AKT I - In Dunkelheit geboren – im Licht bewahrt
Der Regen fiel kalt und stetig auf das Pflaster vor der Garnison der Stadtwache. Die Tropfen klangen wie Trommeln auf alten Schilden, vermischten sich mit dem leisen Gemurmel einiger Stimmen. Männer und Frauen, Magier und Priester, Paladine und einfache Bürger hatten sich hier versammelt. Eine Mauer aus Willen, aus Pflichtgefühl, aus Licht – errichtet gegen das, was jenseits der Grenze lauerte.
Ich stand mittendrin, zwischen all den Gesichtern, und doch schien ich allein. Das dumpfe Grollen meines Herzens übertönte jede Stimme um mich herum. Seit Tagen hatte das Armenviertel geschrien – nach Hilfe, nach Erlösung. Stadtwachen waren gefallen, ihre Körper geschändet, ihre Seelen vom Dunkel verschlungen. Und heute… heute sollte es ein Ende finden.
Ich wartete auf das Zeichen von Amarius, meinem Bruder, meinem Freund. Mein Blick suchte seinen. Der Regen rann mir über Stirn und Wangen, als wäre es die Vorahnung dessen, was kam.
Dann geschah es.
Ein Zischen in der Luft. Ein Schatten. Eine Bewegung.
Ich sah Elaine noch lächeln, im nächsten Moment hörte ich nur noch das Krachen ihres Körpers, als sie zu Boden stürzte. Der Attentäter – schneller als das Auge – tauchte aus dem Nichts auf. Sein Dolch fand den Rücken der Bardin, und ihre weiße Kleidung färbte sich binnen Herzschlägen blutrot.
„NEIN!“ – der Schrei kam aus meinem Inneren, aus einem Teil, den ich lieber nie hören wollte. Krotar war schneller als ich, sein Körper zwischen dem Feind und Elaine, ich direkt hinter ihm. Mit zorniger Wucht schlug ich meine Waffe nieder, während die Bürger, geschockt, doch mutig, dem Attentäter zu Leibe rückten.
Er fiel. Doch der Schaden war angerichtet.
Elaine lag da, blutend, schwach. Der Regen kühlte ihr Gesicht, als wollte er sie zurückrufen. Krotar hob sie auf – und eilte zur Garnison. Ich riss mein Pferd herum. Die Heilstube. Vorräte. Salben. Alles, was helfen konnte.
Als ich zurückkehrte, kümmerten sich bereits Helfende um sie. Ich trat beiseite. Mein Platz war jetzt nicht an ihrer Seite, sondern an vorderster Front.
Die Masse bewegte sich wie ein Sturm gen Armenviertel. Die Dunkelheit hatte dort Wurzeln geschlagen. Und sie wartete. Eine Barriere aus schwarzer Magie spannte sich über den Pfad, als wolle sie unser Licht verspotten.
Dann trat er hervor.
Voheras.
Blondes Haar. Ein Lächeln wie aus Marmor gemeißelt. Die Nase höher als sein Verstand. Seine Worte tropften wie Gift: Er sei der Diener Liliths.
Ich schluckte. Mein Griff um das Amulett des Herrn wurde fester.
Und dann – seine Worte:
„Ich danke euch, Amarius. Für eure Befreiung.“
Das Schwert. Das verdammte Schwert. Wir hatten es aus dem Stein geborgen – sein Gefängnis. Es war nicht einfach ein Relikt gewesen… es war sein Siegel. Sein Kerker. Und wir hatten ihn befreit.
Amarius trat vor. Ich spürte den Zorn, das Schuldgefühl, die Schwere seiner Entscheidung. Ich trat an seine Seite, legte eine Hand auf seinen Arm.
„Tu das nicht, Bruder. Nicht allein.“
Doch er schüttelte den Kopf. Sein Blick fest. Entschlossen. Vielleicht auch getrieben von Buße.
Er trat durch die Barriere. Und sie ließ ihn durch.
Der Kampf begann – doch es war eine Farce. Vorheras zog sich zurück, ließ einen
Knochendrachen erscheinen. Ein Monstrum aus alten Knochen, schwarzen Flammen und beißender Verderbnis. Amarius kämpfte wie ein Löwe. Doch die Krallen des Drachen rissen in sein Fleisch, schleuderten ihn zu Boden. Dann – mit einem letzten Aufbäumen – zerstörte er das Untier.
Doch da war es zu spät.
Voheras packte ihn – und
verschwand mit ihm in den Schatten.
Ein Aufschrei ging durch die Reihe.
Ich spürte, wie meine Beine schwer wurden. Aber wir hatten keine Zeit für Trauer. Die Barriere flackerte. Gebete, geschrien mit letzter Inbrunst, trafen auf die Magie. Licht gegen Dunkel. Glaube gegen Zweifel.
Dann – sie brach.
Und wir stürmten.
Der Kampf war erbarmungslos. Männer und Frauen fielen, Schatten wichen, Zähne und Klauen schnitten durch Fleisch. Doch wir hielten. Wir hielten, weil wir mussten.
Und schließlich – das Dunkel wankte. Die Feinde flohen. Die Nacht gab das Armenviertel frei.
Doch von Amarius keine Spur.
Dann – eine Tür. Blut davor. Tonya trat sie ein.
Und da lag er. Zerbrochen. Blass. Kaum noch atmend.
Sloan und Tonya knieten sofort nieder, drückten ihre Hände gegen die Wunden. Ich stolperte durch den Raum, ließ mich neben ihn fallen, riss meine Tasche auf. Bandagen. Tränke. Gebete. Meine Stimme zitterte, als ich zum Herrn sprach.
„Nimm ihn nicht. Nicht jetzt.“
Dann – ein Licht. Sanft. Rein.
Ein
Engel.
Er legte die Hand auf die Brust meines Bruders. Seine Worte klangen wie Trommeln auf göttlichen Hallen:
„Wir haben auch gegen diesen Feind gekämpft. Wartet auf Morgen.“
Und dann war er fort.
Doch Amarius… seine Wunden waren verschwunden. Kein Schnitt. Nur seine zerrissene Robe, das von der Schlacht erzählte. Ich konnte kaum atmen. Konnte kaum glauben, was ich sah.
Wir trugen ihn ins Heilerhaus des Herrn. Ich untersuchte ihn, fand… nichts. Keine Spur. Nur die Erschöpfung. Der Schmerz. Das Echo.
Ich gab ihm einen Trank. Etwas, das ihn schlafen ließ. Ich setzte mich an sein Bett. Ließ meinen Blick über seine Züge gleiten. Sah den Mann, der fast alles gegeben hatte – für uns. Für Solgard.
Und ich wusste:
Der wahre Kampf hatte erst begonnen.
AKT II - „Wenn das Licht ruft“
Die Nacht hatte sich über Solgard gelegt, schwer und schwanger mit Erwartung. Doch es war keine gewöhnliche Dunkelheit – sie atmete. Sie flüsterte. Sie wartete.
Ich stand in der kühlen Dämmerung am Rand des Armenviertels, den Blick auf die Straße gerichtet, wo sich die Barrieren der Blutmagie wie schwarze Dornen durch das Pflaster zogen. Jeder Atemzug war wie ein Gebet, jeder Herzschlag ein letztes Zögern vor dem Sturm. Um mich sammelten sich Brüder und Schwestern – Krieger, Priester, Paladine, Magier – und selbst einfache Bürger, die nicht mehr tatenlos zusehen wollten.
Doch diesmal war etwas anders.
Ein Leuchten durchbrach den Himmel.
Nicht jenes kalte Licht der Sterne, sondern ein gleißender Glanz, der sich in Wellen über unsere Reihen ergoss. Und dann trat er hervor –
der Erzengel
Barchiel, mit Flügeln wie aus reiner Sonne gewebt. In seiner Hand trug er einen Bogen aus Licht, doch sein Blick ruhte auf nur einem Mann:
Amarius.
Ich sah, wie mein Bruder sich aufrichtete, seine Haltung aufrecht, aber seine Augen demütig. Die Wunde von gestern – weg. Kein Narbenzug blieb zurück. Der Herr selbst hatte ihn geheilt. Und nun... krönte ihn der Bote des Himmels.
„Von nun an sollst du Hoher Priester des Herrn genannt werden.“
„Diese Engelkrieger stehen unter deinem Banner.“
Die Worte hallten in meinen Knochen wider. Ich hätte nie gedacht, diesen Moment noch zu erleben. Und doch stand ich dort, das Schild an meiner Seite, die Keule fest im Griff, das Herz bereit.
Die Engel formierten sich hinter uns. Wie eine Welle aus Licht zogen wir gemeinsam auf die letzte Barriere zu. Schwarze Runen flackerten in der Luft, das Werk einer finsteren Magie. Doch sie war nichts gegen die geballte Kraft von Glaube, Gebet und Magie.
Van de Mork, mit zitternden Händen, und
Ephraem, mit ruhiger Stimme, sprachen ihre Formeln. Meine Lippen murmelten die Litanei der Tugenden. Und als das letzte Wort gesprochen war, barst die Barriere mit einem Laut, als hätte die Welt selbst geatmet.
Dann begann der Krieg.
Die Dunkelheit kam wie ein Sturm. Schattenwesen, gefallene Seelen, abscheuliche Kreaturen, allesamt bereit, das Licht auszulöschen. Ich sah meine Kameraden kämpfen, Seite an Seite. Ich schlug, betete, schützte. Und mitten in diesem Wirbel kam er wieder:
Voheras.
Er stand wie ein Schauspieler auf der Bühne des Elends. Vor sich eine Schale –
ein Gefäß, das verdorben wirkte bis in den Kern. Darin: die gefangenen Seelen. Ihre Schreie – nicht hörbar, aber spürbar.
„Schaut her! Euer Licht reicht nicht hierher!“
„Dies sind meine Trophäen.“
Tonya, von unerschütterlichem Mut, ließ den ersten Pfeil fliegen – verfehlte. Dann war es
Pandor, der mit einem Trank versuchte, das Gefäß zu zerstören. Doch Voheras schlug zurück.
Nekromantie, grausam und rein. Ich sah, wie Pandors Körper sich unter der unsichtbaren Qual bog. Es war, als würde sein Inneres zerreißen, als stießen tausend Klingen aus seinem Leib.
Wir konnten ihn nicht erreichen.
Erst
Radesvalds Magie beendete das Leiden. Doch es war ein Mahnmal.
Tonya sprang wieder vor, wollte Voheras aufhalten, bevor er entkommen konnte. Er erhob sich, wollte fliehen, doch sie war schneller – packte ihn, zerrte ihn zurück. Und dann... spürte auch sie den Fluch. Ich hörte ihren Schrei, als wäre es meine eigene Seele, die zersplitterte.
Ich konnte nicht zusehen.
Ich stürmte los. Die Keule in meiner Hand glühte vom Gebet. Ich schlug auf Voheras ein, einmal, zweimal – doch sein Körper war wie aus Nebel. Er lachte, grinste, und ich fühlte mich ohnmächtig. Dennoch – ich wich nicht zurück. Ich stellte mich zwischen ihn und Tonya, als sie zu Boden sank. Ich rief nach Sigarda, nach Jaster. Und sie kamen.
Und dann war
Amarius da.
Um uns der Kreis:
Jaster, Sigarda, ich selbst – und Amarius.
„Du bist allein, Voheras.“
„Deine Lügen enden hier.“
Der Hohe Priester hob sein Schwert – nun gesegnet durch den Herrn selbst. Es war, als funkelte der Himmel darin. Ohne zu zögern trat er vor und rammte es
in Voheras' Leib. Ich sah, wie die Dunkelheit zischte, schrie, zerbrach.
Wir taten es ihm gleich. Unsere Waffen trafen zugleich. Und das Licht gewann.
Was blieb, war Stille.
Die Dunkelheit verzog sich. Der Nebel löste sich. Das Armenviertel – endlich frei.
Ich ließ meine Keule sinken, atmete schwer. Der Schweiß vermischte sich mit dem Regen. In meinem Blick lag Schmerz, aber auch Hoffnung. Und als ich mich zu Amarius wandte, erkannte ich, dass er nicht nur Hoher Priester war.
Er war ein Symbol geworden.
Ein Licht, das auch in der tiefsten Dunkelheit nicht verlöscht.