Der junge Paladin-Novize Bathor saß in der schummrigen Bibliothek der Kirche von Solgard, umgeben von den hohen Regalen voller uralter Texte. Das Licht der Sonne fiel sanft durch die bleigefärbten Fenster und tauchte den Raum in einen warmen Glanz. Vor ihm lag die Heilige Schrift des lichten Herrn, ein Buch, das die Geschichten und Lehren zweier Brüder enthielt, deren Streit die Welt auf ewig verändert hatte.
Bathor spürte das Gewicht der Worte, als er die Seiten aufschlug. Diese heiligen Lehren waren nicht nur Geschichten; sie waren Lektionen über die Menschheit und die duale Natur ihres Daseins. Der Aspekt des Lichtes, so las er, war ein Beschützer, der die Menschen mit Mitgefühl und Hoffnung erfüllte, während der Aspekt der Finsternis, in einem tiefen, dunklen Kontrast, die Menschheit als ein Raubtier betrachtete, das sich durch Stärke und Überleben behaupten musste.
„Die Menschen sind Schwächlinge“, flüsterte der Aspekt der Finsternis in Bathors Vorstellung. „Der Hunger, die Krankheit, der Tod – sie sind Werkzeuge der Auslese. Nur die Stärken werden bestehen.“ Bathor schüttelte den Kopf, als würde er das Unrecht in diesen Worten abwehren wollen.
Er erinnerte sich an die Lehrstunde des Hohen Priester, Bruder Isarius. „Der Aspekt des Lichtes widerlegt diese Gedanken“, hatte er einst gesagt. „Indem wir die Schwachen schützen, zeigen wir wahre Stärke. Die Tugend ist der Weg des Lichtes, und die Menschheit ist fähig zu großartigen Taten.“
Die Widersprüche zwischen den beiden Brüdern hatten die Menschen gespalten. Bathor sah die Wahrheit in den Konflikten, die um ihn herum stattfanden. Einige suchten nach Ehre und Rechtschaffenheit, während andere dem glühenden Verlangen nach Macht und Stärke folgten.
In seinen jungendlichen Augen war das sowohl ein Geschenk als auch ein Fluch.
Der Duft von altem Papier und dem leichten Hauch von Weihrauch erfüllte die Luft, während Bathor mit ernster Konzentration über die heilige Schrift des Herrn gebeugt war.
Mit zitternden Fingern blätterte er um die vergilbten Seiten, deren Worte eine Zeitspanne von unzähligen Generationen überbrückten. In diesen Texten fand Bathor seine ersten Einblicke in die Tugenden eines Paladins:
Rechtschaffenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Ehre, Demut, Mitgefühl, Opfer und Spiritualität.
Jedes Wort war wie ein Lichtstrahl der Weisheit, das die Schatten seiner Unsicherheiten erhellte.
Rechtschaffenheit - Handel so, dass man jedem die Behandlung zukommen lässt, die man selbst erwartet.
Bathor dachte an die Zeiten, in denen er anderen, die in Not waren, die Hand gereicht hatte. Dieses Prinzip glich einem Anker, der ihn fest im Sturm des Lebens hielt.
Tapferkeit - Der Mut, niemals vor der Ungerechtigkeit zurückzuweichen.
Ein Bild von jenen, die unterdrückt wurden, durchzuckte seinen Geist. Bathor erinnerte sich an die Geschichten seines Meisters über mutige Taten, die oft ohne Ruhm oder Anerkennung vollbracht wurden.
Mit jedem umgeblätterten Abschnitt wuchs Bathors Entschlossenheit, ein wahrer Paladin zu werden. Er nannte die Tugenden leise, um ihre Bedeutung in sein Herz zu pflanzen.
Gerechtigkeit, Ehre, Demut sie waren alle miteinander verbunden, wie die Fäden eines kunstvollen Gewebes.
Doch in diesem Moment der Einsicht überkam ihn eine plötzliche Stille. Bathor blickte auf und bemerkte, dass sich die Schatten der Kapelle merklich verdichtet hatten. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. „Es ist nur die Dämmerung“, murmelte er sanft zu sich selbst und wandte sich wieder seinem Studium zu.
Das Licht schwand, und als der letzte Sonnenstrahl den Raum verließ, erschien Bathor ein alter Spruch in den Sinn.
„Die Dunkelheit kann keine Dunkelheit vertreiben; nur das Licht kann das tun.“
Er nahm einen tiefen Atemzug und ließ die Worte widerhallen, während er sein Studium fortsetzte.
Als er schließlich die letzte Seite umblätterte, fühlte er einen tiefen Frieden in sich aufsteigen. Bathor schloss das Buch sorgsam und legte es behutsam auf den Tisch. Er beugte sich dann in Ehrfurcht und sprach ein Gebet zum Herrn, dessen Worte ihm wie von selbst über die Lippen kamen:
„Oh Herr, voller Gnade und Licht, führe mich auf meinem Weg.
Lass mich immer rechtschaffen handeln und mit dem Mut,
die Wahrheit zu verteidigen.
Lass Gerechtigkeit meine Schritte leiten und Ehre mein Handeln bestimmen.
Mache mich demütig gegenüber Deiner unendlichen Weisheit und lehr mich,
mit Mitgefühl zu handeln.
Mögen meine Opfer für andere zum Zeichen Deiner Liebe werden,
und führe mich,
um ein Leben nach Deinen Tugenden zu leben.“
Eine tiefgreifende Stille folgte, als Bathor gebetet hatte. Innerlich spürte er, wie eine warme Welle der Kraft durch seinen Körper strömte. Das Licht des Herrn schien ihn umgeben, einen schützenden Schild gegen die Dunkelheit, die die Welt außerhalb der Kapelle umfing.
Der Weg nach Hause war von der Nachtluft gesäumt, und trotz der Dunkelheit, die ihn umgab, fühlte er sich unbesiegbar. Jeder Schritt war ein Schritt in Richtung seines Schicksals. Er war sich der Herausforderungen bewusst, die vor ihm lagen, aber die Tugenden, die er studiert hatte, waren nun Teil von ihm, ein Leitfaden für seine Handlungen.
Zu Hause angekommen, legte sich Bathor nieder, der Klingen des Tages in den Gedanken, die er während seines Studiums gesammelt hatte. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Während die Dunkelheit der Nacht um ihn schlang, wusste er, dass er nicht allein war. Die Tugenden, die er so tief in seinem Herzen trug, leuchteten wie Sterne in der Ferne, bereit ihn zu führen, wohin auch immer sein Weg ihn führen würde.
Und so entschlief Bathor, der Novize des heiligen Ordens, mit dem Wissen, dass jeder neue Tag eine weitere Gelegenheit war, das Licht des Herrn in die Welt zu tragen und ein wahrer Paladin zu werden.