Auf schwarzen Schwingen

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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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"In grauer Finsternis stand ich verlassen,
Bewegungslos und schauernden Gebeins;
Ich fühlte kalt und mein schlagend Herz erfassen,
Und ein entsetzlich Auge sank in meins.

Ich floh nicht mehr; ich fesselte das Grauen
Und fasste mühsam meines Auges Kraft;
Dann überkam vorahnend mich Vertrauen
Zu dem, der meine Sinne hielt in Haft."

Theodor Storm

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Vollendetes Werk

Schwer lag der Gestank von Blut und Verwesung im Keller der Magieakademie zu Surom. Ein Haufen von Kadavern gefallener Harpien, teilweise gestapelt auf einer Schubkarre, teilweise hinuntergerutscht und auf den Bpden liegen. Die einstigen stolzen Schwingen wie zerfetzte Banner, das Gefieder stumpf und trostlos, die Augen kaum mehr als milchig trübe Spielmurmeln. Über allem lag das monotone Summen der Fliegen und die trügerische Kälte des beginnenden Abends.

Die Schwarzhaarige trat mit langsamen Schritten an diesen Haufen heran, sie hätte diesen Moment lieber für sich allein gehabt, fern von neugierigen Blicken und doch versuchte sie eine selbstbewusste äußere Erscheinung aufrechtzuerhalten. Unter der Fassade ruhiger Kontrolle nagte jedoch eine nervöse Spannung an ihr, genährt von dem ständigen, stichelnden Schnattern der Elster in ihrem Inneren. Jede Silbe des Spottes schnitt tief, rief Zweifel und Selbstvorwürfe hervor, doch Aastha zwang ihre Miene zur Ruhe. Kein Zittern, kein Zögern durfte sichtbar sein, nicht vor den anderen. Entschlossen, jeglichen Makel zu vermeiden, hielt sie an dieser äußerlichen Kälte fest, bis sie selbst begann, sie zu glauben.

Ohne Zögern griff sie nach den Beinen einer der Harpien und begann, den schweren, starr gewordenen Körper von den anderen fortzuziehen. Das Geräusch des schleifenden Fleisches über Stein schnitt durch die Stille. Mühsam, aber unbeirrbar, schaffte sie es, den Kadaver zu separieren. Dann ließ sie ihn mit einem dumpfen Schlag fallen und schnaufte.

Hinter ihr erklang Katherines ruhige Stimme, die sich an die anderen Anwesenden gewandt hatte - ein Hintergrundflüstern für die Nekromantin, die sich versuchte zu konzentrieren.

»Aastha wird nun zuerst ein Ritual vorführen. Ein Ritual zur Erschaffung eines nekromantischen Dieners.«

Die Finger der Schwarzhaarigen tasteten bereits nach der Flasche in ihrer Tasche. Der Korken löste sich mit einem trockenen Knacken, und der metallische Geruch von Blut breitete sich aus. Mit sicherer Hand goss sie die rote Flüssigkeit in einem gleichmäßigen, formschönen Kreis um den toten Leib. Tropfen glitzerten im Licht der Fackeln, als sie zu einer geschlossenen Linie zusammentrafen. Im Blut, vor allem jenen der Dämonen oder Drachen, lag eine magische Kraft, an der sie sich bedienen wollte. Ihre Finger tauchten sich erneut in das Blut und begannen, Runen zu zeichnen, die mit dem Kreis verbunden wurden, sie sollten dem Bannkreis ein Konstrukt geben, an dem sich die Kraft halten konnte. Eine Richtung die gewiesen wurde, ein Anker der gegeben wurde.

Mit ruhiger Hand vollendete sie das Muster, wischte das getrocknete Blut achtlos an ihrem Mantel ab und richtete sich auf. Ein tiefer Atemzug. Dann ein zweiter. Ihre Schultern spannten sich, und für einen Moment stand sie einfach da - still, konzentriert, mit der Absicht, die innere Ruhe zu finden, um ihren Willen zu formen.

"Konzentrier dich, Diebin." Klapperte die Elster in ihr, mit einem giftigen und verhöhnenden Unterton. "Oder willst du vor den Augen aller scheitern? Denkst du wirklich, dass es dir gelingen wird?"

Ein Zucken huschte über ihre Lippen, doch sie ignorierte die Stimme, versuchte die schattenhafte, dunkle Präsenz in ihrem Inneren zur Seite zu schieben, was ihr allerdings nur bedingt gelang.

»Ich aktiviere zuerst den Bannkreis.« Erklärte sie ruhig gegenüber Katherine, deren wachsamen Blick sie auf sich lasten spürte, wie ein schwerer Sandsack. »Die Sicherheitsmaßnahme. Dann widme ich mich der Erschaffung.«

Die Weißhaarige nickte nur und wich einen Schritt zurück. Aastha schloss die Augen, tiefes Durchatmen, das Sammeln ihrer Konzentration, das Ausstrecken ihrer Sinne, um die lose Kraft aus jener fernen Quelle für sich zu sammeln. Sie spürte sie … dünne, zitternde Fäden, die sich lösten und sich nach und nach sammelten und sich ihren Willen zu unterwerfen, die nötige Kraft, die sie so nach und nach sammelte und ballte, bis sie glaubte, dass es so weit war.

»In Jux Grav.«

Die zuvor gesammelte Kraft gab sie an den Kreis aus Blut, speziell die Runen weiter, immer mehr, wie um sie ordentlich zu füttern und aufzubauen. Optisch veränderte sich kaum etwas, doch Aastha fühlte ob der Nähe das Flirren der Kraft im Kreis, der Bannkreis, der sich nun wie ein Bogen aktiv spannte, um etwaige Gefahren im Inneren einzuschließen.

Ein kurzer Schauer durchfuhr sie, als ein Stückchen der Last ob des ersten Erfolgs von ihr abbröckelte. "Du hast Angst." Höhnte die Stimme in ihr. "Wie erbärmlich menschlich."

Sie atmete scharf aus und verkniff sie die Antwort, die bestimmt für Verwirrung bei den Anwesenden gesorgt hätte - denn keiner, keiner bis auf Sorsha, wusste um die Last, die sie in ihrem Inneren trug. Sie drängte die Präsenz wieder zurück und begann erneut sich zu konzentrieren, die Kraft zu sammeln, für den nächsten und letzten Schritt.

»In Corp Xen!«

Die Stimme dieses Mal klarer und streng, als würde sie damit ihren Willen eines Befehles gleich hinausbellen wollen. Die gesammelte Energie lenkte sie auf den Kadaver, der in der Mitte des Kreises lag, zusammen mit dem Willen, das, was dort entstand, nicht nur erschaffen, sondern auch unterwerfen zu wollen. Ein dunkles Leuchten breitete sich aus, das Blut des Kreises floss wie lebendig auf die Harpyie zu, zog in ihr Fleisch, tränkte Federn und Knochen. Ein widerwärtiges Schmatzen folgte, als Sehnen sich neu formten, Knochen knackten und sich wieder zusammensetzten.

Die Schwarzhaarige fühlte ihren Puls rasen, aufkeimende Aufregung, die sie versuchte zu unterdrücken. Kontrolle. Konzentration. Ruhe. Rief sie sich immer wieder in Erinnerung, während der Kadaver begann sich zu regen. Ein Flügel zuckte, dann ein zweiter und letztendlich stieß die untote Kreatur ein grässliches Kreischen aus. Ein nervöses Zucken ging durch die Finger der Nekromantin, doch letztendlich richtete sich ihre Erschaffung auf und starrte sie einfach regungslos, mit leeren Augen ab - abwartend, gehorsam.

Für einen Moment stand Aastha einfach nur reglos da, das Herz in der Kehle, bis sie sich wieder so weit gesammelt hatte. Sie atmete tiefer durch, schloss die Augen einen Moment, versuchte mit einem festen Griff in ihren Nacken das störende Geschnatter der Elster auszublenden. Katherines Worte und ihre Bewegung im Augenwinkel, als sie näher tritt, riss sie schließlich wieder aus dem Moment des inneren Kampfes.

»Hervorragend. Du hast ihr deinen Willen perfekt aufgezwungen und sie an dich gebunden.«

Der darauf folgende Applaus von Katherine und den anderen, nahm sie kaum wahr. Ihr Blick hatte sich noch nicht von der Untoten Harpyie gelöst. IHRE Schöpfung, geschaffen durch IHRE Macht.

"Deine Macht? Vergiss nicht, Menschlein, woher diese Macht eigentlich stammt…"

Der Spott der Elster führte zu einem leicht genervten Schnaufen, doch die Schwarzhaarige hatte Glück, dass bereits Aufbruchstimmung herrschte und Katherine die Anwesenden für die folgenden Schritte anwies. Die restlichen Kadaver sollten über einen magischen Pfad in die Wüste, zur Oase transportiert werden. Dort sollte das große Ritual stattfinden, um Furcht und Gewalt in das Reich der Solgarder zu bringen. Die neue Diener folgte ihr gehorsam.

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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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"Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen."

Rainer Maria Rilke.

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Eine verwehrte Seele

Lange war es mittlerweile her, dass sie den Pakt mit dem Seelensammler geschlossen und damit ihre Seele an ihm verkauft hatte. Ein Pakt, der ihr die magische Gabe schenkte, ihr die Möglichkeit gab, aus ihrem jämmerlichen Leben irgendetwas anderes zu machen und doch war sie eine Diebin geblieben und vielleicht, war genau dieser Umstand, der ursprüngliche Grund, warum die Elster sich für sie entschieden hatte?

Damals eine Diebin nach Gold und allem was irgendwie von Wert sein konnte, heute eine Diebin nach Seelen.

Die Beweggründe des "Lords" waren dabei äußerst schlicht und einfach. Je mehr Seelen, desto besser. Je stärker Aastha mit ihrer geschenkten Gabe wurde, desto mehr würde er davon profitieren, wenn ihre Seele nach ihrem Ableben Teil seines Reiches wurde. Was das anging, wohl ein recht gewöhnlicher Dämon, konnte man meinen und ließe man außer Acht, welchen Rang er im Abyss bekleidete.

Die Schwarzhaarige zeigte sich allerdings als recht widerspenstig und gab den inneren Kampf gegen die Elster, den Dämonen, der sich an sie gebunden hatte, niemals auf. Ein steter Kampf in ihrem Inneren, der an ihr zerrte, ihr den Schlaf und die körperliche Kraft raubte und eine Linderung war wohl niemals in Sicht.
Mit dieser geschenkten Gabe des Seelensammlers, des Lords, war sie allerdings weit gekommen. Weiter, als sie wohl normalerweise gekommen wäre. Runter von der Straße, raus aus dem Leben einer gewöhnlichen Diebin und hinein in eine feste Struktur eines Reiches, ein Teil eines nicht unwichtigen Zirkels, unter Menschen, die keinerlei Ahnung von dem hatten, was in ihrem Inneren wütete. Auch ihre magischen Fähigkeiten waren mittlerweile so weit ausgebaut, dass sie in der Lage war eine Harpyie als Untoten Diener an sich zu binden, sie zu unterwerfen und vielleicht war das letztendlich ein Schritt zu viel.

Aastha hatte immer aufgepasst, niemals zu sehr im Mittelpunkt zu stehen, niemals zu sehr aufzufallen, niemals zu viel zu können - aus Sicherheit, aus Eigennutz, aus dem Willen dem Seelensammler nicht mehr, als absolut notwendig zu geben. Jener allerdings schien es für die richtige Zeit zu halten, die Ernte einzufahren und die Elster in der Schwarzhaarigen würde dafür sorgen. Elsterdämonen allerdings waren in erster Linie Beobachter oder Traumsammler, sie konnten nicht wirklich gefährlich werden, wenn sie nicht gerade an einem Wirt gebunden waren und auch dann war es eher ein Projizieren von Hunger, Hass und Verlangen, der dafür sorgen sollte, dass der Wirt sich dem Willen der Elster ergab.
Aber was war, wenn man den Wirt somit in eine Situation brachte, in welcher jener sein Ende finden würde?

Seitdem die Schwarzhaarige das erste Mal, während einer Unterrichtseinheit in der Magieakademie, den schwarzen Angol von Katherine gesehen hatte, war da dieses unterschwellige Verlangen ihn besitzen zu müssen. Die Wirkungen des Angols auf die Elster waren wie eine Welle des Verlangens gewesen, schon während des Unterrichts und sie war froh als jener endete und sie fliehen konnte.
Nun aber, war der Hunger wieder da. Wahnsinniger Hunger, zehrendes Verlangen, stärker als nie zuvor. Als würde der Elsterdämon seine gesamte Kraft im Körper der Nekromantin nutzen, um sie mit den Gefühlen zu überschwemmen und er hatte Erfolg damit.

Während eine Lehrstunde fern der Magieakademie stattfand, wollte sie die Gelegenheit nutzen, den schwarzen Angol von Katherine zu entwenden. Getrieben von diesem irrationalen Verlangen war es einfach für sie gewesen, in das Büro zu gelangen und die Finger um das Objekt ihrer Begierde zu schlingen, während die Elster in ihrem Inneren förmlich in Rage war. Sie hatte Erfolg und der magische Kristall fing beim ersten Kontakt schon an, die Lebenskraft der jungen Frau zu rauben. Immer mehr, immer weiter, doch die Finger saßen fest, als wären sie an diesen geschmiedet worden.

Warum ließ die Schwarzhaarige nicht einfach los? War der innere Dämon zu stark, das Verlangen zu ausgeprägt? Oder war es das immer leichter und friedlicher werdende Gefühl, als das Leben aus ihrem Körper sickerte, das ihr… den Frieden gab, den sie all die Jahre nicht gespürt hatte? Was es auch war, zwei Elsterdämonen hatten sich in der Gestalt gewöhnlicher Elstern am Fensterbogen des Büros eingefunden und beobachteten erwartungsvoll den Vorgang. Sie waren hier, um die Seele in das Reich des Sammlers, des Lords zu bringen, was ihnen auch sicherlich gelungen wäre, wäre da nicht Katherine gewesen.

Katherine, die in das Büro hinein platzte, mit einer Mischung aus Zorn und Sorge als sie Aastha auf dem Boden erblickte und sich dem nahezu leblosen Körper der Schülerin annahm. Zuerst machten die Elstern sich keinen Sorgen, es war zu spät, der Lebensfaden fast gerissen, auch als die Finger brachen, damit der Angol von diesem entwendet werden konnte. Unruhig wurden sie dann, als diese Weißhaarige die Dreistheit besaß, die Schwarzhaarige zu retten, in dem sie jener ihr Blut gab. Viel Blut… erst wirkte sie tot, kein Herzschlag mehr, keine Atmung… aber dann nach etlichen Minuten regte der Körper von Aastha sich wieder, der "Lebensfaden" schien zurückzufinden, wenn auch weiterhin schwach, als würde ihr noch ein Kampf bevorstehen, den sie zuerst gewinnen musste.

Mit einem empörten Kreischen hatten die Elstern das beobachtet, zornig, entsetzt. Betrogen wurde der Lord um einen Pakt, um eine Seele, diese Seele! Diese sorgsam genährte und vorbereitete Seele! Zumindest wirkte es im ersten Moment so und sie verschwanden kurz darauf, als sie einsahen, dass es vorerst nicht zu holen gab.

Während der Körper der Schwarzhaarigen indessen von zehrenden Qualen erfasst wurde, zitternd, krampfen, keuchend, gar schreiend, als würde jener in Flammen stehen, bekam sie nichts von dem mit, was um sie herum passierte. Nicht dass die Elster in ihrem Inneren gegen die Veränderungen chancenlos randalierte, nicht dass Katherine ihre Gestalt verformte und sie in ein Versteck ins ewige Eis brachte. Da war nur Schmerz und Dunkelheit, während ihr Körper sich in das veränderte, was ihre Zukunft sein sollte.

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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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"Unsterblichkeit ist nicht der Zukunft aufgespart,
Unsterblichkeit ist im Gefühl der Gegenwart.

Du wärst nicht, der du bist, in diesem Nu der Zeit,
Wenn du derselbige nicht wärst in Ewigkeit.

Sobald du denken willst, du wärest nicht mehr einst,
So fühlst du, daß du dich insoweit selbst verneinst.

Verneine nur dies Nein! dazu hast du empfahen
Des Geistes Kraft allein, dich ewig zu bejahen."

Friedrich Rückert

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Wandlung und neue Wege

Diese Zelle erinnerte sie auf eine trostlose Art und Weise an ihre Vergangenheit. Nicht, dass sie in jener jemals wirklich eingesperrt gewesen wäre, aber der kalte Stein, das einsame Tropfen von Wasser irgendwo in der Nähe, sowie dieser merkwürdige undefinierbare Geruch eines alten Kellergewölbes erinnerten sie an den Bandenunterschlupf in Moorheim. Nur dass jetzt, alles so merkwürdig intensiv erschien. Sie glaubte irgendwo in der Ecke ein Krabbeln, wie von vielen kleinen Beinchen zu hören, das Tropfen erklang ungewöhnlich, fast nervend laut, als wäre es der Herzschlag des alten Gemäuers. Alles an ihr war angespannt, auch jetzt, nachdem die Schmerzen der Wandlung endlich verklungen waren und vollständig Platz gemacht hatten, für einen unstillbaren Hunger in ihrem Inneren, der nur noch weiter von der Elster geschürt wurde, die in einer Mischung aus Zorn und Belustigung über die Qualen der Schwarzhaarigen in ihrem Inneren tobte. Sie war nicht zufrieden damit, dass die junge Frau den Lord um ihre Seele betrogen hatte, dass sie diesen Teil des Paktes gebrochen hatte.

Mittlerweile hatte sie sich einer der Ecken der Zelle gehockt wie ein festgezurrter Knoten, um sich selber zusammenzuhalten, die Knie an die Brust gedrückt, die Arme darum geschlungen, der Blick in die gegenüberliegende Wand gebohrt. Das Kissen des spärlichen Bettes lag am anderen Ende der Zelle, der Eimer war umgestürzt, der eigene Schal vom Leib gerissen und vor die Gitter geschmissen… Spuren eines Ansturms, eines Tobens, der bereits verebbt war. Ein Ausbruch ihrerseits. Mit Zorn und Hunger hatte sie sich gegen die Gitterstäbe geworfen und als das keinen Erfolg brachte, hatte sie angefangen, die Einrichtung zu zerstören. Wut, Hunger, Frustration… nur damit sie Stunden in dieser Ecke hocken konnte, um diese Gefühle, das Schnattern der Elster, durch die knotenartige Körperhaltung zu kontrollieren. Erst Katherines Anwesenheit riss sie aus ihrem Zustand.

Sie höre die Schritte der Weißhaarigen, viel genauer, als sie es gewohnt war und als sie ihre Präsenz an den Gitterstäben wahrnahm, konnte sie gar das leise Pochen des Herzens hören. Ein Geräusch, das das Brennen in ihrer Kehle, den Hunger weiter schürte, aber ihr gleichsam auch die Gewissheit gab, dass dieses Leben mehr Möglichkeiten offenbaren würde, als sie wohl bisher begriffen hatte. Sie selber spürte nichts in ihrer Brust, sie spürte allgemein nichts, außer Hunger, als würde sie jeder einzelner Moment ihrer Existenz nur darum drehen. Es war so ironisch. Vorher getrieben vom Verlangen der Elster, nun getrieben vom eigenen Hunger. Nur noch schlimmer. Die Frage der Älteren, wie es ihr gehen würde, konnte sie erst nur mit einem gereizten Schnaufen entgegnen, bis ihre Antwort eher gereizt erklang. Als wäre sie eine gespannte Sehne, die nur darauf wartete losgelassen zu werden.

»Ich hab Hunger.«

»Das denke ich mir. Du erinnerst dich noch an alles von unserem letzten Gespräch?«

»Ich denke schon.«

»Gut, dann muss ich dir nicht erneut erklären, was mit dir passiert ist und was du jetzt bist.«


Natürlich musst sie das nicht. Es war zwar alles von Schmerzen und einem fieberähnlichen Zustand eingepackt, aber sie erinnerte sich an die Erklärung, was passiert war, was sie jedoch war, was es für sie jetzt bedeuten würde. Ein Geschenk. Unsterblichkeit. Vampir. Sie erinnerte sich auch daran, dass sie Katherine unter dem inneren Toben der Elster vom Lord erzählt hatte, vom Pakt, von sich selber als Kind, das so dumm war, diesen Pakt anzunehmen. Sie erinnerte sich daran, wie Katherine der Elster drohte und diese in ihrem Inneren nur spottete. Dieser Dämon hatte keinerlei Selbsterhaltungstrieb. Es war geschaffen, um dem Lord zu dienen und um das zu erreichen, würde er sich auch selber in die Auslöschung treiben. Einen Mondlauf hatte Katherine ihr gesagt, mindestens… bis sie gelernt hatte, das, was sie nun war, zu beherrschen, zumindest so weit, dass sie unter den Lebenden wandeln konnte. Ein Mondlauf. Bei den Gedanken an dieser Zeit hüpfte der Zorn wieder ihre Kehle hinauf. Elijah würde es sich zu bequem in ihrem Heim machen, diese kleine Ratte würde sich wieder nehmen, was ihr war, in der Annahme sie wäre umgekommen.

»Wir werden dann ab heute damit beginnen, dir beizubringen, wie du deinen Durst kontrollierst. Du bekommst jetzt genau zehn Phiolen. Deine Aufgabe ist es, so wenig wie möglich davon zu verbrauchen, und zwar bis zum morgigen Tag.«

Die Worte der Weißhaarigen rissen sie erneut aus ihren Gedanken und das Klirren der mit Blut gefüllten Phiolen lockte ihre gesamte Aufmerksamkeit nun auf diese. Sie konnte das Blut aus diesem förmlich riechen oder sie bildete es sich ein, getrieben vom Hunger, der sich ihre Kehle hinaufkroch. Ihre Antworten auf die weiteren Worte der Älteren waren entsprechend störrisch, grummelig, gereizt. Sie sollte aufhören sie über Maskerade und dergleichen zu belehren und ihr einfach dieses Blut geben. Sobald ihre Finger sich um die Phiolen schließen konnten, verkroch sie sich zurück in ihre Ecke, um bereits auf den Weg dort hin die erste Phiole zu leeren.

Der eiserne... oder war es eher kupferne Geschmack erfüllte ihren Körper für einen kurzen Moment mit einer gewissen Zufriedenheit, als hätte sie etwas erlangt, wonach er viel zu lange begehrt hatte, aber das Gefühl verschwand schnell. Zu schnell. Erst als Katherine im Zuge ihrer Erklärungen über die Ältesten und die Familien dazu kam, zu erwähnen, dass Aastha nun ebenso ein Teil einer Familie, genauer gesagt des Adels wäre, konnte sie nicht anders, als belustigt aufzuschnauben. Als würde eine höhere Macht mit ihrem Leben spielen und sie in möglichst ironische Situationen bringen. Ihr gefiel es nicht, dass die Weißhaarige immer wieder betonte, dass sie eine Familie nun wären und wie wichtig dies und jenes wäre. Es fühlte sich eher an, als würde sich eine Schlinge immer enger um ihren Hals legen, als würde ihr jemand die warme, wohlige Decke einer Familie anbieten, nur damit sie ihr erneut entrissen werden würde, wie es bei den Spatzen der Fall gewesen war.

Die leere Phiole wurde achtlos, mit einem Klirren auf den kahlen Kerkerboden fallen gelassen und die zweite sogleich ergriffen. Sie brauchte mehr. Katherine sprach von ihrer Verantwortung über Aastha, die Gefahren, die dieses Leben auch mit sich bringen würde. Von Silber, von Regeln, von ständiger Kontrolle. Als sie jedoch über das Schlafen sprach, weckte sie erneut die gesteigerte Aufmerksamkeit der Schwarzhaarigen. Die Finger um die zweite Phiole geschlungen, hatte ihre Stirn sich in tiefe Falten geworfen.

»Warum schlafen wir, wenn wir untot sind?«

»Weil die Ewigkeit für manche in bestimmten Zeiten zu langweilig ist. Doch auch so wirst du merken, dass selbst unser Körper ab und an Ruhe braucht. Wir können zwar tagelang wach bleiben, doch auch unser Körper muss sich regenerieren, wenn er zu sehr beansprucht wurde. Und das funktioniert am besten im Schlaf.«


Sie vermied die Frage, ob sie jemals wieder träumen können würde, aber die Elster in ihrem schnatterte spöttisch, als wäre jene ein Inbegriff von Selbstüberzeugung.“Du wirst meinen Albträumen nicht entkommen und wenn ich dafür sorge, dass du jene mit offenen Augen erlebst.” Ein unwirsches Knurren entglitt ihrer Kehle, während sie die weite Phiole anstarrte und so ging auch schließlich ein Ruck durch ihren Körper, um diese ebenso zu leeren. Katherine beobachtete sie nur ruhig, sie spürte den Blick der Weißhaarigen auf sich lasten, als wäre sie ein stummer Richter.

Sie war nur halbherzig in der Unterhaltung anwesend. Stellte Fragen, die sie teilweise nicht wirklich interessierten, nur um so zu wirken, als wäre sie aufmerksam. Werwölfe, die Kontrolle, Hunger, Verwundungen, Hypnose, der Umgang mit den Opfern. Ihre eigentliche Aufmerksamkeit lag jedoch auf den Phiolen, die auf ihrem Schoß lagen. Acht waren es noch und Katherines Drohung, es würde eine Strafe folgen, wenn sie alle am morgigen Tag leer wären, prallte belanglos an ihr ab. Was konnte das schon für eine Strafe sein, die den brennenden Hunger in ihrem Inneren aufwiegen könnte?

Es folgten weitere Erzählungen, Namen anderer Unsterblichen, die ihr teils einen anderen Blickwinkel eröffneten und auch Sorshas Name fiel, was die Schwarzaarige nicht sehr verwundert. Ihre Lehrmeisterin hatte immer etwas undefinierbares, erhabenes an sich gehabt und ein zu perfektes Auftreten. Zu viel Verständnis für Aasthas Kampf mit dem inneren Drang der Elster. Es ergab wohl nun irgendwie alles einen Sinn, als hätte man ihr eine Bandage von den Augen gerissen. Auch folgten Warnungen mit Namen, von denen sie sich fern halten sollte und letztendlich ein Anflug von Zorn über den eigentlichen Grund dieser ganzen Situation, den Einbruch in das Büro, um den schwarzen Angol in die Finger zu bekommen. Die Reaktion der Schwarzhaarige war nüchtern. Sie hatte sich schon selbst eingestanden, dass sie die Kontrolle über die Elster verloren und jene sie dazu getrieben hatte, aber Katherine schien es nicht sonderlich zufriedenzustellen, dass ihre "Tochter" es so einfach zu akzeptieren schien.

Nach wenigen weiteren, teils belehrenden, teils informierenden Worten, ließ sie die Schwarzhaarige wieder allein in ihrer Zelle zurück. Zurück blieb Stille. Stille und Stein und acht Phiolen, die wie schwere Steine in ihrem Schoß lagen. Der Elsterdämon rückte zunehmend näher, diese Präsenz aus spöttischen Schnattern und listigen Krallen. Er kramte in ihr, ließ Erinnerungen klimpern, wie wertvolle Schätze... dunkelrote Tropfen am gläsernen Phiolenrand, der metallische Duft, die Süße danach, der kurze Frieden. Ein Zucken in ihren Fingern und sie konnte dem Drang nicht widerstehen, auch die dritte Phiole zu trinken, so kurz nach der ersten und zweiten.


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