Auf schwarzen Schwingen

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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Und den Mordstahl seh' ich blinken
Und das Mörderauge glühn;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schrecknis fliehn;
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land "

Friedrich Schiller

~•~

Von Rubinen und Diamanten

Die Träume über ihren Bruder waren nur wenige in einer langen Reihe an verschiedensten Albträumen, die sie zunehmend heimsuchten. Die daraus resultierende Müdigkeit sowie Unkonzentriertheit fiel unweigerlich auch dem Alten auf. Eine falsch gesetzte Naht, eine unsauber gezeichnete Rune oder eine krakelige Handschrift. Die unruhigen Nächte machten ihr deutlicher denn je zu schaffen, schwer zu sagen, ob es die gewaltige Anzahl war, oder einfach die lange Zeit über die sie sich schon erstreckten. Dazu die quälende Ungewissheit, jeden Mond aufs Neue die Nachricht von den Samtpfoten, dass nichts herausgefunden werden konnte.

»Spricht sie zu dir?«

Die Frage Rasheems riss die Schwarzhaarige beim Abendessen aus ihren Gedanken und blinzelnd richtete sie ihren Fokus auf den neugierig-besorgten Blick ihres Mentors. Aus der Abneigung, der fröstelnden Höflichkeit, dem Misstrauen, war mit der Zeit ein Funke von schülerlicher Zuneigung erwachsen, den sie aber tapfer versuchte zu verbergen. Sie -wollte- ihm nicht vertrauten, -wollte- ihn nicht mögen, aber wer konnte schon sein Herz kontrollieren? Nichtmal sie.

»Nicht… nicht wirklich. Es ist meistens kaum mehr als ein Klappern und Rascheln. Als würde sie mich verspotten oder als… wäre sie ungehalten?«

Während sie antwortete, griff sie mit so unruhig zitternden Fingern zu ihrem Wasserglas, dass sie es direkt nach dem Anheben auch wieder abstellen musste, um nicht etwas zu verschütten. Natürlich entging das Rasheem nicht.

»Ich dachte… uns würde mehr Zeit bleiben, aber es scheint so, als fordere der Lord endlich dein erstes Opfer ein. Am Anfang vergehen meist erst ein paar Mondläufe, teilweise sogar bis zu einem Jahreslauf, doch ab einem gewissen Punkt wird die Elster unleidig, ungeduldig und du spürst den Ausdruck jener Unart bestimmt am eigenen Leib. Sobald du ein Opfer gebracht hast, sollte wieder für eine Weile Ruhe herrschen.«

»Und was ist, wenn ich… mich weiger?«

»Dann werden die Symptome immer schlimmer, bis du wirklich wahnsinnig wirst oder lieber stirbst, als es länger zu ertragen.«


Eine tiefe Furche bildete sich auf der Stirn Aasthas, während sie den Worten des Alten lauschte. Sie mochte es nicht in einer Situation zu stecken, wo ihr nicht wirklich die Wahl blieb - denn zu sterben, das war gewiss keine Lösung, die sie akzeptierte, mochte der Irrweg des Lebens noch so kräftezehrend sein. Aber sie hatte ihr Ziel, ihren Bruder zu finden noch nicht erreicht.

»Das heißt… ich muss mich um ein Opfer kümmern…? Wie läuft das ab?«

Ein mildes Lächeln legte sich auf die faltigen Gesichtszüge Rasheems und ein Nicken bestätigte die Vermutung der Schwarzhaarigen. Am selben Abend noch begann er Aastha über die Grundlagen in Kenntnis zu setzen - Dinge, die sie wissen musste, damit seine Hilfe in Zukunft nicht mehr vonnöten wäre. Sie lernte, dass die Art, wie das ausgewählte Opfer starb, keinerlei Relevanz hatte - ob vergiftet, erstochen, erschossen oder irgendetwas anderes. Am Ende war es nur wichtig, dass der tatsächliche Tod eintraf. Auch bei der Wahl des Opfers schien es einige Freiheiten zu geben, doch mit einer Einschränkung und diese war so wichtig, dass Rasheem von ihr verlangte, es sich immer wieder in Erinnerungen zu rufen. Auch im Reich der Dämonen, dem Abyss, gab es eine Hierarchie und Lord Cha’ckal war nicht derjenige, der dort an der Spitze stand. Sie sollte sich hüten, eine Seele zum Lord zu bringen, die nicht in sein Reich gehörte, oder besser gesagt, die jemand beansprucht hatte, der weitaus höher als der Seelenfresser stand.

»Wie bringe ich die Seele denn letztendlich in sein Reich?«

»Du gar nicht. Es sind die Elstern, die kommen werden. Sie wissen über jene, die in dir ruht, Bescheid und tauchen meistens schnell genug auf, dass sie die Seele stehlen können, ehe sie in den Äther gelangt.«

»Also… mache ich eigentlich gar nichts… außer jemanden zu töten?«

»Mehr wird nicht von dir verlangt, solange du kein falsches Opfer wählst.«


Irgendwie war die Vorgehensweise ernüchternd für Aastha. Sie hatte es sich eindrucksvoller und wichtiger vorgestellt… nicht so... banal. Natürlich beunruhigte sie es, zu wissen, dass eine gewisse Beobachtung durch die Elster herrschte und dass da offenbar ein Band oder irgendetwas anderes war, was zwischen ihr und den anderen existierte. Etwas, was sie noch nicht so richtig verstand und auch etwas, was Rasheem ihr nicht beantworten konnte… oder wollte?

Am nächsten Abend machten sie sich auch schon auf den Weg durch die Gassen der Stadt. Die Vergangenheit von Aastha brachte ihr den Vorteil, dass sie die verwinkelten und dunkleren Wege Moorheims kannte - eben jene Ecken, wo Verbrechen oder unlautere Geschäfte nicht unbedingt auffielen. Rasheem folgte ihr, erstaunlich leise für sein Alter, doch machte die Schwarzhaarige sich keine Gedanken darüber. Sie war an einem Punkt angekommen, wo sie ihren Mentor weder hinterfragte noch sich irgendwie Gedanken um seine Absonderlichkeiten machte. Magier, dachte sie immer, waren irgendwie merkwürdig. Als der Mond sich langsam über die Dachspitzen Moorheims drängte, hatte Aastha letztendlich ihr erstes Opfer gefunden. Ein Mann, offenbar betrunken, wankte in der Nähe durch eine Gasse - nicht sehr vorsichtig von ihm, aber der Alkohol hatte seinen Verstand weit genug vernebelt. Es würde sie nicht wundern, wenn er bei den Sampfoten gewesen wäre. Während sie ihn beobachtete, schlossen ihre Finger sich fester um den Griff des Dolches, den sie zuvor von Rasheem bekommen hatte. Sie hatte zwar schon getötet, aber es war immer aus einer notwendigen, spontanen Situation heraus entstanden - nicht so. Nicht so vorsätzlich und vorbereitet. Das nervös schlagende Herz konnte sie so nicht unter Kontrolle bringen und sie spürte die Hand des Alten, der sich auf ihre Schulter legte, als wüsste jener um ihre Nervosität. Sie fühlte die Elster in ihrem Inneren, als würde jene voller Aufregung unter Strom stehen und dieser unerklärliche Drang zum Töten wurde stärker denn je, schnürrte ihr förmlich die Kehle zu und drückte ihr den Brustkorb zusammen. Für einen Augenblick glaubte sie, es würde ihr den Verstand rauben, doch geraunte Worte Rasheems und ein etwas festerer Griff holten sie zurück.

Es passierte eigentlich ganz schnell, ab dem Moment, in dem Aastha den Entschluss gefasst hatte. Nahezu lautlos hatte sie sich schließlich hinter den Betrunken platziert und ehe jener in seinem Zustand realisieren konnte, was passiert war, befand sich die kalte Klinge des Dolches in seinem Hals. Ein Gurgeln, ein Keuchen, ein Winden und ein panisches Schlagen mit den Armen - doch für den armen Kerl war in diesem Augenblick jede Hilfe zu spät. Sie spürte das warme Blut des Unbekannten über ihre Finger hinweglaufen, langsam über Handrücken und die Arme, bis der Mann mit einem Röcheln zusammenbrach. Aastha selber fühlte sich wie in einem Rausch, doch es war ein gutes Gefühl, als würde zum ersten Mal das drängende, quälende Gefühl in ihrer Brustgegend weichen und unbegrenzter Euphorie Platz machen. Als könnte sie zum ersten Mal seit Monaten unbeschwert atmen und während sie vollkommen erleichtert den Unbekannten betrachtete, der auf dem Boden liegend seinen letzten Atemzug tat, spürte sie, wie Rasheem sich neben ihr stellte und ihr die geöffnete Hand darbot.
Auf der Handfläche des Alten lagen zwei Edelsteine, oder zumindest Steine, die so aussahen, als könnten es welche sein. Ein Rubin und ein Diamant, weder sonderlich fein geschliffen, noch besonders rein oder schön in ihrer Optik. Ratlos wollte die Schwarzhaarige zu ihm hinaufblicken, ehe ein Bild durch ihr Inneres zuckte.

Gestalten mit glühenden Augen, eines rot, das andere weiß. Federn bedeckten die schattenverschleierten Gliedmaßen und ein erneut drängenden Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. Die Elster. Aber diesmal wusste sie, was sie wollte.

Langsam nahm sie die beiden Edelsteine von Rasheem an, um sich neben dem Toten zu knien. Der tote Mann lag da, leblos, das Blut bereits dabei, zwischen den Pflastersteinen der winterlichen Nacht zu verschwinden, und doch... war da etwas geblieben. Etwas Unsichtbares, das zwischen den Welten hing, wie ein Schleier aus flüchtigem Rauch, sie konnte es nicht sehen, nicht greifen, aber etwas in ihrem Inneren teilte ihr mit, das es noch da war. Einen Augenblick zögerte sie. Ihre Finger waren kalt, feucht von Blut, zitternd, diesmal eher vor Euphorie, als vor Erschöpfung, aber sie folgte der Geste. Sorgsam platzierte sie mit den Fingerspitzen die beiden Edelsteine auf den Augenhöhlen der leblosen Mannes, eine Geste von der die zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, wie häufig sie jene in der Zukunft anwenden würde.

»Du solltest seine Augen unbrauchbar machen.«

Die vollkommen ruhige Stimme des Lehrmeisters ließ sie für den Augenblick irritiert über die Schulter blicken. Der fragende Ausdruck auf ihrer blassen Mimik, während die Schneeflocken begangen vom Himmel zu fallen, brachte ein kleines Schmunzeln auf die Gesichtszüge Rasheems.

»Vertrau mir, es ist sicherer, die Augen zu entfernen.«

Ein träges Nicken folgte von der Schwarzhaarigen und sie griff wieder nach ihrem Dolch. Erst ein geplanter Mord, nun das Herumschneiden an einer Leiche. Es war wohl für alles irgendwann der erste Moment gekommen. Sie rümpfte die Nase und kümmerte sich in den nächsten Atemzügen jedoch darum den Ratschlag ihres Lehrmeisters in die Tat umzusetzen. Ungeübter Hand entfernte sie die Augen, für die Rasheem ihr ein Glas offerierte und schließlich fanden die Edelsteine wieder ihren Platz auf den nun leeren Augenhöhlen. Sogleich spürte sie wieder die Elster in ihrem Inneren, als hätte sich jene für den Augenblick der Lehrstunde tatsächlich zurückgehalten. Euphorie, Rausch und schließlich ein Ziehen. Ein Flattern tief in ihrem Innersten, als würde etwas in ihr erwachen, sich dehnen, die Flügel spreizen. Dann die Stille. Und dann ... das Knacken.

Mit einem Mal wurde die Luft schwer und süß, wie überreifes Obst. Ein Geräusch von Flügelschlagen lag in der Luft und doch tauchte die Kreatur wie aus dem Nichts aus. Da war kein logisch nachzuvollziehender Ort, von dem sie hätte herkommen können in dieser kalten, winterlichen Gasse. Eine Elster - oder das, was sich als Elster tarnte? Ihre Körper wirkten wie aus Rauch gewebt, ihre Federn schimmerten im Licht der Gassenlaterne wie Öl auf Wasser. Ihren Augen waren zweifarbiger Natur, das eine gleißend weiß, das andere von einem glühenden Rot. Sie bewegte sich nicht wie ein Tier, sondern wie etwas, das vergessen hatte, wie Leben funktioniert und es nun versuchte irgendwie nachzuahmen. Die Bewegungen seltsam flüssig, seltsam leise. Verstörend, aber irgendwie... auch schön. Aastha drückte sich rasch auf und entfernte sich von der Leiche, zu welcher die Elster hernieder ging. Die schattenartigen Klauen der Kreatur schienen ins Nichts zu greifen, schienen förmlich im Brustkorb des toten Mannes zu versinken bis sie sich wieder entfernten und etwas mit sich zu ziehen schienen. Es schien der Schwarzhaarigen in diesem Moment so, als würde die Luft noch kälter werden, aber vielleicht war das auch nur die Winterkälte die sich durch ihre blutigen Hände schnitt.

Die Elster widmede weder Rasheem, noch Aastha irgendeinen Blick, sie flatterte einfach mit ihrer Beute hinauf in die Luft und zerging im Rauch unter den fallenden Schneeflocken. Nachdenklich und mit einer gewissen Faszination hatte die junge Frau alles betrachtet, die Elster in ihrem inneren ruhig, zufrieden, zum ersten Mal seit sie ihren Körper besetzt hatte. Der alte Mann stand noch immer schweigend hinter hier, als hätte er einfach alles beobachtet, ohne sich, mit der einen Ausnahme, einzumischen.

»Was jetzt?«

Fragte sie mit schließlich mit etwas rauer Stimme, während ihr Blick sich auf den Edelsteinen legten, die noch immer in den Augenhöhlen saßen. Sie war sich noch immer nicht ganz sicher, was sie damit bezweckt hatte. Dier Antwort des Alten war schlicht, als hätten die Beiden nicht gerade einem Seelendiebstahl beigewohnt.

»Gehen wir nach Hause und wärmen uns auf.«
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Aastha Isabella Accrusius
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~•~

"Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,
Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.
Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,
Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!
Nach drüben ist sein Auge stets gewandt:
Doch eines blieb - wir gehen Hand in Hand."

Theodor Storm

~•~

Asche in den Adern

Die Monde flossen fast nahtlos ineinander, während Aastha unter Rasheems Dach wohnte und das erste Opfer, das sie vor einiger Zeit in der dunklen, winterverschneiten Gasse erbracht hatte, erwirkte wohl einige Veränderungen. Als wäre ein Knoten geplatzt, als hätte die Elster ihre Flügel schließlich gänzlich entfaltet und sich in jeden Winkel ihres Körpers ausgebreitet.
Die Albträume hatten sich verändert. Bestanden sie die letzten Jahresläufe aus zerrissenen Fragmenten von Vergangenheit, mischten sich nun neue Träume hinein, die keiner logischen Handlung entsprangen oder ihren Ursprung in der Realität fanden, aber sie waren alle fordernd, blutrünstig, labten sich an ihren Ängsten. Die Elster, einst ein flackernder Schatten in ihrer Brust, der die meiste Zeit über schwieg, flüsterte jetzt mit zunehmender Penetranz. Der Drang, das nächste Opfer zu suchen, der innere Hunger nach einem neuen Mord, es vermischte irgendwann zu einem schwelenden Schatten, bei dem die Schwarzhaarige nicht mehr wusste, wie viel davon von ihr stammte und wie viel von der Elster.

Und das einzige, was half, das quälende Gefühl in ihrem Körper zu befrieden, war zu töten. Nur dann fühlte sie sich für wenige Wochen frei, nahezu friedlich im Vergleich. Nur dann glaubte sie frische Luft atmen zu können, nur dann hatte sie das Gefühl, wieder sie selber sein zu können, als wäre jeder Tod durch ihre Hände verbunden mit einem Durchbruch der dunklen Wolkendecke über ihrem Sein. So hatte sie in fast konstanten Abständen über die letzten Monde immer wieder ein Opfer für den "Lord" dargebracht, nicht alle in Moorheim, davon hatte Rasheem ihr abgeraten. Auch wenn es einige Bettler, Obdachlose oder andere finstere Gestalten in der Stadt gab, sollte es nicht auffallen, wenn es zu viele Tote wurden.
Sie reisten durch Dunkelmoor, gaben sich als fahrende Schneider aus und verkauften in den Dörfern und Städten ihre Waren, während die junge Frau, sobald die Nacht über die Landschaften kroch, sich dem inneren Drang ergab.

Die Opfer waren wahllos gewählt. Es gab kein Auswahlverfahren, keine Prüfung des Charakters, keine Rechtfertigung, warum ausgerechnet dieser Mensch sterben musste. Wichtig war einzig, dass die Morde sicher, schnell und bestmöglich geheim blieben. Reisende, einsame Gestalten, Unbekannte ohne Spur, Bettler auf den Straßen oder den Handelswegen - sie alle konnten das nächste Opfer sein.
Mit der Zeit änderte sich auch die Präsenz der Elster immer weiter, als würde jedes neue Opfer ihr dabei helfen sich weiter zu entfalten. Was einst ein diffuser Druck war, wurde zur greifbaren Präsenz. Sie fing an vermehrt zu sprechen, mit einem krächzenden, schabenden Tonfall, der an trockenes Holz erinnerte. Kein Spott. Keine Wut. Nur ein entsetzlicher Hunger, der durch jedes Wort sickerte. In ruhigen Momenten. Inmitten von Lärm. Manchmal auch, wenn Aastha nicht alleine war. Dann musste sie sich zusammenreißen, um nicht zu antworten, nicht zu reagieren. Doch die Elster war geduldig ... geduldig und unaufhaltsam.

Es hatte sich richtig, für sie angefühlt, für jedes Opfer, für jede Handlung im Namen des Seelenfressers sich mit grauer oder schwarzer Tinte ein Symbol dafür in die Haut stechen zu lassen. Jede Feder, jeder dunkle Rauchschnörkel, jedes Abbild eines Rabenvogels war wie ein stilles Mahnmal dafür, das sie sich dafür entschieden hatte. Das es ihre Wahl gewesen war und gleichsam waren es stille Zeugen für all die Leben die sie mit den Jahren genommen hatte. Es erinnerte sie daran, wer sie war und das sie die Macht hatte zu entscheiden.

Eines Abends, während sie in einem kleinen Gasthaus an einem Fenster saß, Rasheem war schon lange zu Bett gegangen, flüsterte die Elster leise in ihrem Inneren.

»Es ist Zeit.«

Aastha schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, während die quälende Gier des Federtiers sich durch ihre Adern fraß.

»Ich weiß.«

»Du zögerst.«

»Nicht heute.«

»Doch. Heute. Du atmest. Du bist leer. Ich höre den Wind, aber nicht das Flattern der Seele. Die letzte ist vergangen.«


Sie ballte die Hände zu Fäusten und richtete den Blick wieder aus das milchige Fenster. Der Mond war schon längst über die Dachspitzen gekrabbelt und die Müdigkeit lag in ihren Knochen. Der eigentliche Grund ihres Verweigerns, war aber schlicht der Tatsache geschuldet, dass sie der Elster nicht die Oberhand lassen wollte. Wenn dann, würde sie entscheiden, wann sie zur Tat überging.

»Nein, es ist spät.«

Die Elster schwieg einen Moment, dann folgte das trockene, raue Wispern, als würde sie über die Schwarzhaarige spotten.

»Du brauchst nur eine Klinge. Einen Menschen auf dunkler Straße. Es geht schnell.«

Stille senkte sich in ihren Kopf, wie ein Leichentuch über die Körper ihrer Opfer, während die Elster auszuharren schien - in ihren Worten, nicht abher in ihrem Wesen. Sie spürte das Drängen, das Quengeln, das Ziehen in ihrer Brust und sie wusste, sie würde bald wieder töten, damit es nicht schlimmer wurde.

»Ich werde es entscheiden. Nicht du.«

Ihre letzten Worte wurden final gesprochen, führten zu einem empörten Schnabelklappern in ihrem Inneren, welches sie zu ignorieren versuchte, während sie sich hochdrückte, um auf ihr Zimmer zu gehen. Morgen würde die Reise weiter gehen, in das nächste Dorf, zum nächsten Markt und vielleicht... vielleicht würde ihr dort ein Opfer über den Weg laufen.

~•~

Spur im Nebel

Der Morgen war trüb, die Fenster beschlagen von feuchter Moorluft, die Sonne schaffte es kaum durch die Wolkendecke zu brechen. Aastha saß im Arbeitszimmer Rasheems, vor sich ein halbvoller Becher kalten Tees und ein zerknittertes, schlecht gefertigtes Pergament, das ihr soeben übergeben worden war - von einer der Samtpfoten, die sie mit gesenkter Stimme und ausweichendem Blick in der Hinterkammer gesprochen hatte.

Jahre waren vergangen, seit sie die Samtpfoten mit der Suche nach ihrem Bruder beauftragt hatte. Immer wieder war sie mit leeren Händen zurückgekehrt, jede Hoffnung schien sich in Nebel aufzulösen. Die Spatzen hatten sich derweil unter einem neuen Anführer neu formatiert, waren sogar bei Aastha aufgetaucht, um ihre Loyalität einzufordern, doch sie konnte sich nicht darauf einlassen. Auch wenn das eingestochene Körperbild an ihrem Unterarm, sie stets erinnern würde. Nicht wieder so. Nie wieder. Sie würde nicht erneut eine Familie im Blut versinken sehen. Stattdessen willigte sie ein, kleinere Aufträge für den Schlosser zu übernehmen, dessen Identität noch immer eher ein Mysterium war. Sie hielt es vor Rasheem geheim, zumindest glaubte sie es, nutzte die Zeiten, in welchen der Alte selber verschwand um… was auch immer zu tun. Die Aufgaben des Schlossers waren vielfältig, mal hatten sie mit ihrem Schneiderhandwerk zu tun, mal mit der Entsorgung eines Rivalen. Letzteres fügte sich wunderbar in den Drang der Elster ein und so war es Aastha nur recht.
Doch nun, endlich, war da ein erster Hinweis.

»Wir wissen nicht, ob es wirklich dein Bruder ist« hatte sie gesagt. »Aber… jemand mit diesem Namen, diesem Aussehen, wurde vor einigen Wochen in einer Nachricht erwähnt, die aus Übersee kam - aus einem Ort namens Ansilon. Dort soll er Teil eines Bundes von Magiern sein.«
Sie hatte erwartet, ihn vielleicht irgendwo in einem Kerker zu finden, auf der Flucht, verborgen im Schatten. Aber als Teil eines magischen Bundes, in einer Stadt, die sie nie zuvor gehört hatte?

»Ansilon liegt auf einem entfernten Kontinent, weit südlich«

Merkte Rasheem an, als sie ihm von der Nachricht berichtete. Er hatte das Pergament lange gemustert, seine Stirn in Falten gelegt. Sie konnte nicht so richtig beurteilen, was in seinem Kopf vorging, aber das ging ihr häufig so. Für einen winzigen Moment glaubte sie, eine gewisse Unzufriedenheit bei ihrem Lehrmeister zu erkennen, doch sobald sie sich vergewissern wollte, wirkte seine Mimik wie immer, ruhig, stoisch, ohne große emotionale Ausprägungen.

»Du solltest ihn suchen.«

»Ich soll abreisen?«


Sie konnte die Überraschung in ihrer Stimme nicht verbergen, dass Rasheem sie so bereitwillig fortschicken wollte, doch der Alte widmete ihr nur ein mattes Lächeln.

»Das war immer dein Ziel, nicht wahr? Deinen Bruder zu finden. Du hast gelernt, was du lernen musstest. Du solltest auf eigenen Beinen stehen können.«

Die kommenden Tage verbrachte Aastha mit Vorbereitung und gemischten Gefühlen. Sie wollte es sich nicht wirklich Eingestehen, aber der Alte war mit den Jahren wichtig für sie geworden, trotz seiner verschrobenen Art und ihn nun einfach so zu verlassen, fühlte sich falsch an. Aber sie musste, das wusste sie. Die Reise zu diesem fremden, fernen Kontinent würde beschwerlich sein, der Weg nach Ansilon gefährlich - vor allem für eine mit ihrer Vergangenheit und ihrem Bündnis mit einem Dämon. Doch eine Möglichkeit war genug. Ein Funken, dem sie folgen konnte. Am Tag der Abreise vergrub das Amulett des Dämons tief in ihrer Tasche, band sich einen dunklen Schal um das Gesicht und vergrub ihre Erinnerungen an Dunkelmoor in der Kälte des Morgengrauens. Es war der Beginn einer langen Reise.
Die ersten Wochen verbrachte sie auf dem Landweg, eingepfercht in schaukelnde Karren, zu Fuß durch versumpfte Ebenen und in staubigen Herbergen schlafend, deren Wände kaum den Witterungen standzuhalten vermochten. In der Hafenstadt Dunkelmoors konnte sie schließlich eine Passage über das Meer bezahlen, sie hatte sich über die Jahre ein wenig vom Gold zurückgelegt, das sie durch ihre Schneiderarbeiten bei Rasheem sich erarbeiten konnte.

Der Seegang auf dem Handelssegler "Nebula" war tückisch, doch Aastha trotzte Übelkeit und Seekrankheit. Natürlich war sie seekrank. Albträume waren immerhin noch nicht genug. Das ständige Schaukeln, die Übelkeit und Müdigkeit brachten sie fast um den Verstand, aber nach einer viel zu langen Zeit, war auch dieser Weg überstanden, ohne nennenswerte Verluste. Den Schiffsjungen, der irgendwie aus mysteriösen Gründen über Bord gefallen war, schien keiner ernsthaft zu vermissen. So etwas konnte auf hoher See eben passieren. Vor allem mit Aastha an Bord.
Als sie endlich Ansilon erreichten, empfing sie der fremde Hafen mit seinen hohen Backsteintürmen und den breiten Hafenanlagen. Es wirkte hell, sauber... Wachen und Fahnen in greller roter Farbe schmücken die Stadt. Es war so gar nicht das, was sie erwartet hatte. Die Landschaft war offenbar fruchtbar, weite grüne Wiesen, ausgedehnte Mischwälder säumten die Stadt, wie sie bei ihrer ersten Erkundung und der Überfahrt durch den “Kanal” bereits feststellen konnte. Selbst Gemüse- und Kräuterfelder waren an den Stadtmauern gelegen. Alles sprach von Reichtum, zumindest in ihrem Verständnis. Hier irgendwo musste er also sein und in ihrer Vorstellung, genährt aus Zorn und Frustration, lebte er wie die Made im Speck.
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Aastha Isabella Accrusius
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~•~

"Herz, mein Herz, was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein fremdes, neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr.
Weg ist alles was du liebtest,
Weg, warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh -
Ach, wie kamst du nur dazu!"

Wolfgang von Goethe

~•~

Schatten der Vergangenheit

Die Sonne war bereits tief über den Mauern von Ansilon gesunken, als Aastha durch die steinernen Gassen der Stadt schritt. Die letzten Tage hatte sie sich vermehrt umgesehen, die Augen und Ohren offen gehalten. Sie hatte einige Mitglieder des Bundes getroffen, oder zumindest gesehen, aber keiner davon sah aus wie ihr Bruder. Sie war auch nicht unbedingt erpicht darauf, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Als auch diese Suche des Tages sich als erfolglos herauszustellen schien, machte sie sich auf den Weg zu Taverne. "Zur tänzelnden Bärin", der einzige Ort wo man etwas Richtiges zu Essen bekam. Gerade war sie auf den Weg abgebogen, der sie direkt zur Taverne bringen sollte, da sah sie ihn. Verloren in Gedanken, das Haar hell, die Haltung vertraut und zugleich fremd. Wie viele Jahre war es her, dass sie ihn gesehen hatte? Zehn? Mehr? Er blickte auf, das Wappen des Bundes schmückte seine Kleidung und ihre Augen verhakten sich ineinander wie die Klauen von kämpfenden Krähen. Er blieb stehen und Argwohn zeichnete sein Gesicht.

»Du stehst mir im Weg.«

Kam es kühl über seine Lippen, der Klang seiner Stimme gleichermaßen vertraut, wie absonderlich fremd, doch behaftet mit der gleichen Kälte. Die Schwarzhaarige rührte sich nicht, hob nur das Kinn. In ihrem Inneren herrschte Chaos. Die Elster schrie, schrie so laut, dass sie glaubte ein Klingeln in ihren Ohren zu vernehmen, als hätte mit ein Mal die Mordlust ungeahnte Höhe erreicht. Der eiskalte Blick ihres Bruders bohrte sich förmlich in sie.

»Ich kenne dich doch, oder?«

Ohne ein Wort trat sie schließlich noch näher ... und schlug zu, als hätte sie keinen anderen Weg gesehen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, als wäre da diese Hitze in ihren Adern, die sie irgendwie entweichen lassen musste. Die Ohrfeige hallte in der Gasse wider, ließ sein Haupt zur Seite schnellen. Reflexhaft schnellte seine Faust nach vorn, der Aastha nur soweit ausweichen konnte, dass sie nicht frontal getroffen wurde. Beide standen sich gegenüber, beide hielten sich die Wangen, während sie aneinander anstarrten, mit einer Mischung aus Zorn und Überraschung.

»Du hättest da eindeutig mehr verdient.«

Murmelte sie und erst dann erkannte er sie und seine Augen weiteten sich bei der Erkenntnis, doch da war keine Freude, die er offen zeigte. Eher Überraschung.

»Du hast es also auch geschafft, zu überleben… Aastha.«

»Allerdings. Und mit dir hatte das herzlich wenig zu tun.«


Die Worte klangen wie ein Fauchen. Gereizt, geschlagen, mit der drückenden Wut und der Gier der Elster in ihrem Inneren. Was folgte, war ein Schlagabtausch aus Worten, vorwurfsvoll, bitter und ehrlich. Ihr Bruder, der einst geflohen war - sie, die zurückblieb, kämpfte, überlebte. Beide trugen Narben, innen wie außen. Doch so tief der Groll, so tief auch die Verbindung. Widerwillig, beinahe beiläufig, bot er ihr Unterschlupf an und Aastha wusste zuerst nicht, wie sie reagieren sollte. Sie konnte ihre Gefühlswelt nicht einordnen, konnte nicht erklären, warum sie nicht all das sofort umsetze, was sie sich über die Jahre ausgemalt hatte. Lag es an der Ehrlichkeit in seinen Worten? Hatte er mit dem Mord an den Eltern und seiner Flucht ihr Leben nur besser gemacht? Sie zögerte, aber willigte ein. Vorsichtig. Behutsam, mit Gedanken im Hinterkopf.

Sie folgte ihm schweigend, mit lautlosen Schritten, wie ein Schatten, so wie sie es von Kindesbeinen an gelernt hatte. Erst das Schleichen daheim, um bloß der Aufmerksamkeit des zornigen Vaters zu umgehen, dann auf der Straße, um auch dort unbemerkt zu bleiben... Das Haus war größer, als sie erwartet hatte und übertraf das von Rasheem. Es lag an den inneren Stadtmauern gelegen, in etwas, was man vermutlich als gehobenes Hafenviertel bezeichnen konnte.

»Du darfst hier wohnen.«

Als hätte er ihr damit einen Brocken Gnade hingeworfen, erklangen die Worte und sie reagierte sogleich ungehalten, fragte ihm in scharfen Ton, wovon er leben würde.

»Magie.«

Die Antwort war schlicht. Stolz. Kalt. Doch je mehr sie sprachen, desto mehr sickerte das durch, was unter der Oberfläche brodelte - Misstrauen, alte Wunden, aber auch ein Rest von Sorge. Er stellte Fragen, spöttisch, verletzend. Ob sie ihren Körper verkaufe, wie sie überlebt habe, als würde er ihr keine andere Leistung zutrauen, als ihren Körper anzubieten. Sie lachte nur trocken, so etwas konnte sie lange nicht mehr verletzen und bereitwillig erzählte sie von ihrer Zeit in der Diebesbande, wenn auch mit einigen fehlenden Informationen. Auch er musste nicht alles wissen. Er schien weniger erfreut - oder fast beschämt?

»Dass wir Geschwister sind, muss keiner wissen.«

Sie nickte nur. Es war ihr recht in der Dunkelheit, im Schatten zu bleiben und unbekannt zu sein, denn genau diesen Weg wollte sie gehen. In der oberen Etage des Hauses bezog sie eines der Zimmer, das absurd groß für ihre Verhältnisse war. Ein viel zu großes, weiches Bett, ein Tisch, ein Schrank, ein Sofa, ein Feuer... und doch schlief sie auf dem Boden. Wie immer. Sie konnte sich nicht mit der Weichheit eines Bettes anfreunden, fühlte sich nicht sicher, nicht geerdet, wenn sie nicht die harte Fläche unter sich fühlte.

~•~

Sorsha von Schwarzenfels

Für Aastha war vorerst klar, dass sie in Ansilon bleiben würde, bei ihrem Bruder, auch wenn keiner jemals wissen würde, dass sie Geschwister waren. Auch wenn sie sich nicht mal wirklich mochten, sondern sich gegenseitig eher mit kalter Ablehnung begegneten, aber unter dieser Distanz war eine merkwürdige Vertrautheit. Eine irrationale Gewissheit, dass sie irgendwie doch aufeinander aufpassen? Oder war das mehr ein Wusch, die Rückstände eines kleinen, harmlosen Mädchens, das noch nicht gänzlich gestorben war und beim Anblick des Bruders nach neuem Leben griff? Es war in den nächsten Wochenläufen mehr eine Existenz nebeneinander, als miteinander, aber das schien beiden vorerst auszureichen. Sie tauschten harsche oder neckende Worte aus, erkundigten sich über den Alltag des jeweils anderen, aber es blieb bei oberflächlichen Unterhaltungen. Mehr Zeit, damit die Schwarzhaarige sich auf ihren eigenen Weg konzentrieren konnte, hatte sie doch eine Tarnung aufrechtzuerhalten und so besuchte sie an der Magieakademie Unterrichte. Reagenzien, Wörter der Macht, eine Vorlesung über Fermalsation von einer gewissen Sorsha von Schwarzenfels in Anwesenheit einiger anderer Bundsmitglieder und verfasste schließlich einen Aushang, um sich sogar eine eigene Lehrmeisterin zu suchen. Nicht, dass sie es gebraucht hätte. Rasheem hatte sie gut vorbereitet, aber sie nahm sich vor, in diesem Land unscheinbar zu bleiben, klein, harmlos, eine graue Maus, die keiner beachten würde. Je harmloser und nutzloser sie wirkte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Mord keiner an sie denken würde.

Sie hatte sich von dem wenigen Gold, das ihr noch übrig geblieben war, ein kleines schäbiges Mietshäuschen genommen, nicht weit entfernt von dem prächtigen Anwesen ihres Bruders und verkaufte weiter Schneiderwaren auf dem großen Marktplatz von Ansilon, um zumindest genug für die Miete und einer warmen Mahlzeit am Tag zu haben. Es würde nicht schaden, ein eigenes Heim vorweisen zu können, sollte man sie nicht als die Schwester des Bundsmitgliedes kennenlernen oder eine Fremde, die rein zufällig bei ihm wohnte. Als gutherziger Mensch war er gewiss nicht bekannt, das konnte sie sich nicht vorstellen.

Ob es schließlich Schicksal war, oder nicht? Aber wenige Tage nach der Vorlesung über Fermalsation stand Sorsha schließlich vor der kleinen Miethütte, mit dem Wappen des Ysam enis Alwanzessar an der Kleidung. Die kleine Frau, mit den lackschwarzen Haar strahlte eine gewisse Sicherheit aus. Sie war aufmerksam geworden auf den Aushang, das Gesuch der Schwarzhaarigen, nach einer Lehrmeisterin und hatte vor sich anzubieten. Sie war freundlich, zu freundlich, dafür dass ihr Bruder sie vor den Mitgliedern des Bundes gewarnt hatte. Zum Glück fiel Aastha die Rolle der jungen, lernwilligen und unerfahrenen Frau doch erstaunlich leicht, sie ging förmlich darin auf, als würde sie einen weiteren Mantel aus Schutz und Sicherheit um ihr zerbrochenes Inneren legen.

»Wie gesagt, denkt über das Angebot nach und lasst es mich wissen, ob ihr es euch vorstellen könnt durch mich die Magie etwas näher gebracht zu bekommen und seht zu etwas mehr Schlaf zu bekommen, nur ein wacher Geist kann lernen.«

Brav, zuvorkommend, immer höflich und so lächelte sie verlegen bei der Anmerkung Sorshas und versicherte, dass sie Acht darauf geben würde. Sie wusste jedoch, in ihrem Inneren, dass es nichts bringen würde. Die blasse Haut, die Augenringe, das alles war wie ein fester Bestandteil ihres Daseins, verbunden mit der Elster die so gut wie jede Nacht in einen Albtraum verwandelte. Sie ließ ein paar "Anstandstage" verstreichen und willigte schließlich ein, die Schülerin von Sorsha zu werden..

Ob ihr zu diesem Zeitpunkt bereits klar war, wie wichtig die Magierin des Bundes ihr werden würde? Nein, ganz und gar nicht. Für diese ersten Wochen, die sie bei Sorsha lernte und sich als nichts wissend und ungeübt gab, diente diese Verbindung dem Zweck der Tarnung. Sie erfand eine andere Geschichte, wie sie aufgewachsen war, wie sie ihre Macht in einem Streit um guten Stoff auf dem Markt entdeckt hatte und begleitete Sorsha, wann immer sie es zuließ. Aastha war sich für die erste Zeit nicht darüber bewusst, aber Vertrauen erwuchs, nicht offensichtlich, nicht mit strahlendem Glanz oder einer öffentlichen Ankündigung. Sie schlicht sich langsam in die Herzen der Menschen, die gänzlich und unvorbereitet darauf waren und irgendwann, würde ihnen bewusst werden, dass eine Person, die sie auszunutzen gedenkten, doch mehr ist als das. Und war dieser Zeitpunkt gekommen, würde es Schuld werden, die sich wie ein Schatten, wie ein dunkles Leichtentuch über das Gewissen des Menschen legte. Die Worte von Sorsha, würden sie lange begleiten, auch wenn sie sicherlich mit gänzlich anderer Absicht gesprochen waren.

»Wir werden eure Kräfte schon in die richtigen Bahnen lenken.«

Die Elster in ihrem Inneren jedoch krähte immer lauter, wurde immer drängender. Lange hätte sie keine Zeit mehr und dann musste sie in diesem neuen Land herausfinden, wie sie der Gier nachgeben konnte, ohne dass es auf sie zurückfallen konnte und hier würde es vermutlich schwieriger werden, als im dreckigen, dunklen Dunkelmoor.
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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Immer leiser wird mein Schlummer,
Nur wie Schleier liegt mein Kummer
Zitternd über mir.
Oft im Traume hör' ich dich
Rufen drauß vor meiner Tür:
Niemand wacht und öffnet dir,
Ich erwach' und weine bitterlich."

Hermann Lingg

~•~

Schatten über Silberburg

Ausflüge zu Reagenzienvorkommen, Unterhaltungen mit Sorsha oder ihrem Bruder - Normalitäten, die sich über die letzten Wochenläufe dicht an dicht gereiht hatten und so etwas wie einen gewöhnlichen Alltag geformt hatten. Wäre da nicht die quengelnde, gierige Elster gewesen, wäre Aastha vermutlich zufrieden mit diesen Umständen gewesen, zufrieden mit dieser Art von Leben. Sie fühlte sich wohl in ihrer Rolle, als würde der Schutzmantel der wissbegierigen, unschuldigen Frau sie für die Dauer vergessen lassen, wie zerbrochen ihr Inneres wirklich war.
Durch Rasheem hatte sie einiges über die Natur des Seelenfressers gelernt, über dessen Absichten, dessen Verbindungen. Der Dämon, der aus ihrem Körper ein wohliges Nest geformt hatte, verlangte zunehmend nach Seelen, die dem "Lord" in die Hände spielen würden.

Was bedeutete das also?

Im Grunde war es einfach:
Je näher sich eine Seele dem sogenannten "Herrn" zugewandt hatte, je unschuldiger, reiner, gläubiger sie war ... desto kostbarer war sie für den Dämon, und desto eher würde der Seelenfresser mit Wohlgefallen auf sie hinabblicken.

Das neue Ziel in diesem Land war also leicht zu finden:
Silberburg.

Wo sonst würde sie Menschen finden, die diesen Anforderungen entsprachen? Menschen, die blind ihrem Gott, dem Herrn, folgten, die beteten und sein Wort verbreiteten. Paladine, Priester, einfache, aber gläubige Bürger. Die Schwarzhaarige konnte es nicht nachempfinden, konnte nicht verstehen, wie man sich einem Glauben so hingeben konnte, ohne etwas Offensichtliches dafür zu bekommen. Selbst der Lord gab ihr nichts ohne Gegenleistung. Selbst sie, die eine Verbindung zu einem "höheren Wesen" hatte, würde unerhört bleiben, wenn sie jeden Abend vor dem Zubettgehen belanglose Worte an den Seelenfresser richtete.

Was zählte, waren Taten.
Was zählte, waren Opfer.
Was zählten, waren Seelen.


Wie gern hätte sie dem Lord bereits die Seele eines vom Herrn gesegneten Menschen gebracht, doch wusste sie um ihre eigenen Fähigkeiten und dass sie einen Gesegneten wohl kaum überwältigen konnte. Sie war gewarnt worden vor deren Fertigkeiten, vor den Kräften, die ihnen geschenkt wurden. Zu ihrem Glück gab es in Silberburg jedoch genügend Einwohner, die ganz ohne besondere Fähigkeiten ihre Seele und ihre Hingabe dem Herrn verschrieben hatten. Bald würde eine davon in Cha'ckals Reich einwandern und der Seelenfresser würde hoffentlich mit Wohlwollen auf sie hinabblicken und ihr mehr Macht verleihen. Sie würde ihrem Bruder zeigen, das sie mehr war, als ein kleines, harmloses und mittelloses Mädchen.

Die Sonne versank bereits träge hinter den Schieferdächern von Silberburg, während Aastha sich im Schatten einer Hauswand aufhielt, um die gegenüberliegende Kathedrale zu beobachten. In den letzten Tagesläufen hatte sie sich verkleidet in der Stadt umgesehen und umgehört, und eine Frau hatte dabei besonders ihre Aufmerksamkeit erregt: eine gute, freundliche und gläubige Bürgerin, welche die Metzgerei der Stadt betrieb. Die Elster in ihr mochte die Ironie dieser Auswahl. Die Schlachterin selbst zur Schlachtbank zu führen ... aber Aastha hatte andere Gründe. Die Frau hieß Rei, besuchte regelmäßig die Kirche, und jeder, mit dem sie sprach, konnte nur bestätigen, wie gut sie war. Ihre Augen blickten ehrlich. Ihr Lächeln war aufrichtig. Schnell fand die Schwarzhaarige heraus, dass Rei nach jedem Besuch der Kathedrale zusammen mit ihrer Freundin Arlynn zum Friedhof am Stadtrand aufbrach, um dort frische Blumen für ihre verstorbenen Männer niederzulegen.

Der Friedhof lag außerhalb der Mauern, abgelegen, unbewacht. Ein idealer Ort, um zuzuschlagen. Der Umstand, dass Rei stets von einer Freundin begleitet wurde, ließ sich einfach lösen: ein leichtes, den Magen verstimmendes Gift und ein paar Leckereien, überbracht von einem Botenjungen, lösten das Problem in Luft auf. An diesem Abend würde Rei allein zum Friedhof gehen.

Geduldig harrte Aastha im Schatten aus, beobachtete den Eingang der Kathedrale und schließlich sah sie Rei die Stufen hinabschreiten. Allein.

Die Jagd begann.

Aastha folgte ihr unauffällig. Immer mit Abstand. Die Jahre bei der Bande hatten sie gelehrt, sich so zu bewegen, dass sie möglichst wenig Geräusche erzeugte. Sie hatte sich Reis Gewohnheiten eingeprägt. Die Metzgerin verließ stets zur achten Stunde die Kathedrale. Danach kaufte sie Blumen, manchmal Honig oder eine andere Kleinigkeit, und ging dann in Richtung Friedhof. Diese Tage vor dem eigentlichen Opfer erinnerten Aastha stets an ihre Zeit bei den Spatzen - das Planen, das Auskundschaften, und schließlich das Zuschlagen. Als läge es ihr im Blut.

Der Friedhof lag still unter dem schwindenden, rötlichen Abendlicht. Statuen warfen lange Schatten über die Gräber, deren Namen sich in verwittertem Stein verloren. Stille Erinnerungen. Namen sie vermutlich längst vergessen waren. Die Stadtmauer ragte wie ein dunkles Mahmal in den Himmel - fast schwarz, so weit war die Dämmerung bereits fortgeschritten. Rei kniete vor einer alten Grabsteinplatte und murmelte etwas, das Aastha für ein Gebet hielt. Es war ihr Moment.

Sie trat aus dem Schatten. Ihre Finger glitten in den Beutel an ihrer Seite, während die andere Hand sich um den Griff der kalten Dolchklinge schloss. Die Silben, die sie formte, webten einen kleinen Zauber - nicht mächtig, aber ausreichend. Er machte ihr Ziel träge, gerade ausreichend um im Moment der Überraschung die Oberhand zu sichern.
Rei schaffte es nicht einmal, sich vollständig umzudrehen. Ihre Augen weiteten sich, die Lippen öffneten sich - doch da hatte der Dolch bereits seinen Weg durch Fleisch und Kehle gefunden. Blut sickerte unaufhaltsam an Aasthas Händen und Armen hinab ... ein so vertrautes Gefühl. Einen Augenblick lang hielt sie den erschlaffenden, gurgelnden Körper noch in den Armen, während der Dämon in ihrem Inneren vor Euphorie flatterte. Ein Rausch durchfuhr sie, drang durch jede Faser, füllte sie mit einem Gefühl, das sie nur auf diesem Weg erleben konnte. Dann jedoch, als sich die Elster langsam beruhigte, ließ sie den leblosen Körper achtlos zu Boden gleiten. Das Blut vermischte sich mit Kies und Erde, breitete sich auf der alten Grabplatte aus.

Die darauffolgenden Handgriffe waren geübt. Kein Zittern. Kein Zögern. Dafür hatte sie es schon zu oft getan. Der kleine Rest Menschlichkeit, der vielleicht einst Mitleid empfunden hätte, war schon vor Jahren in Dunkelmoor gestorben. Die Leiche musste sie zurücklassen, als sie ferne Schritte vernahm - etwas, das nicht im Plan enthalten war, sie aber nicht in Panik versetzte.
Sollten die Silberburger Rei finden. Die Kehle aufgeschlitzt, die Augenhöhlen leer und stattdessen geziert von einem Rubin und einem Diamanten.

Wie sie es gelernt hatte.

~•~

Während sie ihre Nächte damit verbrachte, verbrachte sie die Tage im Mantel ihrer heilsamen Identität. Als würde sie zwei Leben führen, die nur getrennt waren von dem rötlich schimmernden Schleier der Abenddämmerung. Ohne dass es ihr bewusst war, fühlte sie sich mit den laufenden Wochen und Mondläufen immer verbundener gegenüber ihrer Lehrmeisterin.

Warum?

»Ihr habt euch gut geschlagen heute Abend.«

Waren es diese ungewohnten, anerkennenden Worte? Die dazu passende Geste, die sie aus ihrer Bahn brachte? Rasheem hätte sich nie so verhalten, er hätte sie nie gelobt, geschweige denn es irgendwie anders zum Ausdruck gebracht, dass er sie zu schätzen wusste. Hätte ihr Bruder so etwas jemals gesagt? Beim Lord. Niemals. Für ihrem Bruder war es bereits ein Lob, wenn mal keine Verachtung in seiner Stimme lag.
Sie erinnerte sich nur zu gut an das erste Mal, als Sorsha sie zu sich nach Hause einlud. Ein prachtvolles Haus am Rand der roten Stadt. Fast wie ein kleiner Palast und dabei sollte man wohl meinen, die Schwarzhaarige hätte sich mit der Zeit langsam daran gewöhnt, dass die Dinge hier anders waren. Die Betten weicher. Die Sitzgelegenheiten ausladender. Die Häuser größer. Die Gärten prachtvoller. Armut in der Form, wie es sie in Dunkelmoor gab, hatte sie weder in Ansilon, noch in Silberburg oder Nalveroth jemals wahrgenommen und so fühlte sie sich ein wenig deplatziert, als sie sich auf das Sofa von Sorsha niederließ. Etwas in ihr hatte das Bedürfnis sich auf den Boden zu setzen, so wie sie weiterhin auch kein Bett besaß.

Sie lauschte ihrer Lehrmeisterin, wie sie ihr erzählte, wie sie aufgewachsen war, wie ihr Leben bisher verlief und letztendlich offenbarte ihr Sorsha, dass es Unstimmigkeiten mit dem Magierbund gab.

»Es gab einige Unstimmigkeiten zwischen dem Magierbund und mir, ich wollte einfach etwas Abstand.«

»Das tut mir leid zu hören, es wirkte so, als ... wärt ihr richtig dort.«

»Das dachte ich auch, aber es gibt im Leben manchmal Vorfälle, aus denen man die Konsequenzen ziehen muss.«


Sie hinterfragte nicht, was genau für Vorfälle es waren, aber das musste sie auch nicht. Allein die Tatsache, dass es etwas gab, das ihrer Lehrmeisterin Unbehagen bereitet hatte, entlockte Aastha ein längst vergessenes Gefühl. Etwas, was sie zuletzt unter den Spatzen empfunden hatte und sie gleichermaßen aber zweifeln ließ, ob der Weg, den sie eingeschlagen hatte, der richtige war. Niemals würde sie zugeben, dass sie so etwas wie Angst oder Unsicherheit empfand. Nicht vor anderen, nicht vor sich selber und doch würde es in den darauf folgenden Mondläufen immer wieder dazu kommen, dass sie sich länger zurückzog. Sie zog sich zurück, wenn die Elster zu laut wurde. Sie zog sich zurück, wenn sie glaubte, dass die Grenzen verwischten. Sie zog sich zurück, wenn die Unsicherheit an ihr nagte wie ein lästiger Holzwurm an alten Möbeln.

Sie lernte jedoch auch Viego, einen Wächter des Namenlosen, kennen, den ihre Lehrmeisterin als ihren Gefährten vorstellte und sie mochte ihn nicht. Das war ein ganz natürlicher Instinkt in dem Moment, in dem sie ihn gesehen hatte… mochte sie ihn nicht. Das war anhand einer rationalen Erläuterung auch nicht zu erklären, es war mehr eine Eingebung, ein Bauchgefühl. Auch mit Sorsha schien etwas nicht zu stimmen, aber sie konnte es noch weniger greifen oder es sich erklären.

Wesentlich interessanter als das Liebesleben der Lehrmeisterin waren jedoch die Worte und damit verbundenen Informationen, die sie ihr über die Blutgräfin vermitteln konnte. Lilith… Sie wusste, dass der Seelenfresser jener untergeordnet war, dass er zu ihren Scharen gehörte und doch irgendwie unabhängig agierte, soweit sie es duldete. Aber sie hatte sich nie eingehender mit dem Südwind beschäftigt. Durch Sorsha tat sie das und es faszinierte sie in gewisser Weise. Ihre Lehrmeisterin zeigte ihr den Schrein tief in der Wüste und es würde ein Ort werden, den die junge Frau öfters aufsuchen würde, als würde sie etwas dorthin ziehen, was sie sich noch nicht erklären konnte. Auch die Elster empfand so, war sie dort ruhiger? Oder bildete sie es sich ein?

Tief in ihrem Inneren wuchs jedoch ein weiteres Bedürfnis heran, welches sich alsbald offenbaren würde und sie aus Rache handeln lassen würde.
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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Halte den Sinn dir frei von allem, was war und geschehen,
denn an Vergangenes denken, erweckt nur Gewissensplagen.
Halte den Sinn dir frei von allem, was noch mag geschehen,
denn an Zukünftiges denken, erweckt nur Unbehagen. –
Kommt Nahrung, so öffne den Mund;
kommt Schlaf, so schließe die Lider."

Bai Juyi

~•~

Verlaufende Monde

Sie war… schwanger. Sorsha war schwanger.

Und sie hatte ihr das "Du" angeboten. Die Schwarzhaarige wusste nicht, was sie im ersten Moment mehr überforderte. Bestimmt der kleine Bauch ihrer Meisterin und die damit zärtliche Natur, die sie an den Tag legte. Für jemanden, der unter Gewalt, Streit und ständigem Regen aufgewachsen war, war dies ein so sonderbarer Kontrast, den sie nicht so richtig zu fassen vermochte. Ihre Eltern hatten den Kindern immer die Schuld an ihrer Armut gegeben, aber Sorsha schien sich zu freuen? Lag es daran, dass dieses Land kaum Armut kannte? Irgendwie fühlte sie sich in der Nähe des Babybauches… unwohl.
Sie konnte nicht so richtig beschreiben, warum. Da war ein neues Leben, das anfing zu existieren und ihre Lehrmeisterin hatte es erschaffen. Noch ein Kontrast zu ihrem Leben, das sich damit befasste, Leben zu nehmen. Niemals würde sie das von Sorsha gefährden, das hatte sie schon vor einiger Zeit mit sich ausgemacht.

Als bräuchte Aastha immer etwas, woran sie sich festhalten kann. Als würde sie verloren auf pfadloser Weite wandeln, unsicher, wohin sie den nächsten Schritt setzen musste, zweifelnd, wie lange sie das nächste Opfer aufschieben konnte. Sie verschwand für Wochenläufe, vergrub sich in den bröckeligen Mauern ihres neuen Heimes in Nalveroth, dann tauchte sie wieder auf, nur um wieder zu verschwinden. Ein ständiges hin und her, geboren aus der Elster, die ihr das Zusammenleben mit anderen erschwerte, aber immer, wenn sie wiederkam, war da Sorsha. Egal wie lange sie fernblieb, egal wie schlecht ihre Ausreden waren, die Lehrmeisterin war… was war sie?
Verständnisvoll? Akzeptierte sie die flatterhafte Natur ihrer Schülerin einfach? Was es auch war, mit der Zeit etablierte sich die Überzeugung in der Schwarzhaarigen, dass, was auch immer sein würde, sie immer wieder zu diesem Fixpunkt zurückkehren konnte.

Niemals harte Worte, niemals harsche Sprüche, niemals durchdringende Blicke. Nicht ihr gegenüber. Nicht dass es Aastha verschreckt hätte, sie war damit aufgewachsen, aber vielleicht war es dieser neue Kontrast, diese neue Art des Zusammenlebens, welche ihr offenbart wurde, welche sie dazu brachte so an Sorsha festzuhalten. Verspürte sie das Bedürfnis, ihrer Lehrmeisterin zu offenbaren, was sie war? Was sie tat? Ja, gewiss, aber da war noch eine unsichtbare Schwelle, die sie davon abhielt, die sie diesen Schritt nicht wagen ließ. Diesen Teil ihrer selbst zu offenbaren, würde bedeuten, ein Teil von sich selber in die Hände von jemanden anderen zu legen und sie wusste nicht, ob sie dazu jemals bereit wäre, auch wenn sie manchmal wünschte, besser darlegen zu können, wie sie sich fühlte und warum.

Vielleicht war es ihre Art, ihre Zuneigung auszudrücken? Rache zu üben, für das Unverständnis jener, von denen ihre Lehrmeisterin einst geglaubt hatte, dazuzugehören? Zu Hause zu sein? Rache war sicherlich übertrieben dargestellt, jedoch hatte Aastha das nächste Opferziel dieses Mal außerhalb der gewohnten Bahn ausgewählt. Dieses Mal sollte eine Art Botschaft übermittelt werden und die Bürger Ansilons sollten sich unsicher unter ihren Machthabern, dem Bund der Magier, fühlen.

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Beobachten, Planen, Zuschlagen.

Der gewohnte Ablauf, nur die Umsetzung dieses Mal gänzlich anders. Der Lord hatte ihr mehr Macht zukommen lassen, durch ihre treuen Dienste und so platzierte sie diese Leiche wie ein Mahnmal an die Toren des Ansiloner Friedhof. Die Augenhöhlen ersetzt, wie gewohnt, doch mit einem angespitzten Knochen ein Pergament, mit dem Wappen des Bundes, auf dessen Brust gespießt. Die Elster, euphorisch wie eh und je, nach dem Verklingen des bürgerlichen Lebens, wirkte in den darauffolgenden Stunden jedoch… Zurückhaltend? Als hätte ihr etwas daran missfallen, aber sie gab Aastha keine Antwort und das war der Schwarzhaarigen für diesen Augenblick auch vollkommen egal. Was zählte war, dass sie es für Sorsha getan hatte und damit war sie zufrieden, auch wenn jene wohl niemals davon erfahren würde?

Vorerst verschwammen die Monde ineinander. Die Albträume nahmen eine ungewohnte Stärke an und Aastha entschloss sich letztendlich nach Dunkelmoor zurückzureisen, um Rasheem um Rat zu fragen. Wochen der Seekrankheit, Wochen der Suche… aber sie fand ihn nicht. Angekommen in Moorheim, bei seinem Haus, war es leer, als hätte er niemals existiert und keiner konnte ihr eine Antwort darauf geben. Sie versuchte Kontakt zu den Samtpfoten aufzunehmen, doch auch jene konnten ihr nicht weiter helfen.
Sie zögerte die "Heimreise" nach Nalveroth hinaus, vielleicht war es der Schrecken über die Schiffsfahrt allein, vielleicht war es, tief in ihrem Inneren, das Unbehagen darüber, erneut nach langer Abwesenheit Sorsha unter die Augen zu treten, nachdem ihr letztes Miteinander eher vertrauter Natur gewesen war.

Die Mondläufe plätscherten vor sich hin, verwoben sich ineinander, während Aastha in Moorheim blieb, ab und an Kontakt mit den Rattenkindern hatte, die sie auf den Marktplätzen erblickte, aber nichts in ihr spürte, das Verlangen sich wieder anzuschließen. Das trübe Grau des Himmels, der Nebel der über dem Moor lag, das Wasser, welches fast immer in der Luft hing, als wäre Moorheim ein Ort, der so viel besser zu ihr passte, als dieses reiche, andere Land mit strahlender Sonne und fruchtbaren Feldern. Sie wusste nicht so recht, was es war, doch irgendwann drängte sie etwas zurück nach Nalveroth und kaum war sie dort... befand sie sich in einem wortwörtlichen Untergangsszenario und sie musste erneut auf ein Schiff, um diesem zu entkommen.

Schiffe, wie sehr sie Schiffe hasste. Sie hatte eines bestiegen, das der Flotte Nalveroths angehörte und verbrachte die meiste Zeit damit, vor sich her zu vegetieren, sich zusammenzureißen, das Essen in ihrem Magen zu lassen… und dann tauchte er auf, wie ein Schatten aus der Vergangenheit.

Der junge Mann befand sich ebenso auf dem Schiff und beim Anblick von Aastha waren es keine Worte, die über seine Lippen drangen, sondern krempelte er seinen Arm hinauf, um ihr das Körperbild der gekreuzten Schlüssel zu zeigen, verziert mit einer Ratte darunter. Die gewohnte Geste einer Vorstellung, wenn man sich traf und Aastha erwidert die Geste, was der Ratte wohl soviel Sicherheit gab, sich zu ihr zu gesellen. Sie erkannte ihn, sie hatte ihn ein paar Mal im Unterschlupf vor unzähligen Jahren gesehen und auch er hatte sie erkannt, obwohl sie sich so verändert hatte.

»Und ich habe kurz daran gezweifelt, ob ich dich nicht doch verwechselt habe. Ist... eine Weile her.«

»Eine Weile. Was… warum bist du hier?«


Sie konnte nicht so richtig greifen, wie sie sich beim Anblick von Elijah fühlte, noch mit ihm auf diesem Schiff nun ‘gefangen’ zu sein. Etwas aus ihrem Bandenleben sagte ihr, dass sie jedem Mitglied vertrauen konnte, da sie alle das gleiche Schicksal teilten. Aber war sie wirklich noch ein Mitglied? War er noch eines, wo er sich so fern von Dunkelmoor aufhielt? Es stellte sich heraus, dass er bisher der Meinung gewesen wäre, sie hätte schon vor dem Massaker an den Spatzen das Land verlassen.

»Dann bist du dem auch entkommen? Bis gerade eben dachte ich, du wärst abgehauen, bevor das geschehen ist.«

»Ich habe es überlebt und bin... dann geflohen.«

»War ein grässliches Massaker, was ich vorgefunden habe. Bin keine fünf Minutenläufe geblieben, da habe ich… bereits meine Füße in die Hände genommen und bin davongerannt. Da hätt’ mich kein Gold länger bleiben lassen.«


Die Worte bohrten sich wie eine glühende Klinge in ihre Magengegend, als bräuchte sie ihn, um sich daran zu erinnern, welche kalten, leblosen Augen sie in dieser Nacht gesehen hatte.

»Nichts für ungut, aber es überrascht mich, dich heil zu sehen. So impulsiv wie ich dich manchmal erlebt habe, hätte ich unter den Umständen erwartet, dass du dir selbst… ein Grab geschaufelt hast.«

Sie unterhielten sich eine Weile über Eventualitäten, Möglichkeiten… Ideen darüber, wer den Unterschlupf angegriffen haben könnte, doch eigentlich wollte sie diese Unterhaltung gar nicht führen. Nicht mit diesem Inhalt, nicht mit dieser alten Last auf den Schultern. Auf der anderen Seite war es irgendwie ein unbeschwertes Gespräch, in dem sie sich fast wohlfühlen konnte. Bei Elijahs übertriebener Selbsteinschätzung vermied sie es jedoch, es ihn irgendwie zu zeigen. Er würde dann vermutlich unerträglich werden.

»Momentan solltest du deine Rattenfinger eher für dich behalten, die Liste der Verdächtigen… auf einem Schiff ist nicht sonderlich lang. Ich werde mich zur Ruhe legen. Pass auf deine Finger auf.«

Mahnte sie ihn zum Abschied, als würde sie sichergehen wollen, dass das in seinen Kopf hinein ging. Für den Klügsten hielt sie ihn tatsächlich nicht, eher für eine gierige Ratte, die jede Gelegenheit nutzen würde sich zu bereichern, aber so waren sie eben aufgewachsen.

»Ruh dich gut aus, Spatz.«

Der Abschied ließ sie kurz stocken und etwas in ihrer Magengegend zog sich zusammen. Sie war kein Spatz mehr. Nicht mehr wirklich.
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