
Einige Stunden saß sie nun schon im Ritualkeller, zwischen der eingewickelten Leiche von Naeldir und dem Beutel und der Kiste, in welcher sich die Eluvrensplitter und das Herz aus seinem Leib befanden. Sie hatte das Herz immer wieder zur Hand genommen, hatte es untersucht, hatte versucht zu verstehen, wie es funktioniert und sich entsprechend Gedanken darüber gemacht, wie das neue Herz aufgebaut sein musste.
Immer wieder hörte sie das Knarzen der schweren Steintür, wenn Livius den Raum betrat um sich mit einem vergewissernden Blick zu erkundigen, ob sie Hilfe brauchen würde. Vermutlich irritierte es ihn, dass sie schon Stunden hier unten saß, ohne einen nennenswerten Fortschritt zu machen. Aber sie wollte den Aufbau eben verstehen und wollte, dass Ba'thals Herz genau so funktionieren würde, wie jedes andere auch, vielleicht sogar besser.
Letztendlich jedoch glaubte sie es verstanden zu haben und sie konnte mit den Vorbereitungen für das Ritual beginnen. Die letzten Tage über hatte sie Fokuskristalle, graviert mit den Wörtern der Macht, mit ihrer Kraft aufgeladen und viel Zeit zum Regenerieren in ihrer Kiste verbracht. Das letzte Mal, dass etwas Vergleichbares 'hergestellt' wurde, war während ihrer Geburt und dort wurden zwei Sternensplitter verwendet. Auf diese konnte sie nicht mehr zurückgreifen, ein Glück, dass das Herz viel kleiner als ihr eigener Körper war und auch nicht die exakt gleiche Funktion erfüllen musste. Er sollte 'nur' ein lebendiges, pumpendes Eluvrenherz werden. Dennoch brauchte sie mehr Kraft dafür, als sie auf einmal aus ihrem Kern ziehen konnte.
Der kleine Ritualkreis wurde wie gewohnt aus einer Mischung aus Drachenblut und Kreide gezogen, wobei sie sich alle Zeit der Welt ließ, damit er jegliche Unebenheiten vermissen ließ. Die aufgeladenen Fokuskristalle platzierte sie an den entsprechenden Stellen und schließlich fand der große Eluvrensplitter, den Armon besorgt hatte, seinen Platz im Zentrum. Eine letzte Besonderheit fehlte und auch um diese hatte sie sich schon ein paar Tage im Voraus gekümmert, damit sie genügend Zeit hatte sich davon zu regenerieren. Die mehr wabernde Flüssigkeit, wie flüssiger Nebel, in einem hell schimmernden Ton, fast ein wenig grünlich, befand ich in einer kleinen Schale und wurde neben den Eluvren platziert. Ein bisschen dieser besonderen Flüssigkeit hatte sie auch im Ritualkreis selber verarbeitet, es würde dennoch reichen, um das Ritual zusätzlich beachtlich zu verstärken. Livius mochte ihre Entscheidung nicht... aber das hielt sie nicht davon ab. Die Substanz war einzigartig, so wie das Eluvrenherz einzigartig sein würde.
Sie hatte zwei kleine Beutelchen mit getrockneten Alraunewurzeln und Schwarzen Perlen bei sich – ohne diese beiden Komponenten würde es vermutlich schwierig werden die Energien, die hier gebündelt werden würden, in dem Ausmaß zu nutzen und zu lenken.
Es war so weit. Sie ließ sich in ihrer ursprünglichen Gestalt am Ritualkreis nieder, es würde kein Fünkchen Energie aus ihrem Kern unnötig verschwendet werden und schloss die Augen.
In gewohnter, routinierter Weise konzentrierte sie sich auf die Kraftquelle in ihrem Inneren. Wie viele andere Drachen brauchte sie keine Kraft aus der Astrealebene zu ziehen, sie selber war die Kraftquelle ihrer Magie. Sie bündelte und webte sie, speiste sie in den Ritualkreis und griff dabei ebenso auf die geladenen Fokuskristalle, sowie die Reagenzien zurück. Sogleich fühlte sie das feine Knistern im Gefüge, als die geballte magische Kraft im Raum sich auch dort bemerkbar machte.
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Die kehligen, fast knurrenden Worte der Drachenmagie kamen deutlich über ihre Lefzen und sogleich spürte sie das feine Vibrieren innerhalb des Ritualkreises. Es war das erste Mal, dass sie mit jener besonderen Substanz wirkte und sie fühlte den verstärkenden Effekt sofort. Es war anstrengend die Energien zu lenken, viel anstrengender als erwartet und für einen winzigen Moment hatte die Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war -so viel- Energie zu nutzen. Der Eluvrenkristall, er sollte ein Herz werden. Die Energien mussten dort hin und sich nach ihrem Willen formen.
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Sprach sie erneut, während sie sich auf den Eluvrenkristall in der Mitte fokussierte, sowie der Schale mit dem flüssigen Nebel. Ein Schimmern und Knistern erfasste schließlich den Eluvrenkristall, der sich unter ihrem Willen und der angesammelten Kraft zu formen schien und dabei Flüssigkeit aus der Schale zog.
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Die Fokuskristalle bekamen unter einem widerlich knackenden Geräusch Risse, als würde sie der Kraft nicht mehr standhalten können, während der Eluvrensplitter noch immer seine Form änderte. Nach und nach, langsam aber stetig, als wäre es ein außerordentlich zäher Prozess. Der kleine Kristalldrache kauerte am Kreis und versuchte mit allen Mitteln den Energiefluss aufrechtzuerhalten und in die korrekte Bahn zu lenken. Ein Herz. Ein Herz. Ein Herz.
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Die Fokuskristalle zersprangen mit einem lauten Knall in winzige Splitter und mit einem Schlag entlud sich auf der letzte Funken an Kraft auf den Eluvrensplitter. Ein Herz. Ein Herz. Ein Herz. Das war der einzige Gedanke, der einzige Wille der in diesem Moment noch im Kristalldrachen herrschte und schließlich konnten die gebündelten Energien nicht mehr länger gehalten werden und mit einer Druckwelle zerstreuten jene sich im Ritualraum. Shira'niryn taumelte nach hinten, fühlte die leere und die Schwäche ihrem Kern ergreifen und doch war das Erste, was sie tat, den Gegenstand in der Mitte des Kreises zu betrachten.
Da lag es. Ein perfektes Herz aus Eluvrenkristall, lebendig, pumpend... nur darauf wartend, einen Wirt zu bekommen. Erleichterung schwappte wie eine kleine Welle über sie und vorsichtig nahm sie das lebendige Kristallherz in ihre Krallen. Kleine Korken, die sie vorbereitet hatte, wurden aus einem Beutel genommen, damit die Zugänge des Herzes versperrt werden konnten – die wabernde Flüssigkeit, der lebendige Magieverstärker, der in das Herz gefüllt wurde, sollte nicht einfach wieder hinauslaufen können. Das durfte er erst, wenn es im neuen Körper eingesetzt wurde.
Es war fertig.
So erleichtert hatte sie sich lang nicht mehr gefühlt, was sicherlich auch mit der Schwäche einher kam, die sie spürte. Sie fühlte sich ausgelaugt, ihre Glieder und ihr Kern schmerzten, aber das war es wert gewesen. Vorsichtig wurde das Herz in eine kleine, gepolsterte Kiste gelegt – dort wurde es vor sich her pumpen, bis der Tag des großen Auferstehungsrituals gekommen war. Sie brauchte nun erst einmal dringend ihre Kiste und als hätte Livius alles beobachtet, kam er in den Ritualraum und den kleinen Drachen auf die Arme zu nehmen, um ihn den Weg bis zur Kiste zu tragen, wo sie sich ausruhen konnte. Sie konnte keinen Schritt mehr machen.