Die bekannte Vergangenheit
Ein leises, dumpfes Pochen hallt zwischen den Häuserwänden in einer ranzigen und dreckigen Gasse hin und her. Stumme Verletzte und Tote liegen an den modrig nassen Wänden der Gebäude. Die grob zusammengewürfelten Pflastersteine sind durchsetzt mit große Spalten und kleinen Anhöhen. Das Geräusch ihrer Stiefel wird aufgrund der Erhöhungen vom leichten Klacken der Beschlagung begleitet. Die junge Dunkelelfe, mit langsamen Schritt, tritt durch den scheinbar unendlichen Gang der Gasse. Ihr Ausdruck auf dem Gesicht wirkt erschöpft, als würde sie jeden Moment zum rasten umkippen wollen und doch bewegen sich ihre Beine stetig weiter, als würde sie von den seidenen Fäden eines Puppenspielers geführt werde. Allein der inne herrschende Wille trieb sie unermüdlich weiter. Als sich nach der schier unendlichen Geraden eine Kurve auftut, beginnt sich das Schritttempo automatisch zu erhöhen.
'Endlich die Abzweigung', waren die Gedanken die sich in Chalithra'xune auftaten und ein Gefühl von Erleichterung machte sich in ihrem Körper breit. Noch einige Schritte, die Abzweigung kommt immer näher, bald hat sie es geschafft.
Auf ihren feinen, elfischen Gesichtszügen liegen immer noch die kleinen roten Tropfen und benetzten sie, die einst strahlend weißen Haare wüst durcheinander und verdreckt. Man kann erkennen, dass diese Dunkelelfe, wie auch andere in dem Hauslosenviertel, welche nahe dem Tode waren, einen erbitterlichen Kampf hinter sich hatte. Noch bevor sie die Abzweigung und den Ausgang dieses trostlosen Viertels durchschritten, huschen die Bilder des Vergangenen immer wieder vor dem geistigen Auge entlang und reißen sie aus dem Jetzt. Als würde sie die Besinnung wirklich verlieren, verschwimmen die Konturen der Wände und schiefen Pflastersteine.
Die zuvor recht dunkle, düstere und teil unheimliche Umgebung wird durch den massiven, glänzenden Stahl durchzogen. Die Augenlider beginnen wie wild auf und ab zu schlagen. Leicht geblendet, beginnt sie erst nach und nach zu erkennen, was dort überhaupt vor ihr steht. Ihre Blick fällt aufmerksam über den prunkvoll gestalteten, goldenen Plattenpanzer. Die Augen beginnen an der hünenhaften Gestalt empor zu klettern, doch noch bevor sie das Gesicht erspäht, greift die große, in harten Leder eingehüllte Hand in ihre Richtung. Der Schock ist ihr ins Gesicht geschrieben, sie weicht nach hinten weg, flüchtet mit einem katzenhaft eleganten Sprung zurück, ehe sie innehält. Erneut versperrt ihr die mächtige Gestalt den Weg und jene Hand kommt wieder bedrohlich wirkend auf sie zu. Wie kann das sein, wie kann er überall sein? Rasch wendet sie sich mit einer Drehung auf dem Absatz des Stiefels herum.
Sie lässt sich nicht packen! Doch als sie sich herum dreht, merkt sie schon, wie sich die Finger um ihre Kehle herum legen. Der Druck nimmt ihr den Atem, das Weiß der Augen beginnt sich ein wenig nach vorne zu wölben, ihr Blick wird verschwommener. Eine weitere Gestalt betritt die Szenerie, viel filigraner, vertrauter. Der hünenhafte streift sein langes, edel anmutendes Schwert an der Flanke ihrers Begleiters entlang. Eigentlich nur ein kleiner Schnitt, aber das Blut schießt wie die Lava aus einem explodierenden Vulkan in alle Richtungen. Ein Regen des Blutes beginnt. Die Tropfen schlagen wie kleine Nadelstiche auf ihrem Gesicht ein. Unaufhaltsam prasselt das warme, feuchte Nass auf sie ein. Sie erstickt, bekommt keine Luft mehr. Die Schwemme auf ihrem Gesicht scheint nicht zu stoppen, immer weiter wird sie vom Blut benetzt. Der innere Schmerz durchzieht ihren ganzen Körper, nicht wegen einer Bindung zu ihm, sondern der Bedeutung für sich selber, diesen Begleiter vielleicht zu verlieren.
Er, der Begleiter, Val'Tluth, war ein angesehener, erfahrender Faern des ansässigen Quellar del'Nolreth, das erste Haus in Shantynnlan. Bekannt und gefürchtet unter seinen Feinden und vermeintlichen Nicht-Feinden. Die Manipulation, das Ebenbild der Drowgesellschaft, vermochte er in seinen magischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen. Sein Metier war jedoch vielschichtiger, er befasste sich mit den Aspekten der Magie, welche die Elfe nicht einmal begreifen konnte. Doch das wichtigste an ihm war die Tatsache, das er sich um die junge Dunkelelfe kümmerte und das bereits solange sie denken kann. Auch wenn sie nicht offiziell in seinen Kreisen verkehren durfte, sondern in die Slums geschickt wurde.
Ja, sie war eine Hauslose. Unbedeutend und ein Niemand für die Gesellschaft. Schlachtvieh, wenn sie es nicht schaffen würde sich vor der dunklen Mutter zu beweisen, Ansehen zu mehren, Taten folgen zu lassen. Sie selber war ein Nichts, Überbleibsel einer toten Familie, soweit sie weiß. Einzelne Bruchstücke aus ihrer früheren Vergangenheit waren nur spärlich vorhanden. Ihre Erzeugerin diente wohl in der Kirche der dunklen Mutter. Eine spärliche Erinnerung an eine Halskette ist das einzige was diese Annahme berechtigte und die Tatsache, dass sie diese bei den Priesterinnen im Tempel bei späteren besuchen bemerkte. Der Erzeuger, keine Informationen. Als Charlithra'xune noch sehr jung war, wurde sie in die Akademien fort gegeben, man hat sie in Unkenntnis gelassen. Nur eines war klar – ihre Herkunft wurde ausgelöscht, sicher mit einem Grund. Die Gesellschaft der Dunkelelfen ist im ständigen Wandel, nichts ist beständig.
Es war dieses eine Männchen, welcher vielleicht erkannte, das diese junge Dunkelelfe zu mehr im Stande war, als sie selber überhaupt bemerkte. Vielleicht auch nur, damit er sie für seine Zwecke benutzen kann - dies war wohl wahrscheinlicher. Genaue Gründe wurden wie immer nicht genannt, es wurde schlicht akzeptiert und ein eigener Vorteil von dieser Vorzugsbehandlung erkannt. Er sprach nie über ihre Vergangenheit, hüllte einen Mantel aus Schweigen um dieses Thema.
Ein Ruck durchgeht den filigranen Körper, sie holt sich zurück in das Wirkliche. Die Konturen der Umgebung werden wieder deutlicher und ein tiefer Atemzug reißen die Gedanken wieder los. Sie befand sich am Boden, war schlussendlich doch zusammen gesackt. Nur mit Mühe konnte sie sich wieder aufstemmen, musste sich einmal halt an einer der schimmligen Mauerwände suchen. Doch setzte ihren Weg fort, nach der Abzweigung entkam sie endlich den Slums der Stadt.
Vor den tiefgrünen Augen machte sich Shantynnlan in seiner düsteren, magischen-glimmender Fassade breit. Doch war die Stadt in Aufruhr, die Schreie aus einzelnen Gebäudekomplexen drangen gleich als sie aus dem Viertel kam an die Ohren. Anscheinend hat das erste Haus nun vollends die Kontrolle verloren, kein Wunder, bei der Niederlage die sie alle ereilt hatte. Trotz ihrer körperlichen Schwäche und der Gefahren die überall lauerten setzte sie ihren Weg fort, direkt am Narbondel vorbei zur Sorcere. Sie musste nach dem Faern sehen, sicher vergewissern welcher nächster Schritt für sie der Richtige war. Sie war mittlerweile soweit, das es ihr vielleicht möglich werden würde, sich dem Haus anzuschließen. Doch in der jetzigen Situation wäre dies undenkbar.
Schweren Schrittes stieg sie die Stufen empor, bahnte sich ihren Weg durch den Irrgarten an Korridoren, bis zur Kammer des Faern. Er war alleine, hing in seinem Stuhl vor dem Fenster, erschöpft und kraftlos und starrte auf die chaotische Stadt herab. An seinen schwermütigen Gesichtszügen, welche keinen Schmerz erkenntlich machten, war die Verachtung deutlich zu sehen.
Schweigsam begab sich die junge Dunkelelfe an seine Seite, starrte ebenso auf die Kluften in der Stadt herab. Truppen des ersten Hauses waren gerade dabei eines der Viertel auszumerzen, in denen weitere Kämpfe entbrannt waren. Die niederen Häuser erkannten ihre Chance, zettelten immer weitere Intermezzos an. Chalithra'xune selber wusste nicht viel über die Gründe, warum das erste Haus den Kampf an die Oberfläche brachte, einen offenen Krieg gegen die verhassten Vettern begonnen hat. Doch haben sie nicht nur einen schlafenden Riesen geweckt, dies war eindeutig. Sie verbrachten noch eine lange Zeit an dem Fenster, beobachteten was vor sich ging.
Der Faern, zwar verletzt, schien aber alleine durch seinen festen Willen durchzuhalten, wenn auch der Verband an seiner Brusthälfte eine ungute Färbung angenommen hat.
'Beweise mir, ob du gelernt hast, To'ryll Solen.'
Sie hasste es, wenn er dies tat. Sie auf ihre seltenen, ungewöhnlichen tiefgrünen Augen zu reduzieren. Sie erntete diesen Titel, wie ein Spitzname, zumeist nur wenn sie Fehler begangen hat. Mit einem ächtlichen Zischgeräusch machte sie sich daran die Handfläche über seine Wunde zu legen. Die spärlichen Fähigkeiten des Wirkens auszuprobieren, welche ihr der Faern in Stunden beibrachte, in denen sie alleine, fernab der Akademien waren. Es wurmte sie immer wieder, das sie auf diese Ebene des Wirkens begrenzt war. Ist sie doch als Frau eher dafür bestimmt ihre Kraft aus einer anderen Sphäre zu beziehen, doch soweit war sie noch nicht, soweit hat sie sich vor der dunklen Mutter noch nicht bewiesen.
Ihre Aufmerksamkeit riss sich herum, in den Augenwinkeln vernahm sie diesen kleinen Lichtpunkt, ganz am Ende der riesigen Höhle auf einem Vorsprung, welcher in wahnsinniger Geschwindigkeit sich zu einer Kugel ausdehnte. Der Faern wischte ihre Hand direkt beiseite, erhob sich instinktiv aus seinem Stuhl, als wäre die Wunde nicht vorhanden.
Für einen Moment trat eine beängstigende Stille in der Stadt ein, aller Kampfeslärm erstarrte. Wohl wurden alle Blicke zu diesem Ort gelenkt. Ein wenig verzögert begannen die kleinen, violetten Sphären in der Stadt anzuwachsen, die Schutzmechanismen der Stadt griffen zu.Doch löste sich bereits ein kleiner Faden aus der hellen Lichtkugel, schoss unaufhaltsam auf das glimmende Narbondel zu, welches genau vor ihrem Fenster ragte. Die kleinen, aufkeimenden Schutzsphären in seinem Weg wurden einfach zerrissen. Ein merklicher Ruck durchging ihre Seelen, als würden sie merken, das sämtliche Schutzmaßnahmen kollabieren, im Keim erstickt werden. In anderen Bereichen der Stadt schienen sie intakt und bauten sich immer weiter auf. Aber die Sorcere versagte, lag wie auf einem Präsentierteller vor diesem Strahl. Feine Linien bildeten sich auf dem Narbondel. Kleine, leuchtende Risse bahnten sich ihren Weg vom Punkt, an dem dieser vom Strahl getroffen wurde. Es wurde immer heller, als wollten sie ihn zum Bersten bringen.
Der Faern riss sich herum, packt Chalithra'xune am Arm und begann Formeln zu sprechen, seine Gesichtszüge so verkrampft, als würde er wissen das es jeden Moment zu Ende sein kann. Sein Blick legte sich in ihre tiefgrünen Augen, sie spürte wie ihre Körper langsam durch einen Sog eingezogen wurden. Doch bevor sie völlig versanken, fühlte sie in jeder Faser diesen Knall, die Erschütterung. Sein Griff war verschwunden, sie wurde davon geschleudert. Das letzte was ihr die Sinne raubte war dieses gleißende Licht, in gefühlter Unendlichkeit war sie geblendet, bis sie sich auf einem Höhlenboden wieder fand.
Ein langgezogenes piependes Geräusch machte sich in ihr breit, es umschließt alles. Der Kopf dröhnte, die Sinne komplett vernebelt, Erinnerungen an das was passierte schienen für den Moment weggewischt. Sie riss die Augen auf, japste nach Luft. Sie erstickt, die Haare klebten schweißgebadet an ihrem Gesicht, doch ist sie wach. Der ganze Körper schmerzte, die Haut war überzogen von diesen kalten feuchten Perlen.
Eine Silhouette beginnt sich vor ihr zu formen, das Augenlicht kehrte langsam zurück. Sie erkannte unbekannte Hausfarben und vernahm eine Stimme.
'Noch eine Hauslose.. Venduí Jalil.'
Nach einigen Augenblicken bemerkte sie, dass dies nicht Shantynnlan war und alles was sie kannte fort war, auch Val'Tluth.
Diese Reise durch die Portalebene war schmerzhaft und nicht gewöhnlich, dieser donnernde Knall klang noch Tagelang in ihrem Kopf umher und benebelt die sonst so feinfühligen Sinne.Die letzten Worten des Faern drangen immer noch in ihrem Kopf umher. An diesem neuen Ort galt mehr als zuvor die Tatsache, sich beweisen zu müssen. Natürlich wurde ihr nicht getraut, sie konnte ihre Geschichte kaum wiedergeben und benötigte viele Tage um überhaupt im Ansatz zu realisieren, was in ihrer Heimat passiert war. Doch war sie nun hier, in Sold'Orbb.