Es war am frühen Nachmittag, einige Stundenläufe nach dem Mittagsläuten. Der Tag war bislang ruhig, sah man davon ab, dass am Himmelszelt ein riesiger, unheilvoller Spalt ragte, der den Blick in eine andere Welt offenbarte. War es ein Spiegel, der das eigene Bild zurückwirft? Ein Blick in eine andere Sphäre oder doch eine unsichtbare Ebene, die sich dem unwissenden Auge offenbarte?
Die Möglichkeiten scheinen grenzenlos und doch war der Drachenmager davon überzeugt, wdass die Wahrheit eine andere wäre. Das Konzept des Multiversums war längst nichts Unbekanntes mehr. Ebenen, Sphären, Dimensionen - so viele, wie man es sich nur vorstellen konnte. Der Sprung zum Gedanken, dass es darüber hinaus noch ganze Universen gäbe, die neben dem eigenen existieren würden, schien dadurch gar nicht mehr so abwegig, wie manch einer dachte. Livius jedenfalls war überzeugt. Das musste die Erklärung für die mysteriösen Schreiben sein, die ihn erreichten und in seiner Schrift verfasst wurden. Aus den Händen Livius Primus’, wie Fel ihn nannte.
Gerade war er dabei, das Gemeinschaftslager nach passenden Kristallen und anderen Hilfsmitteln zu durchsuchen, die in naher Zukunft womöglich hilfreich sein könnten, als seine Sinne Alarm schlugen. Ein Beben, wie er es lange nicht mehr wahrnahm, prägte das arkane Geflecht und war bis ins Mark zu spüren. Augenblicklich drückte er sich von seinem Sitzplatz hoch und eilte zur Fensterreihe am anderen Ende des Raumes. Stühle wurden ohne Rücksicht beiseite geschoben, die ihn in seiner Hast zum Stolpern brachten, ehe er sein Ziel erreichte und das Bernstein sich hoch ins Firmament hinauf richtete. Der Anblick war faszinierend schön und zugleich besorgniserregend. Der Riss mit seinen unnatürlichen, pulsierenden Farben wuchs weiter an und bedeckte nun einen Grossteil des Himmels. Funken manifestierten sich. Wuchsen heran. Sie steckten sich, formten einen Schweif hinter sich und offenbarten, dass es sich um Meteore handelte, die auf die Erde hinab fielen. Kein Minutenlauf verstrich, als der erste Splitter auf die Insel erreichte und sich begleitet von einem spürbaren Beben in den Grund grub.Weitere folgten wenige Augenblicke später und Rauch begann in der Ferne aufzusteigen. Gebannt von den Anblick fiel es ihm schwer, sich aus der Starre zu lösen, bevor er eilig die Stufen hinabstieg, um das Lager zu betreten und sich für einen Ausritt vorzubereiten.
Dichter Staub und der Geruch von Schwefel lag in der Luft, erschwerten das Atmen und die Sicht auf den Kern in der Nähe des Kraters. Es knisterte, vereinzelt standen noch Büsche und Bäume in Brand. Glut auf dem Boden… und ein unnatürliches Flimmern. Es war nicht nur brennendes Holz, das knisterte - nein, viel mehr, wie sich nach wenigen Stunden bereits zeigte. Anomalien, die sich ausbreiteten und die Umgebung beeinflussten. Sowohl die Flora und Fauna, als auch die elementare Ebene dieser Welt. Die Einschlagsstellen wurden zu Türen. Türen für Wesen, die durch die Verschmelzung der Ebenen von diesen losgebunden wurden und die Barriere zur stofflichen Ebene überwinden konnten - sowohl jene der hiesigen Ebene, als auch die der anderen Welt.
Es war an der Zeit, einen alten ‘Freund’ zu kontaktieren. Gebrauch von der Bindung zu machen, die er zu einem der Nachfahren Firmamons besass. Als Wächter Eostycals war es ihm möglich, diesen zu beschwören - ein letzter Ausweg, in der Hoffnung, Antworten auf Fragen zu bekommen.
Insgeheim hoffte er, mit seinen Vermutungen falsch zu liegen. Dass es tatsächlich nur ein ortsgebundenes Phänomen war und die Möglichkeit bestünde, den Konsequenzen durch eine Flucht zu entkommen. Doch er wusste, dass dem nicht so wäre. Töricht würde man es bezeichnen, sich auf Gefühle oder Hoffnungen zu verlassen. Nichts, wofür Livius stand. Nein, er war ein Mann der Fakten. Alles musste belegbar sein und war es das nicht, zweifelte er offen daran.
Er hatte Ideen. Ideen für ein Artefakt, das womöglich einen Ausweg bot. War es eine verlässliche Idee? Unwahrscheinlich. Würde es gelingen? Ungewiss. Besässe er die Mittel dazu? Inzwischen schon. Doch Shira’niryn war dagegen. Liess ihn ihren Ärger über seine Idee spüren. Ihre Angst, ihn zu verlieren, war zu gross, als dass sie sein Vorhaben gutheissen konnte. Und doch war es seine eigene Angst, mitunter, die ihn antrieb, seinen Verstand nach Ideen zu durchforsten. Seine Angst, die ihn alte Forschungen, die er einst ihr zuliebe aufgab, wieder aufnehmen liess. Er war sich bewusst, dass er sie irgendwie überzeugen musste. Doch das wollte er ihr nicht aufzwingen. Es brauchte einen Weg, sie davon zu überzeugen. Vielleicht würde es Eostycal bewerkstelligen können.
Noch am selben Abend würde ein quirliger Feendache - Funkelchen, Shiras Vertrauter - durch die verschiedenen Städte tapsen, den Kopf stolz in die Höhe gereckt und - jeweils ein Pergament zwischen den Zähnen haltend - diese überreichen wollen. Dabei wird es nicht nur davon berichten, dass die Nachricht von Livius stammt und es wichtig wäre, sondern voller quirliger Freude erzählen, wie ihr so ein grosses Vertrauen zugesprochen wurde, obwohl der Magier sonst ein “doofer Grummeling” wäre, der böse zu Shira sei. Sollten die Empfänger den Faelug nicht vertreiben, würden sie unweigerlich die Ohren angenagt bekommen, bis das stürmische Wesen vor Langeweile regelrecht verpufft.
Empfänger des Briefes:
Gemeinschaftsturm im Versammlungsraum
Das Volk der Hochelfen
Das Volk der Waldelfen
Der Heerführer Solgards, der Orden der Paladine, die Magievertretung, die Garde zu Händen des Hauptmanns
Diverse Aushänge innerhalb Solgards
Kaiserin Niriel
Tyladriel
Vidar
Mahribar
Davind Benheim
Leomar
Rollt man das Pergament auf, würde man jedenfalls folgendes zu lesen bekommen:
Wissen und Weisheit [entsprechende Ansprache]
Dieses Schreiben soll darüber in Kenntnis setzen, dass zu morgigen Abend mithilfe einer mir auferlegten Bindung ein alter Wegbegleiter meinerseits gerufen wird. Vorab möchte ich erwähnen, dass es sich hierbei um einen Sternendrachen handelt, ein Nachkommen Firmamons.
Es sei vor dem Gemüt des Altdrachens gewarnt. Jenen, die gedenken, sich diesem Gespräch anschliessen, sei gesagt, dass es ein Wesen von Stolz ist. Ein respektvoller Umgang ist Voraussetzung für die Teilnahme und Störenfriede werden dem Ort verwiesen - zu ihrem eigenen Schutz.
Ich erhoffe mir dadurch, dass uns eine Lösung präsentiert oder die Gedanken bestehender Ansätze bestätigt werden, die uns helfen könnten, den Phänomenen denen wir uns ausgesetzt sehen, Einhalt zu gebieten.
Wir treffen uns zur achten Abendstunde vor Solgard und brechen von dort zu den hiesigen Kratern auf, wo wir Eostycal rufen werden.
Fürderhin sei vor den genannten Kratern gewarnt. Sie weisen eine besonders dünne Barriere zu den Ebenen auf und sind Quelle stärkerer Anomalien, die sich auszubreiten drohen. Nähert euch nur bei grosser Dringlichkeit, doch drängt die Wesen zurück, sollten sie sich in der Steppe ausbreiten.
Wappnet Euch für alle möglichen Eventualitäten. Vorsicht vor Nachsicht, wie es so schön heisst.
gez.
Livius Quintus
Oberster Hüter der Bewahrer
