an Bjornars Knie vorbei, weiter entlang der Kante, wo die Hitze aus der Höhle die Luft wellig machte. „Und er wird dir geben, was sich nicht nehmen lässt.“

„Wat denn?“

„Etwas, das aufscheint, wenn du es beinahe vergisst.“

Aus der Höhle veränderte sich der Takt des Hammers noch einmal. Er war jetzt langsamer, gewichtiger, das Eisen wurde nicht länger geschlagen, es führte ein Gespräch mit Hammer und Amboss. Auf dem warmen Stein, wo Bjornar zuvor gesessen hatte, zeichnete der Sand ein sehr schlichtes Zeichen, ohne Hand: einen Knoten, der aus einem einzigen Strich bestand.

„Geh jetzt,“ sagte der Hase. „Der Schmied kennt den Preis, aber noch nicht den, der ihn zahlen muss. Und du kennst dich noch nicht, aber schon den Preis.“

„Dat klingelt wie de Spruchrätsel von den Alten. Oda von Tarsnjor“, brummte Bjornar, und trotzdem nickte er. Seine Zunge schmeckte plötzlich nach Eisen und war genauso schwer. Der zweite Schritt kam wieder, ehrfürchtig. Sie standen vor der Höhle. Die Luft darin war dunkel und beständig. Die Glut atmete im Finstern. Über dem Eingang hing der Schatten eines Ringes. Hinter dem Schatten lag Arbeit.

„Hensyn,“ rief Bjornar noch einmal, und der Ruf legte sich an die Höhlenwand und kam als ruhiger Widerhall zu ihm zurück. Jemand sagte “Gut.” und gewährte Einlass.

Der Hase hob die Pfote und klopfte einmal. Der Ton lief hinunter, lief hinein, verschwand, kehrte in vielen kleinen Funken zurück. „Gut,“ sagte der Hase ebenfalls und sprang ins Dunkel. Das Wort war diesmal nicht für Bjornar, sondern für den, der drinnen saß. „Er kann warten“, hallte es aus der Höhle.

Bjornar konnte das tätsächlich, besonders hier, in der wüsten, blühenden Schönheit, die ihn umgab. Er ging zurück, setzte sich noch einmal auf den warmen Stein und legte die Axt quer über die Knie, damit seine Hände etwas Ehrliches zu tun hatten. Er atmete ein, und der Atem schmeckte nach Arbeit und Apfel, nach Metall und Erde, nach Fell und Lied. Hinter ihm lauerte der zweite Schritt, dicht genug, dass er den Pelz hätte greifen können, wenn er nicht die Hände gebraucht hätte, um ruhig zu sein.

Aus der Tiefe der Hecke zog noch einmal ein hauchdünner Faden süßen Gesangs, zerriss auf halbem Weg und wurde zu schmachtender Stille. Über dem Hang ordneten sich drei Vögel auf einem Ast, wie Noten auf einer Zeile.

Die Höhle tat nun einen Atemzug und antwortete mit dem Fauchen und Aufleuchten ihrer Schlund-Glut. Dann trat etwas in die Schwärze, sehr langsam, so wie man aus einem Traum tritt, den man festhalten willl. Es war groß. Es war klein. Es war die Gestalt dessen, der die Dinge bindet und der sie löst, wenn sie falsch gebunden sind. Knorri.

„Jau,“ verkündete Bjornar, nach überall hin und meinte doch genau den Schmied. „Jeg bin hierda.“

Und der zweite Schritt hinter ihm, der ihn die ganze Zeit hungrig begleitet hatte, legte für einen Moment den Kopf auf seine Ferse, bettelnd wie ein Tier, das weiß, dass es heute nichts zu fressen bekommt.

III Beim Trollschmied

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Da stand Knorri, der Schmied. Bucklig, breit, mit einem Bart wie Draht und Haut wie gebrannter Ton. Eiserner Stirnreif, so wie Tarabasch, Metall, das geringere Trolle in Angst und Schrecken versetzt. Die Schürze hing ihm vom Bauch und in ihr schmauchten Fäden, als selbst die Schatten darin langsam verkohlten. Seine Augen funkelten, zwei Stücke Glut, die sich weigern, klein zu werden.

Er blickte umher und schnaufte: „Haunseloh.“

Bjornars Hand fuhr instinktiv an die Axt. „Jau,“ brummte er. „Is meyn.“

Knorri lachte kurz, knisternd, ein Funkenregen. „Dein? Nein. Du trägst sie, wie ein Kind den Knochen eines Riesen trägt. Sie frisst dich mehr, als du sie führst. Aber gut – du hast sie noch. Du und deine Stammesbrüder haben sie mit Blut und Brandzeichen dick gefüttert, bis sie träge und fügsam wurde. Also bist du halb wert, mit mir zu reden.“

„Jeg red neyt gud,“ murrte Bjornar. „Wat is der Preis denn, für meyne Haushöhle?“

Der Schmied ließ den Hammer klingen, und jeder surrende Schwung war wie eine Frage, auf die es viele Antworten gab. „Preis? Alles hat einen Preis. Ein Haus. Ein Herd. Balken, die tragen, wenn Stürme kommen. Herdfrieden. Liebe die hält. Du willst bauen? Dann leg was in die Glut, das mehr wert ist, als Holz.“

Bjornar ballte die Fäuste. „Jeg geb, wat jeg hab. Aba alls Zeug kriegt schon das Weib un der Trymm-Stamm.”

Da warf Knorri den Hammer in die Glut. Die verschlang das Werkzeug und begann zu singen. Ein einzelner Funken stob auf, groß wie eine Faust. Der war mehr als Funken – eine feuergewordene Melodie.
Er hing in der Luft, hell, rein, brennend. Ein Laut, der keinen Anfang und kein Ende hatte. Er vibrierte in Bjornars Zähnen, in seiner Brust, tief im Magen, wo Hunger und Sehnsucht wohnen. Im Hinterkopf, wo die vielen Löcher lagen. Und Bjornar spürte sofort: Das war das erste Lied. Das Lied, das seine Mutter gesungen hatte, die er nie sah, die er nur auf diese Weise kannte.
Sein Atem stockte. „Dat… Herzholz. Dat is meyn Lied!“

Knorri grinste breit, ein Riss aus Ruß und Zähnen zerbrach sein Gesicht. „Jau. Das ist deins. Also leg es her. Ich binde es ins Eisen. Ich nagel es in die Balken. Dein Haus wird stehn, solange die Berge stehn. Aber –“ Er beugte sich vor, die Glut spiegelte sich in den gelben Augen. „Du wirst den Klang nie mehr hören. Kein Lied. Kein Anfang. Nur Balken.“

Bjornar fühlte, wie seine Knie weich wurden. Der Schatten an seiner Seite lachte tief. Er hörte es, er roch es – Fänge, die sich schon ins blutende Fleisch geschlagen hatten. „Gib’s her,“ knurrte der Schatten. „Gib’s hin, un jeg friss dat für dyr! Dann bist veldig stark. Dann brauchst keene Lieder. Nur Fang-Zähne.“
Seine Finger zuckten. Er wollte den Ton greifen, ihn an die Brust reißen, ihn festhalten wie Herzblut. Seine Augen brannten, die Kehle verdorrte. „Een Lied,“ röchelte er. „Nur een Lied. Aba dat enzige. Un erstige."

Der Hammer sprang aus der Glut und krachte nieder, der Boden bebte. „So ist die Arbeit, Bärensohn! Man legt etwas in die Glut, und es kommt gehärtet oder verloren zurück. Willst du bauen, oder willst du singen? Entscheide!“

Der Schnee-Hase saß am Rand der Höhle, still, die Pfote erhoben, aber er klopfte nicht. Er wartete.

Bjornar schloss die Augen. Vor ihm sah er das Haus – Balken, Herd, Dach, Kinderlachen. Im Herzen hörte er das Lied, rein, hell, brennend. Es war sein erster Halt in einer Welt, die ihn oft nicht hielt.

„Jeg…“ Seine Stimme erstarb. Dann füllte er die Lungen und sprach wie einer, der den eigenen, holpernden Herzschlag beschwört.

„Jeg kann neyt
was geben,
dat myr
ganz macht.
Keen Hus
is dat wert.
Neyts is dat wert.“

Die Glut zischte. Der schwebende Ton flackerte und sank in seine Brust zurück, kehrte heim.

Knorri schnaufte, ein raues Lachen, rußig, kratzig, fast zufrieden. „Hoar! Weldig bra!“, sprach er mit auf einmal vertrauter Stimme und nickte eifrig. Er schlug den Hammer noch mehrmals wild hierhin und dorthin und aus der Glut flog ein Stück Eisen. Es fiel vor Bjornars Füße – ein Ring, geformt wie ein Knoten. Kein Anfang, kein Ende. Es summte leise, als hielte es den Rest des Liedes fest.

„Nimm,“ sagte Knorri, seine Stimme wieder ganz Trollschmied. „Es ist nicht dein Lied – aber ein Zeichen davon. Damit du weißt: Arbeit heißt nicht, Heiliges aufzugeben. Arbeit heißt, es zu tragen und trotzdem zu schmieden.” Er nickte, erhaben im Glut-Glanz seiner Weisheit. Dann schoss sein Gesicht auf Bjornar zu, füllte die Höhle aus, und er grollte gehässig: “Aber dein Haus wirst du niemals fertig bauen, solang es lebt.”
Bjornar hob behutsam den Knoten auf. Er war warm. Er summte in seiner Hand, leise wie eine Erinnerung, die nicht vergehen kann.

Der Schatten hinter ihm brummte, hungrig, gierig, doch geschlagen. Er zog sich zurück, tiefer, dunkler. Für diesmal.

Der Hase stampfte einmal, hell wie ein Gong. „Gut,“ sagte er.

Bjornar wischte sich über die Augen. „Jau,“ brummte er, und seine Stimme war heiser. „Dat is gud. Aba wo krieg jeg nu die vielen Bau-Bretter her?“

Der Schmied atmete, schwer und langsam, und wandte sich ab, als wäre nichts geschehen. „Arbeit is warten,“ murmelte er. „Und warten is Arbeit. Geh.“

Bjornar kehrte um, den Knoten in der Faust. Hinter ihm summte die Glut noch einmal, dann schlief sie zischend ein. Der zweite Schritt folgte ihm, schwer, hungrig und ansonsten recht im Einklang mit seinen eigenen Schritten.

IV Die Alfkona

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Die Luft wurde leichter, als er von der Schmiede fortging. Die Pfade zwischen der Hecke kräuselten sich verspielt und wucherten malerisch über die Ruinen alter, längst zerfallener Häuser. Das Klingeln der Glasgräser trat zurück, und über den Halmen lag weiche Wärme. Bjornar ging, den Eisenknoten in der Faust, Haunseloh quer auf der Schulter, den Blick geradeaus. Der Hase rannte los und verschwand hinter der nächsten Biegung, nun war da kein weißer Punkt mehr, der die Dämmerung ordnete. Kein Trommler, der den Weg festigte. Er spürte nur seinen eigenen Schritt und daneben den zweiten, schwerer, hungriger, schnaufender.

„Bleyb hinten,“ murmelte er in die Brust, ohne dabei langsamer zu werden. „Dey läufst neyt vorn!“

Der Verfolger lachte tief, so leise, dass die Nackenhaare es spürten. Dann rückte er klein ein wenig ab, doch blieb.

Vor ihm senkte sich die Hecke in ein schattiges Tal und in dem Tal stand ein Baum, der keiner war: ein Stamm wie verfilzte Stricke, Äste wie krumme Finger, die einen Mund formen wollten. In den Astgabeln hatte sich Dunst gesammelt; er schimmerte und wogte, ein körperloses Verlangen. Als Bjornar näher trat, wurde aus Dunst eine Gestalt.

Die Alfkona war klein, bucklig, knochig unter der Haut, deren Farbe zwischen Modergrün und Asche schwankte. Warzen saßen darauf wie Samenkörner; aus dem Maul sahen Nadeln, schief und weiß, und die Augen waren zwei stecknadelgroße Löcher, in tiefen Höhlen. So viel Hässlichkeit, dass man wegsehen wollte. Dann öffnete sie den Mund.

„Bjornar,“ sang die Gestalt, und es war Freyjas Stimme.
Sie sprach seinen Namen erneut so, wie er ihn nur einmal im Leben hörte: weich, tief, mit der kleinen Neigung auf der zweiten Silbe, die ihn warm machte. Wie damals, als sie sagte: “Bjornar, sei meyn Kerl!” Immer so. Immer zum ersten Mal.

Er blieb stehen, weil man bei so einer Erscheinung nicht weitergehen konnte, auch wenn man genau spürte, dass man es sollte.

„Komm, Liebster,“ sang sie, und zwischen den Nadeln war plötzlich Frühling. „Du bist müde. Deine Schultern sind schwer. Leg Haunseloh ab. Leg den Knoten ab. Leg dich hin, ich halte Wache, ich singe unser Haus fertig.“

Bjornar schluckte. „Ney,“ sagte er, doch das Wort war matt. Der Schatten neben ihm drängte vor, kaum merklich. Eine Schnauze schob sich an seiner Hüfte vorbei, ein mächtiger Fellstrich, dunkler als die Dämmerung. Die Alfkona sah den Schatten und erstrahlte entzückt. Das Lächeln war schief und schön zugleich. „Ach,“ sang sie, und ihre Nadeln glänzten. „Du bist auch da, mein Grosser, mein Starker. Komm her, komm näher.“ Ihre Hand, knochig, mit dünnem Hautsack darüber, fuhr in die Luft, als streichelte sie ein Tier. Der Schatten fuhr zusammen, beglückt wie ein Hund, der seinem Herren nach langer Zeit begegnet. Er drängte weiter vor, so dass Bjornars Schritt zur Seite musste, um nicht berührt zu werden.

Eifersucht ist ein grausamer Wurm mit schnell schlagendem Puls. Er kroch ihm an die Rippen, biss dahinter zu und zappelte. Die Alfkona sah nur den Schatten; für ihn, den ganzen, aufrechten Mann, hatte sie nicht die Augen, nur die Stimme. Etwas in ihm wollte plötzlich klein werden, gehorsam, lieb; wollte die Axt fallen lassen, wollte sagen “ja” für jedes “komm!”, das sie ihm sang. Er spürte, wie seine Finger den Eisenknoten fester drückten, bis das Summen darin zur Antwort vibrierte.

„Du bist müde, Bjornar,“ sang sie wieder. „Du hast so lange gearbeitet. Bau nicht weiter gegen den Wind. Ich kenne den kurzen Pfad. Da, sieh nur!” Sie wies mit ihrem knochigen Finger in die Schatten. Dort lag, als habe die Dämmerung selbst es hinein gezeichnet, sein Haus. Balken, Dach, Herd, alles richtig. Rauch stieg aus dem Schornstein, der noch nicht da war. Kinderlachen rollte aus der Tür, die nicht geöffnet wurde. Freyjas Stimme stand in der Luft wie eine Fackel, die niemals verlischt.

„Fäll den kleinen Baum,“ flüsterte sie, und jetzt war in der Süße Salz. „Nur den Kleinen bei der Quelle. Ein Hauch Holz, und alles ist fertig. Ich singe, du schläfst. Wenn du wach wirst, steht dein Haus, und ich bin in deinem Arm, und nichts verlangt mehr etwas von dir.“
Der Schatten knurrte, freudig: Ja! Er trat so nahe, dass seine Hitze Bjornars Hüfte wärmte. Die Gestalt beugte sich ihm entgegen; ihre Nadeln streiften Fell, ganz zart. Der Schatten atmete tief und saugte am Duft ihrer Worte.

„Ney,“ sagte Bjornar schärfer, doch das Wort fiel ihm zu Boden, willenlos, ohne jemanden zu treffen. Das kleine Tier in seiner Brust kratzte und bohrte weiter. Warum sollte der Schatten alles kriegen? Warum nicht er, der ging, der trug, der wartete, der sich weigerte, sein heiligstes Lied in die Glut zu werfen? Warum sah die Stimme ihn nicht?

„Ich sehe dich, Liebster,“ sang sie, als hätte sie sein Denken gehört. „Ich sehe dich ganz. Leg ab, nur für einen Atem. Lass mich singen. Lass mich bauen. Lass mich dir die Welt leicht machen.“

Er hob Haunseloh von der Schulter, die Axt war ihm schwer geworden. Die andere Hand mit dem Eisenknoten aber hob er nicht; sie blieb vor der Brust, und der Ring summte stur, als spräche jemand in einer Sprache, die keine Worte hat. „Wat willst? Gwens Bäumchen?“ fragte er heiser.

„Nur dein Einverständnis. Dein Ja. Deine Ruhe in meinem Arm. Den kleinen Baum — nur den kleinen, geliebten Kleinen bei der Quelle. Er ist zu klein für Balken. Er ist jung. Er ist… ersetzlich“, sang sie, so süß, dass es weh tat. Das letzte Wort fiel kalt auf seine Zunge. Ersatz. Das kleine Tier in seiner Brust hielt inne, legte den Kopf schief. „Versatz," wiederholte Bjornar, und sein Dialekt schnitt die Silben grob. „So red neyt üba den Kleinen. Dat is’ en Numen. Dat is’ heilig!“ Die Nadeln in ihrem Maul sahen einen Herzschlag lang wirklich aus wie Nadeln. Die Stimme drehte den Kopf, und das Lächeln bekam einen Haarriss.

„Heilig,“ sang sie sanft, „ist nur, was dir dient.“

Der Schatten schnurrte, zufrieden. Er drängte so dicht an sie, dass ihre warzige Haut an seinem Fell schabte. Sie senkte den Kopf zu einem Kuss; die Nadeln strichen durch sein Haar. Er keuchte und schmatzte.
Bjornars Zähne taten weh vor Eifersucht. Er hätte brüllen können, hätte zupacken können, den Schatten fortreißen, die Alfkona zu Boden stoßen und ihr die Stimme aus dem Hals zerren, weil sie falsch war, weil sie Freyjas war. Er atmete, lang und hart, bis der Atem in den Eisenknoten fuhr und dort kräftig wuchs.

„Ney,“ sagte er, und jetzt hielt das Wort. „Lieben is’ nich Hören… Gehörigen… Gehorchsam seyn! Un en Haus, dat von Trug steht, kippt beim ersten Winter.“

Die Gestalt blinzelte, langsam, als seien die Lider aus Papier. „Du weißt nicht, was gut für dich ist,“ sang sie, etwas flacher. „Du weißt nicht, wie müde du bist. Du weißt nicht, wie schön es ist, geführt zu werden.“

„Jeg weiß, wie schön Freyja singt,“ antwortete er. „Und jeg weiß, wie deyne Haut aussieht, wenn de Freyja spielst. De bist se neyt. Du bist eene Alfkona, Falsche. Du singst, dat ist Kunst. Aber du lügst, dat ist deyn Wesens-Kern.“

Der Schatten fuhr herum, als hätte ihn jemand geschlagen. Ein tiefes, beleidigtes Grimmen kam heraus. Er wollte springen, auf wen, war unklar. Auf die Gestalt, weil sie Lüge war. Auf Bjornar, weil er ihr das nahm, was er wollte. Er spannte sich, und die Luft roch plötzlich nach Blutversprechen.

„Kimm, dann,“ sagte Bjornar leise, ohne die Augen von der Alfkona zu nehmen. „Wenn dey springst, springst dey mit myr! Jeg geh neyt mehr alleine nich.“

Ein Wind, der keiner war, fuhr durch die Hecke; die Glasgräser am Rand klingelten scheu. Der Eisenknoten in seiner Hand summte höher, im Einklang mit dem Wind, und löste sich auf. Im Summen war der Schatten der Glut aus Knorris Höhle, und darunter lag ein Echo des ersten Liedes, das er nicht hergegeben hatte. Rost rieselt aus seiner Faust.

Die Alfkona verzog das Maul. Drei Herzschlag lang klang ihre Stimme hohl, als sänge sie in einem leeren Honigfass. Sie zog die Lippen zurück; die Nadeln sahen nackt aus, ohne Lied. „Ihr seid töricht,“ fauchte sie, kein Gesang mehr. „Ihr seid schwer. Ihr seid langsam.“
„Jau,“ sagte Bjornar. „Langsam is’ gut, wenn man ney in falsche Arme fällt.“ Sie zog sich zurück, einwärts, als wickele sie sich in den Stamm der Hecke. Ihr Körper wurde Dunst, dann Faser, dann Rinde. Ein Rest ihrer Stimme blieb in der Luft, ein dünner Faden Süße, der nicht mehr reichte, um etwas zu binden. Der Schatten schnappte nach dem Faden wie ein durstiger Hund nach einem Wasserstrahl; die Luft blieb leer.

Bjornar stand, die Axt auf der Schulter, den Eisenknoten vor der Brust. Er fühlte, wie der kleine Wurm in seinem Rippenkorb langsam die Fänge einzog, sich krümmte und schlafen ging. Der Schatten trat zurück, brummte, trottete wieder an seine Seite. Er berührte Bjornars Hüfte leicht mit dem Kopf, fordernd, unversöhnt, aber er war da.

„Neyt vorn,“ wiederholte Bjornar, milder. „Nebenher, wenn’s sein muss. Aber neyt vorn dran”

Ein Murmeln, das wie Einverständnis klang, ging durch das dunkle Fell. Über der Hecke hob sich ein erster Stern.

Bjornar setzte den Fuß in Bewegung. Der Boden gab unter ihm nach, die Hecke wich höflich, ließ einen Weg entstehen, der zuvor nicht da gewesen war. Hinter ihm setzte sich der zweite Schritt in Marsch, schwer, hungrig und diesmal im gleichen Takt.

V Blaue Stunde

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Stilles Wandern. Nur zwei Schritte gingen: sein eigener, schwer vor Müdigkeit, und der andere, der ihn seit Beginn der Hecke begleitet hatte – tiefer, hungriger, mit einem kurzen Kehllaut am Ende jedes Tretens, als koste er den Weg. Als der Moment gekommen war, verstummte der Begleiter und warf sich in das Dickicht, unbeherrscht, vom Jagdfieber überkommen: Er hatte - endlich - Schwäche gewittert.

Die Lichtung, die Bjornar nun schlafwandelnd aufnahm, war rund und dunkelblau. Der Himmel lag darüber wie ein Tuch, das jemand straff gezogen hatte; Sterne steckten schon darin, doch als feine Stiche, die erst später leuchten würden. In der Mitte stand eine Gestalt, die keine war und doch alles: er selbst, größer, zottiger, mit gelben Schmied-Augen, mit Runenblick. Von Angesicht zu Angesicht.

Der Schatten grinste, als hätte man ihm eine Schüssel voller Wärme hingestellt. Bjornar selbst war seine Beute, die ganze Zeit schon. „Jau,“ knurrte er, die Zähne ein wenig zu lang für einen Menschenmund, „endiglich. Dey hanst myr gnug zurück gehalten.“

Bjornar hob Haunseloh. Seine Arme zitterten vor einer Müdigkeit, die schwerer wog als die Waffe. „Dey bist jeg,“ sagte er rau, „aber ney mein Beherrscher.“

Der Schatten lachte, und das Lachen band ihm das Herz zusammen wie ein Eisenreif. „Jeg bin dein Fraß-Hunga. Jeg bin dein Blut-Zorn. Jeg bin dat Rasen deiner Pranken, wenn dey der Wind krumm anguckt. Lass myr vorn, un dey kriegst, wat de willst. Holz. Fleisch. Wärme. Freyja. Jeg nehms für dyr! Weils dyr gehört.“

„Ney,“ brummte Bjornar, doch das Wort war herzlos. Stattdessen sprang er, von der Furcht getrieben, sich zu verlieren, und schlug. Die Schneide fuhr, und das Eisen schnitt, ins Nichts. Es war, als schlüge man auf Atem. Rauch fuhr ihm entgegen, und im Rauch stand wieder das grin­sende Gesicht. Krallenhände packten ihn an den Schultern; sie rangen, schwer und nah, ein Stoßen aus Ellbogen, Zähnen, Atem. Jeder Schlag, den er führte, traf ihn auf dem Rückweg wieder: Spiegelkampf, ohne Gewinn, ohne Ende.

Er schmeckte Metall im Mund. Fell kratzte ihm die Handflächen wund. Ein Zahn strich an seiner Kehle vorbei, gerade so, dass Blut roch, aber kaum erschien. Er keuchte; der Schatten keuchte. Kein Sieg, nur Nähe.
Am Rand der Lichtung stand jemand und sah zu. Die Gestalt war nicht aus der Hecke getreten – stand eher so dorthin gestellt, wie man einen Spaten anlehnt, der weiß, wo er hingehört. Der Lehmhäutige, alt ohne Greisenhaftigkeit, Hecke an den Händen, Stille um die Stirn. Er trug die Art von Ruhe, die Pflanzen groß werden lässt. Seine Augenbrunnen waren tief, und in der Tiefe lag kein Urteil.

Er hob den Finger an die Lippen. Mehr nicht.
Bjornar hielt inne. Sein Atem ging wie ein Blasebalg, Haunseloh hing taub in der Hand. Der Schatten stand ihm so nah gegenüber, dass die Nasen fast einander rührten. In den gelben Augen brannte Gier – und dahinter, sehr fein, war Angst: die Angst, nicht anerkannt zu werden.

„Dey bist meins,“ sagte Bjornar, leise, damit es hielt. „Jeg kann dyr neyt töten. Weil du jeg bist. Aber dey führst ney. De läufst nebenher. Dat muss recht sein. Jeg bin ussgeschöpft, un so bist dey!“

Der Schatten stieß einen Laut aus, morsch und trocken, wie ein hohler Stamm, als Bjornars Schwäche auf ihn übersprang. Der Schatten heulte: “Ohne myr bist neyt. Willst neyt. Frisst neyt, kämpfst neyt!” Dann sank er ein, als hätte man ihm die Luft genommen: Fell wurde Rauch, Rauch wurde Atem, Atem wurde Gewicht unter den Rippen. Er fuhr in Bjornar zurück, nicht als Besiegter, vielmehr als Tier, das an den richtigen Platz gelotst wurde: vorbei an der Kehle, dem hungrigen Schlund, vorbei an den Händen, den gierigen Greifern, vorbei an den lüsternen Lenden, bis es schließlich heim fand und sich zur Ruhe legte, unter dem Herzen, dort, wo ein Mensch an den Winter denkt und trotzdem lacht.

Die Lichtung gab den Horizont frei, machte Platz zum Atmen.

Der lehmhäutige Mann am Rand kam näher. Er sagte nichts. Er machte keinen Zauber, rief keine Namen; er war nur da, mit der Art von Dasein, die Dinge zurechtrückt, ohne sie anzufassen. In seiner Hand lag etwas Kleines, das er Bjornar in die offene, leere Linke legte: ein Knoten aus Gras, grob geflochten, feucht vom Saft, an den Spitzen schon welk. Nichts von Eisen. Nichts, was bleibt.

Bjornar blickte auf die Gaben-Hand, dann in das tiefe Gesicht. „Takk,“ murmelte er, verlegen, weil man für Stille eigentlich kein Dankes-Wort findet.

Der Mann nickte nur. Mit der rechten Hand deutete er. Da, wo der Schatten eben noch gedroht hatte, wuchs ein Bogen aus Ranken aus der Luft, als hätte auch die Hecke beschlossen, höflich zu sein. Dahinter stand Wasser: die Stille einer Quelle, die Ferne eines Flusses, die Grenze des Ufers. Darin spiegelten sich glatt und ohne Anfang und Ende die Schatten der blauen Stunde.
Bjornar drückte den Grasknoten gegen die Brust. Seine Finger fanden den Schaft von Haunseloh, als wollten sie sagen: wir gehen jetzt. Er neigte den Kopf dem Mann zu. Der Mann neigte den Kopf ein wenig tiefer zurück, als wäre dies die Übereinkunft gewesen.
Bjornar trat durch den Bogen.

Er fiel, er stieg, er wechselte hinüber, durch die Haut zwischen den Dingen, so wie man ein Bild umdreht, das auf der anderen Seite auch ein Bild trägt.

Kälte fasste ihm die Wangen – ehrliche Kälte, die nach Stein und Nacht roch. Das erste, was er hörte, war das sehr leise Sprechen der Druidenquelle. Dann den Wind in Fjellgat, den er kannte wie den Herzschlag eines Freundes.

Er lag auf dem Bauch am Quellrand; Bart und Pelz waren nass. Der Nachthmmel über ihm war Herbst – aber nicht sein Herbst von vorhin. Das Gras stand höher, Disteln waren verblüht, ihr Ort geändert, die Geräusche des Waldes waren nicht mehr die, die sie gestern gewesen sein mussten. Auf dem Stein lag Moos, das es eine Woche zuvor noch nicht geben durfte.

Bjornar richtete sich auf, schwer, als sei der Körper, der wieder bei ihm war, etwas, das man neu anziehen muss. Seine linke Hand hielt den Knoten. Er war noch da – aber nur ein Knoten Gras: saftig, grob, mit einem halben Riss, der morgen schon braun sein würde. Er vermisste das Summen. Er sehnte sich nach dem Glutrest. Die Wärme seiner Hand gaukelte ihm vor, da wäre mehr.

„Jeg glaub jeg bin, jeg glaub, jeg hab…“ setzte er an, aber Wörter rutschten weg wie Forellen. Er wusste nicht, wo er gewesen war. Er wusste nicht einmal, ob Verweilen das richtige Wort dafür war, wie er gewesen war. Ihm blieb nur ein Gefühl, als habe er im Schlaf einen Felsen den Berg hinaufgetragen, ihn wieder und wieder hinunter gerollt und jedes Mal sei er ein Stück leichter gewesen als davor.

Er stand. Die Knie knirschten. Er drehte sich zur Quelle. Das Wasser war wieder nur Wasser – und spiegelte doch an seinem Rand ein zitterndes Haus. Das Druidenheim von Fjellgat lag nicht weit und sein Dach ragte über die Wipfel des Hains.

Am Ufer stand das Numenbäumchen. Es war gewachsen. Nicht größer – aber anders. Der kleine Stamm hatte eine Art Feinmut bekommen; die Blätter waren dicker, das Glänzen dunkler, als hätten sie irgendwo eine neue Art Licht kennengelernt. Bjornar streckte die Hand aus und legte die Finger an die Rinde.

„Jau, Kleener,“ murmelte er, und die Stimme klang ihm fremdartig vertraut. „Dey wächst og ohne myr.“
Die Quelle flüsterte ihre leises Wassermurmeln. Fjellgat roch nach trockenem Gras, nach Salz, das der Wind vom Fjord herauf trug. Es herrschte die Ruhe der frühen Abendstunde. Die Welt hielt ihm die Tür offen und fragte nicht, wo er gewesen war. Er selbst war voller Fragen: Wo ist die Geliebte, die Wahre und Schöne? Wo sind die Gefährten vom Stamm? Wen hatten die Ahnen zu sich geholt? Hielten die Palisaden stand? Wie weit war es bis zum Winter?

Er setzte sich erneut an den Rand, den Stiefelrand auf den glatten Stein, die Ferse im Moos. Mit der linken Hand drehte er den Grasknoten, der schon an einer Stelle brüchig war. Ein Halm knisterte – nur leise, doch gerade so, dass Erinnerung sich regte wie ein Fisch unter Wasser.

Er blieb so lange sitzen, bis die Schatten der Fichten zu langen schwarzen Fingern wurden, die ins Wasser zeigten. Er dachte an Freyja und dachte es nicht zu Ende; er dachte an das Haus und ließ den Gedanken mitten im ersten Balken liegen; er dachte an Knorri und an den falschen Gesang der Alfkona – und jedes Mal blieb unter dem Denken etwas übrig, das nicht verriet, was es sei, nur dass es war.

Dann knackte es in der Wiese.

Er hob den Kopf. Der Hase saß da – weiß wie erster Schnee, die Augen feinst geritzt, als hätte jemand mit Nadellicht hineingeschrieben. Er war die Ruhe eines Tieres, das seinen sicheren Ort kennt und blickte Bjornar an. Er verweilte freiwillig. Die Ohren standen, als lauschten sie auf eine ferne Melodie.

Bjornar hob die Hand, in der der Knoten lag. „Siehst de?“ wollte er sagen, doch er schwieg. Worte und Hasen sind selten Freunde.

Der Hase hob die Hinterpfote und klopfte einmal. Der Ton war klein und dumpf. Dann drehte er sich, hoppelte zwei Schritte, hielt an, schaute prüfend über die Schulter und verschwand in das Kraut, das seiner Größe gemäß war.

Bjornar saß. Er hörte die kleine Stille, die der Hase zurückgelassen hatte. Dann steckte er den Grasknoten in den Gürtel. Der Knoten war leicht, fast nichts. Gerade gut genug, um ihn das Nichts nicht vergessen zu lassen.

„Jau,“ sagte er in die blaue Stunde hinein, und die Quelle nahm das Wort, ohne es zurückzugeben. „Jeg kimm gleich. Aber neyt jetzt.“

Später erhob er sich, so, dass es der Boden spürte und dieser ihn nicht fallen ließ. Er strich mit der flachen Hand über das Numenbäumchen, als spreche er mit einem Kalb, das im Winter geboren wurde. Er tastete mit der Hand nach der Axt, beruhigend, er wollte dem Bäumchen Sicherheit bekunden: Mit dem Wald führte er keinen Krieg. Doch da war keine Axt! Hatte er sie in der anderen Welt verloren!? Er zuckte vertrauensvoll mit den Schultern, wichtige Dinge kehrten wieder, und ging dann den schmalen Pfad hinauf, der zwischen Heide und Stein liegt, ohne ins Dorf zu biegen, ohne den Blick noch einmal zu sehr zurück in die Quelle zu werfen.

Hinter ihm stand die Hecke, wo es keine gibt. Vor ihm lag Fjellgat, womöglich genau so, wie man es kennt, oder bereits ganz anders. Die Nacht kam ohne Hast. In seinem Brustkorb lag etwas Schweres und Warmes, das weder brannte noch sang – und doch Feuer sein konnte, und Lied, wenn man es darum bat.

Niemand wusste, wo er so lange gewesen war. Nicht einmal er. Aber als der Wind vom Fjord heraufkam und so vertraut roch, dachte er, nicht in Worten: Is gud so. Is recht so. Is schön so. Is menschig.

Er summte das Lied, sein Lied, das er nicht hergegeben hatte, die Melodie völlig falsch und doch völlig wahr. Er ging weiter. Die blaue Stunde ging mit.
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