Wer sich in Bjornar einfühlen mag und dafür nach den passenden Klängen der Skalden sucht, dem sei diese kleine Melodie, empfohlen, die ganz trefflich die Sehnsucht einfängt, die unser Bjornar tief im Herzen trägt – nach Geborgenheit, nach Wärme, nach Mutter und Wald. Ob seine Barbarenmutter ihm wohl solch eine Melodie sang, vor langer Zeit? Hier aber die Geschichte seiner Reise zum Manne…
Man muss sagen, Bjornar war schon immer etwas sonderbar, selbst für die barbarischen Verhältnisse von Fjellgatt, was durchaus etwas heißen wollte. Er sprach unverständlich, war die meiste Zeit weder sonderlich kampfeslustig, noch besonders grimmig. Er verstand so viele Dinge selbst des einfachen Barbarenlebens falsch, dass auch die dumpfesten Berserker ihn noch für einen Dummkopf hielten. Man war sich einig: nicht einmal das traditionelle Bransla-Ritual konnte man mit ihm richtig machen. Normalerweise schickte man die Jünglinge ja nackt und allein in die Wildnis, auf dass sie eine Nacht in Gefahr überleben sollten. Aber was tun, wenn das betreffende Kind in der Wildnis bereits zuhause ist? Wenn ein kindlicher Geist im Körper eines beinahe ausgewachsenen Hühnen steckte? Bjornar hatte schließlich jahrelang unter Bären gelebt – wenn man ihn also einfach in den Wald geschickt hätte, wäre er vermutlich sogar noch etwas fröhlicher zurückgekehrt, mit einem halben Wolfsrudel, einer neuen Bärenfreundin und einem honigverschmierten Grinsen, ganz und gar unverändert. Also entschieden sich Tarabasch und Haldron – überfordert und nicht ganz ohne Schadenfreude – dafür, die Regeln ein klein wenig anzupassen. Denn wenn die Wildnis keinen Mann aus Bjornar machen konnte, so war doch vielleicht die Zivilisation eine viel größere Herausforderung? Gesagt, getan: Man gab ihm einen Lendenschurz, packte ihm vorsorglich sogar ein paar Schuhe ein, und schickte ihn nach Nebelhafen, zu den kultiviertesten Menschen, die man im Norden so finden konnte – in der festen Hoffnung, dass man dort aus diesem eigenwilligen Wildkind etwas machen könnte, das wenigstens ein bisschen einem erwachsenen Manne glich. Denn – so waren sich alle einig – schlimmer als bisher konnte es kaum werden.
Bjornar gab diese Idee vom Mannwerden die größten Rätsel auf. Nicht, dass er irgendetwas gegen Abenteuer gehabt hätte – im Gegenteil, er liebte Abenteuer, je haarsträubender, desto besser. Aber wozu sollte man ihn denn nach Nebelhafen schicken, damit er dort etwas wird, was er doch längst war? Ein Mann? Ha, er hatte Haare am Sack, und zwar nicht zu knapp, er brummte tiefer als die meisten Bären, die er kannte, und seine Nase bestätigte eindeutig: er roch ganz genau so, wie ein richtiger Mann an den richtigen Stellen riechen sollte – nach Wald, nach Erde und ein bisschen streng, aber auf durchaus angenehme Weise.
Gab es da etwa noch mehr? Hatten ihm die Alten im Stamm irgendwas verschwiegen? Vielleicht irgendein Mann-Geheimnis, das sie vor ihm versteckten? Aber wenn ja, warum in aller Welt schickten sie ihn dann ausgerechnet in diese eigenartige Stadt Nebelhafen, wo niemand nach Erde roch und keiner so aussah, als wüsste er, wie man ein richtiges Brüllen hinbekommt?
Kaum war Bjornar beim Bund der Handwerker angekommen, wurde er auch schon geschnappt, gewaschen und – zum ersten Mal in seinem Leben – in menschliche Kleidung gesteckt. In seiner Größe angefertigt immerhin, man gab sich viel Mühe mit ihm – und nun sollte er Farben auswählen für die Kleidung, und verschiedene Stoffe! Man zwang ihn in Hemden, Hosen, Gürtel, Knöpfe und allerlei andere Tücken, in denen sich Bjornar sofort hoffnungslos verhedderte, bis man ihn mit vereinten Kräften wieder befreien musste. Und wofür das Ganze? Für eine Hochzeit, wie man ihm sagte, was schließlich bedeutete, dass in Solgard viele Menschen auf einem Fleck herumliefen, laut redeten und ständig lachten. Bjornar versuchte tapfer zu sein, hielt sich an einem Stück Braten fest. Allein die drei Babys der Handwerker gaben ihm Kraft durchzuhalten, denn die hatte er schon lang ins Herz geschlossen: Wenn die Kleinsten das überstehen konnten, dann musste eine Hochzeit doch irgendwie harmlos sein. Seine Meinung änderte sich rasch, als das Feuerwerk losging. Er glaubte nun endgültig, der Himmel würde explodieren, und nahm voller Panik Reißaus – zurück durch die Wüste, ins Dunkel der Wälder, wo alles viel einfacher und verständlicher war.
In den Tagen danach versuchte Bjornar sein Bestes, für die Nebelhafener Handwerker ordentlich zu arbeiten – zumindest so ordentlich, wie er es eben verstand. Aber wie sollte man den Stall ausmisten, ohne dabei Mist auf die modischen Sachen zu bekommen? Neben solch unmöglichen Aufgaben, erhielt er von Davind bald eine besonders wichtige: Er sollte zwei Frauen sicher nach Solgard begleiten, weil finstere Gestalten in Nebelhafen ihr Unwesen trieben. Die finstere Gestalt entdeckt er sofort: es war eine Dunkelelfe mit einer grauschillernden Reitechse. Schon immer wollte er diese Tiere kennenlernen! Rasch brachte er die Frauen nach Solgard, und bei seiner Rückkehr spät nachts war die zauberhafte Echse und ihre unscheinbare Besitzerin immernoch da. Seine Neugier überwältige ihn und die geheimnisvolle Elfe lud ihn ein, deren unterirdische Brutstätten zu besuchen. Begeistert folgte Bjornar ihr tief hinunter, auf schmalen, verwundenen Pfaden, weit in die verwinkelten Höhlen – hinab in die Dunkelheit, wo seiner Meinung nach die Echsen schliefen und Dinge lebten, die er bisher nur in Märchen gehört hatte und in den schauerlich schönen Worten des anderen Dunkelelfen, dem er auf einem anderen Abenteuer begegnet war.
Erstaunt war er dann sehr, als die Elfe ihn zu einem Schild brachte, das er selbst erst neulich auf Befehl des Schamanen Haldron im Zwergenreich aufgestellt hatte – das an sich war auch so ein Abenteuer gewesen, auf das er stolz war. Die hinterhältige Elfe war eine wirkliche finstere Gestalt und die Geschichte ihrer Begegnung mit Bjornar ist im Norden bereits hinlänglich bekannt, denn dort jagen sich Dunkelelfen und Suromer und Barbaren im Streit über Grenzschilder hin und her wie die Rüden, die ihr Territorium markieren und immer wieder über die Marke des jeweils anderen pinkeln. Bjornar war der Meinung, dass es mit einem Wettpinkeln durchaus auch getan wäre – die Schilder las und beachtete sonst niemand – nur mit dem ständigen Aufstellen und Abreißen hatten alle ihre liebe Müh. So also wollte die Dunkelelfe Bjornar wegen eines Schildes ermorden, aber sein treuer Reitbär Hrngnir verteidigte und opferte sich für ihn und er entkam, die gequälten Schreie seines Bärenfreundes hallen unvergessen ihm im Ohr.
Auch über die Geschichten, wie darauf der Zwergenrecke Brodomurr Opfer der Meuchelelfe wurde wird viel erzählt, wie Bjornar dann von den Drow durch den Schnee gejagt wurde und vergeblich im Dorf Alarm schlug, wie die Paladine von Solgard versuchten das Leben des Zwergen zu retten und Bjornar am Sterbebett desselben verharrte bis zum letzten Atemzug. Nimmer vergessen werden wird die Geschichte, wie er sich auf der Beisetzung Mordopfers aus Trauer zum ersten Mal mit Zwergenbier betrank, beinahe in den Sarg des gemeuchelten Recken kotzte, und derart ewige Rache schwor, der gemeinen Mörderin.
Was man hingegen nicht so richtig verstehen kann, ist wie er bereits kurze Zeit später dieselbe mordende Dunkelelfe axtschwingend durch Nebelhafen hetzte, um dann später von Zorn und Hass erfüllt auch mit Kelrea, der Kommandantin der Garde von Surom aneinanderzugeraten, niedergeschlagen zu werden, und im hohem Bogen von der Greifenwache aus der Stadt geworfen zu werden. Es zeugt hiervon nur eine herzlose, verlogene Randnotiz in den endlosen Berichten über Vorfälle im Norden, welche die Suromer Bürokratie so liebt. Von der im Ansatz zum Scheitern verurteilen Drachenjagd mit Cataleya, zu der ihn Rhonya Rotfuchs einlud, brauchen wir gar nicht erst zu sprechen, das ist nicht das Papier wert, es niederzuschreiben, denn darüber wären weniger Worte noch zu verlieren, als über die tatsächliche Notiz, die sie für ihn verfasste, und die seine Hilflosigkeit bei der Mannwerdung zum Ausdruck bringt.
Wovon aber sollen wir also lieber sprechen, auf seiner Reise? Davon, wie er mit den Kindern Aram, Benjamin und Leonhardt ein trauriges Schreikonzert anstimmte, dass durch ganz Nebelhafen hallte, aus Trauer um seinen geschlachteten Bären? Wie stolz war er doch auf die starken Lungen der Kleinen, denn ein echter Mann muss schließlich heulen können! Oder sollen wir erzählen, wie gekränkt, verletzt und verwirrt er war, als ihn sein Stamm Trymm’tack auch nach Tagen nicht in Fjellgatt einließ, da er es noch immer nicht vollbrachte, endlich fertig zum Mann geworden zu sein? Erst als selbst Ynge ihm Hiebe androhte, da war ihm klar, dass er dort nicht willkommen war, bis er dieses Geheimnis gelüftet habe. Ganz unverständlich war ihm, wie sein Stamm so freundlich war, immer wenn man sich in den letzten Tagen bei der Jagd in der Wildnis traf, und dann so gemein, sobald er vor den Toren von Fjellgatt erschien.
So machte er lieber einen großen Bogen um die Städte, konnte nicht hierhin und nicht dorthin, erforschte gründlich die vielen Höhlen, die ihm die Druidin Gwendolin gezeigt hatte und hörte den Liedern von Rou zu, die sie ihm heimlich sang. Dabei wäre die Ballade des „Drachen von Arn“ sehr wohl eine eigene Geschichte wert: Der stille, tiefe gemeinsame Abend hatte alles, was Bjornar brauchte: gutes Essen, eine großartige Bärenhöhle, Drachen, einen jungen Helden und schließlich Drachenfreund, und traurig ist das Lied auch! Bei Rous samtiger Stimme träumt er also von weiteren Abenteuern und verströmte freigiebig im schönsten, kleinsten Augenblick die größten Tränen…
Was also soll man von diesem Bransla halten? Wenn es anderen genug sein sollte, eine Nacht frierend und an einen Dolch geklammert in der Wildnis zu verbringen, um zum Mann zu werden, so sei es. Wenn man Bjornar aber fragt, ob er endlich fertig sei, mit seinem Bransla, so wird er aus vollstem Herzen sagen: Ney!
Denn, ist man überhaupt ein Mann geworden, nachdem man den giftigen Dolch eines Todfeindes an der Kehle und zwischen den Rippen spürte? Eine blutige Axt in tödlicher Absicht geschwungen hat? Von finsteren Feinden benutzt und gedemütigt wurde? Ist man ein Mann, nachdem man einen Freund bis zum letzten Atemzug begleitet hat? Nachdem man aus vollem Herzen mit Kindern gelacht hat und weinte?
Nachdem man eine große, kleine Schwester fand?
Ney! wird Bjornar voller Überzeugung sagen, und fröhlich weiter in seinen Wäldern leben. Denn ganz klar und offensichtlich ist doch, fertig wird ein echter Mann mit so einem „Branzel“ nie im Leben!
Bjornar
Ein glorreicher Sieg
Schwitzhütte
In der Schwitzhütte war es dunkel und schwer wie im Bauch eines schlafenden Bären. Der Dampf umhüllte Bjornar dicht und warm, roch nach verbranntem Wacholder, nassem Fell und Erinnerungen, die noch kein Gesicht hatten. Worte wie „Bransla“, „Lebenspfad“ oder „Ehre“ trieben durch seinen Kopf, flüchtig und scheu wie schemenhafte Fische in trübem Wasser, kaum greifbar, kaum zu halten. Sprache jenseits von Geschichten und Liedern war ihm fremd geblieben; Worte waren glitschige Tiere, und je fester man sie zu fassen versuchte, desto rascher entglitten sie.
Doch er verstand, was in den Falten auf Tarabaschs Stirn zu lesen war, was im harten Griff von Rashka mitschwang, oder in der aufgeblasenen Haltung von Gor, im verspielten Gang von Ynge. Er spürte die Sorge und Erwartung im gedämpften Tuscheln seiner Stammesbrüder, roch den Dunst, mit dem sie sich umgaben, um die eigenen Zweifel zu überdecken. Etwas Großes lag heute vor ihm, das konnte er fühlen, ein Weg, dessen Ziel im Nebel lag, aber dessen Richtung er längst kannte und für die es keine Worte gab.
Aanatus hatte ihm geholfen, sich vorzubereiten, erst ruhig, dann verzweifelt und dann immer wieder mit dem Atem der Geduld, hatte er erklärt und erklärt. Lang ein, dreimal aus. Lang ein, dreimal aus, schnaufte er häufig. Auch wenn Aanatus' Worte genauso wacklig waren, wie alle anderen, den Atemtrick hatte Bjornar sich abgeschaut. Er fühlte sich bereit.
Also hatte er sich im Dunkel der Schwitzhütte tapfer in die enge, steife Kleidung gezwängt, die man ihm in der Stadt gegeben hatte; ein seltsamer Kokon aus Stoff, in dem er sich bewegte wie ein Tier, das verlernt hatte, frei zu laufen. Die Kleidung roch nach fremden Händen und kalter Seife, und sie zog ihn fest zusammen, als wollte sie etwas Wildes in ihm bändigen. Bjornar kramte die Worte hervor, die er Aanatus entlockt hatte, wiederholte sie wie einen Zauber:
„Welchen Weg?“, würde Rashka fragen.
„Den Weg meynes Herzens. Den Herzweg“, würde er sagen. Das war richtig, das fühlte er.
„Wat is eyn Mann?“, würde Tarabasch fragen
„Eyn Mann denkert bvor ers Maul uffmacht. Un bvor er uffs Maul haut.“ Das würde Tarabasch hören wollen, weil dies ihm selbst schwer fiel. Er atmete tief ein, die Worte schmeckten fremd und vertraut zugleich. Was er eigentlich sagen wollte war, „Eyn Mann is einer der auch dann eyn Mann ist, wenn er grad keener iss.“ Aber das zu verstehen, da reichte der Verstand der ganzen Stammesmänner nicht und Bjornar hatte das Gefühl, dass diese Gedankenworte sich in seinem Kopf wiedermal von selbst gesprochen hatten. Lieber den ersten Satz, den wollten sie hören.
"Und was is Ehre?"
„Ehre iss mutig tun, wat de Ahnen freut. Wenn Sarmatijasch dich umärmeln will, weil er sich so freut über deyne Tadel. Tanten. Taten!“, brachte er hervor. Es hatte auch was mit den Kopf einziehen zu tun, mit kuschen und machen, was die anderen wollten. Mit Zweikampf und Lügen. Viel zu schwer, für eine Anwort – da musste man einfach nur genau hinsehen und hinfühlen, das war alles.
Seine Stimme verklang, während er schwitzte, tiefer und tiefer sank, bis die Hitze ihm die Welt unter den Füßen wegzog und alles zu einem einzigen, warmen, dunklen Brummen verschmolz. Er war bereit. Die Zeit verlor ihre Konturen, und Bjornar schlief ein – hineingetragen in Träume, in denen Stimmen wie Wind rauschten und Augen ihn aus der Dunkelheit beobachteten bis plötzliches die Tür aufgerissen wurde und Tarabasch ihn mit Schreien und Schubsen zum Langhaus schleifte, wo alle bereits warteten. Fast hätte er im Schlaf seinen großen Moment verloren.
Befragung im Langhaus
Im Langhaus war die Luft angespannt und dicht wie vor einem Sturm, Stimmen flogen hin und her, scharf und dunkel. Von Suromern wurde gesprochen, von Ehre, die sie nicht hatten, von neuen Rüstungen und Stahl – und plötzlich lag die Ahnung eines kommenden Gemetzels über den Köpfen der Versammelten. Bjornar roch es, fühlte es an der angespannten Haltung der Krieger, hörte es im dumpfen Brummen der Ältesten, deren Worte er nur halb verstand, doch deren Bedeutung er tief in seinen Knochen spürte.
Dann wurde sein Name gerufen. Als er nach vorne trat, spürte er das fremde, klebrige Gewicht der durchschwitzten Menschenkleidung auf seiner Haut. Er erwartete das Lachen der Gefährten, den vertraute Spott, der ihn so oft begleitet hatte – doch diesmal blieb es still. Langsam, ungelenk, trat er in den Kreis der Blicke.
Gors Fuß war plötzlich da, ein schneller Schatten im flackernden Licht der Fackeln. Bjornar stolperte, spürte den Boden des Langhauses unter seinen Händen, und Zorn schoss ihm heiß durch die Brust, biss wie Rauch in seinen Lungen. Und da war es wieder, das Spottlachen des versammelten Stammes. Er atmete einmal tief ein und dreimal wieder aus. Einmal tief, und dreimal aus – und es gelang! Das Grollen in seiner Kehle wurde leiser, verklang, seine Lippen schlossen sich über den Zähnen, noch bevor er sich vom Boden erhob.
Dann kamen die Fragen. Andere, seltsame Fragen, auf die er nicht vorbereitet war. Die Frage nach dem Weg war dabei: „Den Weg meynes Herzens. Den Herzweg!“, sagte er laut und blickte zu Tarabasch, dessen Gesicht nach außen fest und ruhig war, dessen Brust sich aber hob, als er hinzufügte: „Dem seyn Weg is meyn Herzensweg och.“ Sie fragten ihn nach seinen Freunden, nach denen, die er auf seiner Reise getroffen hatte. Er sprach die Namen der freundlichen und freundigen, die ihm durch den Kopf schossen: Davind, Gwendolin, Aanatus, die Handwerker, besonders deren Kinder Leonhard, Aram und Benjamin, auch Dakmor, der oh so heldenhaft Ruhige aus Nebelhafen, Aurelia, das Mädchen mit der Pilzsuppe, Leute aus Solgard, Leska, Sarah, Derwyn, Tonya, vielleicht sogar diese Waldelfe… und Brodomurr, natürlich, die Dawi-Ahnen soffen für ihn! Mehr und mehr Namen kamen ihm in den Sinn. Nur Rou ließ er aus; sie war etwas anderes geworden in der letzten Nacht in der Höhle, etwas, für das ‚Freund‘ sich nicht recht anfühlte.
Als die Befragung vorbei war, spürte Bjornar in der Wärme seines Brustkorbs und den Haltungen aller, dass er den schwersten Teil bestanden hatte. Er hielt den kleinen Sternengras-Samen des Bransla in der Hand, kehrte langsam an seinen Platz zurück, begleitet von freundlichem Nicken und brummenden Stimmen. In diesem Moment wusste er, dass er diesmal in den Augen der anderen immerhin nichts falsch gemacht hatte, dass Tarabasch nun nicht in Schande leben musste. Für den wäre diese unheimliche, unergründliche ‚Schande‘ eine sehr schlimme Sache gewesen. Jetzt noch mit Haldron den Samen pflanzen, und er wäre ein Mann – zumindest in den Augen der anderen, die sich um so etwas sorgten.
Neben ihm prahlte Gor laut und sorglos mit seiner eigenen glorreich vollbrachten Bransla, doch Bjornar hörte kaum hin; zu schwer hatte er soeben mit den Wörtern gerungen. Ynge saß daneben und betrank sich still, ihr Blick voll dunkler Erwartung, weil auch ihr heute ein großer Tag bevorstand, der Beginn ihrer eigenen Bransla, die sie zur ‚echten Frau‘ machen sollte. Dabei roch auch sie doch schon weiblich und war fruchtbar gewesen, in den vergangenen Tagen. Woher kam die Not für diese Bräuche bloß? Bjornar spürte ihre Unruhe wie ein summendes Insekt an seiner Haut und versuchte sie abzulenken, doch auch in ihm regte sich eine leise Sorge, ein Gefühl, als hätte er etwas Wichtiges vergessen – etwas, das in seinem Innern unruhig scharrte wie ein gefangenes Tier.
Opfertier
Sein Blick, vom Zwang der festen Riemen müde,
hat keine Hoffnung mehr und keine Welt.
In seiner Brust erstirbt das Herz der Wildnis,
das jede Sehnsucht nun gefangen hält.
Der Körper starr, das Fell voll Staub und Fesseln,
bewegt sich schwach, bleibt still und wiegt sich schwer,
hat sein Gefühl fürs Leben längst vergessen,
und wartet stumpf – wagt kaum zu atmen mehr.
Doch plötzlich steigt ein dumpfes, dunkles Dröhnen,
ein Trommelschlag, der tief sein Blut berührt.
Das Bärenherz erwacht – Angst ist es, die den Zorn gebiert,
von des Schamanen Ruf mit List herbeigeführt.
Die Riemen fallen, frei – doch nicht zum Leben;
ein Tanz beginnt, den er nicht enden kann.
So treibt ihn Todesfurcht in blindem Streben
zum letzten Kampf, den längst ein Mensch gewann.
Ein glorreicher Sieg
Bjornar erstarrte, als sein Blick den Bären traf. Das Tier hing am Baum, mit dicken Riemen gefesselt, das Fell stumpf, die Augen glanzlos. Ein Ziehen fuhr durch seinen Körper, so tief, so schmerzhaft, dass ihm die Knie nachzugeben drohten. Die feinen Menschenkleider, in die er sich gezwängt hatte, schnürten ihm die Luft ab. Für einen Moment war es, als wäre der Gefangene dort nicht der Bär, sondern er selbst. Als läge die Schlinge um seine eigene Brust. Ein Bruder, eine Schwester, seine Mutter vielleicht, verloren und wiedergefunden – nur um geopfert zu werden? Er hatte es vergessen. Unter all den Bräuchen, den Erwartungen, den Prüfungen hatte er es vergessen. Dass der Schamane gefangene Bären opferte. Dass auch er einst einen hatte töten sollen, auf diese falsche, feige Art. Was gab es hier zu beweisen, wenn kein Bär der Neuen Welt ein ernstzunehmender Gegner war für auch nur den schwächsten Barbaren aus Fjellgatt?
Etwas in ihm regte sich, stieg auf wie Rauch aus feuchtem Holz. Ein Laut, tief, kaum hörbar. Er merkte nicht, dass er ihn selbst hervorbrachte. Ein Bärenruf, ein Hilferuf, ein stummes Flehen, das über die Lichtung hinwegtrug, hinaus in die Wildnis, in die fernen Wälder jenseits der Palisaden Fjellgatts.
Das Ritual nahm seinen Lauf. Bjornar wandte sich an Ynge, flehte sie an, den Bären zu verschonen, wenn ihre Zeit käme. Doch es war nicht sie, die auserwählt war. Gor trat vor – nackt, stolz, bereit für einen Kampf, den er nicht verlieren konnte. Der Stamm begann zu klopfen, Schilde gegen Holz, ein Rhythmus, der tief in Bjornars Knochen hallte. Solvaig, ausgerechnet Solvaig, trieb den Schlag voran, ihre Hände unerbittlich. Der Rauch des Ritualfeuers stieg auf, das Dröhnen wurde zum Donnergrollen. Der Bär, der längst gebrochen schien, hob den Kopf.
Bjornar spürte den Moment, in dem Angst zu Raserei wurde. Riechen konnte er es, schmecken. Die Hitze des erwachenden Zorns, das Adrenalin in der Luft. Die Riemen wurden gelöst. Der Schamane stand reglos, wissend, dass nun alles seinen Gang ging. Der Bär bäumte sich auf, schnaubte, der Kampf begann.
Ein Kampf, den das Tier nicht gewählt hatte. Ehrenvoll ist ein Zweikampf, hatte Rashka vorhin gesagt. Dies ist ein Einkampf, ein Keinkampf, dachte Bjornar.
Er schluckte gegen die Enge in seiner Kehle an. Er wusste, wie es enden würde. Es war immer so. Ein Schauspiel für die Menschen, eine Prüfung, die niemals eine war. Seine Brust vibrierte. Unmenschliche Laute entrangen sich ihm, das Dröhnen in seinen Knochen wurde ein Lied aus einer anderen Welt.
Und dann kam die Antwort.
Lautlos. Schatten in der Dämmerung. Bären, zahllose Bären, die aus dem Dickicht traten, sich auf die Lichtung schoben, hinauf auf den Ritualplatz. Tarabasch hob die Arme, versuchte sie aufzuhalten, aber sie kamen nicht als Angreifer. Sie kamen als Zeugen.
Ihr Blick war schwer.
Rashka gebot dem Kampf Einhalt, aber Gors Fäuste fielen weiter, gnadenlos. Der Bär taumelte, schlug um sich, kämpfte, doch vergebens. Bjornar hörte das Brechen der Knochen, hörte, wie das Dorf jubelte. Schilde schlugen aufeinander, Stimmen riefen. Es war ein Sieg, ein glorreicher Sieg.
Doch um sie herum standen die Bären, still wie dunkle Wächter. Und in ihren Augen lag ein Urteil.
Der Schamane wich zurück. „Bjornar, ruf deine Bären zurück!“ schrie er. Tarabasch sprach, verteidigte, klagte an. Worte rauschten an Bjornar vorbei. Er spürte nur noch das Gewicht des Augenblicks. Das Urteil Kovarkarhus, so unausweichlich wie der Tod selbst.
„Ehrlos,“ flüsterte er. „De Ahnen weinen.“
Eine Stimme in seinem Inneren fügte hinzu: Modirkova weint.
Sein Blick ruhte auf dem Schamanen, auf dem Mann, der nichts verstand, der voller Stolz ein feiges Ritual vollzog, weil es schon immer so getan wurde. Berserker und Bär hatten aus Angst gekämpft. Der eine aus Angst um sein Leben. Der andere aus Angst, ein Niemand zu sein. Oder, so wie Bjornar, einer zu bleiben.
Er erhob sich. Trat fort vom Ritualplatz, fort von den jubelnden Menschen. Die Bären wandten sich ab, trotteten zurück in die Dunkelheit des Waldes. Er folgte ihnen.
Seine Bären. Als ob ausgerechnet er sie in irgendeiner Form besitzen würde.
Solvaig wollte ihn zurückhalten, ihm Trost und Erklärungen geben. Aber Bjornar riss sich die feinen Menschenkleider vom Leib, warf sie in den Schlamm.
„Jeg gehör hier nich hin, Sol,“ sagte er leise. 'Nich, solang der Forsjamen so... so... iss wie eyn suromischer Nachtalf', fügte er in Gedanken hinzu. Ob es das richtige Wort war, bezweifelte er, aber es war, dass was ihm am nächsten in den Sinn kam, nach allem was er auf seinem Bransla durchlebt hatte. Er ging los. In seiner Hand hielt er den kleinen Samen, fest umschlossen. Und während er ging, jagte ihm ein besonderer Wortfisch durch den Kopf, glitschig, nicht zu fassen. Er musste ihn wohl von Aanatus aufgeschnappt haben:
"Malnormität."
Erdrückend schwer und stumpf und immer gleich war dieser Fluch der Malnormität.
Bjornar ging langsam davon. Der Rauch haftete an seiner Haut, und in seiner Kehle lag noch immer bitter die Ahnung von Blut und Trauer. Er dachte an den verbohrten Schamanen, dessen Augen scharf waren und doch blind für alles, was nicht in Worte zu fassen war. Ein Mann, der den Willen der Bärengeister nicht erkannte, selbst wenn diese ihn kräftig in den Hintern bissen. Wie konnte er jemandem helfen, der so sicher war, dass die Welt nur aus Blut und Worten und immmer so bestand? Wie konnte er einen Stamm erreichen, der stets lauschte, aber nicht hörte, der die Sinne nur verwendete, um das zu bestätigen, was die Zunge längst beschlossen hatte? Er wusste, er konnte es nicht. Zumindest nicht allein.
Die Nacht umfing ihn schweigend, dunkel und tief wie ein Brunnen. Die Bäume flüsterten, ihre Stimmen weich und ohne Spache, und Bjornar bewegte sich in ihrem Rhythmus, fort von Menschen, deren Herzen mit verschlossenen Ohren schlugen, hin zu jenem Ort, an dem jedes Wesen verstand, ohne dass man ihm etwas erklären musste.
.
.
.
Wer für eine Weile der imaginären Gestalt mit seinem Blick in die Wildnis folgen möchte, der kann dies gern zu dieser Melodie tun und dabei vielleicht noch einmal das kleine Lied an das Opfertier durch Aug und Herz einlassen.
In der Schwitzhütte war es dunkel und schwer wie im Bauch eines schlafenden Bären. Der Dampf umhüllte Bjornar dicht und warm, roch nach verbranntem Wacholder, nassem Fell und Erinnerungen, die noch kein Gesicht hatten. Worte wie „Bransla“, „Lebenspfad“ oder „Ehre“ trieben durch seinen Kopf, flüchtig und scheu wie schemenhafte Fische in trübem Wasser, kaum greifbar, kaum zu halten. Sprache jenseits von Geschichten und Liedern war ihm fremd geblieben; Worte waren glitschige Tiere, und je fester man sie zu fassen versuchte, desto rascher entglitten sie.
Doch er verstand, was in den Falten auf Tarabaschs Stirn zu lesen war, was im harten Griff von Rashka mitschwang, oder in der aufgeblasenen Haltung von Gor, im verspielten Gang von Ynge. Er spürte die Sorge und Erwartung im gedämpften Tuscheln seiner Stammesbrüder, roch den Dunst, mit dem sie sich umgaben, um die eigenen Zweifel zu überdecken. Etwas Großes lag heute vor ihm, das konnte er fühlen, ein Weg, dessen Ziel im Nebel lag, aber dessen Richtung er längst kannte und für die es keine Worte gab.
Aanatus hatte ihm geholfen, sich vorzubereiten, erst ruhig, dann verzweifelt und dann immer wieder mit dem Atem der Geduld, hatte er erklärt und erklärt. Lang ein, dreimal aus. Lang ein, dreimal aus, schnaufte er häufig. Auch wenn Aanatus' Worte genauso wacklig waren, wie alle anderen, den Atemtrick hatte Bjornar sich abgeschaut. Er fühlte sich bereit.
Also hatte er sich im Dunkel der Schwitzhütte tapfer in die enge, steife Kleidung gezwängt, die man ihm in der Stadt gegeben hatte; ein seltsamer Kokon aus Stoff, in dem er sich bewegte wie ein Tier, das verlernt hatte, frei zu laufen. Die Kleidung roch nach fremden Händen und kalter Seife, und sie zog ihn fest zusammen, als wollte sie etwas Wildes in ihm bändigen. Bjornar kramte die Worte hervor, die er Aanatus entlockt hatte, wiederholte sie wie einen Zauber:
„Welchen Weg?“, würde Rashka fragen.
„Den Weg meynes Herzens. Den Herzweg“, würde er sagen. Das war richtig, das fühlte er.
„Wat is eyn Mann?“, würde Tarabasch fragen
„Eyn Mann denkert bvor ers Maul uffmacht. Un bvor er uffs Maul haut.“ Das würde Tarabasch hören wollen, weil dies ihm selbst schwer fiel. Er atmete tief ein, die Worte schmeckten fremd und vertraut zugleich. Was er eigentlich sagen wollte war, „Eyn Mann is einer der auch dann eyn Mann ist, wenn er grad keener iss.“ Aber das zu verstehen, da reichte der Verstand der ganzen Stammesmänner nicht und Bjornar hatte das Gefühl, dass diese Gedankenworte sich in seinem Kopf wiedermal von selbst gesprochen hatten. Lieber den ersten Satz, den wollten sie hören.
"Und was is Ehre?"
„Ehre iss mutig tun, wat de Ahnen freut. Wenn Sarmatijasch dich umärmeln will, weil er sich so freut über deyne Tadel. Tanten. Taten!“, brachte er hervor. Es hatte auch was mit den Kopf einziehen zu tun, mit kuschen und machen, was die anderen wollten. Mit Zweikampf und Lügen. Viel zu schwer, für eine Anwort – da musste man einfach nur genau hinsehen und hinfühlen, das war alles.
Seine Stimme verklang, während er schwitzte, tiefer und tiefer sank, bis die Hitze ihm die Welt unter den Füßen wegzog und alles zu einem einzigen, warmen, dunklen Brummen verschmolz. Er war bereit. Die Zeit verlor ihre Konturen, und Bjornar schlief ein – hineingetragen in Träume, in denen Stimmen wie Wind rauschten und Augen ihn aus der Dunkelheit beobachteten bis plötzliches die Tür aufgerissen wurde und Tarabasch ihn mit Schreien und Schubsen zum Langhaus schleifte, wo alle bereits warteten. Fast hätte er im Schlaf seinen großen Moment verloren.
Befragung im Langhaus
Im Langhaus war die Luft angespannt und dicht wie vor einem Sturm, Stimmen flogen hin und her, scharf und dunkel. Von Suromern wurde gesprochen, von Ehre, die sie nicht hatten, von neuen Rüstungen und Stahl – und plötzlich lag die Ahnung eines kommenden Gemetzels über den Köpfen der Versammelten. Bjornar roch es, fühlte es an der angespannten Haltung der Krieger, hörte es im dumpfen Brummen der Ältesten, deren Worte er nur halb verstand, doch deren Bedeutung er tief in seinen Knochen spürte.
Dann wurde sein Name gerufen. Als er nach vorne trat, spürte er das fremde, klebrige Gewicht der durchschwitzten Menschenkleidung auf seiner Haut. Er erwartete das Lachen der Gefährten, den vertraute Spott, der ihn so oft begleitet hatte – doch diesmal blieb es still. Langsam, ungelenk, trat er in den Kreis der Blicke.
Gors Fuß war plötzlich da, ein schneller Schatten im flackernden Licht der Fackeln. Bjornar stolperte, spürte den Boden des Langhauses unter seinen Händen, und Zorn schoss ihm heiß durch die Brust, biss wie Rauch in seinen Lungen. Und da war es wieder, das Spottlachen des versammelten Stammes. Er atmete einmal tief ein und dreimal wieder aus. Einmal tief, und dreimal aus – und es gelang! Das Grollen in seiner Kehle wurde leiser, verklang, seine Lippen schlossen sich über den Zähnen, noch bevor er sich vom Boden erhob.
Dann kamen die Fragen. Andere, seltsame Fragen, auf die er nicht vorbereitet war. Die Frage nach dem Weg war dabei: „Den Weg meynes Herzens. Den Herzweg!“, sagte er laut und blickte zu Tarabasch, dessen Gesicht nach außen fest und ruhig war, dessen Brust sich aber hob, als er hinzufügte: „Dem seyn Weg is meyn Herzensweg och.“ Sie fragten ihn nach seinen Freunden, nach denen, die er auf seiner Reise getroffen hatte. Er sprach die Namen der freundlichen und freundigen, die ihm durch den Kopf schossen: Davind, Gwendolin, Aanatus, die Handwerker, besonders deren Kinder Leonhard, Aram und Benjamin, auch Dakmor, der oh so heldenhaft Ruhige aus Nebelhafen, Aurelia, das Mädchen mit der Pilzsuppe, Leute aus Solgard, Leska, Sarah, Derwyn, Tonya, vielleicht sogar diese Waldelfe… und Brodomurr, natürlich, die Dawi-Ahnen soffen für ihn! Mehr und mehr Namen kamen ihm in den Sinn. Nur Rou ließ er aus; sie war etwas anderes geworden in der letzten Nacht in der Höhle, etwas, für das ‚Freund‘ sich nicht recht anfühlte.
Als die Befragung vorbei war, spürte Bjornar in der Wärme seines Brustkorbs und den Haltungen aller, dass er den schwersten Teil bestanden hatte. Er hielt den kleinen Sternengras-Samen des Bransla in der Hand, kehrte langsam an seinen Platz zurück, begleitet von freundlichem Nicken und brummenden Stimmen. In diesem Moment wusste er, dass er diesmal in den Augen der anderen immerhin nichts falsch gemacht hatte, dass Tarabasch nun nicht in Schande leben musste. Für den wäre diese unheimliche, unergründliche ‚Schande‘ eine sehr schlimme Sache gewesen. Jetzt noch mit Haldron den Samen pflanzen, und er wäre ein Mann – zumindest in den Augen der anderen, die sich um so etwas sorgten.
Neben ihm prahlte Gor laut und sorglos mit seiner eigenen glorreich vollbrachten Bransla, doch Bjornar hörte kaum hin; zu schwer hatte er soeben mit den Wörtern gerungen. Ynge saß daneben und betrank sich still, ihr Blick voll dunkler Erwartung, weil auch ihr heute ein großer Tag bevorstand, der Beginn ihrer eigenen Bransla, die sie zur ‚echten Frau‘ machen sollte. Dabei roch auch sie doch schon weiblich und war fruchtbar gewesen, in den vergangenen Tagen. Woher kam die Not für diese Bräuche bloß? Bjornar spürte ihre Unruhe wie ein summendes Insekt an seiner Haut und versuchte sie abzulenken, doch auch in ihm regte sich eine leise Sorge, ein Gefühl, als hätte er etwas Wichtiges vergessen – etwas, das in seinem Innern unruhig scharrte wie ein gefangenes Tier.
Opfertier
Sein Blick, vom Zwang der festen Riemen müde,
hat keine Hoffnung mehr und keine Welt.
In seiner Brust erstirbt das Herz der Wildnis,
das jede Sehnsucht nun gefangen hält.
Der Körper starr, das Fell voll Staub und Fesseln,
bewegt sich schwach, bleibt still und wiegt sich schwer,
hat sein Gefühl fürs Leben längst vergessen,
und wartet stumpf – wagt kaum zu atmen mehr.
Doch plötzlich steigt ein dumpfes, dunkles Dröhnen,
ein Trommelschlag, der tief sein Blut berührt.
Das Bärenherz erwacht – Angst ist es, die den Zorn gebiert,
von des Schamanen Ruf mit List herbeigeführt.
Die Riemen fallen, frei – doch nicht zum Leben;
ein Tanz beginnt, den er nicht enden kann.
So treibt ihn Todesfurcht in blindem Streben
zum letzten Kampf, den längst ein Mensch gewann.
Ein glorreicher Sieg
Bjornar erstarrte, als sein Blick den Bären traf. Das Tier hing am Baum, mit dicken Riemen gefesselt, das Fell stumpf, die Augen glanzlos. Ein Ziehen fuhr durch seinen Körper, so tief, so schmerzhaft, dass ihm die Knie nachzugeben drohten. Die feinen Menschenkleider, in die er sich gezwängt hatte, schnürten ihm die Luft ab. Für einen Moment war es, als wäre der Gefangene dort nicht der Bär, sondern er selbst. Als läge die Schlinge um seine eigene Brust. Ein Bruder, eine Schwester, seine Mutter vielleicht, verloren und wiedergefunden – nur um geopfert zu werden? Er hatte es vergessen. Unter all den Bräuchen, den Erwartungen, den Prüfungen hatte er es vergessen. Dass der Schamane gefangene Bären opferte. Dass auch er einst einen hatte töten sollen, auf diese falsche, feige Art. Was gab es hier zu beweisen, wenn kein Bär der Neuen Welt ein ernstzunehmender Gegner war für auch nur den schwächsten Barbaren aus Fjellgatt?
Etwas in ihm regte sich, stieg auf wie Rauch aus feuchtem Holz. Ein Laut, tief, kaum hörbar. Er merkte nicht, dass er ihn selbst hervorbrachte. Ein Bärenruf, ein Hilferuf, ein stummes Flehen, das über die Lichtung hinwegtrug, hinaus in die Wildnis, in die fernen Wälder jenseits der Palisaden Fjellgatts.
Das Ritual nahm seinen Lauf. Bjornar wandte sich an Ynge, flehte sie an, den Bären zu verschonen, wenn ihre Zeit käme. Doch es war nicht sie, die auserwählt war. Gor trat vor – nackt, stolz, bereit für einen Kampf, den er nicht verlieren konnte. Der Stamm begann zu klopfen, Schilde gegen Holz, ein Rhythmus, der tief in Bjornars Knochen hallte. Solvaig, ausgerechnet Solvaig, trieb den Schlag voran, ihre Hände unerbittlich. Der Rauch des Ritualfeuers stieg auf, das Dröhnen wurde zum Donnergrollen. Der Bär, der längst gebrochen schien, hob den Kopf.
Bjornar spürte den Moment, in dem Angst zu Raserei wurde. Riechen konnte er es, schmecken. Die Hitze des erwachenden Zorns, das Adrenalin in der Luft. Die Riemen wurden gelöst. Der Schamane stand reglos, wissend, dass nun alles seinen Gang ging. Der Bär bäumte sich auf, schnaubte, der Kampf begann.
Ein Kampf, den das Tier nicht gewählt hatte. Ehrenvoll ist ein Zweikampf, hatte Rashka vorhin gesagt. Dies ist ein Einkampf, ein Keinkampf, dachte Bjornar.
Er schluckte gegen die Enge in seiner Kehle an. Er wusste, wie es enden würde. Es war immer so. Ein Schauspiel für die Menschen, eine Prüfung, die niemals eine war. Seine Brust vibrierte. Unmenschliche Laute entrangen sich ihm, das Dröhnen in seinen Knochen wurde ein Lied aus einer anderen Welt.
Und dann kam die Antwort.
Lautlos. Schatten in der Dämmerung. Bären, zahllose Bären, die aus dem Dickicht traten, sich auf die Lichtung schoben, hinauf auf den Ritualplatz. Tarabasch hob die Arme, versuchte sie aufzuhalten, aber sie kamen nicht als Angreifer. Sie kamen als Zeugen.
Ihr Blick war schwer.
Rashka gebot dem Kampf Einhalt, aber Gors Fäuste fielen weiter, gnadenlos. Der Bär taumelte, schlug um sich, kämpfte, doch vergebens. Bjornar hörte das Brechen der Knochen, hörte, wie das Dorf jubelte. Schilde schlugen aufeinander, Stimmen riefen. Es war ein Sieg, ein glorreicher Sieg.
Doch um sie herum standen die Bären, still wie dunkle Wächter. Und in ihren Augen lag ein Urteil.
Der Schamane wich zurück. „Bjornar, ruf deine Bären zurück!“ schrie er. Tarabasch sprach, verteidigte, klagte an. Worte rauschten an Bjornar vorbei. Er spürte nur noch das Gewicht des Augenblicks. Das Urteil Kovarkarhus, so unausweichlich wie der Tod selbst.
„Ehrlos,“ flüsterte er. „De Ahnen weinen.“
Eine Stimme in seinem Inneren fügte hinzu: Modirkova weint.
Sein Blick ruhte auf dem Schamanen, auf dem Mann, der nichts verstand, der voller Stolz ein feiges Ritual vollzog, weil es schon immer so getan wurde. Berserker und Bär hatten aus Angst gekämpft. Der eine aus Angst um sein Leben. Der andere aus Angst, ein Niemand zu sein. Oder, so wie Bjornar, einer zu bleiben.
Er erhob sich. Trat fort vom Ritualplatz, fort von den jubelnden Menschen. Die Bären wandten sich ab, trotteten zurück in die Dunkelheit des Waldes. Er folgte ihnen.
Seine Bären. Als ob ausgerechnet er sie in irgendeiner Form besitzen würde.
Solvaig wollte ihn zurückhalten, ihm Trost und Erklärungen geben. Aber Bjornar riss sich die feinen Menschenkleider vom Leib, warf sie in den Schlamm.
„Jeg gehör hier nich hin, Sol,“ sagte er leise. 'Nich, solang der Forsjamen so... so... iss wie eyn suromischer Nachtalf', fügte er in Gedanken hinzu. Ob es das richtige Wort war, bezweifelte er, aber es war, dass was ihm am nächsten in den Sinn kam, nach allem was er auf seinem Bransla durchlebt hatte. Er ging los. In seiner Hand hielt er den kleinen Samen, fest umschlossen. Und während er ging, jagte ihm ein besonderer Wortfisch durch den Kopf, glitschig, nicht zu fassen. Er musste ihn wohl von Aanatus aufgeschnappt haben:
"Malnormität."
Erdrückend schwer und stumpf und immer gleich war dieser Fluch der Malnormität.
Bjornar ging langsam davon. Der Rauch haftete an seiner Haut, und in seiner Kehle lag noch immer bitter die Ahnung von Blut und Trauer. Er dachte an den verbohrten Schamanen, dessen Augen scharf waren und doch blind für alles, was nicht in Worte zu fassen war. Ein Mann, der den Willen der Bärengeister nicht erkannte, selbst wenn diese ihn kräftig in den Hintern bissen. Wie konnte er jemandem helfen, der so sicher war, dass die Welt nur aus Blut und Worten und immmer so bestand? Wie konnte er einen Stamm erreichen, der stets lauschte, aber nicht hörte, der die Sinne nur verwendete, um das zu bestätigen, was die Zunge längst beschlossen hatte? Er wusste, er konnte es nicht. Zumindest nicht allein.
Die Nacht umfing ihn schweigend, dunkel und tief wie ein Brunnen. Die Bäume flüsterten, ihre Stimmen weich und ohne Spache, und Bjornar bewegte sich in ihrem Rhythmus, fort von Menschen, deren Herzen mit verschlossenen Ohren schlugen, hin zu jenem Ort, an dem jedes Wesen verstand, ohne dass man ihm etwas erklären musste.
.
.
.
Wer für eine Weile der imaginären Gestalt mit seinem Blick in die Wildnis folgen möchte, der kann dies gern zu dieser Melodie tun und dabei vielleicht noch einmal das kleine Lied an das Opfertier durch Aug und Herz einlassen.
Drei Verse
Bjornars Bransla
Zwei Gaben empfing er
mit greifenden Händen:
Den Dolch mit der Klaue,
die Narbe des Mannes.
Stolz trug Bjornar,
der bärensinnige Recke,
die beseelende Pein
auf haarigem Herzen.
Haldron, dem Schamanen,
will er Ehre noch lehren,
über feig vergossenes Blut,
am Bären, dem heiligen Bruder.
Darum ließ er frei verfassen
eine großweise Rede,
voll wortzauberndem Wissen,
doch wer soll sie sprechen?
Nur der schlaue Schamane
enträtselt die Runen!
Verzaubert der Listige,
am Ende sich selbst?
Befreiung der Bösen
Mit Suromer Scharen,
seltsamen Gestalten,
stürmte der Stamm
die steinernen Mauern.
Die Pfeifende Einöde
heulte ihr Klagelied,
während Drochsaal fiel
unter donnernden Schritten.
Dämonen und Hexer,
dachte der Träumer,
würden ihm zeigen
die Macht der Dunklen.
Doch fand er nur Menschen,
matt und verwundet,
in Ketten leidend
wie sterbliche Wesen.
Seine Hand reichte Speise,
sein Herz fühlte Mitleid,
für den Gefangenen,
den Feind seiner Sippe.
Freundliche Feen?
Auf Wanderschaft weit
durch wispernde Wälder,
erblickte Bjornar
ein blitzendes Wunder.
Gefiedert und funkelnd,
wie Feuer aus Sternen,
sprach dort ein Drache
mit Frau und mit Rabe.
Seine Augen weiteten sich,
sein Atem stockte,
sein Herz schlug wild
wie Wellen im Sturm.
Mit Demraya, der Feurigen,
schlich er durch Dickicht,
dann stieß er sie vorwärts
in drachischen Blick.
Selbst wich er zurück
in raschelndes Unterholz,
zu lernen, wie wohl Freundschaft
mit Feuergeschöpfen gelingt.
Zwei Gaben empfing er
mit greifenden Händen:
Den Dolch mit der Klaue,
die Narbe des Mannes.
Stolz trug Bjornar,
der bärensinnige Recke,
die beseelende Pein
auf haarigem Herzen.
Haldron, dem Schamanen,
will er Ehre noch lehren,
über feig vergossenes Blut,
am Bären, dem heiligen Bruder.
Darum ließ er frei verfassen
eine großweise Rede,
voll wortzauberndem Wissen,
doch wer soll sie sprechen?
Nur der schlaue Schamane
enträtselt die Runen!
Verzaubert der Listige,
am Ende sich selbst?
Befreiung der Bösen
Mit Suromer Scharen,
seltsamen Gestalten,
stürmte der Stamm
die steinernen Mauern.
Die Pfeifende Einöde
heulte ihr Klagelied,
während Drochsaal fiel
unter donnernden Schritten.
Dämonen und Hexer,
dachte der Träumer,
würden ihm zeigen
die Macht der Dunklen.
Doch fand er nur Menschen,
matt und verwundet,
in Ketten leidend
wie sterbliche Wesen.
Seine Hand reichte Speise,
sein Herz fühlte Mitleid,
für den Gefangenen,
den Feind seiner Sippe.
Freundliche Feen?
Auf Wanderschaft weit
durch wispernde Wälder,
erblickte Bjornar
ein blitzendes Wunder.
Gefiedert und funkelnd,
wie Feuer aus Sternen,
sprach dort ein Drache
mit Frau und mit Rabe.
Seine Augen weiteten sich,
sein Atem stockte,
sein Herz schlug wild
wie Wellen im Sturm.
Mit Demraya, der Feurigen,
schlich er durch Dickicht,
dann stieß er sie vorwärts
in drachischen Blick.
Selbst wich er zurück
in raschelndes Unterholz,
zu lernen, wie wohl Freundschaft
mit Feuergeschöpfen gelingt.
Bjornar und die Lebensbringer
Es war Frühling geworden in Fjellgatt, und die ersten warmen Sonnenstrahlen hatten das Eis aufgebrochen, das monatelang schwer und schweigend auf den Seen gelegen hatte. Leise plätscherte es in Bächen und Rinnsalen hinab, murmelte von Wiedergeburt und neuem Leben. Der Wald erwachte, zaghaft zunächst, doch dann immer freudiger, und rings umher spross und regte sich alles. Selbst die Bären, Bjornars treue Gefährten, regten sich gähnend und brummend, um nach langer Winterruhe ihre steifen Glieder zu recken.
Doch Bjornar, der gewaltige Träumer von Fjellgatt, lag ausgestreckt und behaglich auf einem warmen Felsen, über ihm nur das unendliche Blau des Himmels. Sein Atem ging langsam, tief, als trinke er die ganze Welt in sich hinein. Sein schwerer Körper ruhte in vollkommener Zufriedenheit, und er lächelte selig, als er halb schlafend, halb wachend, den leichten Wind auf seiner Haut spürte.
So lag er, gebettet auf Träume und Hoffnungen, und erinnerte sich dumpf an Tarabaschs dröhnendes Gelächter: "Du kennst die Wejba nicht? Das, mein Freund, das muss sich ändern!" Bjornar schmunzelte schläfrig über diese Worte und ließ seine Gedanken sachte umherwandern, von einer Frau zur nächsten, von einem Begriff zum anderen. Fru und Mädel, Vaertind und Hathran, Jardis, Modir und Wejb. Ach, wie verschieden sie klangen und wie verwirrend sie doch waren! Doch während er so sinnierend und leise murmelnd in der Frühlingssonne lag, kam ihm eine Erkenntnis, die klar und schön war wie der Himmel über ihm: Sie allesamt waren eines: Lebensbringer. Mit dieser Einsicht auf seinen Lippen sank er tiefer in seinen Traum, und seine Gedanken begannen, sachte und doch bestimmt, all jene Frauen zu durchstreifen, denen er jemals begegnet war.
Zuerst kam die Stimme. Nicht als Gestalt, nicht mit einem Gesicht, nur als Klang. Klar und hell wie das Licht zwischen jungen Blättern, schwebte sie durch sein Herz und füllte ihn mit einer Sehnsucht, die nicht brannte, sondern wärmte wie das Feuer am Abend. Diese Stimme sang Geschichten, sang von Liebe und Tapferkeit, von weichen Händen und warmen Umarmungen. Vielleicht war es seine Mutter, vielleicht nur ein Traum – aber sie war sein erstes Bild der schönsten Frau, und wie sie duftete!
Dann erschien ihm Grimla, die weiße Hirschkuh von Fjellgatt. Sie war kein Mensch, aber mehr als Tier. Wann immer er sie gesehen hatte, war sein Atem still geworden, und etwas in seiner Brust hatte gezittert – wie Schnee, der fällt und doch nicht kalt ist. Ihre Bewegungen waren lautlos, ihr Blick voller Wissen, das kein Wort je tragen konnte. Sie war Reinheit, war Stolz, war Leben selbst. Und obwohl sie nie sprach, war sie ihm das heiligste aller Weiberbilder.
Ihren mächtigen Schatten warf nun Modirkova über ihn. Die Bärin. Die riesenhafte Mutter, die ihn gesäugt hatte, als er nackt und allein durch den Wald irrte. Sie war Wärme, war Futter, war der dunkle Atem der Höhle, wenn draußen der Frost die Welt starr machte. Sie war auch Schläge, Narben, Brüllen und Biss. Doch ihr Schutz war stärker als jedes Menschenwort. Sie hatte ihn gegen Wölfe verteidigt und Mannbären, gegen Wichtel und gegen sich selbst. Sie war Mutter und Schicksal – wild und wahr. Und als sie verschwand, fortgezerrt von Menschen und Eisenketten, war es, als habe der Wald seinen Schutz verloren.
Drei Bilder – die Stimme, die Hirschkuh und Modirkova – führten ihn tiefer hinein in das Träumen. Sie waren fern, aber nicht fremd, nah, aber nicht erreichbar. Und Bjornars Herz, das wie eine zottige Trommel schlug, ließ ihn in jenem Moment glauben, dass das Weibliche das Geheimnisvollste war, das der Frühling je hervorgebracht hatte.
Dann bäumten sich seine Gedanken auf, wie Wind in der Klamm – wild, unstet, roh. Die Bilder wurden dunkler, dichter, der Rhythmus seines Inneren veränderte sich, und die Tierseele in ihm erhob sich zum Wort, als er von den tödlichen Ringkämpfen zu träumen begann, die er so oft mit den Unholden führt:
Weiber wälzen sich, wütend gebärend,
Fleischwuchtig, faul, und voller Frucht.
Weijba der Fettwänster, Fleischgeword’ne Gier –
Sie kamen im Dutzend, drückten ihn nieder,
Ringend, rauchend, rot im Blick.
Mit Händen wie Hufe, mit Lippen wie Lehm,
sie warfen nach ihm, warfen sich auf ihn.
Und doch – ihre Stimmen, oh ihre Stimmen! –
sie sangen ihm Lieder von Lust, von Leben.
Er stöhnte im Schlaf. Sein mächtiger Körper spannte sich, als wollte er kämpfen oder fliehen.
Da wurde er gejagt, aus den Lüften, gehetzt von den Vindfruwen – jenen flatternden Fäulniswesen, halb Frau, halb Sturm.
Klingen krächzten sie, keifend und kalt,
Spott schnitt wie Stahl, wie Schatten der Nacht.
Mit Klauen wie Kupfer, mit Kehlen wie Kreischen,
sie fielen herab, fraßen Freund, raubten Kind.
Nie sangen sie, nie, doch ihr Flüstern war Fluch.
Er hasste sie, schlug um sich im Schlaf. Doch sie waren seine Nachbarinnen, lebten zwischen den Zinnen, jenseits der Tannen, jenseits der Stille. Immer da. Auch jetzt keiften ihre Stimmen im Wind über der See. Die Bilder dieser Weiber waren Gewalt. Ihre Nähe brannte. Ihre Kraft war anders – archaisch, dumpf, jenseits von Gut und Böse. Doch auch sie, auf ihre Weise, waren Lebensbringer – denn sie schufen Angst, Schmerz, Erinnerung. Und vielleicht war auch das eine Art, Leben zu schenken.
Sein Atem ging ruhiger und aus den Schatten seiner Lider trat Cataleya hervor. Oder wie er sie unbeholfen und gehässig nannte: Katerleier. Sie war nicht aus Fjellgatt, sondern aus Surom, wo die Frauen ihre Rüstungen tragen wie eine zweite Haut. Ihre Bewegungen erinnerten ihn an das Fauchen der Schneekatzen, ihre Stimme an das Knacken gefrorener Zweige, ihr Haar an das Blut aus seinem Gesicht. Sie hatte ihn verprügelt. Das war das Erste, woran er sich erinnerte. Sie hatte ihn in einem einzigen Wimpernschlag zu Boden geschlagen und war lachend davongegangen. Es war nicht Hass gewesen – eher Erstaunen. Nie zuvor hatte ihn jemand so behandelt. Nie zuvor hatte jemand ihn so berührt. Cataleya war Krieg. Sie brachte Streit, Unruhe, Blut. Männer und Stämme stritten ihretwegen, unterwarfen sich beherrschten einander und erhoben sich. Sie war gefährlich. Und vielleicht schön. Hinter ihrer dämonischen Rüstung, unter dem Glanz der Klingen, verbarg sich etwas, das ihn nicht losließ. Sie war ein Rätsel aus Stahl und Schatten, und wann immer er an sie dachte, spannte sich etwas in seinem Innersten, als wolle sein Herz gleichzeitig fliehen und folgen.
Weiber raubten, riefen zum Ringen,
mit runenbrennenden Blicken, mit Banden aus Bann.
Sie zwangen den Mann, sie zähmten den Willen,
mit Ketten und Gittern, mit Worten und Ordern.
Wehe dem Krieger, der wankend ward,
denn Liebe, die listet, sie lehrt auch das Leiden.
Seufzend schlummerte er tiefer und das Meer seiner Gefühle war ruhig, und leer. Da trieb Solvaig in der Einöde, die Jardis von Fjellgatt, die eigentliche Herrin des Stammes. Nicht mit Klinge, nicht mit Befehl – sondern mit Last und Schweigen regierte sie. Sol sprach wenig, sang selten, doch wenn sie es tat, dann bebte der Hof, der Stamm, die Macht der Riten wäre nichts, ohne ihre Trommel. Ihre Stimme war tief und traurig wie das Lied des Windes zwischen alten Bäumen. Sie war die Ordnung, das Brot, der Herd. Ohne sie hätte kein Kind überlebt, kein Fest stattgefunden, kein Winter standgehalten. Bjornar liebte sie mit einem Herzen, das still blieb. Es war keine wilde Glut, keine Gier, sondern ein stilles, tiefes Leuchten, wie das der Sonne an kurzen Frühlingstagen. Er sah, wie die Männer sie verspotteten, wie sie ihre Schultern beugte unter all dem, was niemand sonst trug – und er wollte sie beschützen, obwohl er wusste, dass sie sich selbst nicht retten ließ. Sol war zu groß, zu fern, zu müde. Und doch war sie ihm näher als viele, die lauter lebten. Eine Göttin ohne Tempel, eine Königin ohne Krone.
Aus ihrem Schatten sprang behend Ynge hinaus. Sie war das Gegenteil von Sol, laut, lebendig, voller List. Sie lachte viel, rang nackt mit den Fettwänstern, raunte dem Wald Unfug ins Ohr und fütterte die Tiere mit Brot, das sie selbst gestohlen hatte. Ynge war Wind, war Wildheit, war Witz. Ihre Augen funkelten wie Raureif auf dunklem Wasser, und ihr Lachen schnitt tiefer als manch Schwert. Einmal hatte sie für ihn mit den Hüften gewackelt. Nur kurz. Nur neckisch. Doch er hatte es gesehen. Und seither verfolgte ihn die Frage, ob es nur Spott war oder etwas anderes. Sie spielte mit ihm wie ein Luchs mit einem Welpen – sanft, grausam, neugierig. Sie war schneller als er, klüger – das wusste er. Und dennoch war es ihr Spiel, das ihn reizte. Denn wenn sie ihn verspottete, dann sah sie ihn wenigstens an. Und das allein machte sie zu einer, die er nicht vergessen konnte. Und seine Rache an der anderen, die wollte er mit ihr gemeinsam vollbringen. Er brauchte ihre Hilfe.
Denn einst wird die Nacht sich neigen,
wenn Klinge und Klugheit gemeinsam jagen.
Zwei Schatten im Schnee, zwei Stimmen im Wind,
sie werden die Mörderin finden.
Nicht mit Feuer, nicht mit Fluch –
mit List und Lautlosigkeit, mit Jägerblick.
Ihr Herz wird pochen, ihr Griff wird zittern,
denn der Tod, den sie brachte, kehrt heim.
Und Ynges verwandelte sich im Traum, schrumpfte und ihr Gesicht wurde zu dem von Ronya Rotfuchs. Die war zu schlau für sich selbst, zu schnell für seine Gedanken, zu schön für seinen Frieden. Ihre Worte waren Fallen, ihre Blicke Köder. Sie erschien wie ein Fuchs im Nebel und verschwand. Sie spielte ein Spiel, das er nicht verstand. Ronya war eine Taumelnde zwischen Wahrheit und Täuschung. Eine Lüge, vielleicht vor sich selbst. Sie trat in sein Leben wie eine feine Beute, die es zu jagen galt, zu fangen, zu verzehren. Sie verließ es wie ein Fisch, der durch die Pranken glitt. Er wusste nicht, ob sie ihn mochte, verachtete, ausnutzte oder alles zugleich. Aber wenn sie rief, kam er. Wenn sie lachte, hörte er. Und wenn sie verschwand, suchte er sie ein wenig. Vielleicht war es nur ein alter Zauber. Sie jedenfalls hatte ihm jüngst, mit eigenen Händen, eine Maske gemacht.
Dann war da Aurelya, die Gauklerin. Auch sie, viel kleiner als er, und doch schien sie größer, wenn sie tanzte. Sie konnte singen, lachen, auf Händen gehen, mit Messern werfen, jonglieren – und all das tat sie, ohne zu prahlen, aus Berufung. Ihre Schlange, eine lange, dicke Kreatur mit goldgrüner Haut, trug sie wie ein Seidentuch über den Schultern. Er wollte sie einmal tanzen sehen, mit der Schlange. Nackt, unter den Sternen, am Feuer.
Sie stammte aus einer Familie fahrender Künstler – aus dem fahrenden Volk, wie man sagte. Sie hatte ihm Pilzsuppe gekocht, in einem blechernen Topf über dem Feuer, und als er sie schlürfte, war ihm, als säße er wieder im Zirkus, in dem er mit Modirkova gefangen gewesen war – zur Schau gestellt, halbmenschlich, halbbärisch, ein trauriges Spektakel. Und sie hatte ihn nicht ausgelacht. Nie. Nur angesehen. Vielleicht hatte sie ihn erkannt. Er hatte für sie eine dicke, dicke Schlange gebändigt und wartet darauf, sie zu verschenken. Seitdem träumte er manchmal von ihr, wie sie über ein Seil balancierte und dabei mit den Sternen sprach. Sie hatte in seinem nebelhaften Verstand, einfach durch das und wie sie war, echte Erinnerungen geweckt. Dafür liebte er sie. Auch wenn es schlimme Erinnerungen waren.
Aus dem Nichts erschien vor dem Träumerauge wie eine Sinnestäuschung Luinil. Oder war es Lurunil? Luinuriel? Bjornar wusste nicht einmal, wie sie wirklich hieß. Sie war gekommen wie Nebel der Nacht und hatte kein Geräusch gemacht, keinen Geruch getragen – das war das Seltsamste. Alles hatte einen Geruch. Nur sie nicht. Das machte sie zu einem Geist, einem Rätsel, einer Unmöglichkeit. Sie war klein, fast unscheinbar, aber ihre Augen leuchteten wie Moos nach dem Regen. Sie sprach wenig, aber wenn sie es tat, tropften ihre Worte wie Honig mit bitterem Kern. Sie wusste Dinge, von den Alten, von der Welt unter der Welt. Sie war weise, alt in einem jungen Körper. Aber sie war auch gebrochen, mit Löchern im Herzen und vernebeltem Geist, wie er. Ohne Erinnerungen, an das, was zählte. Das mochte er. Das verstand er. Und vielleicht, nur vielleicht, hatte sie ihm bei ihrer einzigen Begegnung ein lebendiges Lächeln geschenkt, das nichts von ihm wollte und doch die lange Weile vertrieb. Sie war nicht geblieben. Aber die Neugier haftet in seinem Kopf wie ein Lied, dessen Melodie man nicht loswird, auch wenn der Text längst vergessen ist. Sie hatten sich doch verabredet, einander wiederzusehen, oder nicht?
Die Frühlingssonne blendete ihn hinter geschlossenen Lidern und da erschien ihm im Glanze die Dame Sloan. Eine Edelfrau aus den südlichen Landen, deren Lachen heller klang als jedes Festhorn. Ihr Gang war aufrecht, ihre Hände ruhten ruhig in weiten Gewändern, doch ihre Augen – oh, ihre Augen! – die funkelten wie geschmolzenes Gold im Licht der untergehenden Sonne. Sie war keine Kriegerin, keine Zauberin, keine Gejagte – sie war einfach da. Echt. Warm. Strahlend. Alle sprachen von ihr mit Hochachtung, manche mit Ehrfurcht. Viele wollten sie. Einige kämpften um sie. Aber sie lachte nur – aufrichtig, frei, mit einem Klang, der Bjornars Brust weiter machte, als er es erklären konnte. Er sah sie nur aus der Ferne. Einmal, vielleicht zweimal hatte sie ihm zugenickt. Einen Gefallen verlangt. Und das reichte. Denn sie war wie der Morgen selbst: nie greifbar, aber voller Versprechen. Sie war nicht für ihn. Und doch wünschte er sich, er wäre einmal ein Ritter gewesen, nur für sie.
Das Feuer verwandelte sich und hervor sprang Raya. Demraya – oder einfach Raya, wie sie alle nannten. Sie war klein, fast zart, und brannte heißer als der Himmel über Fjellgatt. In ihren Bewegungen lag Leichtigkeit, als würde der Wind ihr folgen, nicht umgekehrt. Sie hatte ein Herz, das flog, das fühlte, das lachte und litt – und sie zeigte es. Sie verbarg es nicht. Das allein war für Bjornar ein Quell, der sprudelte und überfloss, wie er selbst! Raya war wie der Frühling, wie die Ahnung von etwas Gutem, das wachsen könnte, wenn man nur lange genug still hält. Sie hatte mit ihm gelacht, hatte mit ihm geweint. Sie hatte ihm Dinge gesagt, die in seinem Kopf nicht zu bleiben wagten, aber im Herzen nisteten wie Vögel. Sie war die einzige, die ihn wirklich angesehen hatte, ohne zu deuten, ohne zu richten. Sie hatte für ihn getanzt und gesungen. Nicht wie eine Magierin, nicht wie eine Verführerin – sondern wie jemand, der sich selbst schenkt, ganz, für einen Moment. Und das war es, was ihn zerbrechen konnte. Denn sie war nicht seine. Sie gehörte dem Wald, dem Wind, vielleicht einer anderen Welt. Er fühlte für sie. Nicht wild, nicht laut – aber tief. Und weil er es wusste, sagte er es nie, streichelte nur mit den Pranken über den Feenstaub, den sie auf ihm verstreut hatte.
Wissend, verstehend setzte sich Rou zu ihm. Rou mit den dunklen Augen und der tiefen Stimme, die selten lachte, aber wenn sie es tat, war es wie das Knistern des Wüstewindes. Sie war so klein an Gestalt und so groß in der Seele, dass er nicht wusste, ob er sie beschützen oder von ihr lernen wollte. Sie war keine, die sich unterordnete, keine, die versuchte, zu gefallen. Sie war einfach da – stark, wütend, traurig, und an so vielen Wunden echt geworden. Rou kannte Dinge, die Bjornar nicht einmal benennen konnte: das Flackern von Trauer in den Augen eines Kindes, die stumme Wut derer, die nie gehört wurden, die Kunst, sich nicht zu verlieren, selbst wenn alles in einem schreit. Lügen, um wahr zu sein. Sie war wie er – nicht ganz Teil des Stammes, nicht ganz außerhalb. Ein Zwischenwesen. Eine Schwester im Geiste. Sie war für ihn wie der dunkle Fluss unter dem Eis: unsichtbar, aber lebendig, warm und gefährlich. Und manchmal – manchmal fragte er sich, ob sie nicht die Einzige war, die wusste, wer er war. Oder wer er sein könnte, wenn er sich traute. Er hätte sie lieben können, in einem anderen Körper, mit einer anderen Geschichte. Und er tat es längst, er gehörte ihr und sie gehörte ihm, seit dem Tag, als er verstoßen in der Höhle hockte und sie bei ihm war, ihn ihren großen, kleinen Bruder nannte, er sie: kleine, große Schwester.
Denn einst liebten sich Feuer und Flut,
Vater mit Tochter, Mutter mit Sohn,
Feind und Feinde zeugten ungehemmt
die Weltenschlange hat aus sich selbst das All geboren,
aus Speichel und Blut, aus Lust und Leid.
So kam das Leben, so kam der Tod –
aus Umarmung der Unordnung, aus Brunst der Begrenzung.
Und wer sich in solcher Liebe verliert,
der erschafft Welten – oder zerstört sie.
Und dann waren da noch vielen die anderen, die am Rand dieser seiner Welt lebten. Die Svagwejber aus Fjellgatt, die Unfreien, mieden ihn – und er mied sie. Nicht aus Verachtung, sondern weil sie nach Gefangenschaft rochen, auch ohne Ketten. Sera, in Nebelhavn, immer müde vom schweren Liebesdienst. In Nebelhavn da gab es auch Mütter, und Bjornar liebte sie alle! Nathara, mit ihren drei Kindern, erschien ihm wie eine Heldin, die das Licht bewahrt, wenn alles dunkel wird. Er wollte sie schützen, ohne zu wissen wovor und hatte doch beinahe selbst den Tod an ihre Haustür gebracht. Auch Gwendolyn, eine weise Frau, sorgte sich um ihn, wie jene Bärin, ohne Zähne zu zeigen. Sie könnte eine Mutter sein. Wenn er wählen könnte, müsste, dürfte, wer heute auf der neuen Welt seine eigene Mutter sein solle, dann würde er stumm aus den tiefen des Waldes in ihre Richtung blicken.
Und irgendwo, im tiefsten Dunkel,
lauerte die andere – die ohne Namen.
Rot waren ihre Augen, wie Asche im Zorn,
leise ihre Schritte, wie Fluch durch den Stein.
Sie kam wie der Schatten, stach wie das Schicksal,
ließ Bjornars Blut und Brodomurrs Herz versiegen.
Ein Dolch, ein Hauch, ein Flüstern von Mord –
und fort war sie, windgleich und ohne Spur.
Er kannte ihr Antlitz nicht, nur den Schmerz,
doch an Brodomurrs Grab hatte er geschworen:
Er würde sie finden, das Scheusal mit dem Duft der Kälte,
und sein Herz würde sie nicht schlagen, sondern verlieren.
Und selbst sie, die ihn töten wollte – auch sie war eine Frau. Keine Lebensbringerin, nein, sondern eine Schattenwebende, eine Herzstechende. Und doch gehörte sie dazu, zu jenen, die er kennen musste, weil sein Schicksal es so wollte. Ob Tarabasch wohl von dieser Art, die Wejba zu "kennen" gesprochen hatte, regte sich ein halbwacher Gedanke?
Ein jagendes Brüllen drang aus der Einöde über den Fjord. Es war die Bärin, die dort hauste. Kein Name, kein Laut, nur Atem und Blick. Sie war größer als alle, die er je gesehen hatte – Schneeweiß, mit einem Fell, das wie Nebel glänzte. Ihre Pranken hätten ihn töten können. Beinahe hatten sie es getan. Doch sie hatte gestoppt, hatte gerochen, ihn erkannt, vielleicht. Und sie hatte ihn leben lassen. Seither kam sie manchmal zu ihm, still wie der Schnee selbst, teilte mit ihm die Höhle, wenn der Wind zu stark wurde. Sie brachte ihm nichts als Nähe. Und doch war es, als hätte sie ihm etwas übergeben. Denn ihre Jungen, zwei unbeholfene, tapsige Wesen mit Nasen wie nasser Stein, hatte sie ihm anvertraut. Schenkte sie dem Stamm, um die Hühnen zu tragen. Vielleicht nur für einen Tag, vielleicht für immer. Wer wusste schon, was Götter dachten? Denn eine Göttin war auch sie – das spürte er. Eine Schneegöttin, eine frostige Verwandte. Kein Riesenweib, kein Wichtelweib, das man begehren konnte oder brauchte, so wie die Recken des Stammes es taten, nachdem der Blutrausch der Jagd sie dazu brachte, neues Leben zeugen zu wollen. Und doch war sie Teil von ihm, wie der Frost Teil des Atems ist.
Der Wind streichelte ihm über die Lider, als wolle er sagen: genug gedacht, Bärenkind. Bjornar regte sich nicht. Er lag da, schwer und weich zugleich, eingehüllt in pelzige Wärme, umgeben von Atem, Wurzelduft und der Ahnung eines Lächelns. Wie sollte er all das je verstehen? Die Weiber, die keine waren. Die Göttinnen, die keine Gnade kannten. Die Mädchen mit Messern, Liedern und Lächeln. Die, die ihn liebten, ohne es zu wissen. Die, die ihn hassten, ohne ihn je zu kennen. Er konnte sie nicht kennen. Konnte sie nicht halten. Konnte nur träumen, taumeln, tasten. Und war das nicht genug?
Tarabasch wollte, dass er ein Mann würde und hatte ihm eine endlose Aufgabe gestellt. Hier kam eine zweite unlösbare Aufgabe: die Wejba zu kennen. Bjornar war schon vieles gewesen: Kind und Tier, Freund und Feind, Held und Trottel. Vielleicht war das genug. Vielleicht musste man keine Frau kennen, um das Leben zu ehren, das sie bringen konnten. Er schnaufte leise und streckte sich im Halbschlaf. Ein Bär schmiegte sich an ihn, schwer und warm. Ein Vogel rief in der Ferne.
Und Bjornar träumte weiter – von Masken, Tänzen, Dolchen, Stimmen. Und von der Möglichkeit, dass all dies eines Tages einen Sinn ergeben könnte.
Vielleicht.
Aber nicht heute.
Heute war Frühling.
Und die Sonne schien.
Des Riesen Honigherz
Mögen all jene ihre unverständigen Köpfe schütteln und achtlos vorüberlesen, welche nicht das Sprachwirrwar eines ungebildeten, halbwilden Riesen enträtseln wollen. Wer es jedoch vollbringt, der vermag vielleicht hinter diesen gestammelten Zeilen einen Blick in das weite Herz der Wildnis erhaschen.
Des Riesen Honigherz
Wunda wabern wie Wolkn, wo wilde Wünsche wohl wachsn!
Meyn Bruststrom, so mutigstark sonst,
scheut vorm Augenlicht der Lächelspenderin.
Bei Honigjägern weyß man neyt, wohin se fliegn,
So unberechbar wie ihr Sommergang.
Jeg wollt' nur vom Blütenblut kostn,
Neyt den ganzen Nektarschatz nehm,
Nur ejnen Tautropfen vom Lippenmet.
Fühl mich heut neyt recht als Bergsohn,
Schwerfällig wie Wetterwolke, neyt jeg selbst.
Da bringt sie myr een HÜGEL goldner Bienenernte!
"Meyn Herzjubel is", so spricht de Freudenweberin,
„Wenn jeg zur Hüttenpforte komm un dey
nach ejnem Fingerhut Waldschatz fragichst."
Doch wonuher kimmn so viel Goldwaben?
Wie viele Flügelkrieger haben ihr Lebenssaft vergossn dafyr?
Manchigmal sorgt man sich zu arg.
Jeg glaub, dat nennt ma Brustsehnen.
Vor myr liegt nun eyn Freudental,
Wo Süßflut in breiten Steinadern rennt.
Berge aus Wabenpracht türmn sich himmelhoch,
Selbst für meyne Eichpranken zu schwerig zum schleppn.
"Immenreichtum kennt keene Hast", brumml jeg,
"Wir findtn schon unsern Heimlichweg."
Wat für ejn Glücksstern, wat für ejn Runenwerk!
Der ejnzge Lebenssinn der Nektarschmiede is ihr Gold,
Der ejnzge Ruf des Honiggoldes – dass jeg's verschlinge!
Ej, welcher Erdensohn möcht dort neyt wandeln!
Schlucken un schlucken un schlucken,
Fühl myr im Bernenstein gefesselt,
Im Wabengefängnis festklebt.
„Wenn dey een Waldhüter mit wenig Gedankensaat bist,
siehst dey erst unterm freien Himmeldach klar!“
Versunkn im Süßmoor,
Wie vom Weltbaum vergessen,
Weil jeg den Bauchhunger neyt zügeln konnt.
Ejn Felsriegel aus Immentränen liegt nu vor myr,
Keen Schwertpfad hinaus, keen Rabenpfad hinein.
Und doch — nichts Unmögliches tu jeg,
Denn Nichtstun is meyn Tageslied!
Des Riesen Honigherz
Wunda wabern wie Wolkn, wo wilde Wünsche wohl wachsn!
Meyn Bruststrom, so mutigstark sonst,
scheut vorm Augenlicht der Lächelspenderin.
Bei Honigjägern weyß man neyt, wohin se fliegn,
So unberechbar wie ihr Sommergang.
Jeg wollt' nur vom Blütenblut kostn,
Neyt den ganzen Nektarschatz nehm,
Nur ejnen Tautropfen vom Lippenmet.
Fühl mich heut neyt recht als Bergsohn,
Schwerfällig wie Wetterwolke, neyt jeg selbst.
Da bringt sie myr een HÜGEL goldner Bienenernte!
"Meyn Herzjubel is", so spricht de Freudenweberin,
„Wenn jeg zur Hüttenpforte komm un dey
nach ejnem Fingerhut Waldschatz fragichst."
Doch wonuher kimmn so viel Goldwaben?
Wie viele Flügelkrieger haben ihr Lebenssaft vergossn dafyr?
Manchigmal sorgt man sich zu arg.
Jeg glaub, dat nennt ma Brustsehnen.
Vor myr liegt nun eyn Freudental,
Wo Süßflut in breiten Steinadern rennt.
Berge aus Wabenpracht türmn sich himmelhoch,
Selbst für meyne Eichpranken zu schwerig zum schleppn.
"Immenreichtum kennt keene Hast", brumml jeg,
"Wir findtn schon unsern Heimlichweg."
Wat für ejn Glücksstern, wat für ejn Runenwerk!
Der ejnzge Lebenssinn der Nektarschmiede is ihr Gold,
Der ejnzge Ruf des Honiggoldes – dass jeg's verschlinge!
Ej, welcher Erdensohn möcht dort neyt wandeln!
Schlucken un schlucken un schlucken,
Fühl myr im Bernenstein gefesselt,
Im Wabengefängnis festklebt.
„Wenn dey een Waldhüter mit wenig Gedankensaat bist,
siehst dey erst unterm freien Himmeldach klar!“
Versunkn im Süßmoor,
Wie vom Weltbaum vergessen,
Weil jeg den Bauchhunger neyt zügeln konnt.
Ejn Felsriegel aus Immentränen liegt nu vor myr,
Keen Schwertpfad hinaus, keen Rabenpfad hinein.
Und doch — nichts Unmögliches tu jeg,
Denn Nichtstun is meyn Tageslied!
Arschtritte von den Ahnen
Wenn Steine sprechen und Stämme schweigen
Es gibt Stämme, deren Geschichten mit Ehrfurcht geflüstert werden, andere, über die man lieber schweigt – und dann gibt es die Trymm’takk: ein widerspenstiges Volk von Jägern, Schmieden, Berserkern und Träumern, das die Ahnen mit einer wilden Mischung aus Spott, Sorge und schallendem Gelächter betrachteten. In den Hallen des Himmels war es längst Brauch geworden, den Blick auf sie zu richten – nicht nur, weil das Schauspiel köstlich war, sondern weil irgendwo in ihrem Tollmut ein Funke lag, der ihre Welt retten oder in Brand setzen konnte.
In einer dieser Nächte, in der die Götter zu viel Met getrunken hatten und der Himmel selbst den Atem anhielt, rief der Schamane Haldron zum Thing. Nebel und Rauch wallten um die Feuerstelle, das dampfende Herz eines Lindwurms lag noch zuckend vor der Statue des steinernen Halvard, und ein Schweigen hatte sich über den Stamm gelegt wie frisch gefallener Schnee – schwer, feierlich und lauernd. Bjornar, von Neugier getrieben und von Ahnungslosigkeit getragen, kaute auf einer getrockneten Wurzel und hielt sich an Ynges Schulter fest, als würde sie ihn in der Welt halten.
Dann kam der Blitz. Ein gleißendes Schwert spaltete den Himmel, zischte nieder und traf mit solcher Gewalt die Statue, dass Steinsplitter flogen und das Feuer flackerte. Rauch stieg auf. Der Donnerhall rollte wie Gelächter der Ahnen über das Tal, und langsam, erschreckend langsam, begannen sich die steinernen Finger zu bewegen. Halvard erwachte.
Er trat vom Sockel herab, schwer wie die Zeit selbst, und sein Blick war so scharf wie der erste Frost des Winters. Seine Stimme – rau, knirschend wie ein brechender Gletscher – sprach keine Bitten.
„Brüder, Schwestern! Der Sturm kehrt zurück, und mit ihm die Brut. Eure Knochen sind weich, eure Lieder verstummt – habt ihr das Blut in euren Adern schon vergessen?“ Und an Rashka gewandt, alt und wortkarg wie er war, sagte er:
„Bist du noch Jothar, oder nur ein Schatten davon?“
Bjornar duckte sich, schnüffelte verwundert an Halvards Oberschenkel – echtem, heiligem Steinfleisch! – und blickte erschrocken zu Tarabasch, der vore Scham so bleich war, als wolle er in den Boden kriechen. Und dann ganz zum Schluss nach vielem anderen kam es, der Gruß, der an Bjornars Seele schlug wie an eine Trommel:
„Dem Abenteuer zur Ehr‘!“ Halvard sprach ihn wie ein Urteil. Oder wie ein Versprechen. Und während sich der Ahn mit knirschendem Steinlaut zurück in die Stille der Statue vergrub, klopfte Bjornars Herz bereits im Rhythmus des Aufbruchs. Denn wenn selbst ein steinerner Ahn von „Abenteuer“ sprach, dann war es nur recht und billig, dass Bjornar – Freund der Bären, Sohn des Waldes, Axtschwinger aus Versehen – sich zum Helden erhob.
Die Himmelswunden am Ahnenbaum
Am Morgen darauf wimmelte das Dorf von Jagdeifer: Speere wurden geschärft, Felle geschnallt, Trinkhörner gefüllt und große Worte gewechselt, als gälte es, die Drachenwelt selbst zu bezwingen. Doch Bjornar fand keine Ruhe. Ein Jucken im Nacken, ein Kribbeln im Bauch – das war kein Hunger, das war… Ahnung. Und während die anderen Männer zur Drachenjagd aufbrachen, trottete Bjornar mit finsterer Stirn und drei zotteligen Bären an seiner Seite davon, hinunter zum Silberbach.
Roeksniffr schnaubte nervös, Beomar rieb seinen Pelz an Bjoarnars Bein, und selbst Nirdhring, der Älteste der drei, knurrte leise – und das bedeutete bei ihm einiges. Sie hatten einen Geruch gewittert, etwas Bitteres in der Luft, als hätte sich der Himmel selbst in die Erde gebohrt. Und tatsächlich: Am Fuße des alten Ahnenbaums klaffte ein Krater, rauchend, dampfend, von brennenden Trümmern umgeben. Der Wald selbst schien zu weinen, verkohlt und versengt, während über dem Abgrund flackernde Feuerwesen schwebten – schemenhafte Gestalten aus Rauch, Glut und Zorn.
Nur der Baum stand. Groß. Still. Und doch – nicht unversehrt. Etwas drohte ihn zu verschlingen, langsam, aber unausweichlich. Bjornar trat näher, Haunseloh schwer in der Hand. Seine Axt vibrierte, als würde sie den Gegner schon wittern. Er kaute auf seiner Unterlippe. War das der Moment? War dies der Anfang jenes Abenteuers, das ihm versprochen war?
Dann sah er ihn. Einen Mann – oder war es ein Magier? – der am Kraterrand kauerte, murmelnd, gestikulierend, als beschwöre er das Chaos selbst. Bjornar schlich sich näher, schnüffelte, wie es seine Art war, hob gerade zum Gruß die Hand, da zuckte eine Stichflamme aus der Tiefe empor und erfasste den Fremden.
„He! Brennst du?“ rief Bjornar und stürzte vor. Mit den Fäusten und seinem Bärenumhang drosch er auf die Flammen ein, bis der Mann keuchend und rußverkrustet vor ihm stand.
„Ich… bin… Rorek…“ röchelte er, und fügte etwas hinzu, dass vielleicht „Asselmacher“, oder „Nasalmagier“ lautete – Bjornar war sich nicht sicher, aber es klang wichtig. Und gefährlich. Und das genügte ihm.
Doch noch bevor Worte gewechselt wurden, tat sich die Erde unter ihm auf. Flammen leckten an seinem Mantel, ein greller Blitz fuhr durch seine Glieder – und dann war da nur noch Schmerz. Als er zu sich kam, lag er im Farn, das Gesicht voller Asche, Nirdhring winselnd neben ihm, das weiße Fell geschwärzt, die Brust bebend. Bjornar legte die Stirn an die des alten Bären, und flüsterte: „Noch nicht. Noch nicht vorbei.“
Und irgendetwas – vielleicht ein Gedanke, vielleicht Aeiti selbst – sprach in ihm:
„Geh. Hol dir Hilfe. Leih dir ihre Stärke. Schau nach ihr!“
Hilfe von Herzen
Der Rauch war kaum verklungen, da packte Bjornar eine Unruhe, die nicht von diesem Ort stammte. Wie ein aufgeschrecktes Tier wanderten seine Gedanken – zu Raya, der wilden Schwester des Waldes, mit Dornen im Haar und Funken in den sumpfgrünen Augen. In Solgard war sie zuletzt gesehen worden, dort, wo ebenfalls Himmelssplitter niedergingen, dort, wo Feuer und Trümmer nicht nur Bäume, sondern vielleicht auch Mauern trafen. Wo sie nun gänzlich lebte…? Und so machte sich Bjornar auf den Weg.
Er ging nicht schnell – Bjornar war nie schnell – aber er ging mit einer Entschlossenheit, wie sie nur in den Beinen von jemandem wohnt, der nicht genau weiß, was er tut, aber sicher ist, dass es richtig ist. Die Bären wandten sich ab, blieben nah beim Hain – mit einem Nicken, einem Kratzen hinter den Ohren, und einem stillen Schwur: Ich komme wieder. Vielleicht sogar mit Verstärkung.
Die Straßen Solgards lagen dunkel und verrußt, der Himmel hing tief, und die wenigen Wachen musterten den Barbaren mit jener Mischung aus Argwohn und Bewunderung, die man für jemanden empfindet, der aussieht, als könne er ein Pferd verprügeln, aber wohl auch weint, wenn es regnet.
Er fand Raya – müde, abgekämpft, wie ein ausgebrannter Feuerstein. Und neben ihr Dervyn, kaum besser dran. Beide zuckten kaum, als er näher trat. Kein Lächeln. Kein Zorn. Nur eine müde Geste: Nicht jetzt, Bjornar. Das reichte. Er nickte, stammelte etwas belangloses vom Honigmet, den er brauen wollte, zog sich zurück. Aber es stach. Nicht wie ein Messer. Wie eine alte, stumpfe Klinge, die nicht tötet, sondern schabt.
Dann, ein Ruf durch die Straßen – hell, vertraut, entschlossen:
„Bjornar!“
Rou. Seine Schwester. Nicht aus Blut, sondern aus Wahl. Ihre dunklen Menschenaugen blitzten wie eh und jeh. Sie kam auf ihn zu, umarmte ihn wie eine Bärenschwester umarmt – fest, schwer, warm. Er erzählte von dem Krater, dem Feuer, dem Baum. Sie nickte nur, zog ihre Waffen vom Rücken und sagte:
„Wird Zeit.“
Das war alles, was es brauchte.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als der Wald sich veränderte. Das Licht fiel anders, obwohl keine Sonne mehr schien. Die Geräusche wirkten gedämpft, als würde selbst der Wind den Atem anhalten. Und dann trat er aus dem Schatten eines alten Baumstamms hervor – lang, schmal, seltsam leuchtend, als hätte ihn jemand aus Sternenlicht und Traurigkeit geschnitzt. Ein Elf. Bjornar blieb stehen, instinktiv schob er sich leicht vor Rou, obwohl sie ihm wahrscheinlich in jedem Kampf das Leben retten würde – und das nicht zum ersten Mal. Der Elf neigte höflich das Haupt, sein Blick wie stilles Wasser, seine Stimme wie das Rascheln alter Seiten:
„Ich bin Eldúri—“
„Eselbringer?“ unterbrach Bjornar laut flüsternd. Der Elf hob leicht die Augenbraue. Rou verdrehte die Augen.
„Oder war’s... Essenssänger?“ Bjornar murmelte es, als suche er eine Erinnerung, die nie ihm gehörte. „Ich hab Hunger.“
„Eldúrin“, sagte der Elf noch einmal, geduldig wie der erste Schnee.
„Ich habe den Himmelsbrand gesehen. Der Baum ruft.“
Bjornar blinzelte. Ein Elf, der Bäume verstand – das konnte kein Zufall sein. Wahrscheinlich hatte Aeiti ihn geschickt. Oder Kovakarhu. Oder beide. Vielleicht hatte der Elf auch gar keine Wahl gehabt. Rou nickte, wie sie es immer tat, wenn sie sich entschieden hatte.
„Dann sind wir drei.“
„Drei gegens Feuer?“ fragte Bjornar und zog Haunseloh ein kleines Stück aus der Scheide, damit sie einmal Luft schnappen konnte.
„Drei reichen,“ sagte Eldúrin, „wenn das Herz stark ist.“
„Dann… ich geh vorne,“ meinte Bjornar, und stapfte los, mit einem klopfenden Mut, der aus seinen Füßen kam, nicht aus seinem Kopf.
Und über ihnen, in der Halle der Ahnen, klimperten bereits die ersten Metkrüge, denn Sarmatijasch hatte den nächsten Wetteinsatz erhoben.
Ein Spektakel für die Methalle
Als sie den Silberbach erreichten, lag der Wald in flackerndem Zwielicht. Der Krater spie Rauch in krummen Spiralen, und über dem schwarzen Schlund züngelten flammende Schatten, geboren aus Zorn, Glut und altem Groll. Der Ahnenbaum, stolz und uralt, stand noch – aber seine Wurzeln knackten bereits unter der Hitze.
Bjornar hielt inne, das Herz ein Schlachtfeld. Neben ihm hob Rou wortlos ihre Waffe, der Elf legte einen buntgefiederten Pfeil auf die Sehne, zu schön um ihn zu schleudern. Haunseloh zuckte in der Hand des Barbaren – heißhungrig.
„Ich bin bereit“, murmelte Bjornar. Und meinte es.
Dann brach das Feuer los. Zischend schossen die Scheusale aus der Glut, jagten wie flammende Wölfe durch den Wald. Bjornar brüllte und stürmte vor – und stolperte über eine Schlingpflanze. Mit dem Gesicht voran ins Laub. Haunseloh flog im hohen Bogen und blieb in einer Baumkrone stecken.
„Er ist gefallen!“ rief Solkr in der Ahnenhalle und prustete Met über den Tisch.
„Er steht wieder auf“, sagte Aeiti sanft.
„Er hat seine Axt verloren“, ergänzte Varjot trocken.
„Doppelte Wette: Er kämpft mit bloßen Händen“, knurrte Sarmatijasch.
Kovakarhu schnaufte zustimmend.
Unten rappelte sich Bjornar auf, rief Haunseloh – und bekam einen Ast auf den Kopf. Über ihm knackte die Baumkrone und seine Axt fiel herunter, direkt neben ihn.
„Danke“, keuchte er. Der Baum, so dachte er, war wohl auf seiner Seite.
Rou verschoss Pfeile wie ein Krähensturm, Eldúrin schleuderte seine Pfeile, die sangen im Chor ein Grablied auf den Feind. Doch dann schoss ein Feuergeist direkt auf den Baum zu. Bjornar schrie auf, warf sich in den Weg – und wurde rücklings in einen brennenden Busch geschleudert.
Oben in der Ahnenhalle schwankten die Krüge.
„Jetzt!“, rief Halvard.
„Er braucht einen Tritt!“
„Er kriegt einen Tritt!“
Ein plötzlicher Windstoß fegte die Flammen vom Baum, lenkte sie um – Bjornar fühlte ihn wie einen Stoß in den Rücken.
„Aufstehen, Bjornar!“, dröhnte es in seinem Kopf. War’s Halvard? Oder Aeiti? Oder war’s sein eigener Schädel, der hallte?
Er sprang auf. Haunseloh zitterte vor Lust. Rou an seiner Seite. Eldúrin sang.
Dann kam der Erdgeist. Groß, schwankend, wie ein wandelnder Monolith aus Glut und Stein. Die drei Kämpfer wichen zurück, ein letzter Widerstand, die Flammen tobten erneut.
Da mischte sich das Gelächter der Ahnen in das Dröhnen des Kampfes.
Solkr war aufgestanden, die Ärmel hoch.
Aeiti betete.
Varjot schwieg.
Halvard stand.
Und Kovakarhu brüllte.
Ein letzter Schub ging durch Bjornar, wie eine Bärenfaust in den Rücken.
„Geh, Bjornar!“ rief es in ihm.
„JETZT!“
Und er ging. Und er schlug. Und er fiel.
Und stand wieder auf.
Mit letzter Kraft lockten sie die Geister vom Baum fort, in die Sümpfe, wo sie schwächer und schwächer wurden, schließlich unter dem unermüdlichen Ansturm der drei zurückkrochen in die verwundete Erde, aus derem Zorn sie geboren waren.
Der Ahnenbaum stand. Verkohlt, ja, denn die Helden hatten die Flammengeister in ihrem Eifer hingelockt, so dicht stand er an der Himmelswunde.
Dem grimmigen Gesicht in der Rinde hatten sie so den Bart verkokelt.
Aber stand!
Das Urteil der Ahnen
Später, als die Nacht kühl wurde, saßen Bjornar und Rou nebeneinander am Lagerfeuer. Ihre Schultern berührten sich, schweigend.
„War gut, dass du da warst“, murmelte Rou.
„War gut, dass du’s warst“, murmelte Bjornar zurück.
Und in den Himmelsweiten prosteten die Ahnen einander zu.
„Er lebt“, sagte Aeiti.
„Noch“, murmelte Varjot.
„Verdient“, sagte Halvard.
Und Kovakarhu knurrte ein einziges, warmes Wort: „Held.“
Die Schlacht war geschlagen, der Wald atmete Rauch aus, und der Silberbach glomm nur noch schwach unter der Asche der Nacht. Es würde etwas dauern, bis die zornigen Geister an neuer Kraft gewannen. Eine Atempause hatten sie dem Ahnenbaum verschafft, in der er die Wurzeln tiefer in den Boden treiben konnte. Bjornar schlief, halb im Sitzen, halb im Umfallen, das Kinn auf die Brust gesunken, Nirdhrings Bärenohr als Kopfkissen, den Mund offen, wie einer, der hofft, das nächste Abenteuer möge direkt hineinfallen.
In der Halle der Ahnen aber herrschte keine Ruhe.
„Das war’s?“, brummte Sarmatijasch, warf seinen Krug in die Ecke, wo er scheppernd gegen eine Säule prallte. „Das war alles?“
„Ein bisschen Feuer, ein bisschen Fallerei, und am Ende braucht er wieder Hilfe von oben“, knurrte Halvard, die Arme verschränkt. „Wenn wir ihn nicht dreimal getreten hätten, läge er jetzt als knuspriges Häufchen Elend unter’m Baum!“
„Er ist nicht gefallen“, warf Aeiti sanft ein.
„Er ist gestolpert!“, fauchte Varjot.
„Siebenmal!“, ergänzte Solkr begeistert. „Rekordverdächtig. Ich sag’s ja: Ein Schauspiel, dass den Met versüsst!“
Kovakarhu schnaubte. Tief. Lang. Und als sich alle umdrehten, sagte er mit einem Brummen, das noch in den Wurzeln der Welt widerhallte: „Er hat nicht aufgegeben.“
Es entstand eine Pause, in der selbst der Met in den Krügen zu lauschen schien.
„Nicht genug“, murrte Halvard. „Aber ein Anfang.“
„Ein sehr kleiner Anfang“, sagte Sarmatijasch, und goss sich neuen Met ein. „Aber immerhin: er lebt noch. Und das heißt…“
„…wir dürfen ihn noch ein bisschen schubsen“, grinste Solkr.
Und so prosteten sie sich zu, ein letztes Mal an diesem Abend, und warfen Blicke zurück auf den schnarchenden Bjornar, der im Traum vielleicht schon wieder kämpfte – oder zumindest einem Igel das Singen beibrachte.
Die Geschichte war nicht zu Ende.
Sie hatte gerade erst begonnen.
Es gibt Stämme, deren Geschichten mit Ehrfurcht geflüstert werden, andere, über die man lieber schweigt – und dann gibt es die Trymm’takk: ein widerspenstiges Volk von Jägern, Schmieden, Berserkern und Träumern, das die Ahnen mit einer wilden Mischung aus Spott, Sorge und schallendem Gelächter betrachteten. In den Hallen des Himmels war es längst Brauch geworden, den Blick auf sie zu richten – nicht nur, weil das Schauspiel köstlich war, sondern weil irgendwo in ihrem Tollmut ein Funke lag, der ihre Welt retten oder in Brand setzen konnte.
In einer dieser Nächte, in der die Götter zu viel Met getrunken hatten und der Himmel selbst den Atem anhielt, rief der Schamane Haldron zum Thing. Nebel und Rauch wallten um die Feuerstelle, das dampfende Herz eines Lindwurms lag noch zuckend vor der Statue des steinernen Halvard, und ein Schweigen hatte sich über den Stamm gelegt wie frisch gefallener Schnee – schwer, feierlich und lauernd. Bjornar, von Neugier getrieben und von Ahnungslosigkeit getragen, kaute auf einer getrockneten Wurzel und hielt sich an Ynges Schulter fest, als würde sie ihn in der Welt halten.
Dann kam der Blitz. Ein gleißendes Schwert spaltete den Himmel, zischte nieder und traf mit solcher Gewalt die Statue, dass Steinsplitter flogen und das Feuer flackerte. Rauch stieg auf. Der Donnerhall rollte wie Gelächter der Ahnen über das Tal, und langsam, erschreckend langsam, begannen sich die steinernen Finger zu bewegen. Halvard erwachte.
Er trat vom Sockel herab, schwer wie die Zeit selbst, und sein Blick war so scharf wie der erste Frost des Winters. Seine Stimme – rau, knirschend wie ein brechender Gletscher – sprach keine Bitten.
„Brüder, Schwestern! Der Sturm kehrt zurück, und mit ihm die Brut. Eure Knochen sind weich, eure Lieder verstummt – habt ihr das Blut in euren Adern schon vergessen?“ Und an Rashka gewandt, alt und wortkarg wie er war, sagte er:
„Bist du noch Jothar, oder nur ein Schatten davon?“
Bjornar duckte sich, schnüffelte verwundert an Halvards Oberschenkel – echtem, heiligem Steinfleisch! – und blickte erschrocken zu Tarabasch, der vore Scham so bleich war, als wolle er in den Boden kriechen. Und dann ganz zum Schluss nach vielem anderen kam es, der Gruß, der an Bjornars Seele schlug wie an eine Trommel:
„Dem Abenteuer zur Ehr‘!“ Halvard sprach ihn wie ein Urteil. Oder wie ein Versprechen. Und während sich der Ahn mit knirschendem Steinlaut zurück in die Stille der Statue vergrub, klopfte Bjornars Herz bereits im Rhythmus des Aufbruchs. Denn wenn selbst ein steinerner Ahn von „Abenteuer“ sprach, dann war es nur recht und billig, dass Bjornar – Freund der Bären, Sohn des Waldes, Axtschwinger aus Versehen – sich zum Helden erhob.
Die Himmelswunden am Ahnenbaum
Am Morgen darauf wimmelte das Dorf von Jagdeifer: Speere wurden geschärft, Felle geschnallt, Trinkhörner gefüllt und große Worte gewechselt, als gälte es, die Drachenwelt selbst zu bezwingen. Doch Bjornar fand keine Ruhe. Ein Jucken im Nacken, ein Kribbeln im Bauch – das war kein Hunger, das war… Ahnung. Und während die anderen Männer zur Drachenjagd aufbrachen, trottete Bjornar mit finsterer Stirn und drei zotteligen Bären an seiner Seite davon, hinunter zum Silberbach.
Roeksniffr schnaubte nervös, Beomar rieb seinen Pelz an Bjoarnars Bein, und selbst Nirdhring, der Älteste der drei, knurrte leise – und das bedeutete bei ihm einiges. Sie hatten einen Geruch gewittert, etwas Bitteres in der Luft, als hätte sich der Himmel selbst in die Erde gebohrt. Und tatsächlich: Am Fuße des alten Ahnenbaums klaffte ein Krater, rauchend, dampfend, von brennenden Trümmern umgeben. Der Wald selbst schien zu weinen, verkohlt und versengt, während über dem Abgrund flackernde Feuerwesen schwebten – schemenhafte Gestalten aus Rauch, Glut und Zorn.
Nur der Baum stand. Groß. Still. Und doch – nicht unversehrt. Etwas drohte ihn zu verschlingen, langsam, aber unausweichlich. Bjornar trat näher, Haunseloh schwer in der Hand. Seine Axt vibrierte, als würde sie den Gegner schon wittern. Er kaute auf seiner Unterlippe. War das der Moment? War dies der Anfang jenes Abenteuers, das ihm versprochen war?
Dann sah er ihn. Einen Mann – oder war es ein Magier? – der am Kraterrand kauerte, murmelnd, gestikulierend, als beschwöre er das Chaos selbst. Bjornar schlich sich näher, schnüffelte, wie es seine Art war, hob gerade zum Gruß die Hand, da zuckte eine Stichflamme aus der Tiefe empor und erfasste den Fremden.
„He! Brennst du?“ rief Bjornar und stürzte vor. Mit den Fäusten und seinem Bärenumhang drosch er auf die Flammen ein, bis der Mann keuchend und rußverkrustet vor ihm stand.
„Ich… bin… Rorek…“ röchelte er, und fügte etwas hinzu, dass vielleicht „Asselmacher“, oder „Nasalmagier“ lautete – Bjornar war sich nicht sicher, aber es klang wichtig. Und gefährlich. Und das genügte ihm.
Doch noch bevor Worte gewechselt wurden, tat sich die Erde unter ihm auf. Flammen leckten an seinem Mantel, ein greller Blitz fuhr durch seine Glieder – und dann war da nur noch Schmerz. Als er zu sich kam, lag er im Farn, das Gesicht voller Asche, Nirdhring winselnd neben ihm, das weiße Fell geschwärzt, die Brust bebend. Bjornar legte die Stirn an die des alten Bären, und flüsterte: „Noch nicht. Noch nicht vorbei.“
Und irgendetwas – vielleicht ein Gedanke, vielleicht Aeiti selbst – sprach in ihm:
„Geh. Hol dir Hilfe. Leih dir ihre Stärke. Schau nach ihr!“
Hilfe von Herzen
Der Rauch war kaum verklungen, da packte Bjornar eine Unruhe, die nicht von diesem Ort stammte. Wie ein aufgeschrecktes Tier wanderten seine Gedanken – zu Raya, der wilden Schwester des Waldes, mit Dornen im Haar und Funken in den sumpfgrünen Augen. In Solgard war sie zuletzt gesehen worden, dort, wo ebenfalls Himmelssplitter niedergingen, dort, wo Feuer und Trümmer nicht nur Bäume, sondern vielleicht auch Mauern trafen. Wo sie nun gänzlich lebte…? Und so machte sich Bjornar auf den Weg.
Er ging nicht schnell – Bjornar war nie schnell – aber er ging mit einer Entschlossenheit, wie sie nur in den Beinen von jemandem wohnt, der nicht genau weiß, was er tut, aber sicher ist, dass es richtig ist. Die Bären wandten sich ab, blieben nah beim Hain – mit einem Nicken, einem Kratzen hinter den Ohren, und einem stillen Schwur: Ich komme wieder. Vielleicht sogar mit Verstärkung.
Die Straßen Solgards lagen dunkel und verrußt, der Himmel hing tief, und die wenigen Wachen musterten den Barbaren mit jener Mischung aus Argwohn und Bewunderung, die man für jemanden empfindet, der aussieht, als könne er ein Pferd verprügeln, aber wohl auch weint, wenn es regnet.
Er fand Raya – müde, abgekämpft, wie ein ausgebrannter Feuerstein. Und neben ihr Dervyn, kaum besser dran. Beide zuckten kaum, als er näher trat. Kein Lächeln. Kein Zorn. Nur eine müde Geste: Nicht jetzt, Bjornar. Das reichte. Er nickte, stammelte etwas belangloses vom Honigmet, den er brauen wollte, zog sich zurück. Aber es stach. Nicht wie ein Messer. Wie eine alte, stumpfe Klinge, die nicht tötet, sondern schabt.
Dann, ein Ruf durch die Straßen – hell, vertraut, entschlossen:
„Bjornar!“
Rou. Seine Schwester. Nicht aus Blut, sondern aus Wahl. Ihre dunklen Menschenaugen blitzten wie eh und jeh. Sie kam auf ihn zu, umarmte ihn wie eine Bärenschwester umarmt – fest, schwer, warm. Er erzählte von dem Krater, dem Feuer, dem Baum. Sie nickte nur, zog ihre Waffen vom Rücken und sagte:
„Wird Zeit.“
Das war alles, was es brauchte.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als der Wald sich veränderte. Das Licht fiel anders, obwohl keine Sonne mehr schien. Die Geräusche wirkten gedämpft, als würde selbst der Wind den Atem anhalten. Und dann trat er aus dem Schatten eines alten Baumstamms hervor – lang, schmal, seltsam leuchtend, als hätte ihn jemand aus Sternenlicht und Traurigkeit geschnitzt. Ein Elf. Bjornar blieb stehen, instinktiv schob er sich leicht vor Rou, obwohl sie ihm wahrscheinlich in jedem Kampf das Leben retten würde – und das nicht zum ersten Mal. Der Elf neigte höflich das Haupt, sein Blick wie stilles Wasser, seine Stimme wie das Rascheln alter Seiten:
„Ich bin Eldúri—“
„Eselbringer?“ unterbrach Bjornar laut flüsternd. Der Elf hob leicht die Augenbraue. Rou verdrehte die Augen.
„Oder war’s... Essenssänger?“ Bjornar murmelte es, als suche er eine Erinnerung, die nie ihm gehörte. „Ich hab Hunger.“
„Eldúrin“, sagte der Elf noch einmal, geduldig wie der erste Schnee.
„Ich habe den Himmelsbrand gesehen. Der Baum ruft.“
Bjornar blinzelte. Ein Elf, der Bäume verstand – das konnte kein Zufall sein. Wahrscheinlich hatte Aeiti ihn geschickt. Oder Kovakarhu. Oder beide. Vielleicht hatte der Elf auch gar keine Wahl gehabt. Rou nickte, wie sie es immer tat, wenn sie sich entschieden hatte.
„Dann sind wir drei.“
„Drei gegens Feuer?“ fragte Bjornar und zog Haunseloh ein kleines Stück aus der Scheide, damit sie einmal Luft schnappen konnte.
„Drei reichen,“ sagte Eldúrin, „wenn das Herz stark ist.“
„Dann… ich geh vorne,“ meinte Bjornar, und stapfte los, mit einem klopfenden Mut, der aus seinen Füßen kam, nicht aus seinem Kopf.
Und über ihnen, in der Halle der Ahnen, klimperten bereits die ersten Metkrüge, denn Sarmatijasch hatte den nächsten Wetteinsatz erhoben.
Ein Spektakel für die Methalle
Als sie den Silberbach erreichten, lag der Wald in flackerndem Zwielicht. Der Krater spie Rauch in krummen Spiralen, und über dem schwarzen Schlund züngelten flammende Schatten, geboren aus Zorn, Glut und altem Groll. Der Ahnenbaum, stolz und uralt, stand noch – aber seine Wurzeln knackten bereits unter der Hitze.
Bjornar hielt inne, das Herz ein Schlachtfeld. Neben ihm hob Rou wortlos ihre Waffe, der Elf legte einen buntgefiederten Pfeil auf die Sehne, zu schön um ihn zu schleudern. Haunseloh zuckte in der Hand des Barbaren – heißhungrig.
„Ich bin bereit“, murmelte Bjornar. Und meinte es.
Dann brach das Feuer los. Zischend schossen die Scheusale aus der Glut, jagten wie flammende Wölfe durch den Wald. Bjornar brüllte und stürmte vor – und stolperte über eine Schlingpflanze. Mit dem Gesicht voran ins Laub. Haunseloh flog im hohen Bogen und blieb in einer Baumkrone stecken.
„Er ist gefallen!“ rief Solkr in der Ahnenhalle und prustete Met über den Tisch.
„Er steht wieder auf“, sagte Aeiti sanft.
„Er hat seine Axt verloren“, ergänzte Varjot trocken.
„Doppelte Wette: Er kämpft mit bloßen Händen“, knurrte Sarmatijasch.
Kovakarhu schnaufte zustimmend.
Unten rappelte sich Bjornar auf, rief Haunseloh – und bekam einen Ast auf den Kopf. Über ihm knackte die Baumkrone und seine Axt fiel herunter, direkt neben ihn.
„Danke“, keuchte er. Der Baum, so dachte er, war wohl auf seiner Seite.
Rou verschoss Pfeile wie ein Krähensturm, Eldúrin schleuderte seine Pfeile, die sangen im Chor ein Grablied auf den Feind. Doch dann schoss ein Feuergeist direkt auf den Baum zu. Bjornar schrie auf, warf sich in den Weg – und wurde rücklings in einen brennenden Busch geschleudert.
Oben in der Ahnenhalle schwankten die Krüge.
„Jetzt!“, rief Halvard.
„Er braucht einen Tritt!“
„Er kriegt einen Tritt!“
Ein plötzlicher Windstoß fegte die Flammen vom Baum, lenkte sie um – Bjornar fühlte ihn wie einen Stoß in den Rücken.
„Aufstehen, Bjornar!“, dröhnte es in seinem Kopf. War’s Halvard? Oder Aeiti? Oder war’s sein eigener Schädel, der hallte?
Er sprang auf. Haunseloh zitterte vor Lust. Rou an seiner Seite. Eldúrin sang.
Dann kam der Erdgeist. Groß, schwankend, wie ein wandelnder Monolith aus Glut und Stein. Die drei Kämpfer wichen zurück, ein letzter Widerstand, die Flammen tobten erneut.
Da mischte sich das Gelächter der Ahnen in das Dröhnen des Kampfes.
Solkr war aufgestanden, die Ärmel hoch.
Aeiti betete.
Varjot schwieg.
Halvard stand.
Und Kovakarhu brüllte.
Ein letzter Schub ging durch Bjornar, wie eine Bärenfaust in den Rücken.
„Geh, Bjornar!“ rief es in ihm.
„JETZT!“
Und er ging. Und er schlug. Und er fiel.
Und stand wieder auf.
Mit letzter Kraft lockten sie die Geister vom Baum fort, in die Sümpfe, wo sie schwächer und schwächer wurden, schließlich unter dem unermüdlichen Ansturm der drei zurückkrochen in die verwundete Erde, aus derem Zorn sie geboren waren.
Der Ahnenbaum stand. Verkohlt, ja, denn die Helden hatten die Flammengeister in ihrem Eifer hingelockt, so dicht stand er an der Himmelswunde.
Dem grimmigen Gesicht in der Rinde hatten sie so den Bart verkokelt.
Aber stand!
Das Urteil der Ahnen
Später, als die Nacht kühl wurde, saßen Bjornar und Rou nebeneinander am Lagerfeuer. Ihre Schultern berührten sich, schweigend.
„War gut, dass du da warst“, murmelte Rou.
„War gut, dass du’s warst“, murmelte Bjornar zurück.
Und in den Himmelsweiten prosteten die Ahnen einander zu.
„Er lebt“, sagte Aeiti.
„Noch“, murmelte Varjot.
„Verdient“, sagte Halvard.
Und Kovakarhu knurrte ein einziges, warmes Wort: „Held.“
Die Schlacht war geschlagen, der Wald atmete Rauch aus, und der Silberbach glomm nur noch schwach unter der Asche der Nacht. Es würde etwas dauern, bis die zornigen Geister an neuer Kraft gewannen. Eine Atempause hatten sie dem Ahnenbaum verschafft, in der er die Wurzeln tiefer in den Boden treiben konnte. Bjornar schlief, halb im Sitzen, halb im Umfallen, das Kinn auf die Brust gesunken, Nirdhrings Bärenohr als Kopfkissen, den Mund offen, wie einer, der hofft, das nächste Abenteuer möge direkt hineinfallen.
In der Halle der Ahnen aber herrschte keine Ruhe.
„Das war’s?“, brummte Sarmatijasch, warf seinen Krug in die Ecke, wo er scheppernd gegen eine Säule prallte. „Das war alles?“
„Ein bisschen Feuer, ein bisschen Fallerei, und am Ende braucht er wieder Hilfe von oben“, knurrte Halvard, die Arme verschränkt. „Wenn wir ihn nicht dreimal getreten hätten, läge er jetzt als knuspriges Häufchen Elend unter’m Baum!“
„Er ist nicht gefallen“, warf Aeiti sanft ein.
„Er ist gestolpert!“, fauchte Varjot.
„Siebenmal!“, ergänzte Solkr begeistert. „Rekordverdächtig. Ich sag’s ja: Ein Schauspiel, dass den Met versüsst!“
Kovakarhu schnaubte. Tief. Lang. Und als sich alle umdrehten, sagte er mit einem Brummen, das noch in den Wurzeln der Welt widerhallte: „Er hat nicht aufgegeben.“
Es entstand eine Pause, in der selbst der Met in den Krügen zu lauschen schien.
„Nicht genug“, murrte Halvard. „Aber ein Anfang.“
„Ein sehr kleiner Anfang“, sagte Sarmatijasch, und goss sich neuen Met ein. „Aber immerhin: er lebt noch. Und das heißt…“
„…wir dürfen ihn noch ein bisschen schubsen“, grinste Solkr.
Und so prosteten sie sich zu, ein letztes Mal an diesem Abend, und warfen Blicke zurück auf den schnarchenden Bjornar, der im Traum vielleicht schon wieder kämpfte – oder zumindest einem Igel das Singen beibrachte.
Die Geschichte war nicht zu Ende.
Sie hatte gerade erst begonnen.