Ein neues Territorium

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Urraca
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Ein neues Territorium

Beitrag von Urraca »

Ein Moment der Stille kehrte ein, nachdem die Häuptling Urracas Strafe vor dem Rat verkündete. Es waren viel zu viele Amazonen im viel zu kleinen Zelt, manche standen mit verschränkten Armen, andere saßen, doch alle hatten ihren Blick auf die Häuptling gerichtet - und allen war viel zu heiß im Zelt.
Jemand hustete.
Wieder Stille.
"Öhm", sprach dann endlich jemand, "das ist ja jetzt nicht wirklich eine Strafe."
Die Häuptling konnte das Gesicht der Sprechenden in der kleinen, dicht gedrängten Menge nicht ausmachen, spürte aber, dass ausgesprochen wurde, was wohl so auch in einigen anderen vorging.
"Was, echt? Ich find's schon ziemlich hart für das, was sie getan hat."
Wieder konnte sie die Sprechende nicht sehen, spürte aber, dass auch dies dem entsprach, was viele dachten. Es brach ein wildes Geschnatter los. In ihren jungen Jahren hätte die Häuptling das verunsichert, sie hätte befürchtet, die Gemeinschaft würde gespalten - doch nach nun mehr als 60 Lebensjahren war ihr klar, dass Meinungsverschiedenheiten nicht dramatisch waren, ja sogar gesund. Und sie konnte es nicht allen recht machen, hier gab es nur einen Kompromiss.
"Wir haben bereits gemeinschaftlich entschieden, dass sie eine mittelharte Strafe bekommen soll", sprach die Häuptling bedeutungsschwer, beide Hände beschwichtigend erhoben. Kurz ebbten die Diskussionen ab, da rief jemand: "das ist ja wohl 'ne sau harte Strafe!", worauf eine Priesterin nun ihre Stimme erhob: "Es ist entschieden, wir werden sie zu einem anderen Stamm schicken." - "Wir können sie wohl kaum alleine gehen lassen!", kam als Antwort. Die Priesterin atmete kurz durch und ließ sich weiter darauf ein: "Sie ist 25, sie wird klarkommen!" - "Sie ist 34 und wir können hier doch nicht auf sie verzichten!".. Hilfesuchend wandte die Priesterin ihren Blick zur Häuptling. Diese seufzte und rieb sich die Stirn. Diese Stimme aus der Menge, sie kam ihr nur zu bekannt vor.
"Urraca, lass das. Du warst zu diesem Treffen gar nicht eingeladen."
Damit erhob sich Urraca wie eine aufblühende Blume hinter einer sitzenden Schwester, verneigte sich wie eine Bardin nach einem Lied - zur Verärgerung der Häuptling klatschten und kicherten sogar einige darauf - und verließ das viel, viel zu warme Zelt.
"Wer hat sie geboren, von der sie diese sture Art und die Unfähigkeit, irgendetwas ernst zu nehmen, hat?", flüsterte sie einer Priesterin zu.
"Du", kam als knappe Antwort.
Die Häuptling hatte das befürchtet, aber es erklärte doch so einiges. "Ja gut", wandte sie sich dann an alle, "Morgen findet die Verabschiedung statt."
Und damit konnte sie dieses Kapitel endlich schließen.
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Urraca
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Re: Ein neues Territorium

Beitrag von Urraca »

"Ich liebe dich, du machst mich unglaublich wütend, ich werde dich vermissen!" waren die drei häufigsten Kommentare, die Urraca an jenem Abschiedstag gehört hatte. Nur einmal jedoch hatte sie alle drei in einem Atemzug von einer Person gehört - weshalb sie erst einen Moment lang blinzelte und den Kopf schräg legte wie das Tier, nach dem sie benannt war.
"Entschuldige dich doch einfach und bleib hier", führte die Schwesterfreundin weiter aus. Urraca schüttelte den Kopf.
"Ich kann nicht. Es wäre nicht das Richtige.", sagte sie, während sie den letzten Riemen an ihrer Satteltasche festzog. Bereit für die Reise ins Ungewisse, nur sie und ihr treuer Vierbeiner.
"Das Richtige wäre, für das eigene Verhalten Verantwortung zu übernehmen und sich zu entschuldigen. Du bist nicht die erste Amazone, die das gemacht hat, du wirst nicht die letzte sein, es ist doch alles in Ordnung!", ließ ihre Schwester nicht locker, sie konnte ihre Frustration dabei nicht verbergen. Sie wollte nach Urracas Hand greifen, doch diese legte sie eilig auf ihre Pferdes Mähne.
"Ich würde es wieder tun", murmelte Uracca müde während sie sich auf das Pferd schwang. "Ich werde es wieder tun."
"Glaubst du, du kannst das in deinem neuen Stamm auch tun? Was du uns, deinen Schwestern angetan hast, auch erneut deinen Schwestern anzutun?", nun sprach da der wütende Teil in der Schwester.
"Ich werde tun, was ich für richtig halte.", Urraca blickte in die Ferne, "etwas anderes kann niemand wollen. An'tio!"
Und mit diesen Worten brauste sie auf ihrem Pferd davon, bis sie, als sie fast an ihrem Ziel angekommen war, einen Berg hinab und vorm Pferd fiel und sich "halb hinüber" auf eine kleine Oase mit einer Heilerin schleppte... ihr Gedanke während des Aufpralls war jener bedauerliche, dass sie vermutlich nie wieder reiten können würde und somit keine richtige Amazone mehr sein...Dann wiederum, wie sehr kann man Amazone sein, wenn man sich bei einem Reitunfall beinahe alle Knochen bricht? Wie sehr Amazone ist man, wenn einem überhaupt ein solcher Scheiß passiert?
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Urraca
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Re: Ein neues Territorium

Beitrag von Urraca »

Urraca hat geschrieben: 13 Mai 2023, 01:11 ... ihr Gedanke während des Aufpralls war jener bedauerliche, dass sie vermutlich nie wieder reiten können würde und somit keine richtige Amazone mehr sein...
Vor ihrem Sturz waren ihre Gedanken überall in der Wüste verteilt. Nur nicht auf dem Rücken ihres Pferdes.
Entschuldigen? Wofür denn? Dafür, alles richtig gemacht zu haben, unschuldig zu sein, im Recht zu sein?
Normalerweise gab es für Urraca nur zwei Arten, Probleme zu lösen: die eine war, das, was sie quälte, an die Ränder der Welt zu treiben und ihm dort den Speer ins Herz zu stoßen, ihm beim Sterben zuzusehen und dann eine Trophäe mitzunehmen. Die andere war einfach nur irgendeinen schlechten Witz zu machen und mit dem Tagewerk weiter zu machen.
Damit waren doch eigentlich alle Probleme abgedeckt, für alles gab es die eine oder die andere Lösung!
Aber warum nicht hier? Warum war es nicht einfach? Hatte sie denn wirklich richtig gehandelt? Hatte sie sich verrannt? Hatte sie ihren Schwestern unnötiges Leid zugefügt? Sollte sie sich vielleicht selbst einen Speer ins Herz stechen?
War sie durch ihre Strafe nicht geläutert, gereinigt, egal was war? Warum heulte ihr Herz dann wie ein Steppenwolf? Warum hörte das nicht einfach auf?
Und wie als Antwort darauf, wie als Androhung, dass es zu einem Ende kommt, kam ihr Pferd ins Straucheln...
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Urraca
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Re: Ein neues Territorium

Beitrag von Urraca »

Die Häuptling stand mit einer Priesterin auf einer Anhöhe und blickte der davonreitenden Schwester nach. 
"War es die richtige Strafe?", fragte sie halb die Priesterin und halb sich selbst. Weiter unten standen noch einige Amazonen und trockneten sich gegenseitig ihre Abschiedstränen. 
"Sie wäre ohnehin irgendwann gegangen."
Einen Moment lang schwiegen die beiden. 
"Also war es doch keine wirkliche Strafe? Und sie wird sie wird nichts daraus lernen?" 
"Keine Strafe der Welt und allen anderen, Häuptling,", sagte die Priesterin in ernstem Ton, "hätte dafür gesorgt, dass Urraca irgendetwas lernt." 
Damit drehten sich die beiden um. Es gab schließlich noch Wichtigeres zu tun als über die Probleme anderer Stämme nachzudenken. 
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