Bjornar

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Bjornar
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Das Ekel von Fjellgatt

Beitrag von Bjornar »

Das Ekel von Fjellgatt_Gazette_beige_II.png

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Gewiss, es schmerzt das tugendhafte Herz zutiefst, über jene bedauerlichen Verirrungen berichten zu müssen, die uns aus Fjellgatt ereilen. Freilich möchte man das Auge verschließen vor derart unglückseligen Entgleisungen, doch verpflichtet uns die sittliche Wachsamkeit und unser heiliger Glaube, solche Verwerfungen nicht stillschweigend hinzunehmen.

Wie, so fragen wir voller Sorge, konnte es geschehen, dass ein Geschöpf, von Natur aus edel geboren, sich in einer Weise gebärdet, die jeder Beschreibung spottet? Ist es nicht ein Hohn auf jegliche Tugend und Anstand, dass ein gewisser Hüne, dessen Namen aus barmherziger Nächstenliebe hier verschwiegen sei, sich benimmt wie eine Bestie aus niedersten Gefilden?

Mehrfach, so hört man voller Entsetzen, wurde er bereits aus Nebelhafen vertrieben, da er in rasender Tollheit Schuldige und Unschuldige gleichermaßen anfiel. Dabei kämpft er nicht als edler Recke, sondern vielmehr wie ein tollwütiges Tier, das jegliche Grenzen der Ehre niemals kannte. Welch schmerzliche Kunde erreicht uns, dass er sich selbst in ehrenvolle Zweikämpfe mischt, dass er das ehrwürdige Langhaus von Fjellgatt verwüstete und in einen Bärenstall verwandelte und selbst den geduldigsten Jothar allentags zur Weißglut treibt?

Doch es ist dies nicht das Ende seiner bedauerlichen Verfehlungen. Wie tief muss die Tugend leiden, wenn wir hören, dass jener ungestüme Barbar selbst Freunde und schlimmer noch, Geliebte schlägt? Derart arg sind seine Missetaten, dass man trotz seines Stumpfsinnes fragen muss, ob es vielleicht rechte Absicht sein kann, alles fortwährend misszuverstehen. Vielmehr liegt hier doch sicherlich eine bewusste oder doch schlimmer noch unbewusste, weil wesenshafte Bösartigkeit vor, die in seinen Taten spricht?

Mit welch tiefem Bedauern vernehmen wir, dass dieser Nordmann, oder sollen wir sagen dieses Monster, einen unschuldigen Jüngling unter dem Vorwand des Waldschutzes verprügelte und wiederholt Damen auf offener Straße belästigte? Nicht einmal die vollendetsten Sänger sind vor seinem Spott sicher, dabei hat seine eigene Stimme nichts Melodisches an sich, vielmehr gleicht sie dem unheilvollen Geheul des Waldes, laut und unerträglich. Umso unverfrorener steht ihm da das Spotten an!

Ist es noch sittsam, wenn ein solcher Barbar ungeniert in öffentlichen Brunnen badet, in Solgard oder Surom aus Pferdetränken säuft und gar krude gereinigten Ogerdarm verspeist und anpreist, als sei es die feinste Köstlichkeit? Und was soll man sagen, wenn berichtet wird, er verrichte seine Notdurft unverhohlen in jeder Ecke, und sein Duft ähnele mehr dem widerwärtigen Schleim der Wüstenläufer, als einem Menschen?

Schrecklich ist es auch zu erfahren, dass er mit abscheulichen Kreaturen in Nebelhafens Kanalisation tanzt und in den dortigen Abwässern spielt, ja die Kanäle mit schleimigen Wesen bevölkert. So unrein ist sein Köper, dass er den ehrwürdigen Saunakeller des Handwerksbundes auf Tage verdirbt, diesen in einen Viehzuchtstall verwandelt und dann dort Türen demoliert, weil er Schloss und Schlüssel grobschlächtig nicht ineinander bringt. Nebenbei verspeist er die gesamten Vorräte der Handwerker mit seinem unbändigen Appetit und auch hört man aus dem Haus des Bundes oft die Kinder schreien – denn es ist ihm die größte Freude die kleinen Engelchen nicht zu Ruh und Sanftmut zu bewegen, sondern zum unflätigsten Gebrüll anzustacheln.

Wer aber könnte den Anblick noch ertragen, wenn er nackt mit Ogerweibern ringt, oder mit zottigen Fellen kaum zulänglich behangen, ehrbare Frauen aufdringlich beschnüffelt und dabei ständig zu Handgreiflichkeiten neigt? Von seinen stieren Blicken ganz zu schweigen, die sogar edle Amazonen unverholen zu entkleiden suchen!

Das Ekel von Fjellgatt_beige.png

Auch hört man, dass er den Garten der Friedhofswächter zu Surom gar mit Leichenteilen schändete, Werkstätten, Plätze und Gassen mit triefenden Schleimspuren aus dem Inneren seines stinkenden Beutesackes verschmutzte!
Es scheint, als kenne er keine Grenze, paktiert er doch sogar mit dunklen Mächten und erliegt den Einflüsterungen der unheiligen Spinnengöttin, um die Macht im eigenen Stamm an sich zu reißen und den vertrauenswerten wohlbekannten Jothar vom Thron zu stoßen! Auch erschleicht er sich den Zugang zur hohen Elfenstadt, nur um von dort Fabelwesen aus ihren Refugien entführen zu wollen! Der Tugend ist es kaum zuzumuten, solche Taten weiter zu erdulden, zumal er den süßesten und zartmütigsten Künstlerinnen aus Faulheit ihre Zauberrunen stiehlt, um sich nicht länger zu Fuß oder Ross durchs Land bewegen zu müssen. Schließlich wagt er es seit jüngstem, Schläge zu verteilen, sollte man ihn nicht ehrfürchtig genug und beim rechten Namen ansprechen – dabei reicht sein Verstand selbst nicht weit genug, um auch nur einen Namen respektvoll und unverstümmelt im Gedächntnis zu behalten. Welch eine dreiste und brutale Heuchelei!

Ist es überhaupt noch in anständige Worte zu fassen, wenn man beschreiben soll, wie er mit Riesenschlangen zu Feiern erscheint, Schleimmonster auf Freunde und Familie hetzt, Tiere - und darunter edle Rösser und Rappen - aus lauter Wut misshandelt? Freudig verkehrt er mit Gesellen, deren Ruf derart verdorben ist, dass sie besser unerwähnt blieben! Wie er sich wolllüstig durch Strände und Höhlen wühlt und in verschiedenster Gesellschaft Quellen und Bäder besudelt, von solch abscheulichen Taten und Handlungen mögen den Rechtschaffenen selbst die Vorstellung erspart bleiben!

Wir wollen nicht richten, denn das bleibt dem Allmächtigen vorbehalten. Doch als Hüter des Anstandes ist es unsere traurige Pflicht, diese unerhörten Verfehlungen offenzulegen, damit die Gesellschaft erkennt, welch ein Ekel unter uns wandelt und sich vor seinen sündhaften Taten hütet.

Das ihm seine eigene, verdorbene Stammesgemeinschaft auch nur den Hauch von Anstand und Benehmen einbleuen könnte, das hat man bisher doch ganz und gar vergebens gehofft - und auch neuerliche Anstrengungen geben uns keinen Anlass zur Zuversicht.
Möge sich also eine aufrechte Seele finden, um ihn vom seinem Tadel zu erlösen.
Möge seine traurige Gestalt uns als warnendes Beispiel dienen und der Herr uns vor unglückseligen Entscheidungen bewahren, die dem Treiben dieser Bestie auch nur im Geringsten ähneln!


Serenitas Seraphiel, Stimme von Anstand und Wahrheit
für die Solgard Gazette

Ich bin der Geist, der Stets verfeinert!
Und das mit Recht, denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es in Würde geht;
Drum besser wär's, die Sitte sei die Medizin!
So ist denn alles, was ihr Disziplin,
Tugend, kurz, den
ANSTAND nennt,
Mein eigentliches Element.


☥ ☥ ☥

(Wer jetzt Bock auf passenden kontroversen wirklich bösen Emo-Teenie-Alternative-Werewolf-Metal bekommen hat, kann sich ja Popular Monster anhören. RAWW!)
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Bjornar
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Opfergabe

Beitrag von Bjornar »

No One But You.png

Mit zitternden Händen legten sie des Nachts
der Göttin einen goldenen Reif um den Knöchel.
"Aeiti, steh uns bei..."




(No One But You)
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Bjornar
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Leicht, frisch und frey

Beitrag von Bjornar »

Monolog des jungen Riesen vor einem imaginären Freund. Glücklich, unterm Sommernachtshimmel.

Sommer, ist doch die Zeit des Nachtwanderns und Jagens. Zeit zum Reisen und Fangen! Wachzeit! Alleinzeit eigentlich… aber nein. Das wohl nicht. Gerade das nicht! Selbst der Schlaf ist munter. Nichts ist so leicht wie der Sommer! Ruhig ist die Insel, alle am Strand und im Schatten, auf dem Feld, in der Ferne. Warum nur sind sie dabei so lieb und leuchtend? Es ist eben die Zeit fürs finden. Die Leicht-Zeit!
Und was ich alles gefunden hab!
Ein Fest für die Klein-Große-Rou-Schwester hab ich gefunden, bis tief in die Nacht. Sie ist Jardis vom Nebeldorf nun! So freut Euch, ihr Wichtel, mit dem Stamm, und hört die Riesenfreude weithin hallen, denn besser geht’s nicht!
Dann einen Toten hab ich im Fjord gefunden: irgendwer wird sich freu‘n, irgendwer wird weinen.
Mit Aanatus hab ich Freundworte gefunden, über Holzköpfe und Kopfnüsse. Er nennt mich auch „Großer“ nun, statt irgendwelcher Spott-Worte, dass soll den Stamm ehren und wird Tarabasch stolz machen, auf seinen Werager. Das bin ich. Auch wenn Tarabasch runzelt. Er ist der Skilt nun! Auch das ist ein rechtes Sommerfest gewesen und der Stamm jubiliert, ein Skól auf seinen ehrigen Schützer!
Was hässliches hab ich auch gefunden, eine Pferdeschuld, die schlepp ich noch herum, die wär ich gern los. Doch ist eben auch alles so leicht auf meinen Schultern, da trag ich gern noch ein Weilchen dran – und ich sag dir warum! Warts nur ab! Es ist kein Geheimnis mehr!
Vorher aber:
Ich hab Einladungen gefunden, zur Frühlingsstadt, wo der Heilige Hirsch nun weilt. Das war traurig, durfte nicht nochmal rein, doch ich hatt‘ eine Hand die mich hielt! Da ist die Trauer schnell verblüht. Und es wird Wege geben!
Hab auch Yevas Echse gerettet, glatt aus dem Kochtopf der Trolle und beinah gabs einen Kuss dafür, aber – nein – den würd ich wohl gar nicht gewollt haben! Da wär nun Ynge stolz, glaub ich, wenn sie das nur wüsste! Aber wie kann man von einem Kuss wissen, der nie geküsst werden wollte? Nicht mal in die Luft?
Dafür hat eine hinterhältige Dunkelalbenhexe mich gefunden. War nicht schwer. Hat mich zerhexxt. War nicht schwer. Aber meine Worte hat sie nicht gefunden, die sie unbedingt haben wollte.
Umso mehr weiß ich ein Geheimnis nun, dass ich beim Zuhören gefangen hab! Selbst bei den dunklen Alben gibt’s solche und solche! Aber: Pssst! Das sind gefährliche Geschichten! Der böse Albenblitzfluch auf meiner Brust ist dafür schnell verheilt. So find ich mich sommerfrisch und ach so wohl dabei!
Sogar Sont hatte sein Tänzchen mit dem Morgentau, bald hab ich also wieder Wüstenläufer-Eier! Und wenn die kleinen süßen Schleimer erstmal schlüpfen!
Gar nicht der Rede wert ist die fette Sommer-Beute die ich anschleppte für den Stamm – es platzt fast meine Riesenkiste vor glänzendem Kram – doch ordentlich einstopfen, das ist für später! Jetzt ist die Frey-Zeit!

All das sind possierliche Sommerdinge, keine Heldenlieder, keine Großtaten, keine Schreckgeschichten. Unerträglich fast, wäre diese Sommerleichtigkeit, zum Abheben, wenn da nicht das Beste von allem wär:

Ich hab ein Weibchen gefunden – oder andersrum – hat es mich gefunden.
Wir.
Uns.
Ein Meins, ein Deins, ein Ganz-Und-Gar!
Das ist‘s wohl, was alles leicht macht, frisch und frey!
Ja!

Nun ist’s raus.
Und da kann man nur singen.
Wenn man’s könnte.

Leicht, frisch und frey.png

(Uriah Heep. Demons and Wizards. "Easy Living". Dauerschleife gegen Sommerlöcher. Classic. Peace and Love!)
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Bjornar
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Wilde Lieder. Erster Gesang

Beitrag von Bjornar »

Ich feiere mich selbst und singe mich selbst,
Und was ich mir herausnehme, sollst auch du dir herausnehmen,
Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört ebensogut auch dir.
Walt Whitman, Song of Myself



Fjellgatt Bannkreis - Erster Gesang - Wilde Lieder.png



ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ~ᛟ


Zwei Lieder und ein Grunzen


Erstes Lied. Ein Ruhmgesang

Es war eine allgemein anerkannte Wahrheit unter den Trymm'takk – geschrieben mit glitzerfunkelnden Runen der Liebesgöttin –, dass eine Jungbarbarin im Besitz einer göttlichen Stimme dringendst eines würdigen Herzensbundes bedurfte, jemandes, der ihre wilden Melodien auf ganz besondere Weise zu schätzen wusste. Selbstverständlich!

Am großen Stammesfeuer, das in epischen goldroten Farben tanzte weil normale Flammen viel zu gewöhnlich gewesen wären, erklang Freyjas kristallklarer Gesang. Ihre flammenden Locken wirbelten wie lebende Nordlichter um ihr porzellanfeines Antlitz. Neidische Mäuler könnten ihre Stupsnase, die frechen Sommersprossen, ihre tiefen, smaragdgrünen Augen und das jugendlich scheue Lächeln für gewöhnlich halten unter den Schönheiten der Neuen Welt, doch nein!, nicht in dieser Geschichte, nicht für diese Leser! Für uns mitfiebernde Herzen ist Freyja‘s Anblick die unvergleichlichste Freude, denn es strahlt die Göttin der Liebe selbst durch sie hindurch! Ihre Stimme also durchschnitt die Luft – süß wie Honigwein, wild wie ein Bergsturm und so voller Lebenskraft, dass selbst die Sterne aufhörten zu zwinkern.

Jothar Rashka, jener eisenharte Thronwächter von geradezu erschreckender Würde, sprang auf. Denn dieses köstliche Lied aus Freyjas zarten Munde galt seinem Ruhme! Seine kostbare Bärenfellmaske flog durch die Luft wie ein verliebter Rabe und landete – natürlich! – genau vor Freyjas Füßen. Ein Zeichen der Götter! Es war gewiss, ihre Aufnahme in den Stamm stand kurz bevor, so dröhnte der Jothar.

Bjornar das Bärenkind – o welch poetische Ironie des Schicksals! – dessen zartfühlende, jugendliche Seele in einem Körper gefangen war, der Bergtrolle zum Weinen und Elfenprinzessinnen zum Ohnmächtigwerden gebracht hätte, explodierte förmlich vor Entzückung. Seine borstigen Felle dampften vom Bergschnee, den er ins Dorf getragen hatte, sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich wie das mächtige Atmen eines Liebesschwurs aus dem Munde des Urvaters.

„Bei Kovakarhus Pranke!", donnerte er mit einer Stimme, die die Eisberge im Fjord zum Klirren brachte. „Dein Gesang, süße Liedzauberin, hat heut mein Herz mit doppelter Kraft erfüllt! Ich fühle mich wie hundert Berserker-Bären und alle sturmumtosten Drachenschlächter zusammen!"

Um ihn wehte plötzlich Waldduft, Mondlicht und – ein wenig traurig und doch sehr entzückend – der tragische Fluch seiner Unbeholfenheit.

„Ach, du Maßloser!", hauchte Freyja, ihre grünen Augenlichter funkelten wie Birkenblätter in der Frühlingssonne, während ihre Wangen rosa erglühten, den ersten Strahlen der Dämmerung auf mit jungfräulichem Schnee bedeckten Gipfeln gleich. „Du übertreibst wie ein... wie ein Skalde im Liebesrausch!" – in der Tat! Es gab überhaupt nicht genügend Adjektive, Kenningar und verstolperte Metaphern, um diesen Moment zu beschreiben, also musste die Zeit ihren Atem anhalten! Die Feuerflammen ehrfürchtig flackern. Selbst die Holzbalken der umstehenden Langhäuser ächzten – voller Erwartung auf das unweigerlich Kommende.

„Übertreiben? Ich?" Bjornar grinste mit der Unschuld eines verliebten Bärenwelpen. „O Augenweide! Träumst du denn nicht von Ruhm? Ich kenn da 'ne Sängerin in Surom – eine wahre Herzensräuberin! –, so bezaubernd, dass sogar ewige Gletscher vor Sehnsucht dahinschmelzen. Sie könnt dir helfen, dir nochmehr Gesänge, noch mehr Geschichten lehren und vor allem..."

Seine Stimme sank zu einem samtenen Flüstern, während goldene Funken zwischen ihnen tanzten: "...die hohe Kunst der Verführung."

Freyja errötete bis in ihre flammenden Haarwurzeln. Ihre Augen senkten sich schüchtern wie scheue Waldlilien nach dem ersten Frühlingsregen. „Singen und Geschichtenspinnen – ja, das wäre herrlich! Aber verführen? Ich?“

Ihre Stimme war nicht mehr als ein verzweifelter Hauch, zart wie der Flügelschlag einer Schwalbe, die gerade flügge werden wollte: „Wer würde schon sein Herz an eine so unbedeutende Jungfrau wie mich verschwenden?"

Und da – wie erhofft! – schlugen Blitze der Leidenschaft zwischen den beiden Seelenverwandten ein. Nicht normale Blitze, nein. Es waren Blitze aus Sternenstaub, Liebesglück und erwartungsvollen Romantasy-Klischees, die von bebenden Autoren und ihrer einhändigen Leserschaft geschleudert wurden und dabei so gleißend waren, dass selbst die trübste Stunde in der Nacht der Götterdämmerung davon erhellt werden würde.



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Zweites Lied. Das Lied vom Naturburschen in schlafloser Nacht

Am nächsten Morgen, als in Fjellgat perlende Tautropfen wie winzige Diamanten auf den Grashalmen glitzerten und die Morgensonne ihre goldenen Finger durch die Nebelschwaden streckte, trat Freyja hervor. Ihre waldgrünen Augen schimmerten feucht wie nach einem Sturm der Gefühle.

„Schlaflos war meine Nacht!", bekannte sie mit bebender Stimme, während ihre Rehaugen wie gefangene Schmetterlinge zu ihrem Herzensdieb huschten. „Deine Gestalt – ach! – sie ließ mir keine Ruhe. Unaufhörlich musste ich an dich denken, mein rätselhafter Sturmriese."
Es umgab sie ein Hauch aus Blütenduft, Inspiration und der süßen Pein aufkeimender Sehnsucht.

„An... an mich?" Bjornars borstiges Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck tausender Zweifel. Seine riesigen Pranken suchten verwirrt halt in der Luft und streiften - ganz zufällig, wirklich! - Freyjas feine Taille. „Hab ich etwa... hab ich dein zartes Herz verletzt?"

„Nein – ganz im Gegenteil, du wundervoller Tollpatsch!" Ihre Lippen, rot wie die Beeren des Blutbuschs, bebten vor Erregung. „Du hast mich derart verzaubert, dass ich – o ihr Götter, wie peinlich! – ein ganzes Lied über dich erschaffen habe. Ein Lied über deine... dein wildes Herz, deine Wildnis und die Wildnis, die dich liebt."

Die Morgenvögel im Dorf hielten inne im Gesang, damit der Wind aus dramatischen Gründen ein sehnsuchtsvolles Möwengeschrei über das Meer tragen konnte.
„Ui-ui-uiiiiii...", stöhnte Bjornar und blickte verzweifelt in alle vier Himmelsrichtungen, als suchte er Rettung vor dieser überwältigenden Liebeserklärung. Überall, nur nicht in ihre strahlenden Augen – denn dort lauerte süßeste Verzweiflung und mindestens drei verschiedene Arten von Herzschmerz.

Freyja schenkte ihm ein Lächeln so zart wie Morgenröte über einer Albenwiese und floh – ach, welch anmutige Flucht! – in Richtung der dampfenden heißen Quellen. Ihre Locken flatterten wie lebende Flammen hinter ihr her.

Bjornar starrte ihr nach wie ein verhungerndes Raubtier, ehe er mit tollpatschiger Anmut hinter seiner Herzenskönigin hertaumelte. Dabei stolperte er über nicht einen, nicht zwei, nein mindestens drei Steine und einen sehr empörten Reitbären und landete kopfüber in der Quelle.

Er entledigte sich unter Wasser seiner Pelze, ein Bad war allenfalls nötig, streckte dann den Kopf heraus und fand Freyja anmutig am Rande sitzend, seine herrlichen Kapriolen genüsslich betrachtend. Dann stimmte sie das Lied an, welches ihr in der letzten Nacht die Ruhe geraubt und dabei alle Freude der Welt bereitet hatte. Sie erhob erneut ihre Stimme. Das dampfende Wasser spiegelte ihre Gestalt wie ein verzauberter Spiegel der Ahnen.

Ihr Lied war so kristallrein und voller sehnsuchtstrunkener Schmerzen, dass Bjornars Augen sich augenblicklich mit den salzigen Tränen der Ergriffenheit füllten. Die Wassertropfen auf seinen borstigen Wimpern funkelten wie winzige Sterne. Er starrte seine Liedgöttin an, überwältigt von der erschütternden Erkenntnis, dass sie sein wirres Bärenherz in göttliche Worte zu fassen vermochte. In Freyjas Lied erschien Bjornar wild, frei, fabelhaft ein Krieger für das Leben, ein Held der Natur. Bjornar konnte es nicht glauben, seine Einfalt, sein Jähzorn, und all die schlimmen Dinge, die ihm anhafteten waren abgeperlt, hinfortgespült durch Freyjas Herzensklang. In ihren Augen war er schön und wahr.

Die Zeit hielt wieder den Atem an – sie machte das öfter in letzter Zeit – wahrscheinlich aber, damit auch sie einen ausgiebigen Blick auf Bjornars nackten Körper werfen konnte, wie er dort glücksselig im Wasser der heissen Quellen trieb.






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Ein Grunzer aus tiefstem Liederherz

„Ich... ich will auch ein Lied singen", grummelte Bjornar schließlich, seine Stimme rau vor Emotion. „Ein Lied, das tief in meinen Erinnerungen schlummert... von damals, als ich noch ein winziger Welpe war."

Von Freyjas himmlischer Melodie beflügelt wie ein sturmumtoster Adler, öffnete er seinen Mund – und natürlich entwich ihm nur ein herzzerreißendes Gemisch aus Grunzen, Knurren und tränenersticktem Schluchzen. O Qual der Sprachlosigkeit! O tragische Ironie der Liebe!

„Bleib... bei mir", krächzte er mit brechender Singstimme, jede Note schief wie ein sturmverzogener Baumkrüppel an Steilklippen geklammert. Salzige Tränen rannen seine bärtigen Wangen hinab: Gebirgsbäche im Frühjahrstau, die dem Beckenmeer zustrebten.
„Bleib wie Flamme im ewigen Frost... mein Herzholz, mein Hellblick, meyn..."
Seine Stimme zerbrach endgültig wie Packeis unter Großvater Winters unnachgiebigem Druck.
„Troooooost…“, presste er qualvoll hervor.
Aber irgendwie klang es auch wunderschön – wie das Lied eines sterbenden Schwans, mit quietschender Bassstimme und mehr Brusthaar.

Freyja schwieg in ehrfürchtiger Andacht. Sie beugte sich über das Becken und ihre zarte Hand streichelte sanft seine tränenfeuchte Wange, so federleicht, dass selbst ein Schmetterling vor Neid errötet wäre. Sie ließ ihn einfach sein, wie die Götter - oder welcher wilde Waldgeist auch immer – ihn geschaffen – stark wie ein Berserker, zart wie ein Neugeborenes und wild wie ein ungezähmter Sturm.

„Wer sang dir dieses wundersame Lied vor, mein Bärenkrieger?", flüsterte sie, mitfühlend und tröstlich wie ein Honigmeer.
Und da – wirklich! – fiel ein einzelnes Kirschblütenblatt, vom Wind der Schicksalsgeister geführt, genau auf Bjornars Nasenspitze. Er schielte, grinste durch seine Tränen, brummte leise – und in diesem Moment war die Welt perfekt.

„Muss... muss meine wahre Mutter gewesen sein", hauchte er glückselig.

„Das schönste Lied, das jemals erklungen ist. Dein Lied", flüsterte Freyja zurück.

Bjornar ließ sich im heilenden Wasser treiben wie ein selig Träumender und seufzte: „Das Herzholz-Lied ist mein Anfang. Ist ein Traumlied".
Erst nach langer Zeit der tiefen Blicke, sagter er: "Dein Gesang ist der erste, den jemand mit seinem Herzen für meins gemacht hat."
Und noch später, lang genug später, dass sie Zeit genug für ihren ersten Kuss gehabt hätten, sagte er: "Auch wenn‘s nicht stimmt, was du über mich singst, so ist es doch wahr!"

Und irgendwo, fern im Hintergrund, trällerte eine unsichtbare Harfe das „Lied der ewigen Verbindung". Oder war es nur das Quaken eines sehr melodiösen Froschs?
Bei so viel Romantik war das schwer zu unterscheiden.



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AMEDA

Beitrag von Bjornar »

Auf breiten Planken,
die AMEDA schaukelt sanft,
Stolz Suroms,
stolz zur Schau gestellt,
Gesichter glänzend,
groß und fein,
und mit dabei,
des Trymm'Takk Stammes starker Reigen.
Tarabasch, der Riese, Steuer hält,
während Winde zärtlich an Segeln zupfen.
Ich aber sehe nur dich,
Freyja,
meine Sonne, warmer Blick,
leise klingt dein Lied,
und mein Herz pocht zart im Takt.



Dann auf See,
ein neues Wunder der Menschenmacht
streckt gierig seinen Rachen in den Himmel
– ZISCH! KNALL! BA-BOOM!
Kanonenröhren speien Feuerschlünde,
Himmel splittert – Splitter!
Funken!
Schreckenswogen!

Krachend stürzt Erinnerung,
ich taumle, falle
– Feuerwerk der Grahl-Hochzeit,
Jubelndes Getöse im Sonnengarten,
auch dort Donnermenschen!
Kra-BUMM!
Ein Menschenfest der Liebe:
Schreckensstarr gelähmt die Wildnis!

Lauf Bjornar lauf,
lauflauflauf,
der Himmel schillert!
– raus aus falschem Drachenbrüllen,
raus aus Freudenschmerzgesang,
Feuerhände greifen nach den Wolken,
zerren,
Ha! Ha! Ha! lacht es grell,
ich schrei,
stumm
und flieh,
kein Schritt.

Später und doch immer jetzt –
Himmel reißt, Kometen fallen,
Sterne brennen,
BRUCH! BLITZ! SCHLAG!
Himmelswunde verdoppelt die Welt,
Weltenwunde klafft,
reißt,
Donnerhimmel,
Erdschmerz schickt Zorngeister,
Krater tief geschlagen,
Ahnenbaum brennt und ich darunter!
Welt zersplittert,
Schreckenskälteschweiß,
ich breche,
fliehe,
falle,
keuche,
sterben werde ich,
die Welt,
es endet alles jetzt,
jetzt,
JETZT!

Stille brandet herbei
im Widerhall
des Kanonenechos.
...echos.

Sanfte Hand,
Freyja singt,
Ruhe, Ruhe,
Bjornar mein,
warmer Klang,
wie Meeresrauschen,
wiegt mich,
rettet mich,
in deinen Augen finde ich Land,
Schmerz weicht langsam,
Herz klopft
sachte,
sachte,
sachte...


Doch wieder
– KNALL! ZORN! KRACH!

Menschen stehlen Himmelsdonner,
Schlachten werden Götterbeben,
Sturmwaffen mehren sich,
Titanengewalt in Wichtelhand,
sie lassen Wälder bersten,
Berge bluten,
den Maschinentod zischen sie voran,
metallnes Heulen,
OHRENBRAND!

Taub,
bin taub,
ich hör dich nicht,
kein Lied,
kein Trost,
kein Blick,
nur
– Lauf Bjornar lauf, lauflauflauf
– rett dich,
renn,
spring,
SCHWIMM!

Wasserklatschen,
kaltes Nass,
strampel,
zappel,
keuch und schnapp,
schlage,
schwimme,
flieh – ich flieh,
Land,
ich brauche Land,
weg von Donner,
weg von Schrecken,
weg von dir,
Freyja,
dein Sang hinfortgesprengt,
kann mich nicht halten,
fort,
retten muss ich mich
– allein!

(Zorngeist, nein!!!
Drochsalwahn,
Erfülle nicht mein Herz!
Nicht so nah bei IHR!)

Bjornar flieht und bleibt nicht,
der Donnermord ist über die Welt gekommen!


Ameda.png

(Soundtrack: Princess Mononoke. The Demon God.)
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Bjornar
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Aba gern' doch!

Beitrag von Bjornar »

Bjornar erwachte glücklich und mit summendem Schädel. Sein linker Unterarm brannte vertraut, seit Morgath ihn dort gezeichnet hatte. Sein rechter Unterarm hingegen juckte unerträglich; eine dicke Mücke musste ihn in der Nacht erwischt haben. So glücklich war er, dass er sich die unzähligen hübschen Larven vorstellte, die die Mücke aus seinem Blutstropfen erschaffen würde. Stolz fühlte er sich wie ein vielfacher Vater.
Zärtlich streichelte er die juckende Stelle und murmelte: „Aba gern‘ doch, kleine Mücke.“

Freyja! Ihr Duft lag noch auf seinem Gesicht. Er hatte den schönsten, lebhaftesten, wahrhaftigsten Traum von ihr gehabt! Die Welt um ihn herum strahlte davon, und wie sehr er sich nach ihr sehnte! Doch sie war fort, auf Bransla. Es schien ihm gewiss, dass sie gestern Abend hier gewesen war, beim freundschaftlichen Trinkgelage. Tatsächlich lag sein Kopf auf einem Diwankissen, das unwiderstehlich nach ihr duftete. Hatte er tief und fest geschlafen, als sie sich leise davonstahl und einen Abschiedskuss auf seine Wange hauchte? Lächelnd atmete er tief ein.
Mit einer langsamen Drehung im Halbschlaf und einem Blick durch verquollene Augen erkannte er: Ja, sie waren wirklich hier gewesen, vor wenigen glücklichen Tagen. Er befand sich im würzigen, gemütlichen Rauschrauchraum von Nebelhafen, unten, gegenüber der immermüden Sera. Doch gestern? War das wirklich gestern gewesen? Der Geruch seines geliebten Weibchens hatte das Kissen tief durchtränkt und war bereits älter. Er klammerte sich an das Kissen, vergrub den Kopf darin und wiegte es in seinen Armen. Zwei leere Metflaschen standen auf dem Tisch.

Aba gern doch_Bjornar wacht auf.png

Angestrengt versuchte er, sich zu erinnern.

Am Tag zuvor hatte er Frühsport gemacht, wie es der ruhmreiche Tarabasch täglich tat: Jagd auf Eisdrachen, allein. Auch wenn Bjornar es nicht so geübt, sicher und gelassen anging wie sein Freund, sondern eher mit Turnen, Schlittern und Gebrüll, kam er doch gut voran. Er wollte dem Stamm zeigen, dass er ein guter Jäger war, Freyja bei ihrer Rückkehr mit Trophäen überhäufen. Es nagte an ihm, was Cataleya von ihm gefordert hatte: Suroms Drachenhöhlen allein zu bezwingen! Nun, er würde vor Fjellgats Haustür anfangen zu üben. Kaum dachte er an die verfluchte Frau, da stand sie plötzlich mitten auf dem Eis: die Schreckgestalt, die Besessene! Anerkennend blickte sie auf die Spur von Drachenkadavern, die Bjornar hinterlassen hatte. „Es wird wohl doch noch was aus dir!“, lobte sie und folgte ihm. Die verbleibenden Drachen schmolzen unter ihren flammenden Hieben dahin; das Gebrüll der sterbenden Kreaturen war groß, hallte über den Jammerfjord und lockte Haldron aus dem Dorf herbei, der sich anschloss. Zwar wollte Bjornar die Wyrm-Mutter am Leben lassen, doch zu dritt und mit der Macht des Schamanen wurde auch diese rasch aus ihrem Hort vertrieben.

Aba gerndoch_Cataleya und Bjornar.png

Etwas musste in Surom vorgefallen sein, denn Cataleya wirkte blutrünstiger und bitterer als sonst. Kaum waren die Drachen besiegt, verlangte sie: „Ich will eine wahre Herausforderung!“ Sie schleifte Bjornar in die Eishöhlen des Drachenclans. Zu zweit, ohne Zaubermacht! Und wie sie dort litten, wie die Formwandler des Clans sie verspotteten und immer wieder blutend zum Eingang trieben! „Man lernt nur aus Schmerzen!“, sagte Cataleya grimmig; an Rückzug war nicht zu denken. Da wollte er ihr am liebsten die Totenkopfmaske vom Gesicht reißen, sie in die Arme schließen und trösten. ‚Man lernt immerzu!‘ schrie sein Kopf. ‚Aus Schmerzen lernt man eben nur Schmerzhaftes‘, dachte sein Herz traurig. ‚Das ist wohl alles, was sie je gelernt hat‘, grollten seine Eingeweide. In einer besseren Welt hätte er in diesem Moment zu ihr durchdringen können; sie hätten sich beruhigt, vielleicht weinend einander festgehalten und wären dann ihrer Wege gegangen. Sie hätte gesagt: „Du hast recht, Bjornar, gehen wir… und danke, dass du bei mir warst“, und er hätte gesagt:

„Aba gern‘ doch!“

Jedoch in dieser Welt waren sie im Blutrausch gefangen, riefen um Verstärkung bei Clan und Cataleyas Jüngern. Haldron und ein gewisser Dracon kamen hinzu, und zu viert verfielen sie in rachsüchtige Raserei und schlachteten sich durch die Eishöhlen. Blindwütig, effizient, reine Mordlust – eine typische Fieberjagd.
Ein Detail blieb Bjornar jedoch im Gedächtnis: Auf dem Weg zu Tyldarak versperrte ihnen ein unbekanntes, geflügeltes Wesen den Weg. Es platzte wie ein blutiges Daunenkissen, Federn stoben durch die Luft. Bjornar blickte zurück und sah im schmauchenden Federhaufen einen blutüberströmten Mann. Er hielt inne, half dem Röchelnden auf die Füße. Ohne ein Wort löste der sich in goldenes Licht auf. Die Horde rannte schulterzuckend weiter, Tyldarak zu unterwerfen und seine Schätze zu rauben.

Bjornar dachte nun angestrengt darüber nach. Er kannte den Mann, hatte dessen Verwandlung schon einmal gesehen, bei Tageslicht und ohne Blutdurst im Herzen. Das war Amarius, der freundliche Priester aus Solgard gewesen.
Um die Sache zu verstehen, stellte Bjornar sich vor, wie sie bei einem Messwein zusammensäßen und redeten:

„Es iss schon soooo, dass ich manschmal vom Willen des Herrn überkommen werd‘“, lallte Amarius weinselig.
„Jau, kenn jeg og. Mir überkomm og so Sachn, manchigma“, antwortete Bjornar. „Un dann bin jeg am Ende nakkisch un find myr woanners un wees neyts mehr, was gewesen war…“
„In der Tat. Wenn ich hicks, bei gesundem Menschenverstande gewesen wäre, wär ich doch niemals… allein… Eurer wilden Horde in die Jagdhöhlen gefolgt… um mich Euch wortlos in‘ Weg zu stelln…“, gestand der Priester kopfschüttelnd und rülpste vornehm. „Ich muss wohl von Sinnen gewesen sein.“
„De warst verwandelt, un besessn von deym Herrn“, sagte Bjornar weise. „Kaum zu verscheidn von all den annern Opfan dadrinn… Aba ehrlich ma… das heest doch, wir hamm dyr von eener Besessnheit gerretigt… so mit der Oks…“
Amarius blickte ihn zweifelnd an: „Könnte man so sehen…?“
Da legte Bjornar ihm verständnisvoll die Pranke auf die Hand:

„Aba gern‘ doch! Un jedazeit wieda, falls de dyr mal wieda verlieren tust. Jeg helfer imma gern!“

Dann fügte er grinsend hinzu: „Un de wolltst myr noch zeign, wo ma so eene Engelsfeder findn kann. Hast je selba keene überig gelassen. Eyn annermal?“ „Vielleicht…“, sagte Amarius nachdenklich und verschwand in goldenem Licht.

Aba gern doch_Amarius.png

Ja, so hätte Bjornar diese Geschichte gefallen, doch heute, mit seinem summenden Schädel, war er keineswegs sicher, ob dies der Wahrheit entsprach. Immerhin erinnerte er sich, dass der Paladin Jaster noch den ganzen Nachmittag auf Haldron eingeredet hatte, wegen der Ereignisse in der Höhle. Drohte nun etwa Krieg mit Solgard? Abenteuer bedeutete das gewiss, dachte er vorfreudig. Aber dies würde das Rätsel seines verzechten Abends nicht lösen. Amarius und Jaster hatten sicher nicht zu der lustigen Sauftruppe gehört, die gestern Abend im Rauschrauchraum gezecht hatte.

Von oben, aus der Stadt, drang munterer Gesang, fröhliches Spielen und der Lärm eines Festgelages herab, begleitet vom Duft vieler Köstlichkeiten.
Das musste Rous großes Nebelhafner Spiele-Fest sein! Bjornar hatte also eine ganze Nacht und den folgenden Tag verschlafen. Das war gut möglich, denn er war ein gewaltiger Schläfer. Sein Magen knurrte dröhnend und bestätigte dies. Rasch stopfte er das Diwankissen mit Freyjas Duft in seinen Reisesack, legte die achtlos herumliegenden Armschützer seines Hardpelzes an und kletterte die Brunnenstiege hoch. Als er ankam, neigte sich das Nebelhafner Fest bereits dem Ende zu.

Er beschloss, herumzufragen, wer denn gestern mit ihm gezecht hatte. Thralda und Rou kamen irgendwie in Betracht, Aleya vielleicht auch? Doch überall Fehlanzeige. Noch schlimmer, Aleya wusste nichts über den Verbleib Freyjas in Surom, was ihn zutiefst beunruhigte. Besonders Thralda hätte sich einen gemeinsamen Trinkabend sicher gemerkt. Zwar hatten sie gestern am Lagerfeuer gesessen, während Cataleya von starken Frauen predigte und Met getrunken wurde, doch Thralda beharrte darauf, nicht wirklich mit ihm gezecht zu haben.

Bjornar betrachtete das bunte Treiben: Von den sonst noch Anwesenden waren aus verschiedensten Gründen ausgeschlossen: der schöne Alec, Yeva, Gwen, die Schwarzalben, Cataleyas Jünger und Herr Grahl. Obwohl er sich mit jedem einen gemeinsamen Trinkabend durchaus vorstellen konnte. Also mussten es halbwegs Unbekannte gewesen sein. Vielleicht der sowieso stets betrunkene Sänger, der sich neuerdings in Nebelhafen herumtrieb? Oder sein Drachenfreund Mor’dan? Die listige Traumzauberin Orenda? Vielleicht sogar der immergrüßende Dakmor, der anwesende Grox oder gar die Hochalben dort drüben?
Ein gewaltiges Magenknurren beendete diese zunehmend abwegigen Überlegungen und er fiel heißhungrig über das Buffet her. Vollgefressen kam er mit dem alten Druiden Vidar ins Gespräch, und es bestätigte sich, was Zlata schon einmal angedeutet hatte: Vidar wollte die Tiere und Monster der Neuen Welt kennenlernen, zeichnen und beschreiben, und was gäbe es da für staunenswertere Wesen als die Schwabbel? Begeistert berichtete Bjornar von den wundervollen Eigenschaften dieser famosen Viecher, ihren Verwandlungen, Tänzen, Flötenrufen, Paarungsritualen und den erstaunlich nützlichen Anwendungen ihres Schwabbelschleims.
Vidar war sogleich begeistert und lud Bjornar zu einer Forschungsreise ein, um den Geheimnissen der Schwabbel auf die Spur zu kommen. Sie verabredeten sich für später, da das festliche Treiben gerade keine Gelegenheit für ausführliche Gespräche bot. Soviel war sicher – Bjornar würde bald unter die Schwabbel-Forscher gehen:

„Aba gern‘ doch!“, rief er begeistert, spuckte in die Hände und schlug ein.

Eine Möglichkeit blieb noch offen. Vielleicht war es sein Freund Hednar gewesen, mit dem er die letzte Nacht durchzecht hatte? Der nämlich wirbelte gerade das gesamte Fest durcheinander, mit seiner bewundernswerten, wilden Art. Wie er die Leute beschenkte, Orks bestaunte, Reitkunststücke vollführte und sogar kurz mit Bjornar raufte – es war eine wahre Freude! Mit ihm zu saufen konnte Bjornar sich besonders gut vorstellen, vor allem, weil beim Saufen oft etwas Besonderes geschah. Und Hednar war durch und durch besonders. Allerdings trank der Druide sicherlich nur Wasser und kaute Nachtschatten, aber auch das wäre wohl rauschhaft genug gewesen.

Doch dann begriff Bjornar, dass Hednar heute so besonders aufgebracht war, weil er alle Druiden der Insel zusammengetrommelt hatte, um am nächsten Tag gemeinsam die Himmelswunde im Schlangenhain mit einem großen Opfer zu heilen. Was genommen wurde, musste zurückgegeben werden. Kovakarhu würde erfreut sein. Hednar war seit Wochen derart beschäftigt mit seiner großen Aufgabe, dass er wohl kaum die Ruhe gefunden hätte, gestern Abend mit ihm in der Rauschhöhle zu verweilen. Hednar verstreute schon seit geraumer Zeit überall fruchtbare Erde. So ein Held und guter Mensch war der! Bjornar selbst hatte den Ahnenbaum im Silberhain mit aller Kraft vor den Zorngeistern verteidigt, und Hednars Anstrengungen verdienten wahrlich den Gesang der Skalden.

Er versuchte, mit Hednar über den morgigen Tag zu reden, doch das Reden mit ihm war ja bekanntlich schwierig. Aber Hednar war weise. Sicher wusste und spürte er, dass Bjornar ein unverzichtbarer Teil seines Zaubers sein musste, denn Bjornar hatte den Segen des Weißen Hirsches errungen – zusammen mit Freyja! (Oh, wo steckte sie bloß?) Die heilende Lebenskraft von Grimlas heiligem Tier war gewiss geeignet, die Himmelswunden zu schließen, ohne erneut Zorngeister hervorzurufen. Notfalls würde er morgen auch allein am Ahnenbaum erscheinen und Hednar helfen, sehr sehr gern doch wollte er das tun!

Da rief Rou zum krönenden Abschluss des Festes laut über den Marktplatz: „Achtung! Es wird laut! Bringt die Tiere in die Stallungen!“ Bjornar konnte es aus der Ferne riechen: die herangeschleppten Kisten und Kästen stanken nach schrecklichem Sprengpulver der Alchimisten. Feuerwerk! Auch Rou wollte ihre hervorragende Feier mit diesem unsäglichen Menschendonner aus der Dose ruinieren und die Himmelsgeister verspotten. Er flehte sie an, das nicht zu tun, doch seine Stimme ging unter im aufgeregten Geschrei der Menge. So viele Augen waren gespannt auf das Geschehen gerichtet, dass Rou ihn gewiss nicht mehr hören wollte.
„Anzünden, anzünden!“, rief die Menge, und in den Augen des Sprengmeisters und Rous stand geschrieben, wie gern sie doch das Spektakel in Gang bringen wollten.

Bjornar zog sich zurück und als das höllische, betäubende, kopfschmerzkreischende Geballer losging, da sah er schon einen echten, wütenden Zorngeist beleidigt und rachsüchtig in Rous ach so brennbares Zelt hineinfahren, er sah vor seinem Alptraumauge die Schwester brennen im Schlaf und hörte ihr jämmerliches, erstickendes Geschrei in seinen Ohren. Flieh Bjornar Flieh, lauf lauf lauf --- er sprang auf den Schwabbel, raste in die Wildnis, um sich wer weiß wie lange, wer weiß wo zu verkriechen. Der Schreck saß so tief, dass er Hednars heldenhaftes Heilritual am nächsten Tag gewiss verpassen würde. Mussten sie ohne Grimlas Segen voranschreiten. Auch die neugierige Frage nach der durchzechten Nacht verpuffte mit dem Feuerwerksgetöse gänzlich aus seinem animalischen und auch im besten Zustand bereits löchrigen Geist.

Sollte es also irgendwen geben, dem das Rätsel dieser vergessenen Nacht so viel bedeutet, dass er es lösen möchte:

Aba gern‘ doch!

Denn Bjornar allein vermag es nicht.
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