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'Solln die Svag doch endlich aufhören mit Singen', dachte er und vergrub den Kopf tief unter den dicken Schlafpelzen. Es half nichts. Er, der große Schläfer, Bjornar Bärensohn, Herr der Schnarchstürme, brachte es nicht fertig. Der geliebte Schlaf war heute nur ein zappelndes Ding, ein nervöses Reh, das durch seine Gedanken sprang. Wo war der Bär, der sich über ihn legte und die Welt bedeckte, das Denken auslöschte? Er musste außer sich sein, denn wer hätte gedacht, dass Bjornar jemals von Musik und Gesang genervt sein könnte? Und doch.
Eigentlich wollte er fettgefressen Winterschlaf halten. Monatelang nur atmen, hungern und träumen. Kinder kriegen dabei, vielleicht. Aber Fjellgat hatte beschlossen, jetzt zu hauen, zu schaben, zu hämmern, zu nieten, zu teeren. Und zu sägen, bei allen Göttern und Grimlas Geweihen, wie nervten die Sägen! Suromer Handwerker hatten die Dinger angeschleppt, diese Baummordwerkzeuge, die nun tagaus, tagein ihr Wolfsgeheul anstimmten. Seit wann, bei Ppyrs bunter Schuppe, wurde ein Drachenschiff denn zurechtgesägt? Der Rumpf hatte aus einem Stamm zu sein, aus einer einzigen, gewaltigen Eiche!
Da hämmerte also der Stamm und die Svag sangen dabei. Natürlich sangen sie. Denen war das Singen beim kurzen Tagewerk das liebste; je kürzer der Tag, desto länger das Lied. Es drang bis in seine Höhle, in seine Schlafhöhle, seine Denkgrube, sein Bärenloch, sein Frühlingstraum. Die glich einem vollgestopften Schatzkeller. So ruhelos war er, dass er zu seltsamen Zeiten durch die Nordlande trottete, blutdürstig schnuppernd nach Solgarder Weißkutten. Die aber ließen sich nicht blicken, die feigen Wüstenkäfer! Auch Hakker-Dawi waren selten geworden.
Täglich oder nächtlich, er hatte den Überblick verloren, kam er am Blut-Hain vorbei. Unter Haldron, Ragnar und Tarsnjor und den anderen war der Ort der Schande zu einem
Ort der Erinnerung geworden, ein Knochen im Hals der Welt, der nicht zu schlucken war. Es mochte der wahre Grund für seine Rastlosigkeit begraben liegen, zwischen den Wurzeln und dem Lebens-Blut. Er stahl das
goldene Kettchen von Aeitis Fußknöchel, den Pfand seiner Liebe, und legte es an zu den anderen Opfergaben für den Grimla-Spross. Das in Wirklichkeit deswegen nichts war, wie zuvor, wusste er schon, irgendwo, innendrin. Es hielt ihn nicht davon ab, in Fjellgat den einen oder anderen Sänger oder Schiffsbauer wegen ihres Lärms anzufauchen, als wären sie die Schuldigen am Aufruhr in seinem Inneren.
Andere Fremde im Norden grollte er neuerdings an, verwies sie auf das Grab, oder lud sie ein, mit ihm Drachen im Jammerfjord zu jagen. So konnte er sehen, wie gefährlich sie wirklich waren. Manchmal richtete er dabei die Mäuler der zornigen Eisdrachen mit ihrem Frostodem absichtlich auf die Fremden, um zu sehen, wie behände sie davonsprangen, die Wichtel. Wie etwa jene
schmächtige Gestalt, die sich neuerdings auch im Norden umhertrieb. Den meisten gelang es. Ihre Akrobatik und Flüche bereiteten ihm Vergnügen. Es sollte niemand denken, der Norden sei ungefährlich.
Zumeist aber tat er, was er gut konnte: Er schleppte Beute-Plunder heran. Alles, was sich jagen ließ, nicht schnell genug weggeräumt wurde, was glänzte, knirschte, roch, halb kaputt war oder vielleicht einmal wichtig sein könnte. Seine Bärenhöhle war bis unter die Decke voll, die Plunderkiste prall. Sein kleines Weibchen würde das irgendwann reinigen und dem Stammes-Schatz hinzufügen --- weil sie gut war? Sie jedenfalls hielt in diesen Tagen besseren Winterschlaf, schaute verträumt und verliebt aus den Fellen, kam aber selbst fast nie hervor, so dass er bereits befürchtete, er werde bald lebendig unter all der Beute begraben sein.
Sein Schlaf war derart durcheinandergeraten, dass er die Abenteuer des Stammes verpasste, Raubzüge mit den Suromern, Ausflüge zur Verfluchten Stadt. Er verdöste sie, tappte zu spät los, kam an, wenn alles vorbei war, hatte noch nicht mal Erzählungen von den Großtaten der anderen gehört. Auch während der Stammestreffen wälzte er sich in den Fellen umher, dachte, ‚Da hätt ich aber jetzt dabeisein müssen‘ und drehte sich wieder um.
Irgendwann hatte er aufgegeben, schlafen zu wollen, und war aus der Höhle gefallen, halb angezogen, halb träumend. Nun saß er da neben der Werft, breit hingegossen auf einem Baumstamm, den Ynge ihm zurechtgehauen hatte, wie einen Waldes-Thron. Die Schnauze tief im Pelz, die Lider halb geschlossen, der Blick schweifte irgendwo zwischen Schiffsbau und Horizont. Es war kein Eifer in seinen Gliedern, kein Wille zur Bewegung.
Doch wehe dem, der glaubte, er täte nichts! Er beobachtete. Er sann. Seine Gedanken brodelten wie die beste Fischsuppe. In seinem Bärenherzen formte sich ein Gefühl, das dem Winterschlaf ähnelte, nur wacher, ein Brüten über dem Treiben der anderen.
Sie waren prächtig anzusehen, die Riesen von Fjellgat. Es gab nicht viele Trymm‘takk, wenn man zählte, eine Handvoll, vielleicht zwei. Doch jeder von ihnen verrichtete die Arbeit von fünf Wichteln. Wo anderswo Männer mit Flaschenzügen und Flüchen einen Balken wuchten mussten, packte hier ein Trymm’takk zu, hob das Ding, als wäre es ein Ast, den man zur Seite legt.
Vor ihm reckten sich die neuen Rümpfe in ihrer Nacktheit, ohne Segel, noch ohne Drachenkopf, aber bereits wie Schuppenhaut in der Sonne. Zwischen den Gestellen bewegten sich seine Stammesgeschwister. Schulter an Holm, Hüfte an Kiel, einer stemmte, eine drückte, ein dritter hielt mit einem Finger fest, wo man anderswo Keile und Seile brauchte. Irgendwo stand ein Rothaariger und rezitierte die Vorzüge von geteertem Ziegenhaar beim Kalfatern, als hinge daran das Schicksal der Welt. Tarabasch wusste über alles Bescheid, und grollte den Eifer zurecht. Es war ein Arbeitstanz und ein Schwirren von Händen. Ein Seeungeheuer lag da, und eine Handvoll Riesen formten ihm Flossen und Rücken. Bjornar saß auf seinem Holz und genoss das alles, wie andere verzückt in ein Feuer blicken, still und zufrieden. Dabei dachte er! Das war Arbeit genug. Er war der geistige Zeuge des Unternehmens. Er fühlte sich nicht unnütz. Er war das Gegenstück zum Handwerker: Träumer, Seher, Sinngeber. Wären sie alle wie er, gäbe es kein Schiff, aber viele Gedanken über Schiffe.
„Das Zusehen ist die reinste Form des Tuns“, brummelte er zur Luft, zu Runheri, dem Hasen, der ihm durch die Hecke gefolgt war. Ein Bursche, der mit rußigem Gesicht an ihm vorbeistolperte, hörte nur die letzten Worte: „Wer nur mit den Händen schafft, baut Bretter. Wer mit den Augen schafft, sieht das Schiff, bevor es merkt, dass es ein Schiff geworden ist.“
Er seufzte, als sei dieser Gedanke ein schwerer Balken gewesen, den er ganz allein hatte tragen müssen, und ließ sich tiefer in seinen Pelz sinken. Die Arbeit der anderen war ein Fest aus Schlägen, Flüchen, Lachen und Geheul. Er, Bjornar, war einfach da. Die Schiffe nahmen Form an, und er verlieh ihnen in seiner Vorstellung Seele. Vielleicht würde er später eine der
drei Runen in den Kiel ritzen, die Segimer ihn gelehrt hatte. Aber nicht jetzt. Jetzt war Denken dran.
Das Pochen von Hammer auf Holz lullte ihn ein. Der Atem wurde tiefer, der Blick blieb. In diesem Zwischenraum begannen die Namen der Schiffe über der Werft zu tanzen. Drei sollten es sein, drei Langschiffe. Jedes sollte eine Geschichte tragen, wie Ormen Lange, die Lange Schlange, Ormen Skamme, die Kurze, und Kovakarhu, der fliegende, goldene Bär. Schiffe mit grässlichen Zähnen und je einem ganz eigenem Wesen.
Das erste gehörte zu
Tarabasch Hagarson. Der Baumeister mit rußigen Händen, der die Bretter kannte, als wären sie Verwandte, dessen Vater Schiffsbaumeister war und der sich vielleicht am meisten von allen nach der Ferne sehnte. Ein Mann, ein Freund, dessen Hände mit dem Holz sprachen. „Taras Ormr“, murmelte Bjornar. Tarabaschs Schlange. Eine, die nicht faucht, sondern liegt und stärker ist als der Fluss. Eine, die gewaltig war und über die es viel staunendes Gelächter geben würde. Oder „Taraskeid“, wie die Skeid-Schiffe der Könige. „Hagarsskeid“, das rollte gut über die Zunge. „Hagars Bjarn“, nach dem Bären, nur ohne Gold, dafür mit Ruß. In seinem Kopf wuchsen Namen wie Eisblumen. Einige schmolzen, andere blieben. Für Tarabasch fühlte sich „
HAGARSSKEID“ richtig an, ein Schiff, so nüchtern gebaut wie sein Meister, benannt nach dessen Vater, der Stolz auf ihn herab sah.
Das zweite trug
Trauer im Kiel. Der Weiße Hirsch, Grimlas Spross, lag noch in ihm. Sein Blut, sein Sterben, das Licht in den Augen, das leuchtende Fell. Bjornar spürte wieder ein Ziehen hinter dem Brustbein. „Grimlas Klage?“ Zu weich. „Hvíti Hjörtur“, der Weiße Hirsch, klang gut, es fehlte der Stich. „Grimlu Sproti“, „Spross Grimlas“ wirkten wie Gebete, wie
das Lied der geliebten Freyja. Vielleicht „Hjörtur-Skuggi“, Hirschschatten, oder - Er legte alles zusammen - „Hvíthjört Grimlu Sproti“?
In seinem Kopf nannte er es schließlich „
GRIMLUVÆNGIR“, Grimlasflügel, ein Schiff, das über die Wellen glitt wie der Hirsch des Lebens über den Schnee rannte: voller Hoffnung.
Das dritte war
Musik. Anders, als das Geheul, das ihm den Schlaf fraß. Etwas Tieferes. Ein Schiff, dessen Namen wirklich sang. Er dachte an den Refrain der alten Lieder, Glymur dansur í høll, dans sláið ring. „Glymjandi“, der Klingende. „Dansa-Glym“. „Hallglymja“, das Hallengeläut. „Galdrbrim“, Gesang der Gischt, Wellen, die wie Kehlklang gegen den Rumpf schlagen. „Tranen“ war vergeben, der Kranich des Königs. Vielleicht „Trymmdans“, Tanz der Trymm’takk, oder „Kvæðasund“, Liedfahrwasser. Schließlich legte sich ein Ton: „
GALDRGLYM“. Ein Schiff mit Zauberliedern im Holz.
Bjornar lächelte wie ein Kind nach dem ersten Schluck Honigwein. Drei Schiffe, drei Seelen, drei Geschichten, die noch nicht geschrieben waren. Und er hatte ihre Namen gewittert, ohne sich zu rühren. Man konnte im Sitzen viel tun, im Halbliegen auch.
Leise, kaum lauter als sein Atem, fing er an zu summen. Der halbvergessene Vers von Ólaf und Ormen und Einar stolperte durch den Kopf, stieß an, verlor Wörter, klaute neue, zog sich Fjellgats Farben an:
Wollt ihr nun mein Lied vernehmen,
wollt ihr meinen Worten trau’n,
von Rashka, Tyra, Yngvildr
will ich wirr die Reime bau’n.
Glymmt der Tanz in der Hall’,
schlagt an den Ring,
fröhlich ziehn die Trymm’takk-Kinder
zum Trymm’takk-Thing.
Drakkar wird aus Fjellgats Eichen,
stark ist auf ihm jedes Herz,
Haldron Zornbringer lacht drunter,
tritt ins Holz den alten Schmerz.
Glymmt der Tanz in der Hall’,
schlagt an den Ring,
Ragnar, Tarsnjor, Freyja reiten
zum Trymm’takk-Thing.
„Freyja sollst du meine nennen, Sangesmaid mit festem Blick …“
Der Reim verrutschte. Rashka stand im falschen Vers, torkelte aus einer Zeile in die andere, Tyra schob sich zwischen Orm und Knorr, und irgendwer „warf den Bogen“ und „Fjellgat aus der Hand“. Alles war an der falschen Stelle und fühlte sich doch richtig an. Der Refrain blieb übrig wie ein Schaukeln im Bauch, kurz bevor der Seemann sich in den Sturmwind übergab:
Glymmt der Tanz in der Hall’,
schlagt an den Ring,
fröhlich reiten Fjell und Surom
zum Trymm’takk-Thing …
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- Der Song "Ormurin Langi" („Die Lange Schlange“) von Týr basiert auf einer traditionellen färöischen Ballade (kvæði), die das epische Langschiff von König Olav Tryggvason (reg. 995–1000) besingt und seine Niederlage in der Seeschlacht von Svold (9. September 1000) erzählt.
Die Wörter lösten sich auf und die Melodie verknotete sich. Bjornar wusste nicht, wohin die Reise auf den drei Drachen von Fjellgat sie führen würde. Irgendwohin weit fort, wo Fjorde Erinnerungen sind und das Meer eine Wüste, die selbst den Sternkundigen unbekannt ist. Das war ihm im Halbschlummer egal. Wichtig war, dass der Stamm gemeinsam gehen würde. Sie würden nicht am Ufer stehen, während andere Sagen schrieben. Sie würden auf den Drachen reiten, auf den neuen Rümpfen, als säßen sie auf Seeungeheuern, die sie über den Rand der Welt trügen. Ob dahinter Land lag oder nichts, würde sich dann schon klären. Jetzt genügte ihm, dass Holz gewachsen, Namen gefunden, Lieder gestolpert, Ziegen eingefangen waren und dass er, Bjornar, mit den Seinen in den Bauch eines Drachen steigen würde, wenn es so weit war. Er wusste schon immer, eines Tages würde er Drachen zähmen! Bis dahin würde er hier sitzen, halb wach, halb Lied, und aufpassen, dass alles richtig gemacht wurde.
Noch ehe dieser Gedanke zur Ruhe kam, kroch ein anderer in sein Bewusstsein, der von Blut und Weihe. Er erinnerte sich daran, dass er sein Opfertier für Ragnar eingefangen hatte, eine stolze Bergziege mit Bernsteinaugen und Hörnern wie Wurzeln, die unten im Gatter stampfte und schnaubte. Krafthorn war ihr Name. Ihr Blut würde über die Rollen fließen, über Kiel und Planken spritzen, damit die Schiffe nicht nur Holz und Eisen waren, sondern Herzschlag und Atem bekamen. So hatte man es ihm erzählt, so stand es in Köpfen. Ein Schiff, das ohne Blut ins Wasser geht, bleibt träge wie ein nasser Ast. Ein Schiff, das über Opfer rollt, erwacht und springt wie ein Tier.
In dieser Zone zwischen Wachen und Tagtraum stieg das alte, harte Lied in ihm auf, von Zeiten, in denen nicht Ziegen, sondern Sklaven und Gefangene an die Lunnar gebunden wurden, an die Rundhölzer. Rollen voll Menschenblut, Kiel, der sie Knochen für Knochen in die Erde drückte, während das Volk jubelte oder schwieg. Er sah, halb mit innerem Blick, halb mit Zähnen im Herz, wie
Jaster Darez, Weißkutte und Mörder des Grimla-Sprosses, dort lag. Der Heerführer von Solgard als Wurm, mit Armen und Beinen an die Rollen gespannt, das Gesicht weißer als der Hirsch, den er erschlug, während der neue Drachenrumpf, Hagarsskeid, Grimluvængir, Galdrglym, welcher auch immer, langsam über ihn rollte --- oh so langsam und unerbittlich knirschend!
Sein seliges Lächeln begleitete diesen Gedanken. Erinnerung, Rachsucht und Müdigkeit mischten sich zu einer Vorstellung, honigsüß und beissend, wie Schnee auf einer Wunde. Dies wäre die Art von Gerechtigkeit und Stärke, die der Steinwächter Halvard von den Trymm’Takk gefordert hatte, als er ihnen das Bündnis mit den Drochsaal-Anbetern von Surom angeraten hatte.
Er schnaubte leise, zog die Schnauze tiefer in den Pelz und blieb, weder schlafend noch wach, wie ein Wächterbär auf seinem Holzthron hocken, während unten das Holz geformt wurde, das Blut wartete, die Erlöser-Sense und die Drachenschiffe in seinen Gedanken kreisten.
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