Suche nach Innerem Frieden

Rollenspielforum für Geschichten.
Antworten
Benutzeravatar
Van De Mork
Beiträge: 34
Registriert: 16 Jun 2024, 11:21
Has thanked: 23 times
Been thanked: 54 times
Kontaktdaten:

Suche nach Innerem Frieden

Beitrag von Van De Mork »

~~~ ° ~~~

Liebes Tagebuch,

es ist nun ein ganzes Jahr vergangen seit jener ersten Reise,
die mich von den Ufern Solgards in ferne Gewässer und zu tieferen Einsichten führte.
Die Erinnerungen daran sind wie Spuren im Sand, schon vom Wind verweht und doch noch klar und leuchtend.
Indessen steht abermals eine Reise bevor. Keine Flucht, kein Abenteuer im weitesten Sinne - Nein, vielmehr eine
Suche nach Stille, Tiefe und dem Flüstern der Elemente.

Denn sie sind es, die mich rufen. Es sind meine stummen Lehrer, meine ewigen Begleiter.
Das Wasser, das singend an Klippen schlägt und Tränen trägt wie auch Hoffnung. Es umarmt
sanft und schlägt hart, es hütet Geheimnisse in dunkler Tiefe und glänzt silbern im Licht des Neumondes.
Das Feuer, flackerndes Herz der Schöpfung, züngelnd in der Nacht, wissend und wild. Es tanzt wie ein Kind und
brennt wie eine alte Gottheit. Der Wind, der unsichtbare Wanderer, welcher mir Lieder zuflüstert. Er trägt Erinnerungen
aus fernen Landen. Er küsst meine Stirn und die Wange mit derselben Leichtigkeit, mit der er einen Sturm entfesselt.
Und die Erde... gute Mutter Erde! Sie ist mächtig und geduldig. Das Leben, welches es gebärt und zu Großem trägt.
 Wie sie mich nährt und sie schenkt mir Stille und Standhaftigkeit. In ihrem Schoß schlummern alte Kräfte,
tief wie das erste Lied der Welt.

Wie könnte ich sie nicht lieben? Wie sollte ich je aufhören, nach ihrem Wesen zu forschen?
Die Idee kam mir in den frühen Morgenstunden, während einer langen Meditation in einem Studierzimmer in der
Akademie zu Solgard. Die Wellen meines Geistes schlugen hoch, ein Gedanke … eine Idee? Ein paar wenige unruhige Momente, aber voller sehnsüchtiger Gedanken. Eine Sehnsucht nach Weite und nach dem Klang des Meeres. - Ja - Ich wusste, die Zeit war reif.

Und so bin ich heute nach Nebelhafen zurückgekehrt. Der Ort hat sich kaum verändert. Der Dunst liegt wie damals über
dem Wasser, schwer und geheimnisvoll, und das geschäftige Treiben der Hafenleute erinnert mich an jene frühen Stunden
vor der letzten Abenteuerreise. Heute war ich lange unterwegs und ich schlenderte über die nassen Stege, ließ mich von
den Rufen der Händler treiben und fand am späten Nachmittag eine windgeschützte Stelle am westlichen Kai, um dort zu meditieren.
Es war keine tiefe Trance, doch ich spürte die Präsenz des Wassers, wie es mich rief. Nicht laut, nicht drängend, aber mit
einer beständigen und klaren Stimme.

Am Abend zog ich mich in eine schlichte Herberge nahe des Hafens zurück. Ich teilte mir die Stube mit einem alten Fischer,
der kaum sprach, aber mir ein Brot und geräucherten Aal anbot. Am kleinen Fenster lauschte ich später dem Pfeifen des Windes und
dem Rufen der Seevögel, während ich meine Gedanken ordnete. Sieben Tage auf See – sprach ich im Gedanken zu mir selbst - keine große Reise in ferne Länder, sondern eine stille Fahrt. Eine Art Rückzug, um sich neu zu sammeln. Ich werde meditieren, meine Verbindung zu den arkanen Kräften vertiefen und vielleicht, aber nur vielleicht... einen Schritt näher an das kommen, was Magie im Innersten ist.

Morgen in aller Frühe wird mein Schiff ablegen. Die "Stille Woge" wartet bereits am Pier. Der Name könnte passender nicht sein.

~~~ ° ~~~

Tag 1 – Der frühe Morgen

Es war noch dunkel, als ich erwachte. Nebelhafen schien noch zu schlafen. In der Ferne war das Knarzen von Wagenrädern zu hören. Das Heulen des Windes begleitete mich, als ich mich auf den Weg zum Kai machte. Der Nebel lag schwer über dem Hafen, wie ein alter Schleier, der sich nur zögerlich von den Dächern und Planken lösen wollte. Doch das Licht der Laternen wies mir sicher den Weg. Laternen, kleine flackernde Inseln aus Gold inmitten einer grauen, wabernden Welt. Die Feuchtigkeit kroch durch Stoff und Haut, und die Luft schmeckte nach Salz, Tang und Kohlenrauch. Ich zog die Kapuze tiefer und lauschte meinem eigenen Atem, der in minimalen Wölkchen vor mir stand um sogleich im Nebel zu verschwinden. 


Am Steg erwartete mich bereits Garrik – ja, derselbe Quartiermeister wie vor einem Jahr. Er erkannte mich sofort, klopfte mir mit rauer Freundlichkeit auf die Schulter und sagte nur: „Wasser vergisst nicht, Van.“ Ich nickte nur, was sollte ich auch antworten? Vielleicht hatte er recht. Vielleicht erinnern sich die Wellen an unsere Schritte, an unser Flüstern. Vielleicht ist das Meer ein Gedächtnis aus Salz und Tiefe, das nie wirklich vergisst wen es einmal aufgenommen hat.

Die Stille Woge war ein kleineres Schiff als die Silber Gischt einst. Wendiger und offenbar mehr auf Ruhe als auf Lastfahrt ausgelegt. Die Masten waren niedrig, die Takelage einfach. Das nasse Holz glänzte wie dunkler Bernstein im Licht des Morgens. Statt Kanonen trug sie Symbole alter Schule am Bug. Verwitterte, von salziger Luft zerfressene zeugen unzähliger Fahrten. Einige Runenzeichen konnte ich erkennen, doch deren Anordnung erschien mir wirr und nicht richtig. Sie schienen wie Fragmente eines alten Liedes, das jemand falsch erinnert.

„Diesmal keine Reise für die Welt, sondern für dich selbst?“, fragte Garrik beiläufig, während ich mein Gepäck verstauen ließ. „So ist es“, antwortete ich eher leise. "Einfach nur entspannt die See genießen" fügte ich dann aber mit kräftiger Stimme hinzu. Ich bekam eine Kabine im vorderen Teil des Schiffs, weit entfernt von Küche und Vorräten. Der Kapitän, ein schweigsamer Mann namens Mirel, konnte sich nur ein leichtes Nicken entlocken. Dies sollte scheinbar zum grüßen dienen. Vielleicht hatte er auch Anweisungen erhalten, mich oder die Gäste an Bord in Ruhe zu lassen. Was soll ich sagen … mir war es recht.

Als wir ablegten, stand ich an der Reling. Der Nebel verschluckte langsam den Nebelhafen, wie ein altes Tier das seine Beute rückstandslos verschlingt. Die Umrisse der Stadt lösten sich auf, als wären sie nie da gewesen. Es blieb einfach nur Erinnerung und Dunst. Und ich? Ja ich fühlte, wie sich mein Geist lockerte. Ich löste mich sogleich vom Gewohnten. In mir wurde es still. Der Wind war nun kaum mehr als ein Wispern. Die Segel blähten sich leicht, wie atmende Lungen und die See unter uns rauschte gleichmäßig. Eine Gleimäßigkeit, als würde sie ein altes Lied summen und dies nur für mich.

Sieben Tage auf dem offenen Meer... Zeit zum Nachdenken und Zeit zum Atmen. Ich werde mit den Elementen sprechen, so wie sie mit mir reden. Vielleicht finde ich Antworten? Vielleicht nur mehr Fragen! - Doch ich bin bereit.

~~~ ° ~~~

 Tag 2 – Unter vollen Segeln

 Der Morgen begann mit einem zarten Schaukeln. Kein abruptes Erwachen und kein Lärm, nur das leise aber beständige Rufen der See welches durch die Planken drang wie ein ferner Herzschlag. Ich blieb lange liegen, lauschte dem leichten Knarren der Balken, dem Glucksen des Wassers am Rumpf und dem rhythmischen Klatschen der Wellen. Es war, als würde das Schiff atmen, nicht nur durch die Segel oder die Tagelage - Nein - auch durch jede Faser meines Körpers.

 Als ich schließlich das Deck betrat, hatte die Sonne den Nebel längst vertrieben. Die Stille Woge schnitt sanft durch das weite Blau. Ein blau, das sich in alle Richtungen spannte, grenzenlos und still. Der Horizont flimmerte und die Luft schmeckte irgendwie anders. Vielleicht Eininbildung, dachte ich bei mir. Aber Geschmack von Weite, nach Ferne, nach reinem Salz. Der Tag an Bord war ruhig. Die Mannschaft sprach wenig, doch das Schweigen war nicht kalt. Es war ein Einverständnis, ein stilles Miteinander. Jeder schien seinen Platz zu kennen. Das Einholen der Segel, das Spannen der Leinen, das Sichten des Himmels – all das geschah in einem fließenden Rhythmus, der fast wie ein Ritual wirkte. Ich beobachtete lange, wie ein junger Matrose den Knoten der Achterleine prüfte. Irgendwie mit jener andächtigen Ruhe, wie ein Schreiber seine Feder in Tinte taucht.

 Ich verbrachte Stunden an der Reling. Dort, wo das Wasser in seiner tiefblauen Reinheit unter mir vorbeizog. Manchmal verlor ich mich im Anblick der Gischt. Das Meer sprach mit mir. Nicht in Worten, sondern in Bewegungen, Lichtreflexen, dem Wechselspiel von Tiefe und Glanz. Einmal... ich schwöre, es war kein Traum – glaubte ich, eine Gestalt im Wasser zu sehen. Keine klare Form, nur eine Welle, die anders brach, ein Schatten unter der Oberfläche. Dieser zog kurz neben dem Schiff her. Ich legte die Hand auf das feuchte Holz der Reling und schloss die Augen. Es war, als läge eine uralte Stimme in der Gischt. Das Wasser trägt mich. Es drängt nicht, es fragt nicht. Es ist einfach da, einfach umhüllend, irgendwie tragend... ja unendlich. Ich spreche mit ihm in Gedanken, wie mit einem alten Freund, dessen Nähe allein schon genügt.

Am Nachmittag setzte ich mich an den Bug, ließ die Beine über die Reling baumeln. Der Fahrtwind zog mir die Kapuze zurück, und das Sonnenlicht spiegelte sich auf der Oberfläche in tausend tanzenden Splittern. Ich begann zu meditieren... Die Bewegung des Schiffs wurde eins mit meinem Atem. Das Rauschen des Wassers war wie ein Mantel, der sich um meine Gedanken legte. Vielleicht liegt genau darin die wahre Natur des Wassers? Es zwingt nichts. Es weicht aus, es wartet, es nimmt auf. Und doch kann es jede Küste formen.
 Am Abend, als die Sonne glutrot im Westen versank, schrieb ich diese Zeilen an meinem kleinen Tisch in der Kabine. Eine Möwe rief noch irgendwo in der Ferne, und das Schiff wiegte sich sanft im endlosen Atem der See. Morgen werde ich früh aufstehen. Ich möchte sehen, wie die Sonne aus dem Meer steigt. Vielleicht flüstert sie mir einen Namen.

~~~ ° ~~~

 Tag 3 – Die Sprache der Wellen

 Ich erwachte heute mit dem ersten Licht. Keine Glocke, kein Ruf weckte mich es war nur das sanfte und gleichmäßige Rauschen der Wellen welches durch das offene Bullauge an mein Ohr drang. Es war wie ein Lied, das ich längst vergessen hatte, aber nie verlernt gewesen war. Als ich auf das Deck trat, war die See ruhig wie Glas. Der Himmel spannte sich in hellem Blau über uns, wolkenlos und weit. Es war, als hätte sich die Welt in einem einzigen Atemzug beruhigt. Die Segel standen in voller Pracht, doch das Schiff glitt fast lautlos dahin durch die See. Wie von selbst, als würde es sich durch Gedanken und nicht durch Wind bewegen.

Ich setzte mich an meinen Stammplatz am Bug, die Beine über die Reling baumelnd. Meine Hände flach auf dem warmen Holz. Der Fahrtwind war mild, kaum spürbar. Die See war ein Spiegel und ich begann zu sprechen. Nicht mit der Stimme, vielmehr mit dem Geist. Ich sandte einen Gedanken hinaus, vorsichtig, irgendwie tastend. Wohl wie ein Schüler, der zum ersten Mal die Sprache eines alten Meisters sprechen möchte.

 „Zeig mir dein Wesen.“

 Das Meer antwortete nicht in Worten. Stattdessen hob sich plötzlich eine einzelne Welle, höher als die anderen, ganz nah am Schiff. Ihr Kamm brach in einem weißen Schaum auf, der in der Sonne glitzerte wie zermahlene Edelsteine. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich gesehen hatte. Nicht meine Gestalt, möglicherweise im Geiste. Ich atmete tief ein. Es war kein gewöhnlicher Atemzug... Nein – ich sog die Feuchtigkeit der Luft, das Salz, die Tiefe, die Bewegung in mich auf. Und mit ihm einen Hauch von Erkenntnis. Das Wasser verlangt nichts. Es urteilt nicht. Es fließt. Es findet immer einen Weg ob nun durch Stein, unter dem Eis, ins Herz der Welt oder bis in meine Handfläche.

 Am Nachmittag saß ich auf dem Oberdeck, den Rücken gegen einen Mast gelehnt. Ich beobachtete die Wellen, studierte ihre Muster, lauschte den unzähligen Nuancen ihres Geräuschs. Einem Außenstehenden wäre es vielleicht eintönig erschienen. Doch für mich war es wie das Blättern in einem Buch aus lebendiger Sprache. In einer Schale hatte ich etwas Wasser aus dem Meer geschöpft. Ich ließ es durch meine Finger gleiten, dabei schaute und studierte ich wie es das Licht brach. Ich genoss es, wie es sich um meine Haut schmiegte. Mit ein paar gemurmelten Silben und einem stillen Willensimpuls ließ ich eine kleine Kugel daraus emporsteigen. Ich hielt sie in der Luft, betrachtete sie lange. Dann ließ ich sie einfach sanft zerplatzen. Ein stiller Zauber. Keine Macht. Keine Zurschaustellung. Nur ein Moment der Verbundenheit.

 Als die Sonne sank, färbte sie das Wasser um uns in flammendes Rot und tiefes Violett. Die Stille Woge trug uns weiter, behutsam wie eine Mutter ihr Kind. Ich saß lange an der Reling, sprach kein Wort, dachte kaum. Ich fühlte mich nicht groß. Aber ich fühlte mich ganz. Morgen will ich versuchen, das Meer nicht nur zu hören – sondern vielleicht zu verstehen!

~~~ ° ~~~

 Tag 4 – Zeichen im Wasser

 Der Morgen begann mit einer anderen Stille. Nicht die weite und offene Ruhe der Tage zuvor. Irgendwie eine dichtere - ja, fast gespannte Stille. Der Himmel war wolkenverhangen und das Licht grau und gedämpft. Die Stille Woge fuhr unbeirrt ihren Kurs, doch ich spürte es sofort! Etwas hatte sich verändert. Ich nahm mein Frühstück schweigend in der Messe ein. Darunter etwas Obst, ein Stück Brot, warmer Tee. Niemand sprach, was mich irgendwie irritierte. Auch Garrik wirkte heute nachdenklich, als sei er selbst ein Teil des Nebels, der sich tief in den Rumpf des Schiffs verkrochen hatte.

Ich verbrachte den Vormittag an Deck, wie eigentlich jeden Tag. Heute jedoch
doch ich meditierte nicht. Ich beobachtete nur. Das Meer war nicht rau, doch unruhig. In seinen Bewegungen lag eine Unregelmäßigkeit, ein Hauch von Absicht. Ich fragte mich, ob das Wasser heute auf meine Gedanken wartete. Oder ob es selbst zu sprechen begonnen hatte. Am Nachmittag setzte ich mich zurück in meine Kabine. Ich bereitete eine kleine Schale mit Wasser. Wie auch gestern stellte ich sie auf den Boden vor mir und begann, leise zu sprechen. Keine Zauberformeln – nur Worte aus dem Herzen.
 „Ich bin hier. Ich höre.“
 Zuerst geschah nichts. Dann, nach einer Weile, begann das Wasser ganz sacht zu schwingen. Kein Luftzug, kein Zittern im Schiffsbauch, nur die Oberfläche, die sich bewegte, als würde sie atmen. En Kreis bildete sich. Dann ein weierernoch einer. Konzentrisch, langsam, vollkommen gleichmäßig. Ich starrte auf die Wellen, unfähig, den Blick zu lösen. Dann sah ich es. Für den Bruchteil eines Moments – kaum mehr als ein Herzschlag – erschien auf der Oberfläche der Schale ein Muster. Wie eine Rune. Eine, die ich nicht kannte. Ein altes Zeichen, aus dünnem Licht gewebt, zu zart, um es zu beschreiben. 
 Dann war es fort. Die Schale war wieder still. Ich saß lange da. Ich spürte, dass dies kein Zufall war. Kein Trick meines Geistes. Die Elemente beginnen zu antworten... nicht auf meine Magie, sondern auf meine Gegenwart. Später am Abend stand ich wieder an der Reling. Die See hatte sich beruhigt. Ein silbriger Streifen Mondlicht lag auf dem Wasser, und das Schiff zog eine schimmernde Spur durch das dunkle Blau.Es war als würde es selbst Licht hinterlassen.Ich legte die Hand auf das nasse Holz und schloss die Augen. Ich bin nicht allein. Ich war es nie... Ich habe nur verlernt, zu lauschen.  Morgen will ich tiefer gehen. Weiter in die Stille. Weiter in das, was nicht in Büchern steht.

~~~°~~~

Tag 5 – Die Leere

Heute war das Meer bleiern. Kein Wind und auch kein Wellenspiel. Auch kein Geräusch außer dem leisen Knarren der Planken unter unseren Füßen. Die Stille Woge trieb langsam dahin, als hätte selbst sie den Atem angehalten. Die Segel hingen schlaff herab, und die Crew bewegte sich träge. Ja, beinahe lautlos, wie Schatten in einem Traum. Ich saß wie immer am Bug, doch heute fühlte es sich anders an. Der Horizont war farblos, der Himmel ein einziger Schleier aus fahlem Grau. Die Grenze zwischen Wasser und Luft war verschwommen. Ich wusste nicht mehr, ob wir trieben oder standen.

Ich begann zu meditieren, versuchte das Wasser zu fühlen. Aber es war, als hätte es sich zurückgezogen. Kein Flüstern, kein Ruf, kein Zeichen. Nur eine tiefe, wabernde Stille, die sich wie Watte um meine Gedanken legte. Zum ersten Mal seit Beginn der Reise spürte ich Unruhe. Fragen begannen sich in mir zu regen. Zweifel. Warum diese Reise? Warum das Meer? Was erwarte ich zu finden? Und vor allem: Was, wenn nichts kommt? Ich erhob mich, ging einmal gemächlich um das Deck. Nebenher redete ich ein paar Worte mit einem Matrosen, doch selbst seine Stimme klang fern, gedämpft. Wie unter Wasser. Ich war da  und gleichzeitig nicht.

In meiner Kabine entzündete ich eine Kerze und starrte lange in die Flamme. Selbst das Feuer schien heute schwach, als würde es die Nähe des Wassers fürchten. Ich holte mein kleines Ritualbuch hervor, las ein paar vertraute Zeilen, doch sie klangen leer. Worte. Nur Worte. Ich fühlte mich plötzlich klein. Nicht demütig – sondern verloren. Ein Sandkorn auf einem endlosen Ozean, treibend, ohne Richtung. Ich schlief eine Weile, irgendwie unruhig... traumlos. Als ich erwachte, war es dunkel. Das Schiff schwankte kaum. Ich trat hinaus, zurück an die Reling. Da war sie wieder – die Leere. Nicht feindlich, nicht tröstlich. Eine Leere, die mich anblickte, als würde sie sagen: „Wer bist du, wenn niemand antwortet?“

Ich blieb lange dort stehen, ganz leise war etwas zu verstehen. Eine Anwort?

~~~° ~~~

 Tag 6 – Der Ruf des Windes

 Ich wurde früh wach, wohl noch vor der Sonne. Es war nicht das Knarren des Schiffs, nicht das Rufen der Möwen oder das Gurgeln der See, das mich weckte. Es war wie ein Druck. Ein Ziehen in der Brust. Kein Schmerz... eher ein Impuls. Wie ein Gedanke, der nicht in Worte passt. Als ich an Deck trat, war der Himmel klar – zum ersten Mal seit Tagen. Und der Wind war zurück. Nicht stark, nicht stürmisch. Nur da. Er spielte mit meiner Robe, zerrte sanft an den Borten, fuhr mir durchs Haar wie eine vertraute Hand.

Ich schloss die Augen.  Da war eine Bewegung in der Luft – eine Richtung, ein Wille. Kein Wort, kein Satz. Doch ich verstand: „Steh auf.“
 Ich ging zum Bug, stellte mich aufrecht hin, die Arme seitlich geöffnet, und atmete tief ein. Der Wind fuhr in meine Lungen wie ein uralter Klang. Ich hielt den Atem, ließ ihn kreisen, spürte, wie er sich in mir ausbreitete – in jeder Faser, jedem Gedanken.
 Plötzlich erinnerte ich mich. An die Kindheit. An das Spiel mit flatternden Tüchern auf dem Hügel über Normikon. An das erste Mal, als ich einen Zauber des Luftwandels sprach. An das Gefühl, vom Wind getragen zu werden – nicht körperlich, sondern im Geist.
 Ich begann zu sprechen. Leise, in einer alten Zunge. Worte der Bewegung, der Leichtigkeit, der Übergänge. Es war kein Zauber. Es war ein Gebet.  Und der Wind antwortete.

 Er hob sich, nur ein wenig, als wolle er tanzen. Er kreiste um mich, ließ kleine Wirbel über das Deck huschen, spielte mit den Seilen, ließ ein Segel kurz aufblähen. Die Stille Woge ächzte freudig unter der plötzlichen Spannung. Ich  hob die Hände und spürte: Er trägt. Er trägt mich. Nicht irgendwohin – sondern weiter.In mir löste sich etwas. Die Schwere von gestern wich. Nicht ganz, aber genug, um wieder klarzusehen.  Nach einiger Zeit erkannte ich ... Nicht jedes Element offenbart sich in derselben Weise. Wasser umhüllt. Erde trägt. Wind bewegt. Feuer wandelt. Ich hatte zu sehr gehofft, das Meer möge sprechen wie ich – doch es spricht in Tiefe, nicht in Antwort.  Heute sprach der Wind. Und ich lauschte.

 Am Abend saß ich mit Garrik am Heck. Wir sprachen kaum. Er reichte mir einen Becher heißen Kräutertrank, und ich nickte ihm dankend zu. Seine Augen musterten mich, lange, dann sagte er: „Du hast es gespürt.“ Ich lächelte nur.  Morgen ist mein letzter Tag auf See. Ich weiß nicht, ob ich Antworten finde. Aber ich weiß jetzt: Ich bin auf dem richtigen Weg.

~~~ ° ~~~

Tag 7 – Das Zentrum der Stille

Heute erwachte ich mit dem Gefühl, dass etwas zu Ende ging. Vielleicht nicht schwer, auch nicht traurig. Nur... rund  und vollständig. Die See war ruhig, doch nicht still. Die Sonne lag wie Goldstaub auf der Wasseroberfläche, und feine Linien von Licht zogen sich wie Adern durch die Wellen. Ein leiser Wind strich über das Deck. Dieser war wohl gerade stark genug, um die Segel zu halten. Ich frühstückte allein, dann stieg ich hinab zum Rumpf des Schiffes. Ich suchte einen Ort ohne Stimmen, ohne Schritte, ohne Blick. Dort, zwischen Fässern und Tauen, auf dem kalten Holz des unteren Decks, setzte ich mich in den Schneidersitz. Ich sprach kein Wort, atmete ruhig und gleichmäßig.

Ich stellte mir die Elemente vor, wie sie an Bord mit mir reisten. Das Wasser welches mich trägt und das mein Gewicht nie beklagt. Es kennt kein Oben und kein Unten... einfach nur Strömung. Der Wind, der mich gefunden hatte als ich bereit war mich zu bewegen. Das Feuer, das in meiner Brust brennt und einen wach hält. Die Erde, die fern scheint auf dem offenen Meer und doch in mir ist. In jedem Knochen, in jeder Haltung, in der Standhaftigkeit meines Willens. Ich öffnete die Augen und sah nur Holz und Seil. Ein Paar Schatten und auch Licht. Aber ich fühlte sie alle. Um mich. In mir. Und plötzlich wusste ich... Ich bin nie allein gewesen. Die Elemente offenbaren sich nicht, wenn man ruft. Sie sind da, wenn man hört.

Am Nachmittag stand ich lange am Heck. Ich blickte zurück über die Wellen – nicht auf eine Strecke, sondern auf eine Zeit. Eine Zeit, in der ich weniger getan und mehr gewesen war. Die Stille Woge glitt dahin, ruhig, fast ehrfürchtig. Ich hörte kein Rufen mehr. Kein Zeichen. Nur mein eigenes Herz, das nun im Takt der See schlug. Garrik trat zu mir, blieb aber schweigend stehen. Schließlich sagte er dann... „Du hast gefunden, was du nicht gesucht hast.“ Ich lächelte wohl etwas und nickte etwas. Am Abend schrieb ich diese Zeilen mit ruhiger Hand. Meine Gedanken sind klar, mein Atem tief.

Morgen kehren wir zurück nach Nebelhafen. Und ich werde zurückkehren … nicht als jemand anderes. Aber als jemand, der weiß, dass Stille ein Gespräch sein kann. Und dass die Elemente nicht darauf warten, entdeckt zu werden. Sondern erinnern, wer wir sind.

~~~°~~~

Tag 8 – Heimkehr

Der Morgen begann wie ein Ausatmen. Nicht abrupt und gar nicht plötzlich, es war vielmehr wie das sanfte Zurückweichen einer Welle, die sich über Nacht und über das Herz gelegt hatte. Ich war früh wach geworden, noch ehe das erste Licht die kleine Kabine streifte. Die Luft war kühl und trocken und sie war durchzogen von einem Geruch nach Salz. Auch eine Note von Holz und dem Hauch von Hafenleben, das irgendwo hinter dem Horizont erwachte.

Ich zog mich langsam an, in stillen Bewegungen, schon fast als würde ich einem Ritual folgen. Die Robe glitt wie von selbst über die Schultern und das Band an der Taille schloss sich mit geübtem Griff. In all den Tagen auf See war jeder Handgriff langsamer geworden und irgendwie bewusster. Jeder einzelne Griff war durchzogen von dem Wissen, dass es das letzte Mal sein würde. Ja - zumindest auf dieser Fahrt durchaus gelungenen Fahrt. Als ich an Deck trat, lag Nebelhafen noch verborgen. Doch irgendwie konnte ich ihn bereits spüren. Wie eine Erinnerung, die kurz davor steht, wieder zur Gegenwart zu werden. Der Horizont war nur ein zarter Streifen Licht, in dem sich Himmel und Wasser kaum trennten. Möwen zogen ihre Kreise und schrien in ihrem gekreische ein "Hallo" an Deck. Aus der Ferne klang das erste dumpfe Rufen eines Lastkrans oder vielleicht das Bellen eines Hundes. Kaum hörbar, aber es war wie ein leises Gemurmel im Hintergrund wahrnehmbar.

Ich stellte mich an die Reling, schloss die Augen. Die Stille Woge bewegte sich ruhig, fast ehrfürchtig in Richtung Heimat. Es kam einem vor, als wolle sie nicht zu laut sein bei meiner Rückkehr. Der Wind war kaum ein Hauch wie ein leichtes Streicheln, das mir über die Wange fuhr. Und da war es wieder, jenes Gefühl von Getragenwerden. Nicht von einem Schiff, sondern von etwas Tieferem, etwas Einzigartigem. Garrik kam an meine Seite. Er sagte nichts. Seine Stiefel knarrten leise auf den Planken. Für einen Moment standen wir einfach nur da... zwei Männer, von der See zurückgebracht, schweigend vereint. Vielleicht im Wissen um das, was sich nicht in Worten fassen lässt.

„Bist du bereit?“, fragte er irgendwann, ohne mich anzusehen. „Ich denke, ja“, antwortete ich. Und doch regte sich in mir ein helles Gefühl der Freude heimzukehren. Freude, bald wieder in vertraute Augen zu blicken. Wie die meiner geliebten Zoe. Langsam lichtete sich der Nebel. Die Umrisse Nebelhafens tauchten auf wie aus einer anderen Welt.  Die Stille Woge glitt lautlos an den Kai. Einige Befehle hallten über das Deck und die Seile wurden geworfen. Die Männer arbeiteten routiniert und wie ein Uhrwerk. Ein neuer Tag begann und ich stand mittendrin als wäre ich nie fort gewesen. Aber ich war fort, nicht in der Entfernung sondern im Inneren.

Als ich schließlich über die Gangway an Land trat, fühlte sich der Boden seltsam fest an. Unbeweglich und Schwer. Nach sieben Tagen auf dem Wasser war das ein fast fremdes Gefühl. Ich blieb einen Moment stehen, atmete ein. Der Geruch des Hafens war überall. Eine Mischung aus Harz und Holz, Seetang, Fisch, Ruß. Ja einfach typisches Leben. Ich drehte mich noch einmal um. Die Stille Woge lag ruhig im Wasser. Ihre Runen wirkten nun vertrauter, nicht mehr wie wirre Zeichen. Vielleicht wie ein Flüstern, das ich beinahe verstand. Ich legte die Hand an die Reling, ein letzter Gruß, ein stiller Dank.

„Hab acht, du alte Seele“, murmelte ich.

Dann wandte ich mich ab. Ich ging nicht eilig aber auch nicht zögerlich. Ich lief einfach mit ruhigen Schritten voran. Wohin genau, das wusste ich nicht. Doch mein Weg lag vor mir, nicht hinter mir. Und in der Ferne, weit hinter der Wüste, wartete jemand mit Augen wie der erste Sonnenstrahl nach einem Sturm.

Ich bin zurückgekehrt – nicht als ein anderer,
aber mit neuer Kraft und bereit für alles, was kommen mag.

~~~ ° ~~~
-- Van de Mork --
Antworten