Er saß wie so oft dieser Tage etwas abseits der anderen und brütete über das Kommende. Bar Gorl war gefallen, der Kampf darum war hart und zäh gewesen. Sie hatten um jeden Schritt gekämpft, waren aber dennoch immer weiter zurückgedrängt worden. Die Rufe nach Verstärkung oder die zahlreichen Rufe zum Rückzug hallten noch in seinen Gedanken wieder. Begleitet von einem tiefen Brummen setzte er sich anders hin, beuge sich nach vorn und sah das kleine steinerne Messer in seiner Hand an. Die feinen Linien, die Zwergenruenen, auf die ihn erst Rugald aufmerksam gemacht hatte, aufmerksam betrachtend. Nun, da er anders saß, wandte er sich auch anderen Gedanken zu, am gestrigen Tag hatte er sich mit Skadi unterhalten und zusammen hatten sie Rostanker und die Greifeninsel besucht.
"Vielleicht sollten wir davonziehen..." Erinnerte er sich an Skadis Worte.
"Wohin willst ziehen, zurück in de Heimat? Zur Dornlandebene?" Hatte er ihr darauf geantwortet.
"Was is de Dornlandebene?" Wollte die Hathran dann von ihm wissen.
"Meine Heimat, en Ebene am Fuß des sieben Gipfel Gebirges."
"Deine Heimat würde ich gern sehen..." waren Skadis letzte worte und diese schickten seine Gedanken auf eine Reise.
Der Tag, an dem er das Land betreten hatte, war im Grunde ein gewöhnlicher Tag, vielleicht etwas Wolkenverhangen, aber recht Windstil und Trocken. Das Holz des Anlegers knarzte unter seinen Schritten als er vom Schiff stieg und die Stadt betrat. Ansilon, wie ihm einer der Schiffsleute verraten hatte, eine Stadt, in der es wuselte und er sah allerhand sonderbares. Wie eine Echse auf zwei Beinen, die ihn in Größe noch um einen guten Kopf überragte. Er verstand die Handelssprache gut genug, um sich eine Richtung zu erfragen und erfuhr von Grimlas Hain, einem Dorf im Norden, wo andere seines Blutes lebten. Wenige Tage nach seiner Ankunft machte er sich auf und schnell fand er den Weg. Eine ehemalige Ruine, deren Häuser geflickt worden waren, um neuen Bewohnern eine Unterkunft zu bieten. Ein hochgewachsener Mann, der eine Bärenmaske trug, hieß ihn als erstes willkommen. Gromtar hatte er sich vorgestellt, der später zu einem guten Freund wurde.
Wellenreiter in Stürmischer See
Dies alles kam ihm so weit entfernt vor und so lange her, dabei war es höchstens drei oder vier Jahre her. Der Tag seiner Ankunft in Ansilon war ein ruhiger gewesen, aber die Reise über das große Wasser war alles andere als ruhig. Er erinnerte sich an schweren Seegang, der seinen Magen umdrehte und ihm Übelkeit und Schwindelgefühl bescherte. Rückblickend war nicht jeder Tag, den er auf der Wellenreiter verbrachte, einer mit stürmischem Seegang. Es war ihm nur stärker in Erinnerung geblieben als die ruhigen Tage, in denen das Schiff dahinglitt. An diesen Tagen verbrachte er seine Zeit damit über die Reling gebeugt zu lehnen, fast wie ein nasses Tuch, das zum Trocknen aufgehängt worden war oder schlafend, irgendwo in den Eingeweiden des Schiffes. Während der Überfahrt hatte er jegliches Zeitgefühl und seine Orientierung verloren. Allerdings wusste er von einem Gespräch mit einem Matrosen am Anfang der Fahrt, dass sie bei gutem Wind etwa zwei Monde auf hoher See verbrachten. Sein Ziel kannte er natürlich und er hatte auch eine grobe Vorstellung von der Richtung. Etwa zwei Monde also in Richtung Südwesten, was bedeuten würde, er wäre erneut etwa zwei Monde in die entgegengesetzte Richtung, nach Nordosten unterwegs, wenn er zurückwollte.
Handelsstadt Holgrad
Er dachte an den Tag zurück, an dem er die Wellenreiter betreten hatte, kurz zuvor war er in Holgrad angekommen. Ein kleines Holzfort, das vom Fischfang lebte und dem Handel mit den wenigen Schiffen, die dieses weit nördlich gelegene Hafendorf erreichten. Die Wellenreiter, ein bauchiges, wenig elegantes Schiff, das seinen Namen auf den ersten Blick zu Unrecht trug, lag dort schon eine Woche vor Anker und sein Kapitän hatte es eilig wieder abzulegen. Er war gerade noch rechtzeitig gekommen, um an Bord zu gehen. Diese ersten Tage auf See hatten ihm noch nicht so sehr zugesetzt, denn sie waren etwa einen Zehnttag an der Küste entlang nach Süden geschippert. Dort hatten sie einen etwas größeren Hafen als es Holgrad war erreicht und dort angelegt. Kap Trübsicht hieß der Ort und hatte seinen Namen wohl vom häufigen Nebelaufkommen. Sie verblieben in Trübsicht nur eine Nacht und füllten Vorräte für die weite Überfahrt auf. Als sie am Morgen ablegten, steuerte der Kapitän direkt aufs offene Meer hinaus und wenig später begann seine Tortur, da schon am zweiten Tag der Seegang laut dem Kapitän
„Etwas Kabbelig" wurde. Er fand die Beschreibung
„Etwas Kabbelig" hatte sich viel zu harmlos angehört für das schaukeln und bocken, das ihn erwartet hatte.
Kap Trübblick
Bevor er Holgrad, erreicht hatte, das Fischerdorf, an dem er das Schiff bestiegen hatte, das ihn nach Ansilon gebracht hatte, war er viele Zehnttage durch Wälder und Ebenen gewandert. Auf seinem Weg von Norden her hatte er Städte und Dörfer umgangen und war für sich geblieben. Die Wildnis war weitläufig und hatte sich auf seinem Weg oft gewechselt. So war er an Moore, Seen, Flüsse, Wälder, eine ausgedehnte Tundra und mehrere kleinere Steppen vorbeigekommen oder hatte sie durchwandert. Die hohe Bergkette in seinem Rücken wurde dabei auf seinem Weg zusehends kleiner als er immer weiter in den Süden vordrang. Das Gebiet, aus dem er stammte, wurde von den Einheimischen, Dornlandebene genannt. Ein karges und baumloses Hochland, das am Fuße einer Gebirgskette lag, die sieben Gipfelgrat genannt wurde. Sein Heimatdorf hieß Kovaglenn oder auch Tal des großen Bären.
Kovaglenn, das Tal der großen Bären
Wenige Tage vor er aus Kovaglenn aufgebrochen war, hatte er einen sich aufgemacht einen der Gipfel des sieben Gipfelgrates zu erklimmen. Es hieß, dass dort irgendwo Sarmatijasch geboren worden war und dass der höchste Gipfel, das Dach der Welt, jener Ort war, an dem der Urvater einst drei Tage und vier Nächte verbracht hatte. Dieser Gipfel war unter seinem Volk ein heiliger Ort und viele pilgerten dort hin, um selbst einige Zeit in Gedanken zu verbringen, um vielleicht Antworten zu finden. Hier, auf dem Dach der Welt hatte er den Entschluss gefasst auszuziehen und weite Länder zu bereisen und eben zu diesem Ort war er nun in seinen Gedanken gereist. Es kam ihm vor, als blickte er in die Vergangenheit und Zukunft zugleich. Womöglich war es das klügste, zu seinen Wurzeln zurückzukehren und diese Lande hinter sich zu lassen. Er rief Erik zu sich und mit wenigen, ruhigen Worten schickte er ihn aus, um eine Nachricht zu überbringen...
Dach der Welt
