Das Gewitter, welches sich über dem im Sturme schwankenden Schiff erbrach, war so gnadenlos wie jene, die den jungen Nekromanten seit unzähligen Monden festhielten. Nach endlos scheinender Zeit wurde er aus dem Verlies geholt und mit anderen wie ihn auf See geschickt. Das Warum war nebensächlich, doch diese unverhoffte Abwechslung war für Rax mehr als nur ein Segen.
Eingesperrt unter Deck saß er da, dem Knarren des Holzes lauschend. Er merkte, dass die immensen Kräfte, die die seinen seit seiner Ankunft auf der Insel unterdrückten, mit jeder Seemeile weiter wichen. Kaum begannen sich erste erste Gedanken an seine Fähigkeiten zu formen, spürte er etwas. Etwas vertrautes auf einer Ebene, die schon so fern und vergangen schien, doch nun im wahrsten Sinne wieder aufflammte.
Die grünlich-rote Flamme loderte vor seinen Augen, denen er kaum trauen wollte. Das Pergament fiel in seine nun so ausgestreckten Hände, als erhielte er die Botschaft eines Gottes selbst. Und so fern von seiner Wahrheit war dies für ihn nicht...
Ein schmerzliches Lächeln überzog sein Gesicht. Nicht nur die See selbst, sondern nun auch die eigenen Emotionen wüteten wie ein Sturm, ließen seine Hände bitterlich zittern. Ihm wurde bewusst, dass seine „Verlegung“, oder was auch immer gerade passierte, die Chance war, auf die er so lange gewartet hatte. Doch besaß er weder Runen noch Reagenzien, auch wenn seine Fähigkeiten nicht mehr unterdrückt zu seinen schienen.
Welle um Welle knarzte und knallte es gegen das Schiff. Hängende Laternen fielen nach und nach zu Boden, das Metall der Zellen wurde vom sich im Sturm windenden Schiff zum Singen gebracht. Nachdenklich auf den Boden starrend bemerkte Rax, wie sich mit jeder dieser Bewegungen ein Teil der Zelle bewegte. Eine am Boden befestigte Eisenstrebe hob sich ab und an etwas an und hebelte dabei die Nägel aus dem Holz, die den Käfig einst noch unzertrennlich mit dem Schiff verbanden.
Als auch die letzte Laterne dem Sturm zum Opfer fiel, legte sich die pure Dunkelheit auf die Augen jener unter Deck. Doch plötzlich brach ein kurzer, schwacher Lichtschein durch die Öffnungen des Decks. Immer wieder, im gleichen Abstand, doch stets etwas heller als vorher. Spätestens beim ersten Krächzen einer Möwe, welches es durch die Geräusche des Windes schaffte, wurde Rax klar, dass sie sich einem Hafen näherten.
Reges Treiben herrschte auf dem Oberdeck, die Mannschaft wohl mit aller Kraft versuchend, das Boot anzulegen. Die Klappe zum Unterdeck öffnete sich und eine verfüllte Gestalt, so wie Rax sie seit Tag eins kennengelernt hatte, starrte in die Dunkelheit hinab. Der Wind und das Schaukeln brachte die Person fast aus dem Gleichgewicht, als diese eine Laterne mit unnatürlich rötlichem Licht hervorholte und langsam, immer wieder stolpernd nach unten stieg.
Ein prüfender Blick in jede Zelle wurde geworfen. Doch plötzlich knallte es laut: das Schiff stieß unsanft an die Landungsbrücke. Die Aufruhr ober Deck war trotz des tösenden Windes nicht zu überhören. Unten hielt sich die Gestalt mit einer in Leder gehüllten Hand noch gerade so an den Gittern von Rax Zelle fest, um nicht hinzufallen.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen und die Sandkörner der Weltuhr ihren Weg zu pausieren. Die Gestalt sackte mit einem kurzen Röcheln zu Boden und wand sich unter Schmerz und Krämpfen. Die nun liegende Laterne leuchtete nun nicht mehr nur auf den von See- und Regenwasser durchnässten Boden, sondern auch auf die sich stetig vergrößernde Blutlache.
Der mit aller verbleibenden Kraft in den Körper gerammte Eisennagel saß genau da, wo Rax ihn haben wollte. Seine Möglichkeit, Magie zu wirken, war ihm zwar genommen, doch seine Erkenntnisse aus der menschlichen Anatomie konnten sie ihm nicht rauben. So bohrte sich das Metall durch jene Wege, die nicht nur dem Blut den Weg bereiten, sondern auch des Geistes Behausung ist.
Das Blut pumpte so nicht nur aus der Wunde, sondern auch durch Rax‘ Herz. Adrenalin durchflutete ihn und sein Geist war wieder so geschärft wie vor seinem missratenem Abenteuer. Mit aller Gewalt wurde die noch immer Qualen leidende Gestalt an die Zelle herangezogen und um den Schlüsselbund erleichtert. Kaum war die Zelle offen begann Rax ohne jedwedes Zögern die Robe des Menschen an sich zu reißen. Die Wache umklammerte noch das Fußgelenk des Magiers, der mit aller Gewalt seinen freien Hacken auf den Unterarm des Wärters herunterbrachte. Das Geräusch eines brechenden Astes gingen im tobenden Sturm unter, genau wie das Röcheln aus dem weit offen stehendem Munde der Wache.
Die Kapuze tief im Gesicht ging Rax die Treppe hinauf. Die Besatzung vertaute das Schiff, konnte sich aber kaum auf den Beinen halten. Das Wetter war so unerbittlich wie seine Wut, doch dies war nicht der Ort und nicht die Zeit. Das Schiff lag nun neben vielen anderen in einem augenscheinlich großen Hafen. Während alle an Backbord die Taue festmachten ging Rax in schnellen Schritten auf die andere Seite. Ohne Blick zurück, wohl wissend das dies seine einzige Möglichkeit sein wird, sprang er nach unten ins Wasser, zog sich auf den dortigen Anleger und humpelte in Begleitung des tösenden Windes in die Stadt, einen Weg nach Hause suchend.
