Unerwarteter Besuch in Lóriendor war selten, umso seltener, wenn er gleich vor ihrem kleinen Blumenreich im nördlich gelegenen ruhigen Teil Lóriendors erschien. So führte es zu einem kleinen Wechselbad der Gefühle im Inneren Varyariels, als Livius um einen Moment ihrer Zeit bat.
Freude, Sorge, Neugier. Erst als er sein Anliegen offenbarte, überwog auch die Freude. Es war Teil dessen, was ihn zuletzt bereits zu ihr geführt hatte, seine Absicht, die Verbindung zu Shira’niryn auch im Sinne seines Volkes zu festigen. Beim ersten Mal, als er dies äußerte, war sie noch überraschter, der Drachenmagier machte selten den Eindruck, so ganz wie Seinesgleichen zu sein. Aber im Inneren der meisten Wesen ruhte wohl immer dieser kleine Funken, geboren aus dem, was einem von der Geburt mitgegeben wurde und in den frühesten Jahren seines Lebens mit auf den Weg gegeben bekommt.
Teil davon waren sicher auch Traditionen, solche, die ein Volk für sich über die Jahre und Jahrhunderte, manche über Jahrtausende, findet. Oft getragen von Symbolen und Zeichen, kleinen Dinge, denen mehr Wert innewohnt, als nur das Material, aus welchem sie gefertigt sind.
Und um ein solches kleines Ding bat er nun.
Es sollte ein Ring werden für Shira, gefertigt von den Händen Varyariels, einem weltlichen Band zwischen dem Faerwesen und dem Drachenmagier. Für diesen schien es von Bedeutung zu sein, dass die Waldelfe sich darin einbrachte, ließ er ihr sogar weitestgehend freie Hand bei der Wahl des Materials. Einen einzelnen Wunsch äußerte er jedoch mit Überzeugung, in irgendeiner Form sollte es ein Edelstein Teil des Ringes werden, ein Saphir. Und erst als Varyariel seine Wünsche wiederholte, korrigierte er sich. Natürlich sei ein Smaragd gemeint, so grün wie Shiras Augen. Eine Bemerkung, die zu erneuten Nachfragen führte und einer kleinen Diskussion. Womöglich war es eine Nachwirkung seiner magischen Nachforschungen oder schlicht so, wie er es zuvor bemerkte, Müdigkeit und Erschöpfung von all den Sorgen, die zu dieser Zeit wohl kaum ein Wesen auf der Insel verschonten. Aber dieses Mal war er sich sicher, ein Smaragd, so grün wie es Shiras Augen vor ihrer Wandlung waren! Eine Erinnerung daran und an all die Geschenke, die er ihr in der Vergangenheit gab.
Der Rest jedoch lag nun vertrauensvoll in den Händen der Waldelfe, die Wahl des Holzes, aus welchem das Band geformt werden sollte und, wenn es nötig sei, noch andere Materialien hinzuzufügen, wohl auch diese.
Die Wahl der passenden Hölzer war eine leichte, Apfel und Birke wurden mit einer Selbstverständlichkeit gewählt, die für die Waldelfe nur schwer in gesprochene Worte zu fassen wäre. Lebensfreude, Erneuerung, Neubeginn und Sanftmut, all das, was das Wesen Shiras ausmachen fand sie gespiegelt im Feenwald, der durch die Befreiung Hornblumes zu seiner alten Pracht zurückfand und schließlich auch zu der Magierin, als Ort ihrer zweiten Geburt, eine besonders innige Verbindung trug. Es brauchte nur das Anliegen selbst, kein sanftes Überzeugen, kein Versuch zwischen dem Eryn und den Andersdenkenden zu vermitteln, sie fragte nur und die Bäume gaben bereitwillig.
Ein weiterer Gedanke keimte in ihr auf, ein… verborgenes Material? Ein kleines Etwas, das zwischen den anderen eingebettet, für das Auge unersichtlich darauf warten würde, dass die zukünftige Trägerin danach fühlt.
Aus einem schlichten Gedanken erwuchs ein Plan, einer, der auf Geheimhaltung basierte. Sicher hätte Varyariel einfach Elira darum bitten können, aber eigenartige Bitten, selbst wenn sie von der Waldelfe kamen, sorgten oft für Nachfragen und denen war sie selten gewachsen. Elegantes Ausweichen, Verschleiern der wahren Absichten, das waren Dinge, mit denen sich andere befassten.
So ließ sie ihren Geist einen mentalen Schritt zurücktreten, vermittelte dem anderen Wesen in ihrem Inneren das, was an diesem Abend von Bedeutung war und wie sich auch ihr Inneres wandelte, folgte der Körper.
Und während der Silberfuchs sich auf den Weg nach Nebelhafen begab, durch Wälder und über Wiesen, wachsam die schmalen Pfade beobachtete um sie unbeobachtet zu passieren, zeichnete sich bei der Elfe tiefer in seinem Geist mit einer gewissen Erheiterung ein Bild vom möglichen Geschehen ab:
Eine schwarzhaarige Frau, mit sanften Gesichtszügen, die verträumt aus dem Fenster des kleinen Hausbootes blickte und ihre zahlreichen Blumen pflegte. Plötzlich würde sie einen Laut von sich geben, der gleichsam vorsichtige Überraschung und zurückhaltende Begeisterung ausdrücken könnte. Die Antwort darauf klang murrender, beinahe ein Anraunzen, es konnte wirklich unfreundlich klingen, wenn man die beiden nicht kannte. Und selbst wenn man sie kannte… manchmal war die Elfe sich nicht sicher, aber auch zwischen diesem ungleichen Paar hatte sie schon Momente aufrichtiger Zuneigung beobachten können! Und Menschen liebten womöglich einfach anders. Sehr wahrscheinlich sogar.
“Was ist Elira?" - “Schau, Fenrik! Schnell! Da ist ein schwarzer Fuchs! Wie hübsch!” - “Ein schwarzer Fuchs? Das ist sicher nur eine hässliche, fette Katze. Angelockt von den Mäusen, die wir angeblich nicht haben und um die du dich kümmerst!”
Ob es tatsächlich zu einer solchen Beobachtung, einem solchen Wortwechsel kam, wüssten nur die beiden Menschen auf dem Hausboot.
Für den Fuchs war in dem Moment nur ein ganz bestimmtes Ziel wichtig: eine Feder. Jedoch nicht irgendeine Feder, war es doch kein Zufall, dass das Tier so fern der Wälder das Hausboot der beiden ansteuerte. Er war auf der Suche nach einer, die sich vom Federkleid der Nebelkrähe, welche Elira seit einigen Monden begleitete, gelöst hatte.
Wieder in Lóriendor und wieder ganz sie selbst, den Fuchs mit einem Dank zurück in die tieferen Windungen ihres Geistes einkehren lassend, besah sie die schwärzlich schimmernde Feder. Ein zufriedenes Lächeln zeichnete ihr Gesicht und sie kam zu der Gewissheit, dass es richtig war diesem Gespür zu folgen. Shira war weder Mensch noch Elfe und auch nichts dazwischen, wie es etwa Fel von sich behaupten konnte. Dennoch galt es für sie, wie für jedes Wesen, ihren Platz im Leben zu finden und zu lernen. Und da wog die schwarzhaarige Druidin das auf, was sich dem Wissen der Waldelfe entzog.
Vermutlich würde Livius es auch verstehen, wenn sie es ihm erklärte. Irgendwann.
Denn letzten Endes verhielt es sich mit Freundschaften wie mit der Natur, eine Blumenwiese war auch umso schöner, je mehr Blumen dort blühten!
Eine wirkliche Handwerkerin war Varyariel nicht, doch widmete sie sich stets mit Sorgfalt und Bedacht den Dingen, Fingergriffe die von elfischer Geduld und dem volkseigenen Feinsinn geleitet wurden sollten dazu verhelfen Livius’ Wunsch zu erfüllen.
Die beiden Hölzern wurden miteinander verwoben, dunkler Apfel und helle Birke griffen ineinander und in ihrem kontrastreichen, lebendigen Farbenspiel fanden sie unter dem sanften Summen der Waldelfe beinahe von selbst zur gewünschten Form. Eine kleine Kerbe verblieb mittig um den gesamten Umfang des Rings.
Vielleicht mit einem Zwinkern von Varyariel zu verstehen, fanden dünne Golddrähte an die gewachsene Kerbe im Holz, spiegelten die Farbe von Shiras Augen und sollten umrahmen, was ihr Blick zuvor trug. Der von Livius bereitgestellte Smaragd erfuhr ein weniger barmherziges Schicksal, wurde zu einem Staub zermahlen, der fein genug war um sich mit Harz zum Kern des Rings verbinden zu können, doch noch immer grob genug, dass er das Licht auf die Weise einfangen könnte wie er es in seiner ursprünglichen Form tat. Und an einer Stelle, zwischen Holz und Harz, fand ein einzelnes schwarzes Ästchen aus dem daunigen Teil der Krähenfeder ihren Platz.
Das fertige Schmuckstück zum Himmel empor gereckt, es die Sonnenstrahlen des späten Herbstes einfangen lassend, besah sie es prüfend von allen Seiten.
Und bevor sie es in Livius' Hände übergeben würde, hauchte sie dem Band selbst noch einige leise Worte zu, kaum mehr als ein Flüstern:
“Blumenschwester, Gwathel vi Faer, möge dieses Band für dich tragen, was Worte nicht vermögen. Ein Symbol für das, was euch verbindet und jeden Wandel, alle Schatten, vergangener, dieser und kommender Zeit, frei von Ungewissheit überdauert.“