Der Morgen hing noch schwer über dem Fjord, als Rashka vom Thrymm’tack den letzten Hang hinunterstieg. Nebel lag über dem Wasser wie ein dünner Schleier, und das alte Sägewerk, das sie heute begutachten wollten, stand stumm zwischen Viehgatter und Brandung — ein einfacher Holzbau aus wettergegerbtem Holz, der schon bessere Jahre gesehen hatte.
Am Viehgatter, das einst von den Thjondar errichtet worden war, erhob sich eine Statue der Aeiti: aus Stein gehauen, unverrückbar, stoisch und schön. Die Gestalt zeigte eine Nordfrau mit langen, bis zum Boden reichenden Haaren, in die Federn und Knochen geflochten waren; gehüllt war sie in kunstvoll gelegte Felle, die ihr Ansehen zugleich wild und gütig wirken ließen.
Geschichten erzählten, Aeiti sei einst eine außergewöhnlich schöne Nordfrau gewesen, die vielen starken Männern des Nordens Kinder schenkte und für ihren Sanftmut wie auch für ihre Weisheit gerühmt wurde. Mit großem handwerklichem Geschick gesegnet, habe sie aus den schlichtesten Dingen Großartiges schaffen können. Nichts, was sie berührte, misslang; nichts, worum sie sich kümmerte, verdorrte oder scheiterte. Jahrzehnte lang hatte ihre Statue über die Tiere auf der Weide gewacht — und nun, so hofften die Barbaren, würde sie gewiss auch das Vorhaben einer Werft und den Bau neuer Schiffe mit ihrem Segen füllen. Der Ort stand unter einem guten Zeichen und unter Aeitis wissendem Blick.
Haldron war bereits da. Der Forsjaman stand mit verschränkten Armen vor dem Haus, die Zunge unter der Lippe eingeklemmt, wie er es tat, wenn sein Kopf arbeitete wie eine Handmühle. Tarabasch dagegen kniete am Abhang und begutachtete den Boden; brummend sprach er mit sich selbst, während er offenbar die Festigkeit des Erdreichs prüfte. Tyra stand ein Stück weiter oben und musterte skeptisch die Wasserlinie, wo große Steine aus Gras und Erde ragten.
Rashka trat zwischen sie, die Schultern breit, der Blick wach.
„Seitlich vom Haus oder hier vorn?“ fragte er und ließ seine Augen über das Gelände wandern.
Haldron antwortete nicht sofort. Erst als er zur Rampe hinabging, die ins Wasser führte, brummte er:
„Vi myssn mjt de Schjff bald anfang.“
„Dey Platz ist aber kleyn für große Schiffe“, stellte Tyra trocken fest.
Tarabasch schnaubte.
„Deshalb ausbaun. Uf bejde Sejtn og nach hintn. Og nach vorn, de Rampe ins Wasser.“
Er deutete mit breiter Geste auf die Abbruchkante.
„Obr da brauchn wa ejne Menge Holz.“
Das gefiel Rashka. Arbeit bedeutete Fortschritt — und Fortschritt bedeutete, dass ihnen die Zeit nicht davonlief.
„Je sagt nur“, meinte er, „dass wyr ney Zit verlieren solltn.“
Gemeinsam traten sie ans Wasser. Das Ufer fiel hier steil ab, und darunter bewegte sich das dunkle Nass langsam und zäh wie kalter Atem. Tyra beugte sich vor.
„Dey Steyne liegen zeymlich hoch.“
„Mhm“, murmelte Rashka.
„De zwei Bäume da müssn wohl weg.“
Er trat einige Schritte weiter, ließ ein paar Steinchen hinunterfallen und lauschte dem kurzen Platschen.
„Aver je würd mehr ufs Wasser raus bauen. Mit Stegen.“
Tarabasch fuhr sich durch den wuchernden Bart, ein erstes, zufriedenes Grunzen im Hals.
„Sollt möglich sejn. Wenn alle mitanpackn.“
„Wyr brauchn Planken“, fügte Rashka hinzu.
„Und de rechte Kiele. Die könne wyr schon vorbereitn.“
Er nickte Tarabasch zu.
„Du kennst det hier am besten us. Wegen myr hast freie Hand.“
Der ältere Barbar sah ihn einen Moment an — nicht wie ein Untergebener, sondern wie ein Handwerker, der prüfte, ob ein Krieger wirklich meinte, was er sagte. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem kurzen, zahnigen Lächeln.
„Jau. Dann bau’n wyr det um. Sägewerk wird Werft.“
Ein kalter Wind fuhr über den Fjord, und für einen Augenblick wirkte es, als würde selbst das Wasser lauschen.
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Sie umrundeten das Haus, besprachen Gelände, Platz, Stämme, Bretter, Pfähle. Wohin die Tiere gebracht werden mussten. Welche Steine zu brechen waren. Welche Bretter zuerst gesägt werden sollten. Und ganz nebenbei — zwischen fachkundigem Gemurmel, brummenden Einwürfen und den seltenen, knappen Worten der Nordleute — formte sich eine neue Idee. Keine vage Überlegung mehr. Ein Plan.
Als sie schließlich wieder am Eingang des alten Sägewerks standen, wusste jeder von ihnen:
Dieser kleine Ort am Abhang, zwischen Aeiti-Statue, Schlamm und Gischt, würde der Anfang von etwas Größerem sein.
Rashka legte die Hand auf den Holzpfosten der Tür.
„Dann machn war det so“, sagte er mit einem knappen, zufriedenen Nicken.
„Wer Zit hat, kann de Planken hauen.“
Und so begann der Umbau — nicht mit Werkzeug und Holz, sondern mit vier Barbaren, die gemeinsam in dieselbe Richtung blickten.