Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

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Reyna Ileah
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Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »


Vergangenheit:

Die Wellen schlugen erbost an die Küste der kleinen Nordinsel. Die Wolken hatten sich zu einem zornigen Ausdruck am Himmel versammelt und verschwammen in einer unfreundlichen, dreckig wirkenden Farbe zwischen Graugelb und Anthrazit. Während aus dem kleineren, weniger pompösen Haus die ersten Schmerzenslaute folgten, kündigte sich der nächste Blitz mit einem unruhigen Grummeln an und verdichtete sich am Ende zu einem Grollen. Mit dem nächsten Laut aus dem Haus schien der empfundene Schmerz der Mutter größer zu werden, während der Regen ungehalten an die Fenster peitschte. Bedrohlich knackend und brechend, bildete sich ein Blitz am Himmel ab und hinterließ das Geräusch eines zerborstenen Astes. Der Lichtblitz ströhmte in das Haus und erhellte das Schlafzimmer taghell, während die blauen Augen der Mutter diesen kurz spiegelten. Schweißnass und mit verzerrtem Gesicht hielt sie die Hand ihres Mannes, während die Krankenfrau, mit Lacken und Wasser bewaffnet, vor dem Bett kniete. Doch die Schmerzenslaute wurden vom tosenden Meer überschattet, dröhnten immer wieder zum Haus empor während sich das Neugeborene seinen Weg erkämpfte. Der Blitz, welcher in einen nahegelegenen Baum schlug ließ die Mutter nur noch mehr Angst empfinden ehe sich das Schreien des Säuglings in der kleinen Hütte verdichtete und all die umstehenden Geräusche für die Mutter verblassen ließ. Sie traten in den Hintergrund als hätte das kleine Mädchen soeben den ihr zustehenden Raum im Leben der Frau eingefordert. Ihre Haut schien so durchscheinend hell wie der Regen, welcher sich in fortlaufenden Tränen die Fenster hinab wandt, ihre Haare so hell wie einer der Blitze, die sich eben noch in den Augen der Mutter gespiegelt hatten. Voller Stolz, das Unwetter vollkommen vergessen ließ sie sich das kleine, blonde Mädchen in die Arme legen und sah unter Tränen zu ihrem Mann empor.


Die Jahre des Aufwachsens vergingen und das Mädchen schien genauso ungestüm wie das Wetter in der Nacht ihrer Geburt. Reyna, wie die Mutter sie liebevoll genannt hatte, schien in den ersten Jahren ihres Lebens gar unkontrollierbar. Stundenlang saß das Mädchen vor ihren Pergament und versuchte angestrengt die Tropfen, welche sich am Fenster sammelten, nachzuzeichnen. Und voll kindlicher Sturheit durchkritzelte sie alles, sobald die Tropfen ihre Form verloren, weil sie sich gesammelt, und hinabgelaufen waren. Ihr blondes Haar lag in hellen und unordentlichen Wellen um ihr Gesicht, während sich selbst auf dem jugendlichen Gesicht schon eine ausgeprägte Falte des Nachdenkens bildete. Ernst war ihr Blick, als würde sie alles stets soviel bedeutungsvoller sehen als andere. Ungehalten ihr Gemüt, als würde der kindliche Trotz unter der Oberfläche brodeln und nur darauf warten, dass man ihn hinauf beschwor. Doch so wie auch das Unwetter abflaute und den sanften Wind zutage brachte, schlug auch in ihrem Körper ein sanftmütiges und liebevolles Herz wenn es um ihre Eltern ging.

Es sollte jedoch der Tag kommen an dem ein neuer Sturm sich sammelte. Reyna saß am Fenster und beobachtete die aufziehenden Wolken, wie sie sich Nahe der Küste immer wieder drehten und ihre Richtung wechselten. Ihr Vater legte eine Hand auf ihre Schulter und ließ das Mädchen somit den Blickkontakt nach Draußen unterbrechen. "Es wird Zeit dass du deinen Platz findest mein Kind. Einen Platz der für dein eigenes Leben geschaffen wurde und der nicht bei uns ist." Reyna blinzelte angestrengt und versuchte die aufkommende Feuchtigkeit ihrer Augen zu vertreiben. Sie hatte gedacht dass es reichen würde ihren Eltern in kommenden Zeiten zur Hand zu gehen und einfach glücklich zu sein, wieso wollte er sie nun fortschicken? "Was Papa?, wie meinst du das?" Der Vater drückte ihre Schulter in fast liebevoller Geste. "Du wirst uns verlassen Reyna. Du wirst deinen eigenen Weg gehen müssen, sowie ein jeder es tut. Und du wirst etwas lernen, was dir wirklich gefällt." Das Mädchen zog ihre Schulter gar erbost unter der Hand ihres Vaters zurück und drückte sich von ihrem Platz am Fenster hoch. "Ist es wirklich das was ihr wollt? Das eure Tochter euer Haus verlässt?" Ihre Mutter hatte in der Zimmertür gestanden und die beiden beobachtet, doch jetzt als Reyna sie ansah konnte sie ein sachtes Nicken aus der Richtung ihrer Mutter erblicken. Sie konnte nichts dagegen tun, ihre Brauen hoben sich überrascht empor und die erste, durchscheinende Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Ihr Gesichtsausdruck wurde unergründlich, fast angewidert, als sie ihre Laute, einige Pergemante und ein paar zugespitzte Kohlestifte zusammen mit ihrer Kleidung in eine Tasche stopfte und so abermals ihr ungehaltenes Wesen unter Beweis stellte. "Kind, du musst nicht sofort gehen.. schau nur, draußen zieht ein Sturm auf", erklang es besorgt aus dem Mund ihres Vaters und ließ das Mädchen sogleich heftig ihren Kopf schütteln. "Dieses Unwetter ist meine Bestimmung, es ist wie ich. Das habt ihr mich oft genug wissen lassen. Wieso sollte ich mich also vor ihm fürchten, hm?" Sie umarmte ihre Eltern nicht. Sie sah sie an, wie ein fremdes Paar, welches ihr gerade eben ins Gesicht geschlagen hatte und wandte sich der Zimmertür zu. Sie schloss weder die eine, noch die andere Tür und stapfte wütend und vor den Kopf gestoßen wie sie sich fühlte, in den gerade begonnen Regen hinaus. Ihre Mutter stolperte ihr hilflos hinterher, blieb jedoch an der Tür stehen und versuchte das Mädchen in den hohen Gräsern zu erfassen.. doch das blond ihrer Haare verschwand immer weiter zwischen den Federgräsern, welche im ebenso unruhigen Wind umherstriffen. Bald schon konnte man nichts mehr von dem Mädchen erkennen, während sich das erste Grollen des Gewitters über die Länder zog...
Zuletzt geändert von Reyna Ileah am 26 Jun 2019, 11:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Reyna Ileah
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Re: Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »

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15. Tag des sechsen Mondes im Jahre 65

Sie erinnerte sich eigentlich nur vage an diesen schmerzhaften Abend, welcher ihr Leben wieder einmal gezwungener Maßen gewendet hatte. Nur ein Abend an dem sie sich aus der Stadt und vor den seltsamen Gestalten flüchten wollte, welche doch immer soviel besser wussten wer sie eigentlich war, zu was genau sie bestimmt war und welche Ziele sie haben sollte. Selbst ihre Vergangenheit schienen die arroganten und viel zu hochmütigen Personen kennen zu wollen. Sie hasste sie.. Menschen im allgemeinen. Hier eine Morddrohung, dort ein Befehl zu verschwinden, da ein Umgangsverbot mit dieser und jener Gestalt. Reyna hatte die Nase gestrichen voll davon sich irgendetwas vorschreiben zu lassen und so fand sie sich des Abends an einem riesigen See wieder. Ihre Laute auf dem Schoß abgelegt, die Beine zum Schneidersitz auf den etwas wackeligen Stamm emporgezogen, wanderte die leise Melodie ihres Instrumentes durch die Bäume hindurch und verschwamm nach kurzer Zeit. Unterbrochen wurde ihre Konzentration nur vom Jaulen irgendwelcher umherirrenden Tiere, und wäre sie schlau gewesen, hätte sie die ersten Geräusche zum Grund genommen sich vom Acker zu machen. Doch der Trotz, von dem ihre Eltern immer geredet hatten, machte sich bereits wieder bemerkbar als sie darüber nachdachte, dass diese Viecher sich gefälligst einen anderen Platz suchen könnten. Irgendwo musste man doch endlich mal Ruhe finden, Zeit darüber nachzudenken was man eigentlich machen wollte wenn man nur dazu in der Lage war ein Instrument zu spielen und zu zeichnen und von den eigenen Eltern weggeschickt worden war.

Die Geräusche und das Knacken und Rascheln der Äste und Zweige, welche auf dem Boden lagen, kamen näher und ließen den Blondschopf doch etwas nervöser den Blick heben. Kaum dass sie das Kornblumenblau ihrer Iriden angehoben hatte, erfasste sie zwei.. Wölfe. Hätte ihr Überlebensinstinkt ihr nicht direkt ein absolutes Warnsignal in Form von augenblicklichen Schweißausbrüchen und zitternden Fingern durch den Körper gejagt, hätte sie vermutlich darüber sinniert wie anmutig und schön sie eigentlich waren. Wie vom Wind verwischter Sand, das an manchen Stellen von der Sonne erleuchtet wurde, aufgestelltem Nackenfell und einer Größe die sie zuvor nie bei einem Wolf erblickt hatte. Und trotzdem machte alles keinen größeren Eindruck als die gefletschten und langen Reißzähne. Der zweite war der perfekte Kontrast zur sandenen Farbe.. etwas unscheinbarer, fast wie ein wandelnder Schatten um Mitternacht, dennoch etwas zurückhaltender und nervöser wirkend. Erst als Reyna sich erhob um einen Schritt Abstand zu gewinnen sah sie den dritten Wolf im Bunde und war sogar einen kurzen Moment irritiert. Schneeweiß, wie frisch gefallener Schnee und dem kleinen Frosthauch, welcher sich schützend hinüber gelegt hat. Doch ehe der Blondschopf noch Zeit hatte darüber nachzudenken, welcher Wolf zu welchem gehören konnte oder wie diese außergewöhnlichen Fellfarben zustande kamen, stürzte die sandfarbene Wölfin bereits auf sie zu und warf sie, viel zu einfach, zu Boden. Die Pranken trafen sie erschütternd an der Brust, sodass sie einen Moment Schwierigkeiten hatte zu atmen, und ließen sie ungemütlich auf dem Waldboden aufkommen. Sie schlug um sich, versuchte sich zu wehren und irgendwie weiter zurückzukrabbeln doch nichts half, als bereits ein sengender Schmerz durch ihre Schulter zog. Als wolle man ein Teil von ihr entfernen, riss die Wölfin an ihrer Haut, zerrte unter einem hungrigen Knurren daran und verbiss sich abermals. Was wusste sie schon, wie diese Kreaturen untereinander kommunizierten.. denn der mitternachtsfarbene Wolf kam nun ebenfalls bedrohlich Nahe, zog die Lefzen gar zu einem gehässigen Grienen empor, ehe er das Maul öffnete und ebenfalls nach ihr zu Schnappen begann. Das Brennen unter ihrer Haut weitete sich aus, wie ein Gift dass sich Stück für Stück durch den Körper zog. Der Schmerz schien ihren Körper lahm zu legen, ihre Bewegungen wurden von Moment zu Moment zäher und schwerer. Die Geschehnisse drangen weiter unter die Oberfläche und nur ein Schreien im Wald ließ Reyna die Augen wieder öffnen, als sie erkannte, dass es ihr eigener Schmerzenslaut gewesen war. Sie tastete blind nach ihrem Dolch, welcher ebenso unkoordiniert mit ihrer Zappelei in den Kampf mit eingebunden wurde. Tatsächlich schien sie sogar nach einigen Momenten die sandfarbene Wölfin getroffen zu haben, die einen kurzen abgelenkten Moment von ihr abgelassen hatte, denn ein fiependes Jaulen drang aus ihrer Kehle als sie einige Meter Abstand nahm. Doch das hier war nicht das Ende.. der schwarze Wolf schien das Zurückziehen der Wölfin als Ansporn zu nehmen Reynas Kehle anzupeilen. Gerade als sie die scharfen Enden der Zähne bereits unter ihre Haut dringen spürte, zog auch er sich zurück. Vielleicht hatte sie auch diesen Wolf erwischt, sie wusste es nicht.. eigentlich wusste sie im Augenblick garnichts mehr, außer dass Menschen vielleicht doch nicht so übel waren?

Die Welt um die hellhaarige Frau wurde blasser, das Grün der nahestehenden Bäume verschwamm in fast malerischer Form und auch die Geräusche wurden leiser. Nur das Pochen ihres Blutes konnte sie laut und deutlich in ihren Ohren hören als sie das Bewusstsein verlor. Der Silberdolch sank müde mit ihrem trägen Arm in das Gras hinab und alles andere schien ebenfalls völlig belanglos. Schlafen.. sie war müde. Sie wollte nichts als nur einen kurzen Moment die Augen zu schließen, die Arme um ihren schmerzenden Körper zu legen damit er nicht auseinanderbrach und sich auszuruhen.. bitte.
 
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Reyna Ileah
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Re: Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »

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17. Tag des sechsten Mondes im Jahre 65

Hitze und Kälte.. Schwitzen und frieren.. Durchdrehen und zittern. Erst nach einigen Stunden war auch ein unaushaltbarer Juckreiz dazugekommen, der Reyna ihre Arme aufkratzen ließ. Tausende Käfer mussten unter ihrer Hautoberfläche kriechen und krabbeln und sie immer wieder zwicken. Die blonden und stets gepflegten Wellen hingen ihr nicht mehr sanft um die Schultern sondern klebten ihr mehr als unschön im Gesicht. Die Kleidung welche sie regelmäßig wechselte hing nass und wie festgewachsen an ihrem Körper und selbst die Decke hatte einen Rhythmus von Wegschieben und wieder Heranziehen nicht verdient.

Doch so sollte zumindest dieser Tag nicht enden. Nachdem Fahlya und Livius in die Hütte gekommen waren und Reyna sie wie immer eher als nervende Nebenwirkung ihrer Infektion empfand, begann Livius wie gewohnt, sie allein mit seiner Anwesenheit zu provozieren. Woher dieser ungeahnte Ärger kam war ihr selbst wohl kaum bewusst, jedoch hegte sie nichts als Ekel ihnen gegenüber. Allein dafür dass sie den Blondschopf angefallen hatten, sich darüber stritten ob ihr Tod nicht doch die bessere Wahl wäre oder sie am Ende nur eine Belastung sei - obwohl alles gegen irgendeinen scheinbar kaum ernstzunehmenden Kodex sprach. Dass sie stets über Reyna sprachen als wäre sie nicht da, machte sie nur umso wütender.. und das obwohl ihr Gemütszustand ohnehin schon angekratzt und wortwörtlich erhitzt war. In diesem Moment hatten sie darüber philosophiert, wie sie Reyna dazu bringen könnten ihre Wandlung zu erzwingen. Nach ihrer eignen Meinung hatte aber natürlich erst einmal niemand gefragt, die Aussicht darauf, dass das Fieber nachlassen würde jedoch.. kam ihr unsagbar gelegen. Livius hatte gesagt dass sie sie provozieren mussten und das konnte er, wie der Blondschopf selbst schon zuoft festgestellt hatte, nun einmal wunderbar. Doch wieder entpuppte sich das ganze mehr als Qual, als er mit den Fingern um ihren Hals griff und sie zu würgen begann, an ihren Haaren riss und sie schlussendlich über die Schulter bugsierte als wäre sie lediglich ein Sack Kartoffeln den es in eine Küchenecke zu schmeißen galt. Alles ging so schnell, dass plötzlich die Hüttentür aufgetreten, sie durch den Wald getragen und schließen in das Wasser des See's geworfen wurde. All das hatte sie bereits entzürnt, denn sie mochte sie nicht länger herumschubsen lassen wie ein Püppchen an ein paar dünnen Fäden die von Mal zu Mal dicker gesponnen wurden. Doch ehe sie etwas darauf erwidern konnte, ehe die Beleidigung gänzlich aus ihrem Mund gedrungen war, griffen seine Hände abermals nach ihrem Kopf und drückten sie gewaltvoll und ohne einen letzten Atemzug unter Wasser. "Wut oder Todesangst", hatte Fahlya gesagt und sie mitnichten damit rechnen lassen, dass es so enden würde.

Das Wasser umschloss ihren Kopf drückend, keinen Platz für irgendwelche Atemzüge oder Schreie lassend. Mit den Armen und Beinen jedoch ruderte und schlug sie fest um sich, in der Hoffnung diesen verdammten, dämlichen und arroganten Kerl zu treffen. Sie fand ihn einfach nur abstoßend und ekelerregend.. und so versuchte sie nicht nur einmal ihre Fingernägel in seinem Gesicht zu platzieren. Reyna spürte, wie die Blubberbläschen ihrer austretenden Luft an ihrem Gesicht und ihrer Haut entlang an die Oberfläche drangen. Und tatsächlich.. zog er unwirsch an ihren Haaren und ließ sie auftauchen - jedoch nur um sie mehr als kurz zu besehen und im selben Atemzug noch etwas brutaler wieder unterzutauchen. Was für ein dreckiger Mistkerl! Ihre Wut fing an sich auszubreiten, wurde jedoch von einem anderen Gefühl betäubt.. Angst. Denn sie hatte kaum Zeit gehabt einen Atemzug zu tätigen, kaum Raum gehabt um ihrem Zorn Ausdruck zu verleihen und das Brennen und das Gefühl der Enge in ihrem Hals machten ihr immer mehr zu schaffen. Das letzte woran sie sich erinnern sollte war jedoch das erste, schmerzhafte Knacken in ihren Armen. Etwas das sich anfühlte als würde sie vollends unter dem Druck des Wassers zerbersten. So würden die anderen Beiden, nachdem Livius sie losgelassen hatte, vielleicht noch das geweitete Augenpaar erkennen, welches sich veränderte als wären die Äderchen im Inneren geplatzt und hätten hellblaues und gefrorenes Wasser freigegeben. Sie selbst jedoch.. versank im Abgrund von absolutem Nichts, welches nur durch sengenden Schmerz geblendet wurde.

Als sie eine ungewisse Zeit später wieder zu Bewusstsein kam, hatte sie keinen Fetzen Stoff mehr am Körper. Fahlya und Livius traten vorsichtig und beobachtend an sie heran und Fahlya zumindest sagte etwas von.. "geschafft.. und alles wird besser." Dass sie nicht lachte. Was dachten sich die Beiden jetzt? Dass sie nun zu ihren besten Freunden wurden nur weil Reyna selbst es überlebt hatte? Dachten sie tatsächlich dass der Blondschopf alles vergessen würde, einfach so? Viel wichtiger jedoch war, was überhaupt geschehen war. Sie erinnerte sich lediglich daran eben noch voller Angst und ohne Luft unter Wasser gedrückt worden zu sein.


 
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Reyna Ileah
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Re: Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »

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18. Tag des sechsten Mondes im Jahre 65

Sie schlug in den Nachmittagsstunden die Augen auf und sah sich in der Hütte um - niemand da. Nur selten hatte Reyna bisher die stillen Stunden in der Hütte abgepasst, war sie doch noch zu müde und zu ausgelaugt um den ganzen Tag wach zu sein. Stets lag irgendein Augenpaar auf ihr, ob es nun Livius war, Nimue oder auch Fahlya. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind das keine eigene Meinung und keinen selbstständigen Willen mehr haben durfte. Doch die eben festgestellte Freiheit würde sie auskosten. Sie griff nach ein paar Kleidungsstücken und zog sich hastig an, durchkämmte ihre Haare grob mit den Fingern und wendete sich augenblicklich der Tür zu um die lieblos eingerichtete Hütte zu verlassen. Schon dass sie das erste Mal ohne Gesellschaft hier draußen war, ließ die waldene Luft gleich viel besser riechen. Eine seichte Brise vom Wasser erinnerte sie eine Sekunde lang an Zuhause, ehe sie den Kopf schüttelte und den Gedanken willentlich vertrieb. Eigentlich wollte sie nicht abhauen, ganz und garnicht - denn so richtig hatte Reyna eh keine Ahnung wie es nun weitergehen sollte. Aber sie wollte etwas zum Zeichnen, ein Buch und einen robusten Kohlestift zum Schreiben. Irgendwie waren all ihre Sachen, bis auf die Laute ihres Vaters, verschwunden.

Der Weg nach Ansilon stellte sich als weitaus schwerer heraus, als sie es angenommen hatte. Und dennoch kannte sie sich immerhin in dieser Stadt aus, was ihr ein beruhigendes Gefühl gab. Nur kurz wollte sie hierbleiben, ihre Besorgungen machen und dann rasch wieder zur Hütte zurück um bloß nicht aufzufallen. Auf dem Marktplatz wurde sie schnell fündig, sodass sie nur noch am Bankhaus vorbeisehen musste bevor sie sich auf den Rückweg machte. Obwohl die Stadt ihr dieses sichere Gefühl gab, lag ihr doch die ganze Zeit über die Unsicherheit in selbem Maße im Nacken. Sie knabberte förmlich an ihrer Haut und hinterließ ein schlechtes Gewissen - welches völlig fehl am Platz sein sollte. Die Tür der Bank wurde aufgestoßen und die Blonde zog vorsorglich ihren Kopf ein. Schnell schnappte sie sich einige Stücke aus ihrer Truhe, verstaute das Buch und den Stift nervös.. dann spürte sie die Person, die durch die Tür gekommen war, bereits in ihrem Rücken. Die Stimme war rau und tief, bohrte sich in ihren Gehörgang und hinterließ einen Eindruck der Vertrautheit. Wieso? Wieso musste sie ausgrechnet jetzt irgendjemanden treffen, den sie bereits kannte. Noch immer unsicher wer der Besitzer dieser Stimme war, drückte Reyna sich vom Banktresen zur Seite und wendete sich im selben Atemzug herum - nur um in bekannte dunkle Augen zu sehen, welche wie immer von einer dunkelroten Kapuze umgeben waren. Noch immer hatte sie keinen Namen zu seinem Gesicht, nichtsdestotrotz hatte sie auch ohne seinen Namen schon die ein oder andere.. freundliche.. Begegnung mit ihm gehabt. Reyna war taub für die Worte die er ihr entgegenbrachte, amüsiert schien er jedoch nicht zu sein als er sie aufforderte mit ihm vor die Stadt zu kommen. Sie wollte nicht, sie sagte ihm auch dass sie nicht wollte - doch Überraschung.. wiedermal war ihr eigener Wille völlig gleichgültig für ihr Gegenüber. Was war eigentlich los mit den Männern hier?

Widerwillig folgte sie ihm hinaus vor das Tor. Nicht dass sie wollte, doch sie hatte absolut keine Ahnung wie ihre Stimmungsschwankungen sich auf ihren Körper auswirken würden und das wollte sie auf keinen Fall so rasch herausfinden. Mehr als pünktlich kam er zum Punkt und fragte ob sie ihm erzählen wolle, was passiert sei. Reyna wusste dass sie nicht reden durfte, das würde sie am Ende nicht nur ihre Zunge sondern womöglich auch ihr Leben kosten. Davon abgesehen traute sie ihm nicht, sie traute niemandem - wie auch? Die anderen Beiden waren in Reynas Beliebheitsliste auch nicht gerade auf Platz Eins, sie jedoch hatten immerhin den Mumm gehabt ihr gleich ihre Namen zu nennen. Er spürte ihr Misstrauen scheinbar auch, ebenfalls gefiel ihm nicht dass sie kein Wort über ihre Lippen brachte. Der Blondschopf hingegen war noch immer gefangen im Gefühl des Wassers. Des Nachts wachte sie auf, weil sie träumte keine Luft mehr zu bekommen und so zog sie auch hier immer wieder ihren Kopf ein. Überempfindlich für zu schnelle Bewegungen saß ihr die Panik noch immer in den Eingeweiden. Erst einige Zeit später verformte sich seine Gestalt unter einem Knacken, das selbst Reyna im eigenen Körper wehtat. Das nachtschwarze Fell, welches sich am Wesen vor ihr emporzog, ließ sie abermals erschaudern.. wo war sie hier zum Teufel hereingeraten? War das alles nur ein abgekatertes Spiel und sie saßen am Ende alle unter einer Decke?

Erst als sein Körper wieder zum Vorschein kam und er langsam nach einigen Sachen aus seiner Tasche griff um sich anzukleiden, verstand Reyna zumindest - dass er genau wusste, was sie mittlerweile war. Jedoch sprach er im Gegensatz zu den anderen Beiden nicht von "Fluch oder Segen".. sondern eindeutig von "Segen". Und vor allem gab er nicht nach, auch wenn Reyna immer wieder betonte dass sie keine Namen nennen würde. Er erklärte ihr wenige Dinge, wenn auch mehr als sie bisher gewusst hatte - und als Fahlyas Name fiel, schloss der Blondschopf unweigerlich die Augen in schmerzhafter Erinnerung. Seine Augen weiteten sich etwas und auch der orangene Ring um seine Iris pulsierte etwas auf, doch weiterhin drang nicht ein Wort über ihre Lippen. Sie hatte sich währenddessen aufgedrückt und gesagt, dass sie zurückkehren würde. Er nickte in ruhiger Manier und griff in seine Tasche um ihr eine Rune entgegen zu strecken. Wenige aber deutliche Worte zur Erklärung folgten, dann griff die Blonde nach der Rune und ließ sie in ihre Tasche sinken. Gerade wollte sie sich in Bewegung setzen als sie sich nochmals umdrehte und zu ihm empor sah. "Verrätst du mir dieses Mal deinen Namen?", kam es unsicher aus ihrer Richtung und ließ den hochgewachsenen Kerl abermals ruhig nicken. "Mahribar." Reyna nickte nun selbst, eher nachdenklich und ging ohne ein weiteres Wort Richtung Ansilon. So einfach war es also am Ende gewesen einen Namen zu sagen - wozu dieses Drama im Vorfeld?

Auf dem Rückweg zur Hütte spielte sie mit der Rune in ihrer Tasche und dachte über die Begegnung nach. Der Wald ließ sie langsam laufen, sie empfand keine Eile.. sie wollte nur noch einen Moment die frische Luft des Abends in ihre Lungen saugen, ehe sie sich wieder mit dem sadistischen Mistkerl namens Livius auseinandersetzen musste. Immerhin hatte sie jetzt etwas um alles was sie lernte.. oder erlebte.. niederzuschreiben.
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Reyna Ileah
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Re: Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »

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19. Tag des sechsten Mondes im Jahre 65

Niemand hatte bemerkt dass sie fort gewesen war. Noch im Wald hatte sie sich am See gewaschen, damit niemand auf die Idee kam irgendeinen bekannten Geruch an ihr wahrzunehmen, und sich ihre Hauskleidung wieder übergestriffen. Sie hatte sich hingelegt und sich gezwungen zu schlafen, wenngleich ihre Gedanken noch immer unruhig um die dunklen Augen ihrer Begegnung kreisten. In welchem Verhältnis standen all die Wölfe zueinander? Was konnte er ihr sagen, was die anderen Beiden ihr möglicherweise vorenthielten? Irgendwann übermannte der Schlaf sie dann doch und setzte in voller Trägheit ein. Ein traumloser Schlaf, welchen sie nach all den Fiebernächten genoss.

Am darauffolgenden Mittag stahl sie sich abermals aus dem verlassenen Haus. Ob unter Tags jemand "zuhause" gewesen war, konnte Reyna nicht sagen und eigentlich interessierte es sie auch nicht. Sie war froh wenn sie ihre Ruhe hatte - auch wenn sie voller Wissensdurst darauf verharrte etwas zu lernen. Sie hatte sich zwei Roben aus Ansilon mitgenommen und striff die Kapuze tief ins Gesicht, sodass ihre blonden Strähnen weitgehend bedeckt waren. Viele Schritte sollten sie aus dem Wald hinaustragen, ehe sie die steinerne Rune aus der Tasche zog und mit den Fingerspitzen hinüberfuhr, etwas daran rieb und sie schlussendlich zu Boden legte. Ein flimmernder und verschwommener Riss zog sich durch ihr Blickfeld und nachdem sie eine Sekunde lang gezögert hatte, setzte sie ihre Füße hindurch. Bereits mit dem ersten Schritt spürte sie die laue Wärme welche ihrem Gesicht entgegenkam und eine kaum spürbare Feuchtigkeit auf ihrer Haut ablegte. Sogleich zog sie ihre Kapuze einen Augenblick vom Kopf um durchzuatmen und sich einmal umzusehen. Die breiten Sandsteine erinnerten sie gruselig an das Fell der sandfarbenen Wölfin - sie fühlte sich ungehindert beobachtet. Mahribar hatte gesagt er würde spüren wenn ein Wolf in seinem Revier war, so blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten. Und siehe da, nur einen viertel Stundenlauf später stand er in üblicher Manier hinter ihr und erhob seine Stimme. Der blonde Schopf drehte sich sodass sie ihn erfassen konnte, womit ihr eine weitere Frau, oder besser gesagt ein Mädchen auffiel. Bereits mit der ersten Betrachtung hatte Reyna das Gefühl, dass es mit ihr sicherlich noch amüsant werden würde - denn sie war ihr keinesfalls sympathisch. Sie, die sich später als Sheridan herausstellen sollte, starrte angestrengt in ihre Richtung, als Reyna die Stille bereits mit einem ''Was guckst du so, hm?" brach. "Ich gucke wohin ich will!", giftete sie sogleich kindlich trotzdend zurück. Insgeheim musste Reyna bereits jetzt schmunzeln, denn dieser Moment war der erste in ihrem Leben, der die Worte ihrer Eltern verdeutlichte.

Sie folgte den Beiden durch die erhitzte Umgebung und nach einer Weile kamen sie an einem steinernen Gebäude an, welches dem Blondschopf ins Gedächtnis rief, dass sie lieber Holz um sich hatte. Es wurden wenige Freundlichkeiten getauscht denn Reyna war weder zu Scherzen, zu Kinderreien noch zu irgendwelchen hinterlistigen Plänen aufgelegt. Sie war gekommen um mehr zu erfahren, herauszufinden was Mahribar zu sagen hatte. Dafür würde sie einen Teil der Wahrheit an diesem Ort zurücklassen, auch wenn sie wieder penibel darauf achtete weder Namen noch Beschreibungen irgendwelcher Personen zu hinterlassen. Auch wenn der hochgewachsene Kerl bereits sein eigenes Bild gemacht hatte, wer für die Wandlung Reynas verantwortlich war, bestätigte sie es nie direkt oder offensichtlich. Gerne wiederholte sie ihren Gedanken, dass sie vorerst niemandem trauen würde. Der kleine Wadenbeißer von Sheridan stand während der Unterhaltung an der Wand und hatte scheinbar ebenso wenig wie Reyna, irgendwas anderes als Triezereien an sie zu geben. Ihre Meinung über die Göre wurde allerdings dezent verändert, als Mahribar von ihrer Wandlung und dem Weg zu ihm berichtete. Keine Gewalt.. keine Beleidigungen, zumindest klang es so. Scheinbar musste es also nicht so sein wie sie selbst es erlebt hatte. Und auch wenn diese Unterhaltung durchaus aufschlussreich war, nagte bereits die Zeit an Reynas Körper. Sie musste zurück ehe sie jemand "vermissen" würde - welch Ironie.

Nachdem Mahribar und Sheridan ihr noch einige Dinge erklärt und auch eine praktische Übung gezeigt hatten, die Reyna helfen sollte sich von den zukünftigen Qualen abzuschotten, verließ sie das Haus und ebenso die Sandstadt zügig. Wieder führte ihr Weg sie am See des Waldes vorbei, wo sie ihren Körper und auch ihre Haare gründlich wusch. Selbst ihre Kleidung tauchte sie in das Wasser um sie nach einigen Minuten kräftig auszuwringen. Mit den üblichen Kleidungsstücken, die sie von Nimue bekommen hatte, machte sie sich zur Hütte auf und nahm auf ihrer Schlafmatte platz. Das Büchlein wurde aus einer vernähten Tasche in einem ihrer Umhänge gezogen und der erste Eintrag fand in ihr Notizbuch:

 
19. Tag des sechsten Mondes - Jahr 65

Ich habe mir Gedanken zu diesem "Ort" gemacht von dem wir gesprochen haben.
Sofort hatte ich einen Platz vor Augen. Es war die Wiese vor dem Haus meiner Eltern. Ich konnte die Gräser, welche im Wind wehten, förmlich riechen und ihren grünen und goldenen Glanz in der letzten Abendsonne erkennen. Die Helligkeit des Tages wurde von den üblichen, aufkommenden Wolken verschlungen und hinterließ einen dunkelgrauen Schleier über der Küste. Und während ich im Scheidersitz vor der Hütte saß und in die Natur blickte, fiel bereits der erste Regen und benetzte mein Gesicht mit einem kühlen, umschmeichelnden Wind. Für diesen kurzen Moment war ich Zuhause gewesen. Kein Ort der es sein sollte, sondern einfach der Platz, der es tief in meinem Inneren immer sein würde. Dort wo man willkommen und nicht der letzte Dreck war, dort wo man gebraucht und nicht nur geduldet wurde. Ich hatte die laue Luft gerochen, die der Regen von der noch warmen Erde empor gezogen hatte. Es roch nach warmem, feuchten Erdboden - fast wie in den Sommermonden, wenn meine Mutter in ihrem Garten das Gemüse gepflanzt und gegossen hatte. All das wurde nur noch von einem grellen und sich durch die Wolken ziehenden Blitz untermalt, welcher den Himmel einforderte und sich seinen zustehenden Raum nahm.

Ich habe keine Ahnung wohin mich dieser Weg führen soll und wird. Ich weiß nicht wem ich trauen kann und wem nicht - vielleicht sollte ich am Ende nur einer Person trauen.. und zwar mir selbst. Was ich jedoch weiß ist, dass es diesen einen Ort gibt, den mir niemand nehmen kann und wird.. ganz gleich was sie mit mir anstellen.

 

Ebenso penibel wie sie das Büchlein aus dem Innenfutter des Überwurfes geklaubt hatte, steckte sie den schmalen Einband wieder hinein und knotete die Naht wieder zu. Ihre Worte hatte sie absichtlich so vage gewählt, dass selbst ein Lesender es möglicherweise nicht sofort verstehen würde - und selbst wenn, sie brauchten bloß nicht glauben dass es nur diesen einen Ort für Reyna gab. Erst dann erhob sie sich von ihrem Platz und fächerte die blonden Wellen auf um sie vor dem Ofen zu trocknen, als die Tür der Hütte aufging und ihr persönlicher Feind durch die Tür trat. "Hast du mir irgendwas zu sagen?!"...
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Reyna Ileah
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Re: Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »

Gegenwart:
Abend des 19. Tages im sechsten Mond des Jahres 65

"Was sollte ich dir zu sagen haben?", kam es bemüht ruhig und kontrolliert über Reynas Lippen. Er sah sie äußerst skeptisch an, doch wenn er dachte dass sie noch nie in ihrem Leben gelogen hatte, dann hatte er sich wahrhaftig geschnitten. Er verzog seine Mundwinkel weniger amüsiert und brummte leise. "Etwas über deinen unangekündigten Spaziergang vielleicht? Oder willst du mir etwa sagen, dass ich mir nur eingebildet habe, dass das Haus leer war?" Er ließ nicht nach doch auch Reyna würde hart bleiben was diese Unterhaltung anging. Sie hob die Schultern in unschuldiger Manier und antwortete: "Ich war ein wenig den Wald und die Ruine erkunden. Was du dir einbildest oder nicht, interessiert mich weder noch geht es mich etwas an." Sie konnte garnicht oft genug darüber nachdenken wie satt sie es hatte, behandelt zu werden wie ein kleines Kind, dass sie schon viele Jahre nicht mehr war. Fahlya, die durch die Tür gekommen und zu ihnen gestoßen war, mischte sich nun ebenfalls in das Gespräch ein. "Auch Welpen brauchen ein wenig frische Luft, Livius. Stell dir vor, du wärst den ganzen Tag hier eingesperrt. Da würde ich wahnsinnig werden." Einen winzigen Augenblick hegte Reyna etwas wie Sympathie für die sonst so kühl wirkende Frau. Außerdem war sie dankbar als Fahlya ihr einige Kleidungsstücke in die Hände gab und so auch das Thema fallen gelassen wurde. Doch kaum dass der Blondschopf über etwas ähnliches wie Zuneigung nachgedacht hatte, diskutierten die Beiden neuerlich darum, wessen Welpe sie nun war. Während sie sich den Mist gegenseitig in die Schuhe schoben, wer für wen verantwortlich war und wessen "Klotz am Bein" der neue Welpe nun war, setzte Reyna sich zu Boden und zog ihre Beine in den Schneidersitz an sich heran. Wenn es Werwölfe gab, dann gab es möglicherweise auch Menschen die in einer Art Zeitschleife gefangen waren, in der sie immer wieder über die selben Dinge redeten oder sich die gleichen Vorwürfe an den Kopf warfen. Sie langweilte sich und wünschte sich in den Wald zurück. "Da nicht feststeht wessen Welpe ich nun wirklich bin, dürft ihr euch wohl beide ärgern wie es aussieht. Und wenn man Nimues Gesellschaft mal außen vor lässt, hatte ich auch nicht gerade die beste Zeit meines Lebens hier bei euch", stellte die Blonde nun eher dumpf fest und vollbrachte, dass sie beide innehielten und sie ansahen. Etwas verdutzt wanderten die Kornblumenaugen dann gen Fahlya, als diese tatsächlich danach fragte wie es Reyna ging. Ob das nun eine ernstgemeinte Frage war oder wieder nur eine dieser Floskeln mit denen Menschen gerne um sich warfen? Sie antwortete ausnahmsweise brav und auch wahrheitsgetreu - es gab keinen Grund zu lügen und sie wollte außerdem nutzen, dass die Beiden hier waren und Reyna sie ein wenig löchern konnte. Über Dinge die sie wissen musste, auch über ihre Zukunft. Wie würde diese wohl aussehen? Musste sie für immer hier in diesem Haus bei diesem Idioten und seiner für ihn viel zu guten Partnerin bleiben? Doch Fahlya wusste auch diese Frage zu beantworten und erstickte Livius Worte immer wieder im Keim. Da in Reynas Fall kein richtiges Rudel vorlag, könnte sie hingehen wohin sie wollte, so sie ihren Körper erst einmal unter Kontrolle hatte. Die Erklärungen glichen denen Mahribars vage wenn es um den Punkt der Entspannung ging. Es könnte eine Tätigkeit wie das Zeichnen oder das Spielen ihrer Laute sein, Meditationen oder auch ein besonderer Ort oder eine Erinnerung in den Gedanken, die man jederzeit abrufen könne. Sie erklärten ihr, dass sie nun als Werwolf, deutlich älter wurde als normale Menschen, wenn nicht gerade etwas nach dem Leben trachtete - welch gruselige Vorstellung noch da zu sein, wenn ihre Eltern schon lange Zeit nicht mehr am Leben waren.

Während die Dunkelheit einbrach und sich bereits durch eines der Fenster ankündigte, erzählte Fahlya von einem Ort namens "Mondsteinhöhle" - ein Ort der für Werwölfe eine spezielle Bedeutung hatte.. ein Ort den Livius Fahlya sogleich wieder ausredete weil Reyna noch viel zu frisch dafür wäre. Während die Beiden also abermals zu diskutieren begannen, drückte der Blondschopf sich von ihrem Platz auf und wanderte zu ihrer Schlafmatte hinüber. Fahlya machte es sich wie selbstverständlich auf dem Schlafplatz von Livius bequem und hinterließ mit dieser Geste ein Schmunzeln in Reynas Mundwinkel. Als sie sich herumdrehte.. dachte sie darüber nach wie man die Dinge lernen sollte, wenn man von ihnen ferngehalten wurde. Ein ruhiges "Schlaf gut" aus Fahlyas Richtung ließ sie ihre Gedanken allerdings verwerfen und die Augen schließen. Dieser Tag war chaotisch genug gewesen..

 
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Reyna Ileah
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Re: Wenn vom Regen nur der Nebel zurückbleibt..

Beitrag von Reyna Ileah »

Gegenwart:
Mondsteinhöhle -
im Jahre 70


Die Monde in denen sie sich entfernt hatte, waren schnell und immer einfacher vorübergezogen. Sie hatte sich an das Schicksal, welches sie ereilt hatte, gewöhnt. Sie war in der Lage die Prozedur zu kontrollieren und auch der knackende, berstende Schmerz zog nicht mehr bis in die Tiefen ihrer Knochen. Das tat er sicherlich noch immer, doch irgendwann lernte man den Schmerz zu akzeptieren, ihn als einen Teil von sich selbst anzuerkennen, als ob er ein Recht hatte da zu sein, da er ohnehin nicht wieder gehen würde. Man verzieh ihn also schneller, vergaß ihn, sobald die Triebe des Tieres sich ausbreiteten und man sich der anderen Stärke bewusst wurde. Reyna hatte genau gewusst, dass es auf Unmut stoßen würde, wenn bemerkbar wurde, dass sie fortgegangen war, oder sie wieder auftauchen würde. Aus den Augen - aus dem Sinn, so war es doch, nicht? Ganz bestimmt sogar war es so abgelaufen, denn sie hatte in all der Zeit niemanden erblickt, der ihr auch nur annähernd bekannt vorgekommen wäre. Das machte nichts, sie hatte die Zeit gebraucht um zu lernen, sich selbst weiterzuentwickeln ohne auf irgendjemanden angewiesen zu sein, Kontrolle und Beherrschung zu verinnerlichen, vor allem aber, sich in der Menge zu verbergen und in Tarnung zu leben. Als sie aufgebrochen war, hatte sie bereits einige Tipps zum Überleben bekommen, doch musste sie dazu fortgehen. Wäre sie bei den beiden Streithähnen geblieben, hätte ihre Unerfahrenheit und ihr loses Mundwerk sie irgendwann das Leben gekostet. Bei Mahribar wäre sie wahrscheinlich Sheridan früher oder später an die Kehle gesprungen. Amüsanterweise hätte diese Wortwahl vermutlich ins Schwarze getroffen, so unwissend wie sie zu diesem Zeitpunkt noch gewesen war. Doch die vergessenen Gesichter und die damit verbundenen Empfindungen sammelten sich an diesem Abend vor den Kornblumenaugen. Kaum dass die Steinchen unter ihren Stiefeln ihre Ankunft verkündet hatten, spürte sie all die Blicke der Wölfe bereits auf sich. Livius wurde sich ihrer zuerst bewusst, natürlich wurde er das, ein Knurren hatte es verraten. Doch wie könnte es anders sein? Schließlich war er mit dafür verantwortlich, dass sie nun war, wie sie war. Was hatte Reyna ihn verflucht und gehasst, sich die Haare in Endlosigkeit über ihn gerauft, doch nun.. war da nichts. Doch!, denn sie fühlte etwas wie Genugtuung, mit aufrechtem Haupt vor ihm zu stehen und ihm völlig lebendig, dreist ins Gesicht zu grinsen. "Welch überraschender Anblick." Man konnte vieles in ihm sehen, erfreut war er jedoch nicht. Höchstwahrscheinlich war er froh gewesen den Welpen, den auch er geschaffen hatte, loszusein, doch diese Rechnung hatte er ohne Reyna gemacht. "Ja nicht? Ich finde auch, dass ich heute Abend unglaublich frisch aussehe.", erwiderte sie absichtlich triezend aber dennoch mit ruhiger Stimme. Nun mischte sich auch eine andere irritierte Stimme hinzu: "Wen hat die Erde denn da ausgespuckt?" - Mahribar. "Eine Totgeglaubte", kam es ohne große Pause von Livius. "Wir sollten die Magie am Höhleneingang erneuern, wenn nun schon Tote hineinkommen", kam es von Mahribar und Reyna dachte an diesen Spruch, der nun noch etwas wahrer wurde. Totgeglaubte leben länger. Ein feines Grinsen bildete sich auf ihren Lippen.

Wie sich herausstellte, hatte Livius nichts seiner überschwänglichen, arroganten Art verloren, denn nur Momente später, während die hintere Reihe bereits zu spekulieren begann, kam er auf sie zu, um sie zu warnen. "Das Lachen wird dir schon vergehen, solltest du irgendwas falsches von dir geben. Wir werden reden müssen." Ja.. er wollte sie einschüchtern, in Wahrheit war wahrscheinlich er selbst es, der etwas wie Angst empfand, Respekt der Situation gegenüber zumindest. Was, wenn herauskäme, dass er, Nimue und Fahlyas dafür verantwortlich waren, dass ihre helle Haut bei Vollmond von gewittergrauem Fell bedeckt war und sich spitze Fangzähne aus ihrem Maul schlugen, wenn die Lefzen sich hoben. Doch heute würde es nicht dazu kommen das Reyna viele Worte verlor. Hier im Rudel, dort wo sowohl alte als auch junge Wölfe anwesend waren, ging es um nichts anderes.. als das Bein zu heben. Der sprichwörtliche Zaun an den man pisste - Hunde zumindest, um zu zeigen wer das Sagen, wer das letzte Wort oder das größere Standvermögen hatte. Hier wurden die reifsten aller Wölfe zu Welpen. Einer weiter als der andere, der Nächste konnte lauter kläffen und ein Anderer hatte die bekannteste Katze verjagt oder den größten Hasen gefangen - Bravo!, primitiv aber glücklich. Es grenzte an reine Selbstbeherrschung wenn es darum ging, nicht aus lauter Ironie zu klatschen, weil einer unter ihnen ein besonderes Kunststück vorgeführt hatte. Doch es genügte zu beobachten und zu schweigen, es gab andere die ihre Meinung dazu bekanntgaben und sich unliebsame Blicke zuzogen. Die Unterhaltung jedenfalls konnte noch ein paar Tage warten. Wenn sie solange verborgen geblieben war, kam es nun auf eins, zwei oder drei Tage auch nicht an. Schon garnicht wenn man bedachte, wie lange Reyna in Nimues Haus festgesessen hatte.

 
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