Die Liebe eines Sohnes

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Lyanos Deazul
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Die Liebe eines Sohnes

Beitrag von Lyanos Deazul »

Es waren bereits Wochen vergangen seit sich Mutter mit der seltsamen Seuche infiziert hatte, die sich scheinbar ausgehend vom Umland Ansilons in der Welt verbreitete. Sie selbst war mittlerweile eine recht betagte Dame, die es gewohnt war, dass man ihr schwere Tätigkeiten abnahm und auch wenn sie abgesehen von den Hühneraugen, den Schmerzen in den Handgelenken, den regelmäßigen Kopfschmerzen, dem gelegentlichen Zittern und dem wiederkehrenden Ausschlag auf ihrem Rücken völlig gesund war, so schien es als würde die Krankheit bei ihr einen schwerwiegenderen Verlauf nehmen, als bei manch anderem. Bereits seit Tagen saß sie nur noch auf dem bequemen Sessel im Wohnraum des Hauses und weigerte sich stur diesen, abgesehen von natürlichen Notwendigkeiten, zu verlassen.

Glücklicherweise war Mutter in ihren jüngeren Jahren sehr umtriebig gewesen und hatte kaum eine Münze bei einem guten Geschäft ausgeschlagen, was ihr nach einer stürmischen Nacht voller Enttäuschungen einen Sohn beschert hatte, der sich nun selbstlos um sie kümmerte. Anculas hatte mittlerweile schon mehr als 30 Sommer erlebt, war von dürrer Statur und man sah, dass der Haarverlust bereits vor Jahren eingesetzt hatte, trotzdem trug er seine verbliebenen Haarsträhnen voller Stolz, wie es ihm seine Mutter riet. Jeden Tag brachte er seiner Mutter Essen und streifte durch die Marktstände Ansilons, wo so mancher Händler Wunderelexiere und Heiltinkturen gegen jede Art von Krankheit anbot. Dabei hatte er den kleinen Reichtum, welchen er vor kurzem durch etwas Glück errungen hatte bereits beinahe aufgezehrt, verlangten die Händler doch teilweise ein Vermögen für ihre sogenannten Wundermittel.

Als Anculas an jenem Tage am frühen Nachmittag aufstand, war er einmal mehr verdrossen, dass das gemeinsame Bett von ihm und Mutter nur zur Hälfte belegt war. Die ersten Tage hatte er sich an dem Platz erfreut, daran dass Mutter ihm nicht vorwarf er würde die Decke für sich beanspruchen oder er würde wieder seltsam riechen. Und hatte er schon wieder eine Dirne in der Taverne für seine verwerflichen Triebe bezahlt?! Sie konnte ihren Schweiß noch an seinem Nacken riechen… Doch das Glück der Freiheit des Bettes war verflogen, er vermisste ihre nächtliche Wärme und das zarte Schnarchen, dass die Grillen vor dem Fenster verstummen ließ. Als er nun den Wohnraum betrat wurde ihm einmal mehr bewusst, dass Mutter dieser Tage oft stundenlang still war, ehe sie wieder eine ihrer Tiraden losließ und ihn zurechtwies. „Geh aufrechter! Steh nicht so dumm rum! Nimm den Finger aus der Nase! Was sind das für Flecken in deinem Schritt?!“ Und auch an diesem Morgen war sie still, er umrundete den Sessel mit hoher Lehne und sah sie besorgt an. Ihre Augen waren bereits trübe, und der Mund stand ihr wieder offen. Sanft legte er seine Hand an ihr Kinn und schloss ihren Mund, ehe der Kiefer sogleich wieder herunterfiel. „Mutter… das ziert sich doch nicht. Du sagst doch selbst, dass Fremde einem ihre Finger in den Mund stecken, wenn man den Mund zu lange offen hat.“ Und so schloss er ihren Mund wieder und griff strenger nach dem Kiefer, um ihn etwas zur Seite zu drehen. Ah, nun blieb der Mund geschlossen, nur der Ansatz der leicht grünlichen Zähne war zu sehen. Aber sonst wirkte sie heute eigentlich recht… normal, ihre Haut hatte seit ein paar Tagen aufgehört sich unter den Leichengasen aufzublähen und erschlaffte wieder, ein paar Maden wanden sich in ihrem Schoß, er wischte sie fürsorglich beiseite wo sie neben den verbrauchten Heiltinkturen und rottendem aber unangetastetem Essen der letzten Tage zu Boden fielen.

Und einmal mehr fielen ihm die neun Einstiche in ihrer Brust und ihrem Bauch auf, dort wo das verkrustete Blut immer noch auf ihrem Leinenkleid zu sehen war. Ach Mutter, sie hatte so stark gehustet, so viele Beschwerden gehabt und er wollte doch nur, dass wieder alles wie früher war. Er wollte nur helfen und genau das hatte er getan. Doch jetzt hustete sie nur noch öfter. Er gab dem faulenden Leichnam einen zarten Kuss auf die Wange und ging zur Türe. „Und wehe du bringst wieder den schlechten Fisch mit! Und vergiss nicht dass heute Badetag ist, wenn du nach Sonnenuntergang heimkommst musst du alleine baden!“: hörte er ihre krächzende Stimme durch das Haus hallen. Ihm selbst war nicht bewusst, dass wohl niemand anders ihre Stimme hören konnte, dass es lediglich Erinnerungen waren die in seinem Bewusstsein wiederhallten.

Anculas war guter Dinge, als bisher erfolgloser Schüler der Akademie der Künste, hatte er vor kurzem an einem Unterricht teilgenommen, bei dem von Magie die Rede gewesen war, die selbst schwerste Krankheiten heilen könne, ja vielleicht sogar Tote wiedererwecken könne! Und so verbrachte er den Tag damit die Märkte der drei Städte auf der Suche nach Zauberrollen zu durchstöbern. Und tatsächlich fand er jene Rolle, die es vermochte schwerste Verwundungen zu heilen, doch neben dem Preis der den Wert des Hauses selbst überstieg, war da noch eine Hürde. Es war ein Zauber des achten Zirkels, nie und nimmer würde er diesen sprechen können, schließlich hatte er gerade erst die Prüfung zum Lehrling abgeschlossen. Erneut seufzte er schwer, doch der Tag war noch nicht vorbei und wie Mutter immer sagte: Man gibt nur Briefe auf, mein Sohn! Merk dir das du Hohlkopf! Also brach er einmal mehr zur Akademie auf, denn eine letzte Hoffnung hatte er noch.

So kam es dass er diese seltsame Gestalt traf, die ihm die gesuchten Rollen nicht gegen Münzen, sondern gegen Informationen überlassen wollte. Ha, so ein Dummkopf! Er wollte etwas über die Seuche erfahren und genau darüber hatte Anculas schon einiges in Erfahrung gebracht, also erzählte er ihm so etwa alles, was er aus zweiter oder dritter Hand erfahren hatte und als ihm die Informationen ausgingen, naja, da erfand er eben Dinge die ihm schlüssig erschienen. Schließlich konnte ja niemand sagen, dass es falsch war oder? Zu wenig war bisher allgemein über die Krankheit bekannt. Und am Ende händigte die Gestalt mit den missgestalteten Ohren tatsächlich die gesuchten Rollen aus… Tja, sein Verlust oder?

Frohen Mutes und bester Absichten brach Ancluas schließlich nach Hause auf, erst als er Ansilon passierte bemerkte er, dass die Sonne untergegangen war und er seufzte schwer. Nun musste er vermutlich in kaltem Wasser baden und noch dazu ganz alleine, wie sollte ein einfacher Mensch wie er seinen Rücken schrubben? Er verstand manchmal nicht wie sich die Konstruktion dieses einfältigen Körpers in der Natur bewähren konnte.

Doch schließlich kam er daheim an, als er die Türe öffnete wehte ihm der süßliche Geruch der Verwesung entgegen an dem er mittlerweile schon beinahe Gefallen gefunden hatte. „Wo warst du so lange?!“ dröhnte es durch den Raum... oder seinen Kopf… gefolgt von einem schweren Husten „Mutter, ich habe es! Deine Heilung, glaube ich jedenfalls“. „Wehe das Zeug schmeckt wieder nach Fußpilz, Sohn. Du bist nicht zu alt um ordentlich versohlt zu werden, egal was man dir sagt.“ Anculas verzog betroffen das Gesicht, die Erinnerung an die letzten Hiebe war noch lebhaft in sein Gedächtnis eingebrannt. Er schluckte, dennoch bereitete er nun bedächtig den Zauber hinter der Lehne des Stuhls vor, nachdem er die Rolle eingehend studiert hatte. Ja, die Kräuter hatte er, den Knochen hatte er noch vorhin einem Recken am Friedhof vor Ansilon abgekauft, genau, ja, so sollte es funktionieren.

Und so richtete er sich auf und sprach die Formel, theatralisch bewegte er seine Hände dazu, wie er es so oft tat, in der Hoffnung irgendwie imposant zu wirken. Und schließlich.. Nichts, die Kräuter waren verwelkt, der Knochen zu Staub zerfallen, doch nichts geschah. Er setzte sich hin und studierte die Rolle erneut, hatte er einen Fehler gemacht? Etwas falsch ausgesprochen? Vielleicht hätte er im Unterricht doch besser aufpassen sollen? Enttäuscht und niedergeschlagen ging er in das gemeinsame Schlafgemach, alleine. Ihm war die Lust auf das Bad vergangen, sein Geruch störte ihn nicht, sollten die anderen doch daran ersticken, dachte er verdrossen. Es dauerte lange bis er eingeschlafen war, doch während er schlief merkte er die knackenden und schmatzenden Geräusche nicht, die im Wohnraum erklangen.

Als er am nächsten Tag erwachte, stach ihm der stechende Verwesungsgeruch strenger als sonst in die Nase. Und noch mehr, er merkte dass er sich im Schlaf an einen Leib geschmiegt hatte, doch dieser schien keine Wärme zu spenden. Anculas rieb sich etwas verwirrt die Augen und schlug das Laken zurück. Und tatsächlich richtete sich der Oberkörper seiner Mutter nur kurze Zeit später auf und sie sah ihn aus trüben Augen an. Doch .. nichts.. Sie sah ihn einfach nur an. „Mutter? Sprich.. doch! Bist du geheilt?!“ Rief er ihr zu und der Befehl des Nekromanten wurde von totem Fleisch gehört. Mutter holte Luft um etwas zu sagen, doch stattdessen hustete sie unglaublich.. wahrlich unglaublich viel Schleim auf das Bettlaken, ehe sie erneut den Mund öffnete. „Eeeeh… äähh“ drang es hinter den untoten Lippen hervor, ein Stöhnen, mehr nicht. Doch Anculas‘ Augen wurden glasig: „Ich liebe dich auch Mutter, ich weiß, niemand wird mich jemals so lieben wie du. Bitte, keine Worte mehr..“ Nun rannen ihm die Tränen die Wangen hinab, während er die teilnahmslose Untote umarmte.

Als sich die Emotionen etwas gelegt hatten trennte er sich von ihr sprach erfreut: „Ich denke es ist noch nicht zu spät für unser Bad, oder Mutter?“
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