Vergangenheit:
Die Wellen schlugen erbost an die Küste der kleinen Nordinsel. Die Wolken hatten sich zu einem zornigen Ausdruck am Himmel versammelt und verschwammen in einer unfreundlichen, dreckig wirkenden Farbe zwischen Graugelb und Anthrazit. Während aus dem kleineren, weniger pompösen Haus die ersten Schmerzenslaute folgten, kündigte sich der nächste Blitz mit einem unruhigen Grummeln an und verdichtete sich am Ende zu einem Grollen. Mit dem nächsten Laut aus dem Haus schien der empfundene Schmerz der Mutter größer zu werden, während der Regen ungehalten an die Fenster peitschte. Bedrohlich knackend und brechend, bildete sich ein Blitz am Himmel ab und hinterließ das Geräusch eines zerborstenen Astes. Der Lichtblitz ströhmte in das Haus und erhellte das Schlafzimmer taghell, während die blauen Augen der Mutter diesen kurz spiegelten. Schweißnass und mit verzerrtem Gesicht hielt sie die Hand ihres Mannes, während die Krankenfrau, mit Lacken und Wasser bewaffnet, vor dem Bett kniete. Doch die Schmerzenslaute wurden vom tosenden Meer überschattet, dröhnten immer wieder zum Haus empor während sich das Neugeborene seinen Weg erkämpfte. Der Blitz, welcher in einen nahegelegenen Baum schlug ließ die Mutter nur noch mehr Angst empfinden ehe sich das Schreien des Säuglings in der kleinen Hütte verdichtete und all die umstehenden Geräusche für die Mutter verblassen ließ. Sie traten in den Hintergrund als hätte das kleine Mädchen soeben den ihr zustehenden Raum im Leben der Frau eingefordert. Ihre Haut schien so durchscheinend hell wie der Regen, welcher sich in fortlaufenden Tränen die Fenster hinab wandt, ihre Haare so hell wie einer der Blitze, die sich eben noch in den Augen der Mutter gespiegelt hatten. Voller Stolz, das Unwetter vollkommen vergessen ließ sie sich das kleine, blonde Mädchen in die Arme legen und sah unter Tränen zu ihrem Mann empor.
Die Jahre des Aufwachsens vergingen und das Mädchen schien genauso ungestüm wie das Wetter in der Nacht ihrer Geburt. Reyna, wie die Mutter sie liebevoll genannt hatte, schien in den ersten Jahren ihres Lebens gar unkontrollierbar. Stundenlang saß das Mädchen vor ihren Pergament und versuchte angestrengt die Tropfen, welche sich am Fenster sammelten, nachzuzeichnen. Und voll kindlicher Sturheit durchkritzelte sie alles, sobald die Tropfen ihre Form verloren, weil sie sich gesammelt, und hinabgelaufen waren. Ihr blondes Haar lag in hellen und unordentlichen Wellen um ihr Gesicht, während sich selbst auf dem jugendlichen Gesicht schon eine ausgeprägte Falte des Nachdenkens bildete. Ernst war ihr Blick, als würde sie alles stets soviel bedeutungsvoller sehen als andere. Ungehalten ihr Gemüt, als würde der kindliche Trotz unter der Oberfläche brodeln und nur darauf warten, dass man ihn hinauf beschwor. Doch so wie auch das Unwetter abflaute und den sanften Wind zutage brachte, schlug auch in ihrem Körper ein sanftmütiges und liebevolles Herz wenn es um ihre Eltern ging.
Es sollte jedoch der Tag kommen an dem ein neuer Sturm sich sammelte. Reyna saß am Fenster und beobachtete die aufziehenden Wolken, wie sie sich Nahe der Küste immer wieder drehten und ihre Richtung wechselten. Ihr Vater legte eine Hand auf ihre Schulter und ließ das Mädchen somit den Blickkontakt nach Draußen unterbrechen. "Es wird Zeit dass du deinen Platz findest mein Kind. Einen Platz der für dein eigenes Leben geschaffen wurde und der nicht bei uns ist." Reyna blinzelte angestrengt und versuchte die aufkommende Feuchtigkeit ihrer Augen zu vertreiben. Sie hatte gedacht dass es reichen würde ihren Eltern in kommenden Zeiten zur Hand zu gehen und einfach glücklich zu sein, wieso wollte er sie nun fortschicken? "Was Papa?, wie meinst du das?" Der Vater drückte ihre Schulter in fast liebevoller Geste. "Du wirst uns verlassen Reyna. Du wirst deinen eigenen Weg gehen müssen, sowie ein jeder es tut. Und du wirst etwas lernen, was dir wirklich gefällt." Das Mädchen zog ihre Schulter gar erbost unter der Hand ihres Vaters zurück und drückte sich von ihrem Platz am Fenster hoch. "Ist es wirklich das was ihr wollt? Das eure Tochter euer Haus verlässt?" Ihre Mutter hatte in der Zimmertür gestanden und die beiden beobachtet, doch jetzt als Reyna sie ansah konnte sie ein sachtes Nicken aus der Richtung ihrer Mutter erblicken. Sie konnte nichts dagegen tun, ihre Brauen hoben sich überrascht empor und die erste, durchscheinende Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Ihr Gesichtsausdruck wurde unergründlich, fast angewidert, als sie ihre Laute, einige Pergemante und ein paar zugespitzte Kohlestifte zusammen mit ihrer Kleidung in eine Tasche stopfte und so abermals ihr ungehaltenes Wesen unter Beweis stellte. "Kind, du musst nicht sofort gehen.. schau nur, draußen zieht ein Sturm auf", erklang es besorgt aus dem Mund ihres Vaters und ließ das Mädchen sogleich heftig ihren Kopf schütteln. "Dieses Unwetter ist meine Bestimmung, es ist wie ich. Das habt ihr mich oft genug wissen lassen. Wieso sollte ich mich also vor ihm fürchten, hm?" Sie umarmte ihre Eltern nicht. Sie sah sie an, wie ein fremdes Paar, welches ihr gerade eben ins Gesicht geschlagen hatte und wandte sich der Zimmertür zu. Sie schloss weder die eine, noch die andere Tür und stapfte wütend und vor den Kopf gestoßen wie sie sich fühlte, in den gerade begonnen Regen hinaus. Ihre Mutter stolperte ihr hilflos hinterher, blieb jedoch an der Tür stehen und versuchte das Mädchen in den hohen Gräsern zu erfassen.. doch das blond ihrer Haare verschwand immer weiter zwischen den Federgräsern, welche im ebenso unruhigen Wind umherstriffen. Bald schon konnte man nichts mehr von dem Mädchen erkennen, während sich das erste Grollen des Gewitters über die Länder zog...